Stutenbeißen Deluxe – Los(ge)lassen

In der Schauburg Dortmund präsentierten Triarte International und Schnitger Film am 08.10.2023 vorab den neuen Spielfilm von Regisseurin Brigitte Drodtloff „LOS(GE)LASSEN“. Das Drehbuch (Produktion) stammt von Brigitte Drodtloff & Jörg Schnitger, die atmosphärische passende klassische Musik von Anne Nikitin & Tom Kelly.



Der Plot spielt in der Umgebung Münchens während eines kräftigen Schneesturms. Die Stadt wurde vom Blitzeis getroffen und alles ist lahmlegt. Die hochschwangere Alina, eindringlich gespielt von Josefina Vilsmaier – Tochter der Schauspielerin Dana Vávrová (1967-2009) und des Regisseurs Joseph Vilsmaier (1939-2020) – wurde vom Kindsvater und Chef verlassen und lebt aus Kostengründen in einer WG. Sie lebt dort zusammen mit der verbitterten ehemalige Skiläuferin Christa (Mirjam Verena Jeremic), die ihr Bein bei einem Unfall verlor, in der Wohnung der zynisch-hart auftretenden Lucy (Silke Popp). Die hält sich so finanziell über Wasser und pflegt eine offene lesbische Beziehung zu Jessica (Salber Williams), die vor einiger Zeit von Somalia nach Deutschland kam.

Alina ist am Anfang eher eine graue Maus, die unter der Fuchtel ihrer Helikopter-Mutter (Ute Bronder) steckt. Der gelingt sogar der gefährliche Weg zur Tochter. Dann gibt es da noch die Esoterik-Nachbarin Melissa (Valentina Sauca).

Die sechs Frauen mit ihren unterschiedlich-belastenden Päckchen und Lebenseinstellungen im Hintergrundzicken sich sich in erster Linie gegenseitig an, wobei die schüchterne Alina meist das Opfer ist. Durch das Unwetter sind sie aber in dieser Situation auf engem komprimiertem Raum aufeinander angewiesen. In der sich zuspitzenden Situation bröckeln allmählich die Schutzfassaden…

Es ist eine Art Kammerspiel, dass auch für das Theater gut geeignet wäre. Alle möglichen Probleme der Frauen werden oft ironisch-überspitzt und in geballter Form dargestellt. Auch die verschiedenen Ansichten der Generationen aus ihrer Lebensgeschichte werden deutlich.

Den Schauspielerinnen ist es sehr gut gelungen, sich in verschiedenen Persönlichkeiten und deren Situation hinein zu versetzen. Unterstützt wurden sie dabei durch eine sensible Kameraführung (Frank Glencairn).

Es ist (natürlich) kein Film für Action-Fans. In der Problematik der sechs Frauen können viele Zuschauerinnen etwas aus ihrer Lebensrealität widerfinden.

Der Film ist ab Sonntag, dem 15.10.2023 um 13:30 Uhr in der Schauburg (Dortmund) zu sehen. Einlass ist ab 13:00 Uhr.




Eine musikalische Perle des Frühbarocks

Im Rahmen des Klagvokal Musikfestivals Dortmund wurde am 02.10.2023 im hiesigen Reinoldihaus mit Emilio de Cavalieris (1550-1602) „Rappresentatione di Anima, et di Corpo“ (1600) die erste erst vollständig erhaltene Oper konzertant aufgeführt. Das Spiel um Seele und Körper in drei Akten hatte seine Uraufführung im Betsaal der Kirche Santa Maria in Vallicella (Rom).



Mit dieser geistlichen Oper markierte der vielseitig begabte italienische Komponist als ein wesentlicher Impulsgeber den Beginn der frühen Barockzeit mit Monodie (solistischer Gesang mit akkordischer Instrumentalbegleitung) und Generalbass.

