Null Zucker – Sprache als Schlüssel zur Identität und Verständigung

„Null Zucker“ ist kein Stück über dialektologische Nahrungsvorschläge, sondern eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit Sprache. Wie verändert sich unsere Perspektive, wenn wir eine neue Sprache lernen? Gewinnen wir etwas hinzu, oder verlieren wir auch einen Teil von uns? Sprache ist nicht nur ein Mittel der Kommunikation, sondern auch ein Machtinstrument. Unter der Regie von Tanju Girişken begaben sich die Schauspieler*innen Mouatouz Alshaltouh, Lukas Beeler und Fabienne-Deniz Hammer auf eine spannende Reise durch Worte und Bedeutungen. Die Premiere fand am 17. Januar 2025 statt.

Im Zentrum der Bühne stand eine aufklappbare Box, die zu Beginn des Stücks das WG-ähnliche Zuhause der Hauptfiguren darstellte. Im späteren Verlauf diente sie als Projektionsfläche für Videoclips, in denen Dortmunder*innen ihre Erfahrungen mit der deutschen Sprache schilderten. Gegen Ende des Stückes wurde die Box auseinandergebaut, symbolisch für die Auflösung von Grenzen und Normen.

Drei Figuren, drei Perspektiven

Mouatouz Alshaltouh verkörperte einen Charakter, der aus einem anderen Land kam und sich die deutsche Sprache mit großem Eifer aneignete. „Ich habe alles gelesen – Kassenbons, Packungsbeilagen, Bücher, Briefe – einfach alles“, berichtete er. Doch mit der neuen Sprache kam auch die innere Zerrissenheit: „Ich schäme mich für den Akzent meines Vaters.“ Sein Denken ist in Arabisch verwurzelt, doch sein Ausdruck erfolgt auf Deutsch. Besonders eindrucksvoll war die Aussage: „Wenn ich Kleist spiele, denke ich auf Arabisch, sage den Text aber auf Deutsch.“

Null Zucker: Fabienne-Deniz Hammer, Mouataz Alshaltouh und Lukas Beeler Foto: (Birgit Hupfeld)
Null Zucker: Fabienne-Deniz Hammer, Mouataz Alshaltouh und Lukas Beeler Foto: (Birgit Hupfeld)

Lukas Beelers Figur brachte eine andere Perspektive ein. Als Schweizer stellte er fest, dass auch innerhalb des Deutschen Unterschiede existieren. Schweizerdeutsch unterscheidet sich in Aussprache und Wortschatz erheblich vom Hochdeutschen, wie bei Wörtern wie „Haus“, „Kind“ oder „Ich“. Seine Figur schilderte die Herausforderungen, die gültige Hochdeutsch-Norm zu erlernen, wie sie etwa in Schauspielschulen unterrichtet wird.

Fabienne-Deniz Hammer spielte eine Figur mit türkischem Migrationshintergrund, die jedoch kaum oder kein Türkisch spricht. Im Laufe des Stückes bedauerte sie diese verpasste Chance. Besonders hob sie die Vorzüge der türkischen Sprache hervor, die geschlechterneutral ist – das Personalpronomen „o“ steht für „er“, „sie“ und „es“. Auch andere Sprachen wie Finnisch, Ungarisch, Koreanisch oder Japanisch sind in dieser Hinsicht ähnlich.

Mehrsprachigkeit als Bereicherung

Trotz der ernsten Themen kam der Humor nicht zu kurz. „Null Zucker“ zeigte auf humorvolle Weise, wie Sprache unsere Identität prägt und uns miteinander verbindet. Ein türkisches Sprichwort fasst dies treffend zusammen: „Eine Sprache, ein Mensch. Zwei Sprachen, zwei Menschen.“

Gegen Ende wurde das Publikum aktiv einbezogen. In einer an eine Radioshow angelehnten Szene wurden die Zuschauer*innen gefragt, ob sie mehrere Sprachen sprechen oder eine neue Sprache lernen. Die Premiere zog ein gemischtes Publikum an, das sich nach der Aufführung noch lebhaft über die Thematik austauschte.

Das Stück ist ein eindrucksvolles Plädoyer für die Wertschätzung der Mehrsprachigkeit und ein Appell, die Sprache des anderen zu lernen – als Schlüssel zur Verständigung und zur Wertschätzung kultureller Vielfalt.

