Zwischen Verlangen und Verlust: Soshiro Matsubaras „Sleeves of Desire“ im Dortmunder Kunstverein

Die Ausstellung „Sleeves of Desire“ von Soshiro Matsubara widmet sich den feinen Nuancen zwischen Verlangen, Begehren und Sehnsucht. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit dem Anderen – einem unerreichbaren Horizont, der stets nur als Ahnung existiert. Matsubara kombiniert eigene Werke mit Fundstücken, Antiquitäten, Zeichnungen und Objekten, die persönliche wie gesellschaftliche Dimensionen des Begehrens sichtbar machen.

Schon der Ausstellungsraum im Dortmunder Kunstverein wird selbst zum sinnlichen Körper: Verhüllt von raumhohen, blutroten Stoffbahnen entsteht der Eindruck, man bewege sich im Inneren eines lebendigen Organismus.

Der Titel „Sleeves of Desire“ spielt metaphorisch auf Hüllen an – etwa auf Schallplattenhüllen – als Symbole kapitalistischer Oberfläche und Projektionsfläche von Begierde. Matsubara hinterfragt, wie Konsumgüter unsere Sehnsüchte vereinnahmen, glätten und letztlich banalisieren.

Ein begehbarer Körper zwischen Begehren, Konsum und Kunstgeschichte

Antiquitäten verschmelzen mit neuen Zeichnungen, Secondhand-Vasen werden zu fragmentierten Torsoskulpturen umgearbeitet. Die Werke thematisieren die enge Verbindung zwischen Erotik, Tod und Erinnerung. Im Eingangsbereich liegt ein Skelett, während im Obergeschoss ein nacktes Puppenpärchen nebeneinander ruht. Sind die beiden am Ziel des Begehrens angekommen – oder ist dies nur eine illusionäre Erfüllung?

Der raum des Dortmunder Kunstvereins erscheint in ein blutrotes Licht getaucht.-
Der raum des Dortmunder Kunstvereins erscheint in ein blutrotes Licht getaucht.-

Zahlreiche kunsthistorische Bezüge – unter anderem zu Gustav Klimt, Francis Picabia, Oskar Kokoschka oder Édouard Manets Olympia – verweisen auf eine intensive Auseinandersetzung mit der westlichen Kunsttradition. Auch die Psychoanalyse findet ihren Platz, insbesondere in ihrer historischen Verbindung mit dem Eros, wie sie in Wien, Matsubaras Wohnort, entstand.


Die Ausstellung „Sleeves of Desire“ von Soshiro Matsubara ist noch bis zum 31. August 2025 im Dortmunder Kunstverein zu sehen. Weitere Informationen sowie das Begleitprogramm finden Sie unter www.dortmunder-kunstverein.de.




Eine kulinarische Lesung – Erdbeereis und Kichererbsen

Essen und Literatur – zwei zentrale kulturelle Ausdrucksformen, die sich seit jeher gegenseitig würzen. In Romanen, Erzählungen oder Gedichten ist das Mahl mehr als bloße Nahrungsaufnahme: Es wird zur Bühne für Begegnungen, zur Metapher für Beziehungen, zum Symbol für Macht, Begehren oder Verlust – serviert zwischen den Zeilen, garniert mit Emotionen.

Von Marcel Prousts berühmter Madeleine, die ganze Erinnerungskaskaden auslöst, bis zu den liebevoll beschriebenen Nudelschüsseln und Whiskygläsern in Haruki Murakamis Romanen – literarisches Essen ist stets sinnstiftend und bedeutungstragend. Auch in der deutschsprachigen Literatur ist das Motiv weit verbreitet: In Thomas Manns Buddenbrooks spiegeln üppige Tafeln den gesellschaftlichen Status wider, während bei Siegfried Lenz oft das einfache Brot mehr sagt als viele Worte.

Am 17. Mai 2025 servierte das ensemble 17 – bestehend aus Christine Ates, Barbara Müller und Katharina Stillger – im Raum 17 ein literarisches Menü vom Frühstück bis zur Nachspeise. Die ausgesuchten Kurzgeschichten von unter anderem Doris Dörrie, Pablo Neruda, Donna Leon und Steven Paul wurden so wohlschmeckend vorgetragen, dass der literarische Appetit der Zuhörenden reichlich gestillt wurde.