Das Ensemble und die beiden Solisten entführten das Reinoldihaus in die Zeit des Frühbarocks. (Foto: (c) Bülent Kirschbaum)
Das Ensemble und die beiden Solisten entführten das Reinoldihaus in die Zeit des Frühbarocks. (Foto: (c) Bülent Kirschbaum)

Im Wesentlichen geht es in der Oper um die damals für den Menschen entscheidende Frage: Genieße ich das irdische Leben in vollen Zügen, ungeachtet der Folgen? Oder richtet man schon jetzt den Blick auf das, was nach dem Tod (laut religiöser Verheißung) folgen wird?

Die (musikalische) Zwiesprache zwischen „Seele“ und „Körper“ mit widersprüchlichen Gefühlen, den Versuchungen und Verunsicherungen. Bildet das Zentrum der Oper. Die weiteren handelnden Figuren (Welt, Rat, Vergnügen, Geist, Weisheit, Vernunft, Schutzengel…) sind vorrangig Allegorien. Nur bei den „Titelfiguren“ (Seele und Körper) handelt es sich um echte Menschen.

Die niederländische Mezzosopranistin Sophia Faltas (Seele) und der Tenor Raffaele Giordati (Körper) gaben den inneren Konflikten zwischen Seele und Körper eine starke eindringliche Stimme.

Der 2004 gegründete belgische Vokalensemble für Musik der Renaissance und Barock begeisterte als Chor, mit ihren einzelnen Stimmen für die weiteren handelnden Figuren aber vor allem auch mit dem ausdruckstarken Zusammenspiel unterschiedlichster Instrumente (Harfe, Viola, Violine, imposanter Posaune, Gitarre, Cembalo, Truhenorgel, Gamba und Theorbe).

Eine Musik voll Anmut und Intensität, mit emotionalen Lamenti, glanzvollem Chor und Einflüssen traditioneller Volksmusik. Sie fand danach bei Claudia Monteverdi ihren Meister.

In der Gegenwart ist die Frage nach den Folgen unseres Handelns (für Umwelt und Gesellschaft) durchaus aktuell. Der religiöse Kontext ist für viele Menschen heutzutage befremdlich. Auch ohne die Hoffnung auf eine „himmlische Belohnung“ nach dem Tod für ein “gottgefälliges“ Leben gibt es genug humanistische Gründe, sich über Gedanken über ein achtsames Verhalten gegenüber uns selbst, anderen Menschen oder der Umwelt im Diesseits zu machen.




Blattgetreten – Hommage an das Blatt, was am Boden lag

Das Kunstbonbon präsentiert die nächste Vernissage am 07.10.2023 um 15 Uhr, Ausstellung bis zum 04.11.2023.



Passend zur herbstlichen Jahreszeit gibt es jede Menge Blätter von der Künstlerin Ingrid Lacher im Kunstbonbon zu sehen.

Dabei sind nicht leuchtende Herbstfärbungen das Thema, sondern der Schwerpunkt liegt auf dem Zerfall, dessen Zustand fotografisch eingefangen wurde.

Die Inspiration zu dieser Werkreihe kam im Corona-Jahr 2020. Spazierengehen war ja mehr oder weniger die einzige Abwechslung, die man sich im Alltag gönnen konnte und so spazierte Ingrid Lacher unermüdlich umher, senkte dabei den Blick zu Boden und sah auf herabgefallene Blätter.

Die plattgetretenen Blätter, die sich teilweise kaum noch vom umgebenden Boden unterschieden, inspirierten sie dabei besonders.

Diese korrespondierten damals so sehr mit der „niedergedrückten“ Stimmung in Pandemiezeiten, dass eine vage Idee für das Kunstprojekt „Blattgetreten“ (dieser Ausdruck kam Ingrid Lacher in den Kopf und wurde dann auch schnell als Ausstellungstitel gewählt) entstand.

Während der Coronajahre wurden also von der Künstlerin Unmengen von Blättern fotografiert. Einige Ausgewählte wurden dann digital bearbeitet, um so die verborgene Schönheit und die Unterschiedlichkeit in Form, Farbe und Konsistenz zum Vorschein zu bringen.

