Ein Sommernachtstraum nach William Shakespeare

Eine Aphrodisische Verwechslungskomödie des Theater Phoebus im Fletch Bizzel … Das von angeblich einem gewissen Handschuhmacher verfasste Stück, durch den Fleischwolf gedreht, eingekocht und die Essenz a point humorvoll und respektlos dargebracht.



Ein unterhaltsames fasst rokokohaftes Stück Weltliteratur, aus der englischen Renaissance in dem zwei Schauspieler*innen, Josefine Schönbrodt und Jan Maria Meissner, in verschiedenste Rollen schlüpfen, minimalistisch „dekoriert“ und interpretieren Shakespeare, den Handschuhmacher, neu. Sicher und elegant wandeln sie dabei zwischen Comedy und magischer Verzauberung durch die Parallelwelt der Elfen.

Nicht nur einmal wird der Zuschauer, ganz im Sinne der ursprünglichen Aufführungsform, u.a. im Globe, London, mit einbezogen. So auch bei der nicht nur einmal gestellten Frage oder besser Überlegung ob denn nun Herr Shakespeare das Stück (und andere verfasst habe) … William aus Stratford-upon-Avon hinterließ keine Silbe zu Tantiemen, Stücken und ähnlichem in seinem Testament … wo er doch ein so erfolgreicher Theaterautor und Sonettenschreiber war …

Alleine sein Stück über die Liebe und Leidenschaft, mit einhergehender Blindheit, an sich Romeo und Julia, eine 13 jährige verliebt sich in einen 17 jährigen überwachsenen Heißsporn … hätte profunde Ortskenntnisse von Verona und den dort herrschenden Gepflogenheiten vorausgesetzt … durch Ortsanwesenheit … nur William verließ nicht einmal die Insel. Belegbar aus den Elisabethanischen Geheimdienstpapieren … Madame ließen ihr Volk strengstens überwachen.

So beginnt denn auch das Stück mit dem respektlosen Kauderwelschen des Namens des Autors … was an einen gewissen Big Brother „Insassen“ erinnerte, der unter Shakespeare ein Bier zum Schütteln verstand: Schüttelbier, was er nicht kannte … RTL …

Das Elfenkönigspaar Oberon und Titania liegt aufgrund ihrer beidseitigen Untreue im Streit. Oberon ersinnt einen süßen Racheplan, der Kobold Puck soll ihm die Zauberblume bringen, die einst von Amors Pfeil getroffen wurde und Liebesrasereien bewirkt. Über die Augen eines Schlafenden gestrichen, verliebt sich der Betreffende beim Erwachen in die nächste lebende Kreatur „Erwache erst, wenn ein Scheusal in Deiner Nähe ist“- mit diesen Worten bestreicht er die Augen der schlafenden Titania … Wem die Zauberblume sonst noch die Sinne betört und welche Verwechslungen daraus entstehen, das führte zu zahlreichen Lachern und klirrenden, zerspringenden Gläsern, in diesem Shakespearischen Welttheater.

Interessant waren dabei die subtil verarbeiteten Männlichkeiten, oder wie sagte dazu meine Grandmère immer: Männekens. Lysander, Hermia liebend, Demetrius, von Helena nicht begeistert, sehr toxischer Macho und Oberon, gekonnt gespielt und treffend überhöht durch Jan Maria Meissner. Wobei der Oberon sehr gut zur Diskussion von hegemonialer Männlichkeit passt … sich alle Freiheiten herausnehmen, während das Weib gefälligst züchtig zu Hause am Herd zu stehen hat.

Hermia, Lysander liebend, Helena, Demetrius liebend, Titania und Puck werden durch Josefine Schönbrodt fast absurd üb3rhöht charakterisiert. Dabei ist die leicht verliebt, verblödete Helena ein Lacher in sich. Ihre Verliebtheit in den Esel … schlüpfrig schön.

Das Stück ist ein respektloser und auf die Spitze getriebener Parforceritt durch den Sommernachtstraum des Handschuhmachers aus Stadford-ipon-Avon. Oder war es vielleicht doch eher Phillip Marlow?

Die Aphrodisische Verwechslungskomödie des Theater Phoebus ist in jedem Fall ein Genuss und ein Muss für jeden Fan des Midsummer Dreame, egal wer das Stück letztendlich verfasst hatte.




23. Dortmunder Museumsnacht am 23. September Anno 23 … 2023

Die Kulturbetriebe der Stadt Dortmund, die Museen, die Musikhäuser, das Polizeipräsidium, die VHS, die Kirchen, Phoenix des Lumières in Hörde, die Fachhochschule Dortmund, die Gedenkstätte Steinwache, das Stadtarchiv (feiert gerade sein 150jähriges Bestehen) und die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund laden ab dem Nachmittag wieder zur Museumsnacht für junge, ältere und junggebliebene Erwachsene und natürlichen Familien ein.




Das Programm ist bunt und interessant und findet in allen Teilen von Dortmund statt. Hauptsponsoren sind DEW21 und DSW21, sowie Unternehmen aus und in Dortmund. Dabei werden auch wieder, wie in den Jahren zuvor, Außenveranstaltungen angeboten, die für Kurzweil sorgen. So auf dem Friedensplatz wieder Music Acts (Ray Dalton, Sven West Band, DJ JUF-X)und DJ Programme, oder wieder vor dem Dortmunder U und in und vor der DSW21 Zentrale und im benachbarten Café 21 … das hier angebotene kulinarische Angebot wird ergänzt durch die freudig die Museumsnacht Besucher erwartende Gastronomie von Dortmund.