Zwischen Müsli und Buchdeckel: Wenn Worte munden

Und dann war da noch das Erdbeereis mit Kichererbsen – zwei Zutaten, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen wie Öl und Wasser. Doch im tiefen Netz der Rezeptideen fand sich die raffinierte Verbindung: Veganes Erdbeereis mit „Aquafaba“, dem Sud gekochter Kichererbsen. Ein kulinarischer Aha-Moment – man lernt nie aus.

Katharina Stillger, Barbara Müller und Christine Ates präsentierten eine poetische Lesung über Essen. (Foto: (c) Ralf Rottmann)
Katharina Stillger, Barbara Müller und Christine Ates präsentierten eine poetische Lesung über Essen. (Foto: (c) Ralf Rottmann)

Auch wenn mit einem Text über Currywurst bereits ein würziger Akzent gesetzt wurde – ein wenig mehr Pfeffer hätte dem Programm nicht geschadet. Ein Text von Wiglaf Droste vielleicht, scharfzüngig wie eine gut gewürzte Chorizo. Doch das ist Meckern auf Sterne-Niveau – der Abend war rundum gelungen.

Ates, Müller und Stillger kredenzten ein abwechslungsreiches Menü erzählerischer Leckerbissen – von literarischen Brotresten (die im Ruhrgebiet natürlich Knapp heißen) bis hin zu einer raffinierten spanischen Kichererbsensuppe, die mit Worten wie mit Safran verfeinert war.

Wer nun Appetit bekommen hat, kann sich am 5. und 6. Juli 2025 um 20 Uhr erneut im Mönchengang 9 einfinden – und selbst auf den Geschmack kommen.




Randall Goosby und schwarze Stimmen in der klassischen Musik

Die Welt der klassischen Musik wurde über Jahrhunderte hinweg nahezu ausschließlich von weißen männlichen Komponisten geprägt – von Bach über Mozart bis hin zu Mahler. In den vergangenen Jahren hat sich das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit zwar spürbar entwickelt: Werke von Komponistinnen wie Clara Schumann, Louise Farrenc oder Florence Price finden zunehmend Eingang in die Konzertprogramme. Doch schwarze Komponist:innen bleiben nach wie vor weitgehend im Hintergrund. Ihre Beiträge zur Musikgeschichte – etwa von Joseph Bologne, Samuel Coleridge-Taylor oder William Grant Still – werden noch immer selten aufgeführt und oft kaum wahrgenommen. Die Repertoirelandschaft vieler Konzertsäle bildet somit die tatsächliche Vielfalt der Musikgeschichte nur unzureichend ab.

Der Violinist Randall Goosby hat mit seinem Konzertprogramm am 13.05.25 unter der Rubrik „Junge Wilde“ im Konzerthaus ein bemerkenswert vielfältiges Repertoire zusammengestellt, das nicht nur musikalisch überzeugt, sondern zugleich eine klare kulturhistorische Aussage trifft.

Ein Programm mit Haltung

Er eröffnet den Abend mit einer Sonate des afrofranzösischen Komponisten Joseph Bologne (1745–1799), einem Zeitgenossen Mozarts. Dass Goosby das Konzert mit Bologne beginnt, ist ein starkes Zeichen: Bologne war nicht nur ein gefeierter Virtuose und Komponist, sondern auch eine Ausnahmeerscheinung – ein Schwarzer in der höfischen Musikwelt des Ancien Régime.

Randall Goosby begeisterte das Publikum durch sein Spiel. (Foto: (c) Kaupo Kikkas)
Randall Goosby begeisterte das Publikum durch sein Spiel. (Foto: (c) Kaupo Kikkas)

Mozarts e-Moll-Sonate, die einzige seiner Violinsonaten in Moll, verleiht der Violine große Ausdruckstiefe. Goosby nutzt diesen Raum für eine fein nuancierte Interpretation.
Franz Schuberts Rondo D 895, ein spätes Werk voller technischer Raffinesse, beschließt den ersten Programmteil mit einem kraftvollen Ausbruch romantischer Virtuosität.

Unsichtbares hörbar machen

Im zweiten Teil des Konzerts stellt Goosby dann sein zentrales künstlerisches Anliegen in den Vordergrund: die Sichtbarmachung schwarzer Stimmen innerhalb der klassischen Musik. Jeder der drei präsentierten Komponisten entwickelt dabei eine ganz eigene musikalische Sprache, die das klassische Idiom auf besondere Weise bereichert.

Samuel Coleridge-Taylor, ein britischer Komponist mit afrokaribischen Wurzeln, zeigt in seiner Suite de pièces op. 3 spätromantische Eleganz und lyrische Finesse – geschrieben zu Beginn seiner Karriere.