Bei späteren Ausarbeitungen versuchte Ingrid Lacher die Spuren des Verfalls positiv zu aufzunehmen und so die „Ästhetik der Vergänglichkeit“ hervorzuheben. In mühevoller Kleinarbeit befreite sie die digital aufbereiteten Blätter aus der Umgebung und ließ sie quasi „schweben“ und bei der Betrachtung weiß man nicht: sehen wir hier eine Art „Auferstehung“ und schweben sie zurück an den Baum oder sinken sie elegant zu
Boden.

Aber die unglaubliche Filigranität eines zerfallenden Blattes zieht die Aufmerksamkeit in jedem Fall auf sich und wieder einmal wird einem klar, wie wunderbar die Natur auch Kleinigkeiten konstruiert.

Weitere großformatige Arbeiten zeigen bearbeitete Fotos, in denen mit Blattgold akribisch feinste Details ausgearbeitet sind: gedacht als „Grabbeigaben“ für die morbide Schönheit eines toten Blattes.

Nach drei Jahren hatte Ingrid Lacher so viele Werke hervorgebracht, dass eine vielseitige Ausstellung damit bestückt werden kann.

Aber es sind nicht nur Fotos zu sehen, sondern es gibt auch einige frühere Werke, in denen echte Pflanzenteile erscheinen.

So unterschiedlich die Schaffensprozesse der Exponate waren, so unterschiedlich ist auch die Präsentation, denn die Künstlerin hängt nicht einfach nur Fotos und Bilder an die Wände, sondern hat sich wieder mal was einfallen lassen.

Wer also einen Blick dafür bekommen möchte, was wir im Allgemeinen so mit Füßen treten, der ist in der Ausstellung „Blattgetreten“ genau richtig.




Musical „RENT“ rockt Dortmunder Opernhaus

Erst Anfang September 2023 hatte Puccinis Oper „La Bohéme“ unter der Regie von Gil Mehmert seine bewegende Premiere im Dortmunder Opernhaus.



Am 30.09.2023 startete nun das in den 1990-iger Jahren (New York) zur Weihnachts- und Silvesterzeit verlegte moderne Musical-Pendant „RENT“ (Miete) in der Inszenierung des Regisseurs am gleichen Ort. Buch, Musik und Liedertexte sind von Jonathan Larson, (Deutsch von Wolfgang Adenberg). Das Originalkonzept und die zusätzlichen Liedtexte stammen von Billy Aronso.

Die drei jungen Bohemians (Gespielte von Christof Messner, Alex Snova und Lukas Mayer). Foto: (c) Thomas M. Jauk
Die drei jungen Bohemians (Gespielte von Christof Messner, Alex Snova und Lukas Mayer). Foto: (c) Thomas M. Jauk

Hier werden (vordergründig) ähnliche Geschichten erzählt. Mehmert hat nicht nur das Bühnenbild mit dem Dach-Appartement übernommen, sondern auch einige kleine Anlehnungen an die „La Bohème“-Inszenierung übernommen.

Begleitet wird die Story musikalisch sensibel und rockig von einer Band unter der Leitung von Jürgen Grimm.

Junge Bohemiens kämpfen auch bei RENT um ihre nackte Existenz und Leben in einem schäbigen „Loft“ über den Dächern von New York. Ihnen wird hier jedoch unter anderem bewusst die Obdachlosen auf der Straße unten gegenübergestellt.

Beide Gruppen sind von den Plänen Vermieters und ehemaligen Mitbewohners des Appartements bedroht, der der die Mieter aus der Wohnung heraushaben will, um sie in eine Luxusimmobilie zu verwandeln. Der Filmemacher Mark (Christof Messner) und Musiker Roger (David Jacobs), beide noch Mieter des Appartements, bekommen Unterstützung von Marks Ex-Freundin Maureen (Bettina Mönch), deren neue Partnerin Joanne (Amani Robinson), dem arbeitslosen Universitätsprofessor Tom (Alex Snova) sowie dessen neue Liebe Drag-Künstler Angel ( Lukas Mayer). Dazu kommt die drogenabhängige und schwer kranke Mimi, in die sich Roger allmählich verliebt.