 An insgesamt 40 Veranstaltungsorten in Dortmund finden 500 Veranstaltungen in einem acht stündigen Programm statt.

Das Museum Nachtticket im Vorverkauf ab heute für kommenden 14 Tage in der Höhe von €5,-/Person ist die Nutzung der regulären und Sonderverbindungen DSW2. Ab dem 23. August liegt das Museumsticket bei €14,50/Person. Junge Erwachsene bis 6 Jahren fahren frei, während die 6 bis 17 Jährigen weiterhin €3,- bezahlen (https://www.dortmund.de/de/freizeit_und_kultur/museen/museumsnacht/alles_rund_ums_ticket/alles_rund_ums_ticket.html).

Für Inhaber des Dortmund Tickets gibt es leider keine extra Preise, dafür ist aber der Vorverkauf von €5,- zu empfehlen.

Das Kombiticket gilt im gesamten VRR!

Dortmund hat schon lange seine alte Industrie hinter sich gelassen und entwickelte sich weiter zu einem modernen Hightech und Bildungsstandort. Dabei hat Dortmund die schon immer vorhandene vielfältige Kulturszene mitgenommen und weiterentwickelt. Zahlreiche Galerien und Kunstkooperativen zeugen davon, wie auch die lebhafte und einflussreiche Museumsszene zeugen davon. Übrigens stammen aus Dortmund einige namhafte Künstler, so z.B. Benno Elkan, der hier geboren und bis 1933 gewirkt hatte. Er erschuf die Menora vor der Knesset in Israel und leistete Entwicklungshilfe in München. Er wurde Mitgründer eines Münchener Fußballvereins … Bayern München. Hinter dem Dortmund U ist sein in Augmented Reality erstandenes, leider nie realisiertes Werk, „Frieden“ zu sehen. Es lohnt sich der Abstecher dorthin.

In den letzten Jahren nutzten 20 bis 30.000 Besucher die Dortmunder Museumsnacht Angebote, auch in der Corona Zeit. Auch diese Jahr werden wieder ähnliche Besucherzahlen erwartet.

Highlights für die 23. Museumsnacht am 23. September 2023? Für jeden ist etwas dabei, also für Groß und Klein … aber ganz bestimmt die Fantastische Bilderreise von Gustav Klimt bis Friedensreich Hundertwasser im Phoenix des Lumières, dass durch radio91.2 organisierte Konzert auf dem Friedensplatz und die Lightshow am Dortmunder U … Übrigens von der Dachterrasse haben sie einen fantastischen Blick über Dortmund, eigentlich ein Must!

Ticketverkauf – https://www.dortmund.de/de/freizeit_und_kultur/museen/museumsnacht/alles_rund_ums_ticket/alles_rund_ums_ticket.html

Programmheft – https://www.dortmund.de/media/p/museumsnacht/pdf_museumsnacht/Programmheft_zur_23._DEW21-Museumsnacht.pdf

Darin auch ein QR Code für Ihr Smartphone




Carlo il Calvo – eine Oper von Nicola Antonio Porpora

Carlo wer?

Carlo (Karl) Il Calvo (der Kahle) ist der Sohn des Ludovico I. il Pio (Ludwig der Fromme), Kaiser des Fränkischen Reiches. Der war ein Sohn Karl des Großen. Die Barockoper von Nicola Antonio Porpora, 1738, dreht sich in erster Linie um die Familienangelegenheiten dieses Karolingers, und am wenigsten um die Politik, die genug Dramatik geboten hätte. Die Politik oder Geschichte kommt kurz zum Schimmern mit der Erwähnung einer Schlacht. Aber das Libretto konzentrierte sich auf Regenbogenpresse-Material, also aus intimer Quelle. Es kündigt sich die Zeit der Empfindsamkeit an. Kabale und Liebe, bei Kaisers ist auch nicht alles Prinzessinnenheil. Und Calvo, Kahl, ist nicht als Glatzköpfig gemeint, sondern bedeutete im damaligen Fränkisch/Germanisch landlos, im Gegensatz zu seinen Halbbrüdern Lothar (Lottario), Pippin und Ludwig.



Carlo il Calvo ist ein „dramma per musica“ in drei Akten von Nicola Antonio Porpora (Musik) mit einem Libretto nach Francesco Silvanis Text für Benedetto Vinaccesis Oper L’innocenza giustificata aus dem Jahr 1698. Die Uraufführung von Porporas Oper fand im Frühjahr 1738 im Teatro delle Dame in Rom statt. Eine Barockoper mit Countertenören. Das kann für einige anstrengend sein … nur nicht für das Publikum dieses Abends.

 Carlo ist der jüngste Sohn Ludwigs aus seiner zweiten Ehe mit Guiditta (Judith) dei Guelfi (Welf). Welf? Ja die Welfen mit dem Ernst August. Carlo/Karl und Ludwig spielen aber im Stück keine Rollen, sondern sind Figuren im Off. Lottario war als Kaiser in der Erbfolge vorgesehen und sollte die Oberherrschaft über seine Brüder haben. Fränkische Erbfolge. Das Theater setzt nach dem Tod Ludwig des Frommen ein.