Weitere Informationen unter www.theaterdo.de.




Leben im Hannibal 2: Ausstellung von Latefa Wiersch im Kunstverein

Die 1960er- und 1970er-Jahre waren geprägt von starkem Zuzug in die Städte und einem hohen Bedarf an günstigem Wohnraum. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, entstanden zahlreiche Hochhaussiedlungen, häufig in Form von Großwohnanlagen am Stadtrand. Eine dieser Anlagen war der Hannibal 2 in Dortmund-Dorstfeld.

Ein zentraler Gedanke beim Bau solcher Hochhaussiedlungen war, unterschiedliche soziale Schichten unter einem Dach oder in einer Nachbarschaft zu vereinen. Diese sogenannte „soziale Mischung“ sollte einerseits durch verschieden große Wohnungen gefördert werden, die sowohl für einkommensschwächere als auch für einkommensstärkere Haushalte erschwinglich waren. Andererseits sollten Gemeinschaftsräume, Kindergärten und Einkaufsmöglichkeiten die Begegnung zwischen den Bewohnern erleichtern. Doch gerade diese sozialen Treffpunkte fehlten beim Hannibal 2, da sie nie realisiert wurden.

Puppen, Popkultur und Zeitgeschichte

Die Künstlerin Latefa Wiersch verbrachte ihre Kinder- und Jugendjahre im Hannibal 2 und widmete ihm ihre Ausstellung „Hannibal“. Besucherinnen und Besucher erwartet ein beeindruckender Nachbau eines Teils der Hochhausfassade, fast im Maßstab 1:1. Der Raum ist jedoch gefüllt mit Puppen, die postmigrantische Identitäten darstellen. Diese Puppen wirken wie unheimliche Doppelgänger der Künstlerin und ihres sozialen Umfelds – Figuren, die bekannte Elemente der Popkultur mit Bezügen zur Zeitgeschichte verbinden.

Die drei Puppen stehen für die Dortmunder Girlsband "Tic tac Toe", die mit ihren Liedern auch feministische und antirassistische Themen behandelten.
Die drei Puppen von Latefa Wiersch stehen für die Dortmunder Girlgroup „Tic tac Toe“, die mit ihren Liedern auch feministische und antirassistische Themen behandelten.

Besonders eindrucksvoll ist der Nachbau eines Kinderzimmers. Hier sind als Puppen die Mitglieder der Girlgroup „Tic Tac Toe“ zu sehen. Als Kind der 1980er- und 1990er-Jahre – Latefa Wiersch wurde 1982 geboren – war die Dortmunder Band für sie ein prägendes Thema. Auch der mediale Zusammenbruch der Gruppe im Jahr 1997 bleibt unvergessen.

Der Hannibal 2 erlebte ein ähnlich dramatisches Ende. 2017 mussten die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wohnungen wegen Mängeln im Brandschutz innerhalb einer Stunde verlassen. Nach langen Debatten durften einige von ihnen nur kurzzeitig zurückkehren.

Begleitprogramm zur Ausstellung

Parallel zur Ausstellung bietet ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm weitere Einblicke:

  • DO, 23.01., 18 UHR
    Kuratorinnenführung
  • DO, 20.02., 19 UHR
    Filmabend #26: Viola Shafik – Ali im Paradies (My Name Is Not Ali)
  • SA, 22.03., 14–16 UHR
    Erzählspaziergang
  • SA, 12.04., 17 und 18 UHR
    Performance von Latefa Wiersch – Hannibal

Latefa Wiersch – Hannibal

  1. Januar – 13. April 2025

Dortmunder Kunstverein
Rheinische Straße 1
44137 Dortmund

 




Akte X-Mas: Eine Weihnachtstradition im Dortmunder Schauspiel

Es ist eine schöne Tradition geworden: Jedes Jahr, kurz vor Weihnachten, findet an zwei Tagen im Dortmunder Schauspiel die Akte X-Mas statt. Moderiert wie gewohnt von Thomas Koch, bietet diese besondere Veranstaltung eine Mischung aus Musik und Texten – mal besinnlich, mal weniger besinnlich. Ein Bericht vom 19. Dezember 2024.