Florence Price, eine der bedeutendsten afroamerikanischen Komponistinnen des 20. Jahrhunderts, verbindet in ihrer Fantasie Nr. 2 in fis-Moll romantische Klangwelten mit Elementen aus Spirituals und afroamerikanischer Volksmusik. Ihre Tonsprache ist emotional unmittelbar und gleichzeitig tief verwurzelt in afroamerikanischen Traditionen.

William Grant Still schließlich gilt als „Dean“ afroamerikanischer Komponisten. Seine Suite für Violine und Klavier kombiniert klassische Formen mit jazzigen Rhythmen, bluesartigen Linien und volkstümlichen Motiven – ein ausdrucksstarkes Finale.

Randall Goosby ist jedoch nicht nur ein engagierter Botschafter für schwarze Komponist:innen – er ist auch ein Musiker von außergewöhnlichem Format. Seine technische Präzision, gepaart mit großer interpretatorischer Tiefe, prägten diesen Abend entscheidend. Gemeinsam mit dem Pianisten Zhu Wang bildete er ein harmonisches Duo, das musikalisch wie emotional überzeugte – und vom Publikum zu Recht begeistert gefeiert wurde. Kein Wunder, dass Goosby sich mit zwei Zugaben verabschieden musste.

 




Vom Suchen und Finden

„Wer suchet, der findet“, „Die Suche ist wichtiger als das Finden“ – zahllose Sprichwörter beschäftigen sich mit dem Thema des Suchens und Findens. Sechs Künstler:innen haben sich nun unter diesem Leitmotiv zur Ausstellung „Vom Suchen und Finden“ im Kunstraum 1a zusammengefunden. Kuratiert wurde die Ausstellung von Elly Valk-Verheijen, die damit eine ebenso poetische wie nachdenkliche Spurensuche inszeniert.

Zwischen Utopie und Unsicherheit

Marc Bühren nahm 2023 am Wettbewerb KUNSTstein teil. Dort zeigte er erstmals ein Kunstwerk, an dem er seit 2020 gearbeitet hatte: ein Video auf gefaltetem Papier, das durch seine Präsentation ein besonderes Raumerlebnis schuf. In der aktuellen Ausstellung präsentiert er „DYSTOPIAN COCOON II | cozy cathedral“ – eine Installation aus Ton, Bild und Raum. Sie thematisiert die Verletzlichkeit des Menschen im Zeitalter des Anthropozäns. Bühren verwendet Papierformen, Kuppeln, Projektionen und Klanglandschaften, um Räume zu gestalten, in denen man sich zugleich geborgen und bedroht fühlt. Seine Arbeit regt zur Auseinandersetzung mit der Frage an: Wie lässt sich in einer unsicheren Welt überleben?

Im Raum 1A, in Dortmund-Lütgendortmund, ist die Ausstellung "Vom Suchen und Finden" bis zum 25.06.25 zu sehen.
Im Raum 1A, in Dortmund-Lütgendortmund, ist die Ausstellung „Vom Suchen und Finden“ bis zum 25.06.25 zu sehen.

Auch Anett Frontzek nähert sich dem Thema forschend. Sie untersucht in ihrer Kunst Strukturen aus Stadtplanung, Architektur oder Biologie und nutzt Karten, wissenschaftliche Daten und Statistiken als Ausgangspunkt. Ihre Werke basieren stets auf realen Beobachtungen, ergänzt durch eigene Fotos, Gespräche und Fundstücke. Für diese Ausstellung arbeitete sie mit Spuren des Sammlers Karl Ernst Osthaus – dem Gründer des Hagener Folkwang-Museums – und erforschte dessen Wirken im Stadtbild von Hagen anlässlich seines 150. Geburtstags.

Worte, Fundstücke und Erinnerungsschichten

Christel Koerdt lässt sich von Peter Bichsels Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ inspirieren, in der ein alter Mann durch das Neubenennen von Dingen in die Einsamkeit gerät. Für die Ausstellung hat Koerdt den gesamten Text ohne Satzzeichen oder Leerzeichen auf weiße Folie gedruckt und auf eine Wand appliziert. Darüber legte sie weiße, dreidimensionale Buchstaben – das Ergebnis ist ein strukturiertes, aber kaum lesbares Textfeld, das aus der Distanz an Brailleschrift erinnert. Ihr Werk kreist um die Themen Suchen und Finden, aber auch um Verstecken und Verlieren.