Karl wird später Herrscher des Westfranken Reiches, aus dem schließlich Frankreich hervorgehen wird.

Wir haben also zwei Liebespaare, Adalgiso, der Sohn von Lottario und Gildippe, Tochter von Giuditta, Und Eduige, ebenfalls eine Tochter von Giuditta und Berardo. Aprando ein Vertrauter Lottarios streut das Gerrücht, Carlo sein der Sohn von Berardo Giuditta und somit ein nicht erbberechtigter Bastard. Es kommt zum Kampf in dem Lottario unterliegt und am Ende bei einem Gespräch mit Giuditta doch noch versucht Carlo zu ermorden,, woran ihn aber sein Sohn Adalgiso hindert.

Erbstreitigkeiten in Familien sind immer irgendwie ziemlich böse.

Max Emanuel Cencic singt den Lottario, Franco Fagioli singt den Adalsgiso, Julia Lezhneva singt die Gildippe, Suzanne Jerosme singt die Giuditta, Ambbroisine Bré singt die Eduige, Dennis Orellana singt den Berardo und Stegan Sbonnik singt den Asprando

Dirigat ist George Petrou mit seinem Ensemble Armonia Atenea

Die vier Countertenöre, Cencic, Fagioli, Orellana, Sbonnik, und die Sopranistinnen Lezhneva und Jerosme mit der Mezzosopranistin Bré begeisterten das Publikum derart, das eigentlich nach jeder Arie ein Applaus und Bravorufe die Künstler „ernährten“.

Schon in der Overtüre wird, wie im Barock typisch, die Dramatik betont, die sich danach durch die Oper zieht. Das zeigt sich auch in seinen „arie di azione“. Asprandos „Temer della sorte“, obgleich lehrhaft ist dramatisch motiviert. Wobei ich hier noch einmal die Reaktionen des Publikums anführen möchte … jeder der Arien an diesem Abend folgte tosender Beifall auf dem Fuß. Sowohl die Countertenöre, als auch Sopranistinnen und die Mezzosopranistin begeisterten das Publikum im Dortmunder Konzerthaus. Und man fragt sich manchmal wo und wie Klangvokal diese Juwelen findet …

Carlo il Calvo von Nicola Antonio Porpora in der Aufführung auch ohne Bühnenbilder und Kostümreigen mit Armonia Atenea und unter dem Dirigat von George Petrou war ein Vergnügen … und war imstande Kopfkino zu verursachen, wohl nicht nur für Geschichtssichere oder Liebhaber von Regenbogenpresse.




Jordi Savall – Die Routen der Sklaverei

Musik aus Afrika, Portugal, Spanien und Lateinamerika

Es ist erstaunlich, welch schöne Musik von Menschen geschaffen wurde, die unsägliches Leid erleben mussten. Aus der Heimat entführt, ihren Lieben, Familien und Gemeinschaften entrissen und in einer fremden Welt ausgespuckt, verhökert, versklavt und unter unmenschlichen Bedingungen zur endlosen Arbeit gezwungen.



Jordi Savall zählt zu den bedeutendsten Gambisten und Interpreten der historischen Aufführungspraxis. Seit über 50 Jahren begeistert er als Gambist und Dirigent. Savall wurde von der UNESCO zum „Künstler für den Frieden“ ernannt.

Savall begab sich erneut auf musikalische Spurensuche und folgt den Routen des transatlantischen Sklavenhandels, des Dreieckhandels, aus Europa über Afrika nach Süd- und Nordamerika. Sein faszinierend-filigranes Programm, dessen Entstehung von der UNESCO gefördert wurde, kombiniert Klagelieder, Kriegsgesänge und Trommelklänge aus Mali, Madagaskar, Kolumbien, Mexiko und Europa mit historischen Texten über die Sklaverei. Beginnend mit den ersten Chroniken von 1444 hin zu den Worten des Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King aus den 1960er Jahren.

Für sein Projekt „Die Sklavenrouten“ vereinte Savall Instrumentalisten und Sänger unter anderem aus Mali, Marokko, Mexiko und Brasilien. Gemeinsam schlagen sie einen musikalischen Bogen von 1444 bis 1888. Sie spielen Lieder, Klagegesänge und Tänze, die zur Zeit der Sklaverei entstanden sind. Musik aus Afrika, Portugal, Spanien und Lateinamerika. Und in der Musik aus Spanien und Portugal zeigt sich der Einfluss der Sklaven und ihrer Musik auf die Musik der so überlegenen Versklavenden.

Die eigenen Ensembles von Savall, Hesperion XXI und La Capella Reial de Catalunya haben dieses Programm, mit dem sie nun auf Tour sind, so auch also in Dortmund mit Klangvokal am 06.06., zusammen mit Instrumentalisten und Sängerinnen und Sängern aus Mali, Madagaskar, Marokko, Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Argentinien und Venezuela erarbeitet. Mit dabei ist auch wieder das mexikanische Tembembe Ensamble Continuo, mit dem Savall schon zuvor Projekte verwirklicht hat.

Dabei wird ein musikalischer Bogen geschlagen, von 1444 bis 1888, mit Texten aus der vorchristlichen Zeit bis zum 20. Jahrhundert. Savall, der hier eine kleinere Form der Gamba, die Diskantgambe spielt, leitet das Konzert von seinem Instrument aus.