Die harte Lebenswirklichkeit holt die Paare bald ein….

Das Musical besticht durch rasante Choreografien, starken Stimmen der Darstellenden und eindringlichen geschickt wechselnden Bühnenbildern auf verschiedenen Ebenen.

Während bei Puccini Mimi an Tuberkulose leidet, spielt bei Larson Drogensucht und die in den 1990-iger Jahren akute Aids-Problematik eine Rolle. Viel ist aus seiner eigenen Lebenswirklichkeit entnommen. Ungleichheit, Armut, Gentrifizierung, Obdachlosigkeit, Homophobie werden ebenfalls schonungslos aufgezeigt.

Leider haben diese Probleme auch heutzutage nichts von ihrer Brisanz verloren.

Optisch am Auffallendsten war sicherlich Lukas Mayer in seiner Rolle als „Drag-Queen“. Bei all den tollen Stimmen beeindruckte mich persönlich besonders Amani Robinson.

Humorvoll unterstützt wurden die Hauptakteure von dem Rest des Ensembles in ihren verschiedenen Rollen.

RENT ist etwas für von Musical-Freunde wie auch Fans von romantischen Rockballaden und fetzigem Rock. Modern, aktuell, frisch und mit einer Prise Erotik.

Es ist eine musikalische Feier der Liebe („Seasons of Love“, einziger Song in englischer Sprache), der Bohème, und vor allem des „Leben im Jetzt“.

Die Premiere wurde vom Publikum stürmisch gefeiert. Weiter Aufführungstermine erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de  oder Tel.: 0231/50 27 222




Instame – Gefährliche Vermengung von Internet und Real Life

Im Operntreff der Oper Dortmund konnte das junge Publikum am 27.09.2023 die Uraufführung des Auftragswerks „Instame“ erleben.



Es handelt sich hierbei um eine moderne und frische Oper, die sich mit den Gefahren, die aus einer Vermengung der beiden Daseinsebenen (digitale und reale Welt) musikalisch und theatral auseinandersetzt.

Franz Schilling (Batman, im Hintergrund), Cosima Büsing (Linny), Wendy Krikken (Sanny)
Foto: (c) Björn Hickmann
Franz Schilling (Batman, im Hintergrund), Cosima Büsing (Linny), Wendy Krikken (Sanny)
Foto: (c) Björn Hickmann 

Es geht um ein brisantes Thema, das die Realität der Jugendlichen betrifft und sie eventuell für das Genre „Oper“ zugänglich macht.

 Die Oper von Kathrin A. Denner unter der Regie von Lukas Wachernig ist in Kooperation mit der Akademie für Theater und Digitalität entstanden.

Musikalisch begleitet wurde die Oper von einer kleinen Abordnung der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Olivia Lee-Gundermann.

Die verschiedenen Stimmungslagen, ob spielerisch-humorvoll bedrohlich, fanden ihren atmosphärischen Ausdruck in Geräuschen und der Musik.

In „Istame“ wird der digitale Raum auf eine Bühne (Ort der Selbstdarstellung) verlegt. Das Publikum blickt unmittelbar in das Jugendzimmer der Influencer*in Sanny (Wendy Krikken), die wie ihre Freundin Linny (Cosima Büsing, neu im Junge Oper-Ensemble) ständig online ist. Es geht nur um Selbstdarstellung, „Likes“, viele „Follower“, Geld, Werbegeschenke und Shoppen. Als sich Sanny im den geheimnisvollen „Schiller“ verliebt und die Reality (OMG) in Form des „ertinderten Batmans“ die Lebenswirklichkeit bedroht, sind die beiden Insta-Girls überfordert. Das System ist überlastet und stürzt ab…

Das neue Ensemble-Mitglied der Jungen Oper spielte sowohl den als witziges Einhorn verkleideten „Happycorn“ vom Shopping-Lieferdienst wie auch den „Batman“ mit viel Herzblut. Alle drei Darsteller*innen konnten sowohl mit ihren Stimmen als auch ihrer schauspielerischen Darstellung der Typen.