Maria Schleiner hingegen lässt sich vom Zufall leiten. Ihre Kunst beginnt oft mit Fundstücken wie Steinen, Zweigen oder Tonabdrücken. Auch Überreste anderer Kunstprojekte – selbst beschädigte Materialien – finden bei ihr neue Verwendung. Sie interessiert sich für kleine Strukturen, Farbveränderungen und ungewöhnliche Formen. Aus ausgeschnittenen Zeichnungen entstehen dreidimensionale Objekte, häufig in Serien. Durch genaue Beobachtung von Formen, Farben und Materialität sucht sie nach dem Besonderen im Alltäglichen.

Mira Schumann sammelt gebrauchte Alltagsgegenstände – etwa Tapetenreste, Holzstücke oder alte Teppiche –, die Spuren vergangener Orte und Situationen in sich tragen. Auch wenn sie ausrangiert sind, bleibt ihre Geschichte spürbar. In neuen Zusammenhängen entfalten sie neue Bedeutungen und erzählen andere Geschichten.

Elly Valk-Verheijen, die Kuratorin, ist selbst mit einer Arbeit vertreten. Sie fotografiert weiße Wände und bearbeitet die Bilder digital. Aus den dabei entstehenden Farb- und Formspielen entwickelt sie Wandmalereien, die reale und virtuelle Elemente verbinden. Ihr Werk zeigt beispielsweise die Lichtverhältnisse eines bestimmten Moments in Dortmund-Lütgendortmund und thematisiert das Wechselspiel von Licht, Schatten und Farbe im Lauf der Zeit.

Die Ausstellung ist bis zum 25.06.2025 zu sehen. Der Raum 1A in der Werner Straße 2 ist Mittwoch und Samstag von 11 Uhr bis 15 Uhr.




TOMORROW KIOSK – Ein Raum für Erinnerungen, Visionen und Begegnung

Was passiert mit einer Theatergruppe, wenn sie ihren Theaterraum verliert? Sie schafft sich einen neuen. Der TOMORROW KIOSK ist das neue Zuhause des Transnationalen Ensemble Labsa. Am 10. Mai 2025 bezog Labsa symbolisch diesen Raum im Theater im Depot.

Der Umgang mit Verlust ist den Ensemblemitgliedern vertraut. Doch statt sich zurückzuziehen, kommen sie zusammen – um Erinnerung, Gegenwart und Zukunft in kollektiver Präsenz lebendig werden zu lassen. Im TOMORROW KIOSK entstand so ein Ort der Begegnung, gefüllt mit Essen und Trinken, Performance, Musik und Tanz.

Der "Tommorow Kiosk" von Labsa öffnete für einen Abend im Theater im Depot. (Foto: (c) Labsa)
Der „Tommorow Kiosk“ von Labsa öffnete für einen Abend im Theater im Depot. (Foto: (c) Labsa)

Da Labsa zur Eröffnung der aktuellen Ausstellung „Am Tisch“ im Museum Ostwall eine Performance beigesteuert hatte, stand auch an diesem Abend das Thema Essen im Mittelpunkt. In verschiedenen Szenen wurde dieses Thema kreativ aufgegriffen: mit überdimensionalen Löffeln, einer Prise Zirkusatmosphäre (inklusive einer „zersägten Jungfrau“) und tänzerischen Einlagen – sogar ein chinesischer (?) Drache tanzte mit. Den Abschluss bildete ein gemeinsames Essen, das den Abend sinnlich und gemeinschaftlich abrundete.




Kunst, Kulinarik und Medienforschung im Dortmunder U

Im Museum Ostwall im Dortmunder U eröffnen gleich zwei neue Projekte spannende Perspektiven auf Kunst und Gesellschaft: Die Sonderausstellung „Am Tisch“ widmet sich dem Thema Essen und Trinken in der zeitgenössischen Kunst.Parallel dazu erlaubt das Forschungsprojekt „Wohin gehen all diese Leute?“ seltene Einblicke in die Restaurierung digitaler Medienkunst.

In „Am Tisch“ stehen gemeinschaftliche Mahlzeiten als kulturelle Praxis im Zentrum. Die Werke zeigen, wie Essen Identität, Erinnerung und soziale Begegnung formt.

Schon der Eingangsbereich ist faszinierend. Die Künstlerin Narges Mohammadi hat gemeinsam mit Dortmunder*innen 700 Kilo Halva hergestellt und daraus einen goldglänzenden, sinnlich erfahrbaren Raum geschaffen. Das ist nicht nur gestalterisch aufregend, sondern auch riechbar. Das Künstlerduo Alina und Jeff Bliumis tauschte Kunstwerke gegen Einladungen zum Abendessen und dokumentierte so persönliche Begegnungen mit Dortmunder Haushalten.