Durch das Programm führt wie eine Erzählerin, Denise M´Baye und treibt dabei das Konzert mit Zeugenaussagen und Dokumenten von Beteiligten, das Konzert durch Jahrhunderte der Qualen. Ein Pendant findet M´Baye in Sékouba Bambino, Guinea, der die afrikanische Tradition der Erzähler dabei Nahebringt. Lange schon sind sie es, die Mythen, Geschichten, Legenden und Kultur tradieren.

Aus dem Ursprungskontinent der Sklaven sangen Ballaké Sissoka, Mamani Keita, Tanti Kouyaté und Fanta Sissoko. Aus den „Zielgebieten“ der Sklaven, in die sie verschleppt wurden, sangen, spielten und tanzten Leopoldo Novoa, Kolumbien, Ada Coronel, Enrique Barona, Ulises Martinez, Mexiko, Maria Juliana Linhares, Zé Luis Nascimenti, Brasilien, Lixsania Fernández, Kuba.

Hesperion XXI: Elionor Martinez, David Sagastume, Lluís Vilamajó, Victor Sordo, Simón Millán, Salvo Vitale

La Capella Reial de Catalunya: Pierre Hamon, Béatrice Delpierre, Elies Hernandis, Xavier Puertas, Xavier Diíaz-Latotorre, Andrew Lawrence-King, Jordi Savall

In der Musik der betroffenen Völker der Westküste Afrikas, Brasiliens, Mexikos, der Karibischen Inseln, Kolumbiens und Boliviens hat die humanitäre Katastrophe der Sklaverei bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Die Lieder, Klagegesänge und Tänze treten hier in den Dialog mit iberischen Musikformen, die sich, so Savall, „an den Gesängen und Tänzen der Sklaven und Einheimischen sowie an ethnischen Mischungen jeder Art inspiriert haben, die auf der Tradition der Afrikaner, Indios und Mestizen basieren.“

Die mehr oder weniger erzwungene Beteiligung der Sklaven an der kirchlichen Liturgie der Neuen Welt spiegelt sich in den verschiedenen Formen wie Villancicos de Negros, Indios, Negillas und anderen christlichen Gesängen, wie zum Beispiel bei Mateo Flecha dem Älteren.

Trotz der portugiesischen „Ursünde“, das Plantagen und Sklaverei Modell auf den Kapverden entwickelt zu haben, waren Afrikaner, die Oberschicht, ein Teil der portugiesischen Gesellschaft. Gleichberechtigt heiratete man untereinander. So kam auf Umwegen über Deutschland, „afrikanisches Blut“, mit der mecklenburgischen Prinzessin Charlotte als Gemahlin des Hannoveraners Georg auf den englischen Thron …

Neben den großen Akteuren, den üblichen Verdächtigen in diesem Menschheitsverbrechen, Engländer, Schotten, Niederländer, Dänen, Spanier, Portugiesen waren auch Deutsche aktiv als Händler beteiligt, oder als Finanziers, wie norddeutsche Kaufleute besonders aus Hamburg und auch Bremen, aber auch deutsche Fürsten wie Hohenzollern aus Brandenburg im heutigen Ghana.

Das Konzert konnte die Geschichte der Sklaverei erfahrbar machen! Eine Geschichte, bei der aus purer Geldgier Menschen aus Afrika nach Süd- und Nordamerika verschleppt, gequält und ausgebeutet wurden. Die Musik hat die Spuren des Unrechts konserviert, und Savall lässt sie in diesem neuen Programm hörbar werden, mit Musik von beiden Seiten des Atlantiks.

Es war ein großartiges, bewegendes und begeisterndes Konzert! Es nahm mit und rührte auf. Man konnte die Qualen und das Leid der verschleppten Menschen spüren, zumindest erahnen. Welch schöne, berührende und mitnehmende Musik trotz Leid entstand, berührte zutiefst. Das Publikum war begeistert und gab stehende Ovationen und überwältigten, selbst überwältigt die Künstler.




Jazz, Soul und afrikanischer Groove

Somi – eine Hommage an Miriam Makeba

Die mehrfach für den Echo nominierte Somi (Laura Kabasomi Kakoma), bot in diesem Klangvokale Konzert im Domizil ihr Programm „Zenzile“. Somi ist eine Singer-Songschreiber*in mit fantastischer Stimme aus Afrika. „Zenzile“ ist eine Hommage an die große Miriam Makeba. Das Programm, die Lieder und Arrangements sprachen Makeba und ließ uns in die Welt eintauchen. Miriam Makeba musste der wegen der Apartheid für 31 Jahre im Exil. Somi hatte die beliebtesten Songs ihres Vorbilds Makeba einfühlsam, inspiriert und arrangiert.



Dafür aber mit Stimmkraft „Qongqothwane“ / „Pata Pata“ (The Click Song), in der Sprache der Xhosa und Malaika intoniert. Nicht nur diese „Gassenhauer“ von Makeba begeisterten das Publikum, Liebhaber des modern Jazz. Typisch für Modern Jazz ging das Publikum kommentierend bei den Intonationen von Somi, aber auch bei den zahlreichen Soli des begleitenden Musiktrios mit. Für Klassikfans sicher ungewohnt, aber der Groove bringt es eben so mit sich.

Die fabelhafte Stimme von Somi, jetzt in Chicago lebend, bringt die Makeba Songs authentisch und nicht in billigen Cross-over-Klischees versinkenden Arrangements. Modern Jazz und Worldmusic, Soul und Afrobeat finden hier perfekt zusammen.