Die Weihnachtszeit hat bekanntlich etwas Rituelles: Adventskalender werden geöffnet, Kerzen auf dem Adventskranz entzündet, und es gibt die alljährlichen Klassiker wie Socken oder Pralinen als Geschenke sowie Kartoffelsalat an Heiligabend. In diese Tradition reiht sich auch die Akte X-Mas nahtlos ein. Was in der Vergangenheit gut war, ist auch in diesem Jahr wieder ein Highlight – zum Beispiel das Lied „Danny Boy“, eindrucksvoll gesungen von Charlotte Brandi, oder die humorvollen Beiträge wie „Worte, die es nur in dieser Sprache gibt“.

Besinnliches und Skurriles zur Weihnachtszeit

Doch keine Sorge: Nicht alles wurde recycelt. Die Autorinnen und Autoren hatten viele neue, frische Texte im Gepäck, die die Zuschauer*innen begeisterten und die Tannenbaumkugeln beinahe zum Klingen brachten. So erzählten sie etwa von der Wiederentdeckung einer längst vergessenen Blockflöte im Keller oder von amüsanten Irrfahrten mit der Deutschen Bahn. Andy Strauß, bekannt für seinen surrealen Humor, ließ die Anwesenden in skurrile Welten eintauchen, in denen Igel und ein perfekt gepackter Rucksack zentrale Rollen spielten.

Die Xakte X-Mas wurde auch 2024 im Schauspielhaus Dortmund aufgeschlagen. (Foto: (c) Akte X-Mas / Thomas Koch)
Die Xakte X-Mas wurde auch 2024 im Schauspielhaus Dortmund aufgeschlagen. (Foto: (c) Akte X-Mas / Thomas Koch)

Fritz Eckenga steuerte mit seinen kurzen, pointierten Gedichten den typisch lokalen Dortmunder Charme bei, während Claus Dieter Clausnitzer, ein aus Dortmunder Zeiten wohlbekannter Name, das Publikum ebenfalls mit seinem Auftritt für sich gewann. Ein besonderer Moment war der Auftritt des ehemaligen musikalischen Leiters des Schauspielhauses, Paul Wallfisch, der es sich nicht nehmen ließ, an seiner alten Wirkungsstätte erneut zu brillieren.

Die Akte X-Mas 2024 war erneut eine gelungene Revue mit einem charmant-launigen Thomas Koch als Moderator. Die perfekte Mischung aus Tradition und neuen Impulsen machte den Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis. Bis zum nächsten Jahr!




Der Geierabend 2025 wird „Zart wie Kruppstahl“

Am 9. Januar 2025 startet der Ruhrpottkarneval mit seinem neuen Motto „Zart wie Kruppstahl“ in die kommende Session. Bis zum 4. März, dem Tag vor Aschermittwoch, werden die Geier in 34 Vorstellungen ihr satirisches Programm auf die Bühne bringen. Doch eine besondere Herausforderung wartet: ein Sonntag mitten in der Session wird gleichzeitig Tag der Bundestagswahl sein.

Neue Gesichter beim Geierabend 2025

Für Fans gibt es eine schlechte Nachricht: Der Präsident alias Roman Marczewski muss aus gesundheitlichen Gründen pausieren. ars tremonia wünscht ihm alles Gute. Dennoch bringt die Session 2025 auch frischen Wind.

Ein neues Gesicht ist Stefan „Pele“ Götzer, der das musikalische Konzept übernimmt. Sein Repertoire reicht von Punk über Musical bis hin zu selbstgeschriebenen Schlagern. Bekannt wurde er durch seine Band Astra Kid und als Theatermusiker. Martin Kaysh alias „Steiger“ lobt ihn: „Pele bringt alle Voraussetzungen mit: Er stammt aus der Gegend, kennt die Themen und hat ein großes Verständnis über die Musik hinaus.“

Proben für einen Sketch zum 50. Jahrestag der immer noch nicht überwundenen Gebietsreform in NRW. Auf der Bühne (v. li.) Patrick Dollas, Sebastian Thrun, Silvia Holzhäuser, -Angelo Enghausen Micaela und Sandra Schmitz.
Proben für einen Sketch zum 50. Jahrestag der immer noch nicht überwundenen Gebietsreform in NRW. Auf der Bühne (v. li.) Patrick Dollas, Sebastian Thrun, Silvia Holzhäuser, – Angelo Enghausen Micaela und Sandra Schmitz.