Oft humorvoll-ironisch überzeichnet, doch auch provokant-radikal, weist die Oper deutlich auf mögliche Gefahren mit katastrophalen Folgen hin, wenn sich digitale und reale Welt konfliktreich vermengen.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222




Supertrumpf – Essstörung als familiäre Belastungsprobe

Im Dortmunder Kinder und Jugendtheater (KJT) steht aktuell das Stück „Supertrumpf“ (Premiere war am 22.09.2023) ab 10 Jahre (Esther Becker) unter der Regie von Antje Sieber auf dem Programm.



Behandelt wird hier sowohl für die betroffenen Personen wie auch das familiäre Umfeld das sensible und komplexe Thema Essstörung.

Sar Adina Scheer (vorne), Thomas Ehrlichmann, Annika Hauffe, Bianka Lammert
(c) Birgit Hupfeld
Sar Adina Scheer (vorne), Thomas Ehrlichmann, Annika Hauffe, Bianka Lammert
Foto (c) Birgit Hupfeld

Aus der Perspektive der zehnjährigen Lou (eigentlich Marie-Louise) wird vom schwierigen Familienleben nach der Entlassung ihrer magersüchtigen vierzehnjährigen Schwester Maya nach drei Monaten erzählt.

Mit viel Empathie versetzen sich die neuen Schauspieler*innen Annika Hauffe (Lou) und Sar Adina Scheer (Maya) in die Situation der Schwestern. Während des dreimonatigen Klinikaufenthalt von Maya hat sich Lou die Zeit mit ihrem Lieblingsspiel Supertrumpf (gerne als Bezeichnung für Autoquartett) vertrieben und sich abgelenkt.

Der Aufbau der Bühne (Ausstattung: Julia Schiller) in Form von unterschiedlichen Podesten und Höhen verdeutlichte die Schwierigkeiten im alltäglichen Leben und dient gleichzeitig als eindrucksvolle Video-Projektionsfläche für bekannte Ratschläge und Sprüche für den Umgang mit Essstörungen. Für Musik, Geräusche und Video zeichnet Peter Kirschke verantwortlich.

Die ambivalente Gefühlswelt der Schwestern wird mit prägnanten Dialogen, klaren Bildern, wenig Pathos, Humor und herzlichen Momenten dargestellt.  Lou kämpft zum einen um Beachtung in ihrer Familie, wo gerade die zurück gekommenen Maya im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Andererseits liebt sie ihre Schwester und hat Angst um das Leben von Maya. Es entsteht eine Stimmung von Misstrauen und Kontrollzwang. Drunter leidet Maya, die ja extreme Kontrolle schon genug in der Klinik erlebt hat.

Die Verunsicherung der Eltern und Freunde von Lou verkörpern wunderbar Bianka Lammert und Thomas Ehrlichmann.

Ganz langsam finden wieder eine Annäherung und Vertrauensbildung statt.

Während der Aufführung wird geschickt zwischen Erzählung und direktem Konfrontationsspiel changiert.

Ein sensibler Umgang mit dem Thema Essstörungen. Die eine und einzige Ursache für deren Entstehen gibt es nicht. Allen Betroffenen gemein ist eine gestörte Selbstkontrolle. Da sind viel Geduld und vertrauensbildende Maßnahmen notwendig.

Weitere Aufführungstermine erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222




Differenziert-kritischer Blick auf das Western-Genre

Nach „Going West!“ folgt im Dortmunder schauraum: comic und cartoon (nahe der Stadt und Landesbibliothek) mit der Ausstellung „Staying West! Comics vom Wilden Westen“ vom 22. September 2023 bis 3. März 2024 eine Fortsetzung.