Somi sieht sich, wie Makeba selbst, als Musikerin und Aktivistin. Mit ihrem Studioalbum „Petit Afrique“ (2017) etwa erzählte sie die Geschichte afrikanischer Einwanderer inmitten eines gentrifizierten Harlem in New York. Davon erzählte sie uns im Laufe des Konzerts. Wie auch, dass ihr die Entstehung von „Zenzile“ in vielerlei Hinsicht geholfen habe: als Künstlerin und als afrikanische Frau. Besonders in diesen außergewöhnlichen Zeiten, in denen der Mut, unsere Geschichten zu erzählen, von größter Bedeutung ist, berichtete uns Somi,  42 Jahre jung.

Somi knüpft mit Stimmkraft und Feingefühl bei Künstlerinnen und Makeba-Verehrerinnen wie Dianne Reeves, Nina Simone oder Dee Dee Bridgewater an. „Seit ich denken kann, kenne ich Miriam Makebas Stimme. Dadurch habe ich das Gefühl, sie persönlich zu kennen“, erklärte uns Somi zwischen den Songs. Das Programm, das Album „Zenzile“ ist Ergebnis ihrer Bewunderung und Achtung vor und für Makeba. Seit ihrem Debütalbum 2003 wird Somi immer wieder auch mit Makeba verglichen … die Verbindung besteht musikalisch und politisch. So trat Somi 2013 zum Gedenktag für die Opfer des transatlantischen Sklavenhandels vor der UN Vollversammlung auf. Zudem hat Somi eine NGO gegründet: New Afrika Live.

Diese Neubewertung der Makeba Songs durch Somi waren eine Offenbarung, auch durch ihre fantastische Stimme und die exzellenten Jazzmusiker. Schon im Vorbild von Somi waren Jazz und afrikanischer Groove vereint. Das zeigte sich besonders in „Pata Pata“, damals ein Modetanz in Südafrika, den auch weiße Apartheidsgegner tanzten. Diesen präsentierte Somi in einer ganz eigenen Art neu.

So wie Somi, hatten sich viele Künstler von Zenzile, der erste Taufname von Makeba, beeindrucken und inspirieren lassen. Sowohl in Afrika als auch im Rest der Welt. Und dieses Programm von Somi zeigte aber auch, wie das Album, dass sie das Zeug zur Inspiration hat. Das Publikum hat sie beeindruckt und mitgerissen.

Ovationen zum Abschluss und ein beständig mitgroovendes Publikum waren der Beweise für die Begeisterungskraft von Somi.

Somi                           Vocals

Jerry Leonide             Piano
Gino Chantoiseau       Bass
Otis Brown III            Drums




Klangkörper St. Reinoldi

Il Divino! Leonardo García Alarcón und die CAPELLA MEDITERRANEA eröffneten mit Claudio Monteverdis „Marienvesper“ das Klangvokal Musikfestival 2023 Dortmund. „Eine vielstimmige Messe für Kirchenchöre und mehrstimmige Vesper mit einigen geistlichen Gesängen für Kapellen oder fürstliche Privatgemächer“, so der endlose Untertitel des Werkes.



Monteverdi komponierte vor mehr als 400 Jahren die „Marienvesper“ in Mantua. Er pilgerte mit dem Werk, das er Papst Paul V. widmete, als Bewerbung nach Rom. Dieses Opus Magnum, die „Vespero delle Beata Vergine“, sollte „Il Divino“, wie Zeitgenossen Monteverdi schon nannten, eine neue, beruflich bessere Alternative in Rom ermöglichen. Monteverdi wollte unter allen Umständen Mantua, nicht nur des Klimas wegen, verlassen. Die Gonzagas, Fürsten von Mantua, waren nicht nur knauserige Arbeitgeber, sondern auch sehr unzuverlässige Lohnzahler. Zudem fehlte Monteverdi die Wertschätzung seines Dienstherren. 1613 erst sollte Monteverdi dann eine neue Stelle in Venedig antreten, als Maestro della Capella die San Marco.

Das Werk zeigt eine stilistische, verwundernde Vielfalt auf. Was Leonardo García Alarcón mit seinem Ensemble und Orchester bewundernswert herausstrich. Dabei nutzte er die Reinoldi Kirche geschickt als einen eigenen Klangkörper, den er in das Orchester mit Leichtigkeit integrierte. Gerade gotische Kirchen bieten sich wegen ihrer speziellen Akustik an.

Alarcón setzte geschickt die Klangraummöglichkeiten der gotischen Reinoldi Kirche wie ein zusätzliches Instrument des CŒUER DE CHAMBRE NAMUR ein. Klangmöglichkeiten, die nur einer gotischen Kirche eigen sind. Auch ohne Rechenschieber oder gar Computer wussten die Baumeister genau, was sie machten und zu tun hatten, damit der Priester auch ganz hinten zu verstehen war. So drehten sich die Musiker z. B. in den Chor, mit dem Rücken zum Publikum, wie auch die Sänger. Dadurch wurde eine Klangfülle erreicht, die man so „frontal beschallt“ nicht kennt. Alarcón variierte dabei noch zusätzlich die Positionierung des Chorensembles, indem er den Chor sich an verschiedenen Stellen im Kirchenschiff zwischen dem Publikum oder auf der Empore im Turm platzierte und singen ließ.