Zudem verstärkt Patrick Dollas das Ensemble auf der Bühne. Dollas, der zuvor lange beim Schlosstheater Moers aktiv war, zeichnet sich durch seine Vorliebe für skurrile und satirische Projekte aus. Auch hinter den Kulissen gibt es Verstärkung: Die erfahrenen Autoren Thomas Rogel und Markus Hennig, bekannt durch ihre Arbeit für Jan Böhmermann, Carolin Kebekus und die heute-show, bereichern das Team.

Satirische Highlights und politische Herausforderungen

Welche Themen hat der Geierabend 2025 im Fokus? Neben internationalen Ereignissen wie der US-Wahl stehen auch regionale Themen im Mittelpunkt. Der BVB, die Gebietsreform von 1975 sowie Sparmaßnahmen bei der Polizei werden satirisch beleuchtet. Ob der Hype um die Dubai-Schokolade aufgegriffen wird, ist noch offen.

Eine besondere Herausforderung stellt die Bundestagswahl am 23. Februar dar – ein Sonntag mitten in der Session. An diesem Tag wird nicht nur gewählt, sondern auch gespielt. Martin Kaysh verkündet: „Wir laden alle ein zur großen Wahlparty auf der Zeche. Wie wir das ins Programm einbinden, wird noch entschieden.“

Spielplan und Tickets finden Interessierte unter www.geierabend.de.

Das Ensemble:

  • Martin Kaysh
  • Sebastian Thrun
  • Silvia Holzhäuser
  • Patrick Dollas
  • Sandra Schmitz
  • Angelo Enghausen Micaela

Regie:

  • Joey Gerome Porner
  • Björn Jung

Musikalische Leitung:

  • Stefan „Pele“ Götzer



Freeze – Ein modernes Tanztheaterstück zur Schneekönigin

Mit Freeze präsentierte die Junge Tanztheaterwerkstatt ein eindrucksvolles Stück über Solidarität, Verantwortung und Freundschaft. Inspiriert von Motiven des Märchens Die Schneekönigin erzählt es die Geschichte der 15-jährigen Kai, die plötzlich verschwindet. Am 15. Dezember wurde das Werk im Fritz-Henßler-Haus uraufgeführt.

Die Geschichte von Kai und der Schneekönigin

Warum verschwinden Jugendliche? Familienkonflikte, psychische Belastungen, Drogenmissbrauch oder die Suche nach Abenteuern? Im Märchen Die Schneekönigin führen magische Spiegelsplitter dazu, dass Kai die Welt nur noch negativ sieht und sich von der Schneekönigin angezogen fühlt. Freeze greift diese Motive auf und überträgt sie in eine moderne, gesellschaftskritische Erzählung.

Die 15-jährige Kai, eine Schülerin mit albanischen Wurzeln, verschwindet plötzlich. Ihre Klassenkamerad*innen beginnen nach einiger Zeit, sich Gedanken zu machen: Wo ist Kai geblieben? Erinnerungen werden ausgetauscht, Suchen organisiert und Elemente des ursprünglichen Märchens neu interpretiert. So wirft Gerda im Original ihre roten Schuhe in einen Fluss, um Antworten zu bekommen. In Freeze wurde der Fluss von den Jugendlichen durch kreative blaue Plakate dargestellt – ein eindrucksvolles Bild.

Die Spiegelstücke der Schneekönigin verletzen Kai. (Foto: CDD20/ Pixabay)

Die Schneekönigin tritt in dieser Neuinterpretation als Dreiergruppe auf. Sie verkörpert nicht nur negative Emotionen, sondern auch Verlockungen wie Clubbesuche, Drogen und das Streben, zu den „coolen Kids“ zu gehören. Kai wird von diesen Einflüssen angezogen – doch welche Konsequenzen hat das?

Die Botschaft hinter Freeze

Im Märchen rettet Gerda ihren Freund Kai aus den Fängen der Schneekönigin. In Freeze gibt es jedoch eine weitere Ebene: Die Wahrheit könnte auch sein, dass die Klassengemeinschaft Kai nie wirklich akzeptiert hat, weil sie einen Migrationshintergrund hat. In einem Abschiedsbrief schreibt Kai, dass sie einfach ein neues Leben sucht.

Trotz der ernsten Thematik hat das Stück auch humorvolle Momente, wie die Szene, in der Kai erzählt, sie dürfe auf die „Magic High“. Musikalisch wurde ein abwechslungsreiches Programm geboten: Neben Popmusik erklangen Vivaldis Vier Jahreszeiten, ebenso wie Livemusik auf Gitarre, Klavier und Querflöte.