Auch weitere Arbeiten zeigen, wie Essen gesellschaftliche Fragen reflektiert: Eine riesige Küchenreibe von Mona Hatoum verweist auf unsichtbare Sorgearbeit vor allem von Frauen hin, während die ukrainische Künstlerin Zhanna Kadyrovas in ihren steinernen Broten politische Botschaften in Kriegszeiten transportiert. Die Ausstellung lädt auch zum Mitmachen ein: In der KunstKüche können Besucher*innen Fotos machen, mit KI ihren „kulinarischen Typ“ erkunden oder selbst mit Esspapier kreativ werden.

Keyvisual „Am Tisch“ / Design: Studio Fitz
Keyvisual „Am Tisch“ / Design: Studio Fitz

Während die japanische Teezeremonie einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat, ist die koreanische Teezeremonie weitgehend unbekannt. In ihrer Arbeit „Until our tea strainer gets dry“ widmet sie sich den Lebensgeschichten von Gastarbeiter*innen aus Südkorea und Vietnam.

Der schönste Platz ist immer noch an der Theke? Na ja, das galt früher, denn das Kneipensterben hat auch im Ruhrgebiet massiv Einzug gehalten. Marie Donike und Johannes Specks werden ihre Tresenskulptur unter dem Titel „Kulisse“ an drei Terminen zum Leben erwecken. Passend, denn das Dortmunder U war früher ein Kühlturm der Dortmunder Union-Brauerei.

Gleichzeitig zeigt das Museum im benachbarten Galeriebereich das Forschungsprojekt „Wohin gehen all diese Leute?“. Es untersucht die 2000 entstandene Installation „Dove va tutta ’sta gente?“ der Künstlergruppe Studio Azzurro – ein interaktives Kunstwerk, das auf Besucher*innen reagiert. Die Restaurierung stellt das Museum vor besondere Herausforderungen, da veraltete Technik, sich wandelnde Sehgewohnheiten und komplexe Programmierungen berücksichtigt werden müssen. Im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts wird das Werk probeweise aufgebaut und öffentlich zugänglich gemacht.

Beide Projekte zeigen exemplarisch, wie das Museum Ostwall künstlerische Ausdrucksformen sammelt, erforscht und vermittelt. Die Ausstellung „Am Tisch“ ist bis zum 20. Juli zu sehen, der Eintritt beträgt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Der Zugang zum Forschungsraum ist kostenlos.

Weitere Informationen zu Sonderveranstaltungen unter: www.dortmunder-u.de




Zwischen Klassik und Improvisation

Die Unterschiede zwischen Klassik und Jazz können mitunter erstaunlich gering sein. Obwohl beide zunächst aus unterschiedlichen ästhetischen und gesellschaftlichen Kontexten stammen, traten sie im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend in einen fruchtbaren Dialog.
Heute sind die Grenzen zwischen klassischer und improvisierter Musik fließender denn je. Komponistinnen, Interpretinnen und Ensembles bewegen sich selbstverständlich zwischen beiden Welten – etwa in der zeitgenössischen Ensemblepraxis, im Crossover oder in improvisatorischen Konzerten mit klassischem Instrumentarium. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die französische Trompeterin Lucienne Renaudin Vary, die gemeinsam mit dem Pianisten Tim Allhoff am 30.04.2025 im Rahmen der Konzertreihe „Junge Wilde“ im Konzerthaus Dortmund auftrat.

Ein musikalischer Streifzug durch das 20. Jahrhundert

Es überrascht daher kaum, dass Werke aus dem 20. Jahrhundert im Zentrum des Programms standen – mit einer einzigen Ausnahme: Johann Sebastian Bach. Den Auftakt bildete die „Sonatine für Trompete und Klavier“ von Jean Françaix. Dieses Werk verströmt französischen Esprit und besticht durch rhythmische Raffinesse, die stellenweise an jazzige Synkopen erinnert, ohne den Jazz direkt zu zitieren. Das Zusammenspiel zwischen Trompete und Klavier ist dabei eng verzahnt, geprägt von pointierten rhythmischen Kontrasten.