Paul V. konnte irgendwie nichts mit dem genialen Werk von Monteverdi anfangen, denn zu sehr brach er mit der Tradition der Vokalpolyfonie, mit neuen konzertierenden und opernhaften Ideen. Es überforderte offensichtlich Paul V. wie den VI. die Pille.

Dafür konnte Alarcón mit seiner CAPELLA MEDITERRANEA und CŒUER DE CHAMBRE NAMUR das Dortmunder Publikum überraschen, mitreißen und begeistern.

Egal, ob das Werk so jemals zu „Il Divinos“ Lebzeiten so aufgeführt wurde, oder es sich tatsächlich „nur“ um eine Zusammenstellung der Musikstücke durch seinen Verleger ist … und welche Rolle dabei Paul V. wirklich hatte … 1612 jedenfalls entließen die Gonzagas Monteverdi in Mantua und der zunächst Mittellose brauchte einen neuen Dienstherren.

Tatsache ist aber, dass Monteverdi nicht ein Erneuerer der geistlichen Musik ist, sondern auch der Vater der modernen Oper, wie wir sie heute kennen. Denn sein „L´Orpheo“ ist DIE Oper schlechthin. Auch die Erste! Ist die „Marienvesper“ bahnbrechend? Nein! Aber sie ist fantastisch, egal welche Geschichte hinter ihr steckt.

Der Dirigat Alarcón, die CAPELLA MEDITERRANEA und das CŒUER DE CHAMBRE NAMUR zauberten einen Klang kräftigen Hörgenuss. Und dass es sowohl Alarcón, als auch den beiden Ensembles Spaß machte, konnte man nicht nur hören, sondern auch sehen.

Wir werden hoffentlich noch öfter Alarcón und seine Ensembles in Dortmund, vielleicht nicht nur bei Klangvokal erleben und hören dürfen. Denn nicht nur Monteverdi ist „Il Divino“.




Bodybild oder wie viel Sahne verträgt eine Erdbeere?

Das KJT Dortmund hat mit Bodybild ein heißes Thema aufgegriffen, dass sowohl Kinder, Jugendliche als auch Erwachsene betrifft … nervt … bestimmt … quält …



Spätestens seit den Social Medien, hier besonders INSTAGRAM, herrscht ein unerbittlicher, ja fast schon faschistoider, Körperoptimierungsdruck, dem bereits Kinder ausgesetzt sind. Aber leider auch durch die Erwachsenen, ihre Eltern, zuerst, als ersten Rollenmodelle. Lange vor den A-Social Medien herrschte Druck in den Kinder- und Jugendzimmern. Waren es zuerst die Noten und der Numerus Clausus, kam schnell durch die Werbung, besonders die der Fashion Industrie, der optimierte Körper hinzu … der Leistungsdruck begann sich in den 1980er/90ern zu steigern.

Das Ensemble der Jugendclubproduktion "Bodybild" (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Das Ensemble der Jugendclubproduktion „Bodybild“ (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Waren die Bilder von Bruce Weber noch sportliche „Jedermann“ Typen bei Männern und Frauen, so wandelte sich das Trendbild in den 90er-Jahren mit den Female und Male Supermodels dramatisch. Die durchPeter Lindbergh für die Titelseite der Januar-Ausgabe 1990 platzierten Cindy Crawford, Naomi Campbell, Linda Evangelista, Christy Turlington und Tatjana Patitz setzten den Trend. George Michael veranlasste das, sie für sein Freedom ’90!Video zu casten. Später setzte Madonna mit Vogue einen weiteren Meilenstein, wie auch Dragqueen und LGBTIQIA+ Aktivist Ru Paul mit seinem Song Supermodel … ich liebe die Schluss Sentenz „you better work!“ Lange vor dieser Fashion Ikonen Welt galt u. a. Elizabeth Taylor als perfekte Schönheit. Zu den genannten Supermodels stießen später auch Claudia Schiffer, Stephanie Seymour, Kate Moss und Nadja Auermann. Aber auch bei den Männern gab es diese Supermodels. Da wäre zuerst einmal Markus Schenkenberg und Tavis Fimmel, von denen der Spruch kam, dass sie nicht im Fitness-Studio ihre Figuren geformt hätten … Tyson Beckford, später Jon Kortajarena, Evandro Soldati, Oliver Cheshire.

Ich selbst hatte eine langjährige Beziehung mit meinem idealtypischen Mann … in all den Jahren verdrängte ich dabei seine Probleme mit sich selbst, seinem Aussehen, seinem Körper, seiner Sexualität und seinem daraus resultierenden eigentlich nicht vorhandenen Selbstwertgefühl. Gutes zureden und an den richtigen Stellen bestätigen halfen nichts. Es wurde toxisch und ich musste die Reißleine ziehen. Der Teller war schön … aber … im Grunde leer.  Manchmal hatte ich das Gefühl, er lebt in einer Dailysoap oder einer Vorversion von Instagram.

Sie alle, inklusive der Modefirmen und Werbeindustrie, man denke allein an die ersten Lätta TV Spots, diktierten nun, wer wie auszusehen hatte … Tragisch, als Mann, wenn man nicht den V-förmigen Oberkörper hatte, besonders tragisch, weil als Unterdrückungsmechanismus verwandt, wenn Frauen nicht die Idealmaße hatten. Hier setzte erstmals Dove in seinen Spots in den 2000ern einen signifikanten und notwendigen Kontrapunkt. Sosehr die Dove Kampagne gerühmt wurde, so wenig Wirkung hatte sie leider … Bodyshaming ist besonders beliebt unter denen, die besser, sorry, ihren Mund halten sollten, wie die Maulaffen aus der Ansammlung führerputinageiler Dauerlutscher mit ihrem frauenverachtenden Weltbild, trotz Quotenfrauen … Wobei zu statuieren ist, dass Hass häSSlich macht.