Das Western-Genre prägte mit verschiedenen Filmen (Kino und TV), Groschenromanen und eben auch Comics das 20. Jahrhundert. Gerade in letzter Zeit tobte eine lebhafte Debatte um kulturelle Aneignung aus indigenen Kulturkreisen. Statt einer kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte entbrannte der Streit oft an dem Gebrauch bestimmter Begriffe wie zum Beispiel „Indianer“. Dieser wird von den Vertretern der angesprochenen indigenen Völker im Westen der USA als Überbegriff gesehen und sogar in ihrem Namen geführt.

Kurator Dr. Alexander Braun in der Ausstellung (© Maximilian Mann)
Kurator Dr. Alexander Braun in der Ausstellung (© Maximilian Mann)

Zurecht kritisieren sie jedoch das Beharren auf Stereotype (z.B. Marterpfahl, Skalpieren.). Es ist eine Beleidigung gegenüber der Vielfalt und Diversität indigener Kultur. Es geht um Respekt und Umgang auf Augenhöhe.

Die Ausstellung zeigt eine interessante Auswahl aus der Geschichte der Western-Comics verschiedener Länder.

Die Comics sind ein Spiegel der Ambivalenz des Western-Genres zwischen „heroischen Pioniertaten“, „Abenteuer“, Völkermord und Raubbau an der Natur.

 Zeichner wie Harold Foster (1892-1982) oder James Swinnerton (1875-1974 „Canyon Kiddies“) zeichneten schon in den 1920iger Jahren einen klischeefreien und authentisch-respektvollen Indian-Spirit. Da wurde in Hollywood noch skalpiert und auf Angst und Gewalt-Potenzial gezielt.

Im Gegensatz zu den anderen Europäern oder Argentinien boten die deutschen Western-Comics in den 1950iger Jahren aus dem Bastei-Lübbe Verlag eher Massenproduktion und bedienten Klischees.

Später setzten sich hier Western-Parodien wie etwa die MAD, Ralf König oder Lucky Luke-Comics. Wild West galt in Europa großer Abenteuerspielplatz und diente als Projektionsfläche für Sehnsüchte, Spannung sowie Humor. In den USA war vielen Menschen der Mythos von der „Eroberung des Westens“ eher heilig.

Zur Ausstellung erscheint ein Buch vom Kurator Dr. Alexander Braun, Staying West. Comics vom Wilden Westen. Salleck Publications. 272 Seiten.

Preis im schauraum comic und cartoon: 25 Euro (Buchhandel 49 Euro).

Zusammen mit Katalog „Going west“ von 2015: 45 Euro.




Zündende Rhythmen von Tango bis Flamenco

Die Dortmunder Philharmoniker unter der emotionalen Leitung des jungen Dirigenten Leo McFall lud am 19./20. September 2023 zum Auftakt der neuen Saison zum „Tango im Revier“ in das hiesige Konzerthaus.



Dass der Tango im Revier eine feste Größe ist, ist vielen klar, die hier leben. Das Bandoneon („Klavier des kleinen Mannes“) ist unverzichtbar für die Entwicklung der Tango-Musik. Erfunden von Heinrich Band (1821-1860) aus Krefeld gehörte es bis weit nach 1945 zur Feierabendmusik der Bergleute.

Als Exportschlager kam es dann nach Argentinien in die Kneipen und Bordelle, wo der Tango entstand. Mit der Tangowelle in den 1980iger Jahren kehrte das Bandoneon als Instrument des Tangos ins Revier zurück.

Der Konzertabend begann mit einem musikalisch südamerikanisch. Mit „Bachianas brasileiras Nr 4“ gelang es Heitor Villa-Lobos (1887-1959) seine Hochachtung vor dem musikalischen Werk J.S. Bachs mit der reichhaltigen populären Volksmusik seiner brasilianischen Heimat zu etwas spannenden Neuem zu verbinden. Eine Art Huldigung für die beide prägenden musikalischen Einflüsse.