Lucienne Renaudin Vary überzeugte mit ihrer Improvisationskunst an der Trompete das Publikum im Konzerthaus. (Foto: (c) Simon Fowler)
Lucienne Renaudin Vary überzeugte mit ihrer Improvisationskunst an der Trompete das Publikum im Konzerthaus. (Foto: (c) Simon Fowler)

Anschließend führte die musikalische Reise nach Spanien: Die „Siete canciones populares españolas“ von Manuel de Falla versprühen folkloristische Klangfarben. Jede Miniatur spiegelt einen eigenen musikalischen Charakter und eine spezifische regionale Herkunft wider – von andalusischer Melancholie bis zu kastilischer Herbheit.

Nach der Pause wurde es jazziger: Mit George Gershwins „I Loves You, Porgy“ aus Porgy and Bess stellten Vary und Allhoff eindrucksvoll ihre Improvisationskunst unter Beweis. Es folgte eine weitere Station des Abends – Südamerika: „Retrato em Branco e Preto“ („Porträt in Schwarz und Weiß“) von Antônio Carlos Jobim ist ein melancholisches, introspektives Stück, das in der Fassung für Klavier und Trompete eine besonders intime und zugleich elegante Wirkung entfaltete.

Tim Allhoff erhielt darüber hinaus Gelegenheit, sich auch solistisch zu präsentieren: Im ersten Teil interpretierte er ein Werk von Bach, nach der Pause folgte seine eigene Version von „Blackbird“ von den Beatles – ein poetischer, zugleich moderner Kontrastpunkt.

Das Publikum zeigte sich durchweg begeistert von diesem abwechslungsreichen und berührenden Konzertabend und dankte den Künstlern mit langanhaltendem Applaus.




Kein Ort. Und doch ein Wiedersehen

Anke Droste zeigt eine Retrospektive in Lütgendortmund

Es war wie eine kleine Zeitreise: Über Jahre hinweg haben wir die Galerie „der kunstbetrieb“ in der Gneisenaustraße und ihre Ausstellungen journalistisch begleitet. Nun zeigt Anke Droste im Laden 1a in der Wernerstraße 2 in Lütgendortmund noch bis zum 3. Mai 2025 eine Art Retrospektive ihres künstlerischen Schaffens. Der Titel der Ausstellung: Kein Ort. Nirgends. Anke Droste war – gemeinsam mit Sabine Spieckermann – das prägende Gesicht von „der kunstbetrieb“.

Freiheit, Fremdheit – und die Suche nach Zugehörigkeit

In der Ausstellung sind Werke aus Malerei, Fotografie, Grafik und Installation zu sehen. Droste setzt sich darin intensiv mit dem Begriff der Freiheit auseinander. Sie beschreibt Freiheit als ein Ideal, das nur in der Vorstellung existiert:

„Freiheit ist ein Ideal und existiert nur als Idee. Die Autonomie des Subjekts, des Einzelnen ist ebenso eine Kopfgeburt wie die einer Gruppe oder die einer Nation. Das, was wir als Freiheiten erleben, muss immer neu erkämpft werden.“

Eingang zur Galerie "Raum 1 a" in Lütgendortmund. (Foto: (c) Anke Droste)
Eingang zur Galerie „Raum 1 a“ in Lütgendortmund. (Foto: (c) Anke Droste)

Der Ausstellungstitel no place. nowhere bezieht sich auf Christa Wolfs Erzählung Kein Ort. Nirgends, in der sich die Dichter*innen Kleist und Günderode begegnen – ein literarisches Sinnbild für Heimatlosigkeit und Fremdsein in der Welt. Der ergänzende Satz There has to be a place somewhere hingegen verweist auf das menschliche Bedürfnis nach Hoffnung und Zugehörigkeit.

Zur Vernissage kam das alte kunstbetrieb-Gefühl wieder auf: Jazzmusik aus den Lautsprechern, Süßigkeiten auf dem Tisch und neben Anke und Sabine einige Künstler*innen, die früher in der Galerie ausgestellt hatten. Ein Hauch von Wehmut lag in der Luft – vielleicht gibt es bald wieder einen Ort, der zur künstlerischen Heimat werden kann.




Smetanas musikalisches Vermächtnis für die tschechische Nation

Das 8. Philharmonische Konzert bot dem Publikum am 15. und 16. April 2025 in Dortmund ein seltenes und musikalisch eindrucksvolles Erlebnis. Im hiesigen Konzerthaus stand der komplette Zyklus „Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana (1824–1884) unter dem Titel „Entlang der Moldau“ auf dem Programm.