Bodybild beginnt genau dort, bei und mit dem „geforderten“ Körperkriterien … sie werden im Intro aufgezählt und immer wieder mit dem Zusatz versehen „normal eben“.

Aber was ist „normal“? Dem genau geht Bodybild rasant auf die Spur, um sich in einem „Gehen Lassen“ orgiastisch fast zu implodieren, also dem Körperidealbild. Denn früh regt sich im fantastisch spielenden Ensemble erste Gegenwehr gegen das Schönheitsideal, weil der Druck zu groß, zu übermächtig wird. Weil man sich selbst nicht mehr in dem optimierten Körper wohlfühlt und sich in einer permanenten Diätspirale befindet. Wo bleibt die eigene Stimme, auch wenn man von seiner Umgebung angezweifelt, dass man den terrorhaften, faschistoiden Druck des/der geltenden Schönheitsideale nicht mehr gehorchen will.

Wie aber entdeckt man sein eigenes Schönsein, seinen eigenen Golden Cut, zwischen all den glatten glitzernden Oberflächen, schönen Körpern, perfekt ausgeleuchteten Werbungen und Instagram Fotos/Posts und Destinationen? Der Golden Cut ist evolutionär in uns und beflügelt das Schönheitsideal.

Das Selbst, sein eigenes Ich zu finden, ist gar nicht so leicht, wenn man sein Leben im Selfie Modus zu führen gewählt hat, aber trotzdem an sich zweifelt und sich selbst sucht. Wir Zuschauer können es nachvollziehen oder sich hineinversetzen in die Protagonisten auf der Bühne, die um ihr Selbst und Selbstbild sehr eindringlich und, wenn auch plakativ, authentisch kämpfen.

Am eindringlichsten wurde der Weg zum eigenen Selbst, und eigenen Schönheitsideal, bei dem orgiastischen Picknick mit Waffel und Sahne … Ich selbst pflege immer etwas Kaffee zu meinem Zucker zu trinken … Zur Sahne brauchte es eine Waffel als Grundlage, und kein in Orangensaft getauchtes Wattebäuschen … Oder wie viel Sahne passt auf eine Erdbeere?

Das Stück, basierend auf dem Text von Julia Haenni, welcher schon 2019 entstand, wurde am KJT zum Ausgangspunkt für das KJT Dortmund und seiner eindringlichen Bühneninterpretation zu den Themen Körper, Stereotypen, Schönheitswahn, Selbstwahrnehmung, Selbstoptimierung und Gender. Die Schauspieler*innen, zwischen 16 und 25 Jahren alt, erarbeiteten gemeinsam mit dem Regieteam eine körperliche Show der Bodybilder, extrem spielfreudig und begeisterndes, humorvolles, manchmal mit dem Lacher im Halse stecken bleibend und erfrischend direktes Schauspiel, das, so kurzweilig es ist, sehr nachdenklich macht und machen will.

Eine gelungene Theatershow mit Tiefgang und Grundberührung, Ein sehenswertes Stück, nein ein Must See egal welches Alters, von und mit

Künstlerische Leitung                        Christine Appelbaum und Franziska Hoffmann

Ausstattung                            Sandra Linde

Choreogrphie                          Janna Radowski

Dramaturgische Beratung      Milena Noëmi Kowalski

Produktionsassitenz               Hannah Löwer

Desreller*innen                      Carla

                                               Merit Briese

                                               Nessa Cofala

                                               Daria Deuter

                                               Charlie Lutomski

                                               Stelle Hanke

                                               Paula Hees

                                               Julie Meyer

                                               Hanna Pfafferot




Inside Carmen

… oder befreit man eine Bühnenlegende von toxischer Männlichkeit

Carmen aufgefrischt und „zurecht“ gemacht für das 21.Jahrhundert. Eine emanzipierte Carmen, befreit von Klischees und Zerrbildern des 19.Jahrhunderts, in dem sich heute leider immer noch zu viele bewegen oder wieder zurückhaben möchten.



Die Carmen, der in Noten gegossene feuchte Männertraum, der Jungen Oper Dortmund entstieg schon mal untypisch einem toten Stier … wobei der Stier Carmens unausweichliches Schicksal symbolisiert, wie auch der Stier im Kampf in der Arena etwas archaisch Sexualisiertes darstellt.

Lennart Pannek (Don José), Lina Förster (Carmen)
Foto: (c) Björn Hickmann
Lennart Pannek (Don José), Lina Förster (Carmen)
Foto: (c) Björn Hickmann 

Meine Grandmère benutzte gerne, auch für Braunauer, das Wort Männeken/s, weil sie ihr toxisch daherkamen. Erstaunlich für eine Dame Jahrgang 1899. Aber meine Grandmère war schon vor 1919 emanzipiert und brauchte auch keine verlorene Schwarzer.

Hört man den Namen der Oper von George Bizet, Carmen, dann haben die meisten sicher ein Bild von Erotik, überbordender Sinnlichkeit, Verführung und verbotener Liebe, aber von einer verruchten Halbwelt. Lina Förster präsentierte uns eine andere Carmen als die gewohnte Projektion von toxischer Männlichkeit.