Danach folgte Astor Piazzollas (1921-19929 „Aconcagua. Konzert für Bandoneon und Orchester“.

Mit Per Arne Glorvigen  hatte die Philharmoniker einen Meister an diesem Instrument gewinnen können, der mit viel Feingefühle die melancholisch wie animierend dramatischen Stimmungen fühlbar machen konnte. Das Stück ist klassisch angelegt, ist dabei mit dem Tangostil für den Konzertsaal verbunden. Als speziell für das Werk verkleinerte Orchesterbegleitung fungierten neben dem Solo-Bandoneon, Harfe, Klavier, Pauke, Schlagzeug und Streicher.

Nach der Pause ging es mit iberischen Klängen weiter.

Die Suiten Nr. 1 (Szenen und Tänze) und Nr. 2 (Drei Tänze) aus „Dreispitz“ von Manuel de Falla (1876-1946) beruhen verschiedenen Richtungen der iberischen Volksmusik, insbesondere der Flamenco-Tradition. Es ist geprägt von Farbigkeit und Sinnlichkeit, zeichnet sich jedoch auch durch klare Formen und scharfe Kontraste aus.

In das geheimnisvolle, zwielichtige, manchmal auch etwas unheimliche Nachtleben Südspaniens, dass am Ende in einer rauschhaften musikalisch virtuosen Volksfeststimmung mündet führt zum Schluss die „Rapsodíe espagnole“ von Maurice Ravel (1875-1937).

Der geheimnisvolle Grundton mit den ersten Tönen, einem seltsamen ortlos erscheinenden viertoniger Ostinato (widerkehrende Musikelement) sowie die Widerkehr mancher Melodien dienen dazu, die Rhapsodie zu einem gelungenen ganzen zusammenwachsen zu lassen.




Theatrales Live-Hörspiel mit wohligem Gruseleffekt

Mit „Grusel“, einem theatralen Live-Hörspiel für Blinde und Sehende (ab 8 Jahre) startete das Dortmunder Kinder und Jugendtheater (KJT) am 09.09.2023 in die neue Spielzeit.



Die Produktion unter der künstlerischen Leitung von Hannah Biedermann und Norman Grotegut (pulk fiktion), entstand in Koproduktion mit dem Performancekollektiv pulk fiktion.

Mohammed Marouf Alhassan, Zuschauer-Kinder (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Mohammed Marouf Alhassan, Zuschauer-Kinder (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Das Faltblatt zum Stück wurde zusätzlich mit einem Extrablatt in Blindenschrift versehen.

Das Publikum wurde zunächst durch einen Seiteneingang in den Vorraum des Vorstellungsereignisses gelotst. Danach bekam jede Person einen Kopfhörer mit Sender überreicht und der Puls wurde kontrolliert. Jeder Mensch wurde einzeln von einem der Schauspielenden abgeholt und am Arm zu dem ihm zugewiesenen Platz geführt.

Über Kopfhörer bekam man nicht nur Anweisungen bekam, sondern auch Interviews mit Kindern über deren Angsterlebnisse lauschen konnte.

Es wurde für die sehenden angeregt, die Augen zu schließen und sich auf das Geschehen mit dem Gehörsinn einzulassen, was mir nicht die ganze Zeit gelang.

Bei der Produktion ging es nicht allein um die alleinige Furcht, sondern vor allem um den Schrecken sowie das verbindende Lachen.

Durch die Aktionen von Mohammed Marouf Alhassan (pulk fiktion) und Rainer Kleinespel, Johanna Weissert, Jan Westphal (KJT Dortmund) begegnete das Publikum Skeletten, Fledermäusen, Monstern und Geistern. Da knarrten auch Türen und es knisterte in den Ecken und ganz ohne Berührungen ging es nicht ab. Die Ängste des Alltags, zum Beispiel vor Krieg, wurden nicht außen vorgelassen.

Zum beruhigend-friedlichen Ende wurden die „guten Geister“ gerufen und gemeinsam hintereinander an einem Band zu Ausgang geschritten.