Im Mittelpunkt stand nicht nur die bekannte, emotional-musikalische Reise entlang der Moldau – von der Quelle bis zur Mündung –, sondern das Gesamtwerk in seinen sechs sinfonischen Dichtungen. Dieses stellt ein musikalisches Monument der tschechischen Identität und ihres Strebens nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit dar. Der als Einheit konzipierte Zyklus ist ein eindrucksvolles Klangbild aus Naturverehrung, Tradition, Mythen und politischem Aufbruch. Zur Zeit seiner Entstehung gehörte Tschechien noch zur Habsburger Monarchie. Smetana folgte inhaltlich einer konkreten Idee der sinfonischen Dichtung, wie sie programmatisch geprägt war.

Visionär-musikalischer Zyklus der Romantik

Den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung des mit tschechischer Musik bestens vertrauten kanadischen Dirigenten Charles Olivieri-Munroe gelang es auf beeindruckende Weise, dieses große Werk mit klanglicher Sensibilität und Tiefe darzubieten.

Als Ouvertüre eigener Art fungierte das erste Stück „Vyšehrad“. Der Titel bezieht sich auf den sagenumwobenen Prager Fürstenberg – der Legende nach der Sitz der Seherin Libuše – und steht als Symbol für die Größe und Hoffnung der tschechischen Nationalbewegung. Das eröffnende Harfenthema, ein prophetischer Gesang (bekannt aus Smetanas Oper Libuše), zieht sich wie ein Leitmotiv durch das gesamte Stück – ein musikalisches Drama zwischen Glanz und Verfall.

Charles Olivieri-Munroe dirigierte die Dortmunder Philharmoniker durch  Smetanas Zyklus "Mein Vaterland". (Foto: (c) Adam Golcek)
Charles Olivieri-Munroe dirigierte die Dortmunder Philharmoniker durch Smetanas Zyklus „Mein Vaterland“. (Foto: (c) Adam Golcek)

Im folgenden Teil „Die Moldau“ wird der Lauf des Flusses poetisch und eindringlich nachgezeichnet – mit all seinen Stromschnellen und ruhigen Passagen, spürbar und unmittelbar erlebbar für die Zuhörenden.

Mythisch und kämpferisch zeigt sich das dritte Stück „Šárka“, das die Geschichte einer schönen Amazonenkriegerin erzählt, die mit List und mit Hilfe ihrer Gefährtinnen eine feindliche Ritterschar besiegt – herbeigerufen durch den Klang eines Horns.

„Aus Böhmens Hain und Flur“, der vierte Teil, ist eine liebevolle und facettenreiche musikalische Landschaftsbeschreibung der böhmischen Heimat.

Dramatisch und historisch bedeutungsvoll werden schließlich die beiden abschließenden, eng miteinander verbundenen Stücke „Tábor“ und „Blaník“. Hier verweist Smetana auf die Hussitenkriege, die für das tschechische Nationalgefühl eine zentrale Rolle spielen. Ihr Auslöser war die Hinrichtung des Reformators Jan Hus im Jahr 1415.




Große Themen, starke Stimmen: Die Preisträger*innen des IFFF Dortmund+Köln 2025

Mit einer feierlichen Preisverleihung in der Dortmunder Schauburg ging am Sonntagabend das 42. Internationale Frauen* Film Fest Dortmund+Köln zu Ende. Insgesamt wurden fünf Preise im Gesamtwert von 22.000 Euro vergeben – darunter der renommierte Internationale Spielfilmpreis, der zum elften Mal verliehen wurde.

„Village Rockstars 2“ gewinnt den Internationalen Spielfilmpreis

Der mit 15.000 Euro dotierte Hauptpreis ging an Village Rockstars 2 von Rima Das. In ihrem neuen Spielfilm begleitet die indische Regisseurin erneut Dhunu, die junge Protagonistin ihres gefeierten Debüts von 2016. Inzwischen 17 Jahre alt, kämpft Dhunu zwischen dem Traum, Musikerin zu werden, und den Herausforderungen eines harten Alltags in Assam – geprägt von patriarchalen Strukturen, familiärer Verantwortung und den spürbaren Folgen des Klimawandels.
Die Jury – bestehend aus der afroamerikanischen Regie-Ikone Julie Dash, der deutschen Regisseurin Yasemin Şamdereli und Hei-rim Hwang, Programmleiterin des Seoul International Women’s Film Festival – lobte die visuelle Kraft des Films und Das’ künstlerische Eigenständigkeit. In ihrer Begründung heißt es:

„Mit zärtlichem Blick und großer erzählerischer Präzision gelingt es Rima Das, über sieben Jahre hinweg das Leben junger Frauen einzufangen – ehrlich, mutig und tief verbunden mit ihrer Heimat.“

Da Rima Das den Preis nicht persönlich entgegennehmen konnte, bedankte sie sich per Videobotschaft. Die Preisgelder teilen sich die Regisseurin (10.000 Euro) und ein zukünftiger deutscher Verleih (5.000 Euro), um den Kinostart hierzulande zu unterstützen – bislang hat der Film in Deutschland noch keinen Verleih.