Ein gelungener Abend, bei dem 20 talentierte Performerinnen eine spannende und tiefgehende Neuinterpretation der Schneekönigin auf die Bühne brachten.

Mitwirkende: Team: Birgit Götz, Helen Greve-Groß, Laura Gebauer, Inge Nosal & Bhavdeep Kumar Projektleitung: Stella Pischke Performerinnen: Imani Abdoulaye, Frida Averesch, Lotti Brockmann, Salia Dresp, Merith Hopf, Karolina Jurczak, Emma Kassing, Glory Kumih, Olivia Langner, Viola Langner, Marlitt Larsen, Emily Merkel, Karla Müller, Sarah Neuß, Lili Rinscheidt, Martha Schröder, Marla Tenholt, Sarah Thirukumar, Charlotte Voges, Luise Voges




Studio X: Eine Ausstellung über ein besonderes Kino

„Komm Bambino, wir gehen ins Pornokino“, sangen 1982 „Die Crackers“, eine Deutschrock-Band aus Hessen, die durch die Neue Deutsche Welle bekannt wurde. Dieser Song hätte genauso gut in Dortmund spielen können, denn damals gab es das „Studio X“ am Burgwall. Die Ausstellung im Hans A, in der Hansastraße 6–10, erinnert an das legendäre Kino mit Ausstellungsstücken, Fotografien und Zeichnungen.

Eine Hommage an das Studio X

Die Ausstellung „Studio X“ ist eine Gemeinschaftsarbeit von Hendrik Müller, Silvia Liebig und Ach Kuhzunft (alias Achim Zepezauer). Im Zentrum des Raumes steht eine Installation, die eine Mischung aus Kinokabine und Gelsenkirchener Barock nachbildet – ergänzt durch Regale mit Sextoys. Doch keine Sorge: Es wird nichts Explizites gezeigt. Stattdessen werden alte Leuchtreklamen und Innenaufnahmen des seit 2017 geschlossenen Kinos präsentiert.

Das „Studio X“ blickt auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurück. Im 19. Jahrhundert befand sich an diesem Ort ein Konzertsaal, später ein Theater. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs entstand ein Kino mit fast 1.000 Sitzplätzen und der größten Leinwand Dortmunds. Als in den 1970er-Jahren viele Kinos schließen mussten, wandelte sich das Studio X 1977 unter einem neuen Besitzer zum Pornokino. Doch der Erfolg war nicht von Dauer: Das Aufkommen von Videorekordern und später des Internets mit seinen kostenlosen Inhalten führte letztlich zum Niedergang des Kinos.

Studio X meets Gelsenkirchener Barock.
Studio X meets Gelsenkirchener Barock.

Peter Schmieder betonte in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung, dass das Studio X nicht nur ein Ort für sexuelle Begegnungen – vor allem für homosexuelle Menschen – war, sondern auch ein Treffpunkt für Stricher und Prostituierte. Mit dieser Funktion gingen jedoch auch die Schattenseiten der Prostitution einher.

Das Ende des Studio X und die Ausstellung im Hans A

Obwohl das Gebäude und seine Geschichte bald endgültig verschwinden werden, bleibt das „Studio X“ in den Erinnerungen vieler Menschen lebendig. Die Ausstellung zeigt, wie dieses Kino zugleich ein Ort der Freiheit, der Begegnung und der Kontroverse war. Dies spiegelt auch der Sprechchor wider, der bei der Eröffnung eine Performance aus Erinnerungsfetzen von Kinogänger*innen vorführte.

Die Ausstellung im Hans A läuft noch bis zum 10. Januar 2025. Die Öffnungszeiten sind von 15 bis 18 Uhr.




Banality Control: Die Kunst der Banalität im Künstlerhaus Dortmund

Kunst hat seit jeher die Aufgabe, die Welt in ihrer ganzen Bandbreite abzubilden – von Schönheit und Schrecken bis hin zur Trivialität. Banalität in der Kunst fungiert dabei als Spiegel des Alltags, der uns das scheinbar Gewöhnliche bewusst macht. Manchmal wird sie zur Provokation, indem sie dazu auffordert, über das Offensichtliche hinauszudenken. Die Ausstellung Banality Control, die bis zum 19. Januar 2025 im Künstlerhaus Dortmund zu sehen ist, versammelt Werke von acht Künstler*innen, die sich mit den vielfältigen Facetten des Banalen auseinandersetzen. Kuratiert von Dirk Pleyer, erkundet die Ausstellung die ästhetische, emotionale und gesellschaftliche Dimension des Alltäglichen.