Eine durchaus interessante Erfahrung gerade für Menschen, die sehen können.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0213/50 27 222




Musical um Kulturwerte im entfesselten Kapitalismus

Im Schauspiel Dortmund konnte das Publikum am 08.09.2023 die deutschsprachige Erstaufführung von „Das Kapital: Das Musical“ (Nick Rongjun Yu) unter der Regie von Kieran Joel in einer Fassung für die deutsche Theaterrealität. Es wird hier Frage nach der Finanzierung von Kunst und Kultur vom gesamten Ensemble klar und konkret gestellt. In dem Stück kommt dem neuen Ensemble-Mitglied Lukas Beeler gleich eine besondere Rolle zu.



Ausgerechnet das Hauptwerk von Karl Marx „Das Kapital“ soll in der kommerziellsten Theaterform „Musical“ aufgeführt werden. Der „Neue“ als hochmotivierter Schauspieler soll dem Theater aus der Finanzmisere helfen und geht dafür ganz eigene Weg. Die Aufführung wird bestreikt und als scheinbare Lösung ein neues Finanzierungsmodell präsentiert. Das Publikum sowie finanzkräftige Investor*innen sollen eine „geile“ Luxus-Aufführung von  „Kapital: Das Musical“ möglich machen und dem Theater die nötige Relevanz verschaffen. Natürlich auch fette Rendite für die Investierenden!

EnsemSofia Galin, Saranya Bosch, Alexander Darkow, Sarah Quarshie, Nila Habibzadeh, Raphael Westermeier, Lukas Beeler, Adi Hrustemović, Galatea Weber, Marlena Keil, Antje Prust, Sarah Avanitis, Lili Michalski
Foto: (c) Birgit Hupfeldble

Es folgt eine musikalische Komödie und Musicalparodie, die gehörig Fahrt aufnimmt und durch die Widersprüchlichkeit des entfesselten Kapitalismus führt.

Bei der Inszenierung wurde nicht an Musical-Glanz gespart. Aufwendige Bühnenbilder, viele Kostümwechsel und Songs mit einem gewissen Ohrwurmpotential (Leitung: Leonardo Mockridge), Tänzerinnen vom Tanzhaus Dortmund sorgten dafür.

Die Schauspieler*innen des Dortmunder Ensembles spielten nicht nur sich selber, sondern schlüpften teilweise mit viel Humor, Selbst-Ironie und viel Spielspaß in die Rollen des Finanzmoguls, Investment-Bankers, Aktien-Queen oder der Intendantin. Neue Medien wurden mit kurzen Video-Einspielungen an den Seiten oder auf der Leinwand im Hintergrund geschickt eingebunden. Das Publikum wurde durch die Schauspieler*innen an manchen Stellen direkt einbezogen.

Ein Theaterabend zwischen Lachen, Witz, Ironie und leiser Nachdenklichkeit in manchen Momenten.

Das Dilemma zwischen den Anspruch eines kritischen und unabhängigen Theaters (offen für gesellschaftlich relevante Themen durch städtische Subventionen gestützt) und den Mechanismen und Gegebenheiten des „real existierenden Kapitalismus“.

Werden auf der Bühne nur „Reproduktionen unmittelbarer Lügen, in denen wir in der Realität leben“ gezeigt, wie Schauspielerin Antje Prust sagt? Ist das, was die Schauspielenden machen denn überhaupt Kapitalismuskritik – oder nur eine kulturindustrielle Bestätigungsmaschine? Der Umgang mit diesem Bruch und der Identitätskrise bleibt am Ende offen.

Die übrig gebliebene riesige Abrissbirne am Ende auf der Bühne ist hoffentlich nicht nur ein pessimistisches Omen.

Die gelungene Aufführung, bei der sich auch der Ensemble-Neuzugang gut einführte, wurde vom Publikum mit viel Applaus honoriert.

Die weiteren Aufführungstermine erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222