Die Festivalleiterin mit Preisträgerinnen, Sponsoren und Oorganisatorinnen: Maxa-Zoller, Nicole-Rebmann, Solveig Klassen, Zoe-Dumas, Conny Beissler, Lisa Buehl_Chris Baur, Andac Karabeyoglu Foto: (c) Julia Reschucha.
Die Festivalleiterin mit Preisträgerinnen, Sponsoren und Oorganisatorinnen: Maxa-Zoller, Nicole-Rebmann, Solveig Klassen, Zoe-Dumas, Conny Beissler, Lisa Buehl_Chris Baur, Andac Karabeyoglu Foto: (c) Julia Reschucha.

Publikumspreis für „Sudan, Remember Us“

Den mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis der Sparkasse Dortmund erhielt Sudan, Remember Us von Hind Meddeb. Der Dokumentarfilm zeigt mit feinem Gespür die Jugend Khartums im Widerstand gegen ein diktatorisches Regime – und für ein freieres Leben. Die berührende filmische Nahaufnahme feierte beim IFFF ihre Deutschlandpremiere und überzeugte die Zuschauer*innen mit ihrer Intensität und Aktualität.

Weitere Auszeichnungen: Vielfalt und Nachwuchsförderung

Auch in den anderen Wettbewerben gab es starke Gewinner*innen:
ECFA Short Film Award: Hannah und das Krokodil von Lore Mechelaere (Belgien) thematisiert Essstörungen bei Jugendlichen auf eindrucksvolle Weise – animiert, dokumentarisch und symbolisch. Die Jury lobte die besondere Ehrlichkeit und erzählerische Tiefe des Films.
Female Gaze – CineOne & sPOTTlight Nachwuchspreis für Bildgestaltung in NRW: Zoe Dumas, Absolventin der ifs Köln, überzeugte mit der Kameraarbeit ihres Films El Mártir. Die Jury hob die Reife, Sensibilität und Komposition ihrer Bildsprache hervor.
Shoot – Nachwuchspreis der KHM & IFFF: Lisa Bühl wurde für El Sueño (Co-Regie: Carolina Jimenez) ausgezeichnet – ein poetischer Blick auf das Leben von Kindern an der kolumbianischen Pazifikküste. Die Jury zeigte sich beeindruckt von der künstlerischen Handschrift und der engen Zusammenarbeit mit den jungen Protagonist*innen.
Festival mit Haltung und Wirkung
Die diesjährige Ausgabe des IFFF stand im Zeichen gesellschaftlicher und politischer Dringlichkeit. Über 100 Filme in verschiedenen Sektionen warfen Fragen zu Feminismus, Ökologie, Machtverhältnissen und Identität auf – oft aus radikal persönlicher Perspektive.
Ob im Spielfilm Family Therapy, der die neoliberale Familie seziert, in Faruk, einer ironisch-bitteren Auseinandersetzung mit Gentrifizierung in Istanbul, oder in Sima’s Song von Roya Sadat über das Leben von Frauen in Afghanistan – das Festival bot starke filmische Positionen. Union, der Dokumentarfilm über Amazon-Arbeiter*innen in den USA, wirkte dabei als klares Signal für globale Solidarität.
Künstlerische Leiterin Dr. Maxa Zoller zieht Bilanz:

„Die Debatten waren intensiv, das Feedback aus dem Publikum überwältigend. Gerade in einer Zeit, in der sich die Weltlage zuspitzt, braucht es solche Räume der Reflexion und des Austauschs. Wir verbinden Filmkunst mit gesellschaftlicher Relevanz – lokal wie global.“

Das Internationale Frauen* Film Fest bleibt ein Ort für neue Perspektiven, mutige Geschichten und kreative Netzwerke – und bringt Köln genauso auf die Landkarte wie Manila, Lüttgendortmund oder Windhoek.
Save the Date: Die 43. Festivalausgabe findet vom 21. bis 26. April 2026 in Köln statt.

Unsere Berichte zum Internationalen Frauenfilmfestival 2025