Von Staubsaugern bis Tennisplätzen

Die ausgestellten Werke zeigen eindrucksvoll, wie alltägliche Gegenstände und Szenarien in neuem Licht erscheinen können. So laden die Arbeiten von Kira Fröse dazu ein, die vertraute Welt aus einer ungewohnten Perspektive zu betrachten. In ihren Werken prallen Tischtennisbälle auf Pömpel oder werden alltägliche Objekte mit Humor und Leichtigkeit verfremdet. Diese spielerischen Interventionen erzeugen eine Spannung zwischen ästhetischer Harmonie und der Lust, die Gegenstände anfassen und erkunden zu wollen.

Einen anderen Ansatz verfolgt Klaus Geigle, der das ikonische Gemälde Die Toteninsel von Arnold Böcklin humorvoll neu interpretiert. Durch die Integration von Tennisplätzen und deren allmähliche Rückeroberung durch die Natur wird die Schwere des Originals mit subtiler Ironie gebrochen.

Diese Ausstellung enthält viel Humoriges in den ausgestellten Werken. Banality Control.
Diese Ausstellung enthält viel Humoriges in den ausgestellten Werken. Banality Control.

Das Thema Staubsaugen – ein oft übersehener, fast lästiger Teil des Alltags – wird in den Werken von Andrea Lüth und Melanie Milo zu einem zentralen Motiv. Andrea Lüth präsentiert eine riesige Zeichnung einer staubsaugenden Person, die durch ihre Dimensionen und spielerischen Details beeindruckt. Melanie Milo hingegen betrachtet in ihrer Serie Küche / Diele / Bad (Deborah) ihren Wohnraum aus der Perspektive ihres Saugroboters „Deborah“. Diese mechanische, unpersönliche Kartierung steht im Kontrast zur emotionalen Bindung an die Räume. Dabei werden Objekte wie Mülleimer oder Duschen zu abstrakten, grafischen Formen, die den Blick auf das Banale neu definieren.

Zwischen Verfremdung und Poesie des Alltags

Auch Kerstin Müller-Schiel spielt in ihrer Malerei und Keramik mit der Verfremdung. Ihre Werke bewegen sich zwischen Rätselhaftem und Uneindeutigem, wobei sie alltägliche Vorlagen wie Fotografien oder Magazinbilder in einen völlig neuen Kontext überführt. Die Ergebnisse sind Figuren und Fragmente, die sich einem klaren Dialog entziehen und eine geheimnisvolle Stille ausstrahlen.

Humorvoll und spielerisch nähert sich Klaus Sievers der Banalität. Ein Orangenbonbon, das er vor dem Künstlerhaus gefunden hat, wurde spontan Teil seiner Ausstellung. Mit solchen scheinbar unscheinbaren Objekten regt er Diskussionen an und zeigt, dass selbst das Banale eine Bühne verdient.

Wolfgang van Triel widmet sich in seinen Fotoserien der Urbanität. Er zeigt Orte, Straßen und Gebäude als lebendige Räume, die Wandel, Vergänglichkeit und Identität verkörpern. Seine Bilder wirken oft wie Lost Places und wecken ein Gefühl der Nostalgie für das Alltägliche.

Anna Vasof schließlich beeindruckt mit ihrer spielerischen Subversion. Ihre Kunst basiert auf Experimenten mit Bewegung und Zeit, in denen sie scheinbar selbstverständliche Annahmen hinterfragt. Alltagsgegenstände wie Schuhe oder Töpfe werden in ihren Werken zu Trägern sozialer Paradoxien und laden dazu ein, die Welt aus ungewohnten Blickwinkeln zu betrachten.

Wichtige Informationen zur Ausstellung

Die Ausstellung Banality Control ist bis zum 19. Januar 2025 im Künstlerhaus Dortmund zu sehen. Bitte beachten Sie die Winterpause: Vom 23. Dezember 2024 bis einschließlich 8. Januar 2025 bleibt das Künstlerhaus geschlossen. Ab dem 9. Januar 2025 ist die Ausstellung wieder geöffnet.




Musik am Abgrund – Das 4. Philharmonische Konzert der Dortmunder Philharmoniker

Mit einem beeindruckenden Programm aus Benjamin Brittens Sinfonia da Requiem und Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr. 4 zeigten die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz am 10. und 11. Dezember 2024 ihre künstlerische Qualität. Beide Werke, entstanden unter außergewöhnlichen persönlichen und politischen Bedingungen, spiegeln eindringlich die existenziellen Herausforderungen ihrer Zeit wider.

Brittens Pazifistisches Meisterwerk

Benjamin Britten schrieb seine Sinfonia da Requiem im Jahr 1940, inmitten der Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg. Für Britten bedeutete diese Zeit nicht nur einen künstlerischen Wendepunkt, sondern auch einen persönlichen Neubeginn: Gemeinsam mit seinem Partner Peter Pears entschied er sich für ein Exil in den USA. Dieses Werk, ursprünglich als Auftragskomposition zum 2600-jährigen Jubiläum der japanischen Kaiserherrschaft gedacht, wurde von den japanischen Auftraggebern abgelehnt, da es ihrer Ansicht nach zu wenig festlich war. Die liturgischen Titel der drei Sätze (Lacrymosa, Dies irae, Requiem aeternam) verleihen dem Werk eine spirituelle Tiefe, die Brittens pazifistischer Botschaft und seiner Abscheu vor Krieg und Gewalt Ausdruck verleiht.

Generalmusikdirektor Gabriel Feltz überzeugte mit seinen Dortmunder Philharmonikern. (Foto: (c) Jürgen Altmann)
Generalmusikdirektor Gabriel Feltz überzeugte mit seinen Dortmunder Philharmonikern. (Foto: (c) Jürgen Altmann)

Die Dortmunder Philharmoniker erweckten dieses außergewöhnliche Werk mit beeindruckender Präzision und emotionaler Intensität zum Leben. Besonders die Blechbläser brillierten mit aggressiver Dynamik und rhythmischer Schärfe, insbesondere im zweiten Satz (Dies irae), in dem Trompeten und Posaunen die Führung übernahmen.

Schostakowitschs Sinfonie Nr. 4: Ein Monument der Verzweiflung

Nach der Pause erklang Dmitri Schostakowitschs Sinfonie Nr. 4, ein Werk, das während der Jahre 1935 bis 1936 im Kontext des stalinistischen Terrors entstand. Schostakowitschs prekäre Situation als Künstler in der Sowjetunion prägte diese monumentale Sinfonie, die in ihrer Struktur und Instrumentation deutlich den Einfluss Gustav Mahlers erkennen lässt. Die Klangwelt der Sinfonie ist dunkel und von Verzweiflung geprägt, mit abrupten Wechseln zwischen brutaler Schärfe, groteskem Humor und melancholischer Tiefe.

Die Dortmunder Philharmoniker meisterten die immensen Herausforderungen dieses Werks mit Bravour. Die komplexe Polyphonie, die massiven orchestralen Klangblöcke und die solistischen Passagen wurden mit beeindruckender Klarheit und Ausdruckskraft dargeboten. Die Musiker*innen entfalteten die gesamte emotionale Bandbreite dieser Sinfonie, von schneidender Brutalität bis hin zu tiefster Melancholie.

Der langanhaltende Applaus am Ende des Abends war ein verdientes Lob für die Dortmunder Philharmoniker, die mit diesem Konzert die künstlerische Tiefe der Werke eindrucksvoll unter Beweis stellten.




Flamingos und Dada – Ein Abend mit Hermann Heisig

Warum schlafen Flamingos auf einem Bein? Diese und andere absurde Gedanken brachte Hermann Heisig am 6. Dezember 2024 mit seiner Gruppe im Theater im Depot dem Publikum in der außergewöhnlichen Performance „Late Night Dada“ näher.

Dada, diese vermeintlich längst vergangene Kunstrichtung, wurde hier mit einem frechen Augenzwinkern wiederbelebt. In Dortmund, der Ruhestätte des Dadaisten Richard Huelsenbeck, wird die Erinnerung an diese Bewegung ohnehin lebendig gehalten – mit jährlichen Festivals und künstlerischen Aktionen. Trotzdem hätte das zweistündige Spektakel von Heisig und seinen Leipziger Performerinnen deutlich mehr Zuschauerinnen verdient.

Zwischen Bar, Bühne und Straßen-Dada

„Late Night Dada“ begann stilecht an der Bar – die den gesamten Abend über geöffnet blieb – und nahm das Publikum mit auf eine Reise durch den gesamten Theatersaal. Was folgte, war ein wilder Mix aus Tanz, Performance, Kostümspiel und Bühnenkunst, irgendwo zwischen Late-Night-Show, Konzert und ritueller Jam-Session. Besonders surreal wurde es, als alle Beteiligten mit einer Flamingo-Fahne das Theater verließen, um ein Stück Dada direkt auf die Straße zu bringen.

hermann heisig und seine Crew bei "Late Night Dada". (Foto: (c) Rolf Arnold)
Hermann Heisig und seine Crew bei „Late Night Dada“. (Foto: (c) Rolf Arnold)

Ein Highlight für Musikliebhaber war die ironische Schlagzeug-Performance, die typische Musik-Acts charmant auf die Schippe nahm. Die Ästhetik, die Hermann Heisig und seine Truppe an den verschiedenen Stationen präsentierten, begeisterte durch ihre Vielschichtigkeit und den Mut, Kitsch mit schriller Eleganz zu verbinden.

Am Ende bleibt die Frage: Haben Flamingos, die hier als Symbol für Trash und grelle Ästhetik dienten, ihre Würde zurückerhalten? Das mag jede*r für sich selbst entscheiden. Sicher ist jedoch: In den zwei Stunden tobte der Dada-Geist quer durch das Theater im Depot – absurd, witzig, provokativ und garantiert unvergesslich. Ein Hoch auf die Flamingos und Hermann Heisigs einzigartigen Abend voller Dada-Wahnsinn!




„Pinocchios Träume“ im Fletch Bizzel

Im Theater Fletch Bizzel dreht sich seit dem 1. Dezember alles um „Pinocchios Träume“. Im Mittelpunkt stehen die Ergebnisse eines spannenden Workshops, in dem der Künstler Klaus Pfeiffer gemeinsam mit Jugendlichen eine Brücke zwischen Theater und Smartphone-Fotografie geschlagen hat. Die jungen Schauspieler*innen, die zuvor unter der Leitung von Rada Radojčić das Theaterstück „Pinocchio“ auf die Bühne brachten, wurden in kreative Ausdrucksformen und künstlerische Fototechniken eingeführt.

Von der Bühne zur Leinwand – Pinocchios Träume neu interpretiert

Ein Beispielbild aus der Ausstellung. (Foto: (c) Klaus Pfeiffer)
Ein Beispielbild aus der Ausstellung „Pinocchios Träume“. (Foto: (c) Klaus Pfeiffer)

Das Ergebnis dieses Workshops sind beeindruckend persönliche Kunstwerke, die die individuellen Erfahrungen der Jugendlichen widerspiegeln. Sie setzen sich darin kreativ mit der Figur Pinocchio auseinander und verarbeiten die Veränderungen, die sie während des Theaterprojekts durchlebt haben. Klaus Pfeiffer zeigte sich begeistert darüber, wie viel Eigenes die Teilnehmer*innen in ihre Arbeiten eingebracht haben – von mutigen Bildkompositionen bis hin zu intensiven Farbbearbeitungen mit der App Snapseed.

In nur zwei Workshops lernten die Jugendlichen nicht nur die Grundlagen der Fotografie und Bildgestaltung, sondern auch den bewussten Einsatz digitaler Bearbeitungstools. Die entstandenen Werke sind nicht nur eine visuelle Erweiterung des Theaterstücks, sondern auch ein Beweis für die kreative Entwicklung der jungen Künstler*innen.

Wer eines der Bilder erwerben möchte, kann dies für 50 Euro tun. Der Erlös fließt direkt in ein neues Theaterprojekt, wie Theaterleiterin Rada Radojčić betonte. Die Ausstellung „Pinocchios Träume“ ist noch bis Mitte Februar im Fletch Bizzel zu sehen – ein inspirierender Blick auf die Träume und Talente junger Menschen, die mit Pinocchios Abenteuer nicht nur eine Geschichte, sondern auch ihre eigene kreative Reise erzählt haben.