Die Carmen, ein erotisch prägender oder besser geprägter Bühnenklassiker, von George Bizet tropfte immer schon vor toxischer Männlichkeit und stellte Carmen als Lustobjekt ins Rampenlicht. Frei nach „mit der könnte ich auch mal“ … die typische Aussage derer, die aus welchen Gründen auch immer, über bleiben am Ende einer Party, oder einer anderen Veranstaltung mit Brautschaueffekt. Die Carmen von Bizet war als Produkt des 19. Jahrhunderts und der „Nichtrolle“ von Frauen darin, ein somit typisches Weibchen Schema und Projektionsfläche für Männerphantasien … etwas das in AltRight Kulturkampf gerade widerliche Auswüchse erlebt.

Doch das schillernde Wesen von Carmen kommt mit einem immens hohen Preis. Die leidenschaftliche Affäre mit Don José, von Lennart Pannek eindringlich dargestellt, besessen von dem Bild, dass er sich von Carmen gemacht hat, endet in einer Katastrophe.

Hat Carmen es mit ihrem Freiheitsdrang, ihrer Lust am Leben zu weit getrieben? Sie eckt an, auf der Arbeit, bei Feiern. Sie lebt ihr Ding, emanzipiert und frei von Zwängen. Sie ist kein Weibchen, wie so mancher Mann / Männeken es gerne haben möchte. Frauen auf Augenhöhe mit ihnen können sie nicht vertragen, reizen sie. Wie der Chef der Polizeitruppe, der kurz davor ist abzudrücken … ein Menetekel dem Carmen fassungslos gegenüber steht.

Was Carmen unter Liebe versteht, sie liebt ihre uneingeschränkte Freiheit der Gefühle. Sie will sich auch von moralischen Bindungen und gesellschaftlichen Zwängen nicht einengen lassen. Sie weiß ihre Reize einzusetzen und betört damit Frauen, eher ungewollt, wie die Kartenlegerinnen, und Männer gleichermaßen. Aber, sie ist aber kein leichtes Mädchen. Ihre bei Bizet doppelt sexualisierte Rolle, weil dessen Carmen nicht nur wie ein leichtes Mädchen daher tanzt, sondern auch eine „Zigeunerin“, Sinti. ist. Damit bricht Alexander Becker und lässt seine Carmen leben wie eine selbstbewusste Frau des 21.Jahrhunderts.

Leichtfüßig und humorvoll, auch dank des Conferencier Quartetts (Moderator*innen), kommt unsere Carmen der Jungen Oper Dortmund auf die Bühne und nutzt dabei auch Popsongs neben den Opernmelodien. Das Carmen eine Sinti ist wird durch GIPSY La Gaga verdeutlicht. Ihr Lebensgefühl hingegen kommt viel besser in den Popsongs DON’T LET ME BE MISUNDERSTOOD von  Santa Esmeralda in seiner nunmehr auch klassischen DISCO Version und HUMAN von The Killers zum Vorschein.

Alexander Becker und die Junge Oper haben Carmen wirklich ins 21.Jahrhundert geholt und auch jungen Menschen zugänglich gemacht.

Dadurch wird auch das aufgeladene Spannungsverhältnis zwischen dem alten und überkommenen Wunschbild von einer Frau und ihren tatsächlichen Wünschen und Bedürfnissen, hier von Carmen, aufgelöst … obgleich Carmen immer noch in einem Femizid endet. Die Femme Fatal aber wird von ihrem Sockel gehoben und bekommt Menschlichkeit. Das zeigt sich auch in dem Zwiegespräch von Micaëla, glänzend gespielt und gesungen von Lisa Pauli und Carmen deutlich-

Die Junge Oper spielte und spielt eine von toxischer Männlichkeit, aber durch sie bedrohte, befreite Carmen ohne die Korsage des 19.Jahrhunderts oder irgendeinen Kopftuchzwang. Ein Ohren- und Augenschmaus, auch für das Instagram Zeitalter.

Carmen                       Lina Förster
Don José                     Lennart Pannek
Micaëla                       Lisa Pauli
Escamillo                    Malte Beran Kosan, Jan Schebaum
Le Remendado           Ulrich Kemajou
Le Dancaïre                 Massimo Buonerba
Zuniga                         Maximilian Berns
Mercédès                    Celina Sedlatschek
Frasquita                     Lilli Schnabel
Moderator*innen       Jacob Ambrosius, Lena Frericks, Selma Kirketerp, Jonathan Pannek

Ensemble

(OpernYoungsters)     Lilli Bracklow, Kathrin Engelhardt, Sabine Flora, Katja Lehnen,                                           Johanna Niesse, Sophie Marie Stein
Ensemble

(OpernKids)                Lilia Al-Jundi May, Rosa Al-Madani, Emil Schreier, Hannah Boeck,                                     Can Böhler, Enya Dehrenbach, Lisa Kemper, Felix Kemper, Cataleya                                 Maria Kronwald, Liselotte Thiele

Projektorchester        Inside Carmen
Flöte                            Marlene Ambrosius
Oboe                           Pauline Hensel
Klarinette                    Simon M. Schebaum
Trompete                    Marc Scherbarth
Posaune                      Jonas Wirtzfeld
Violine 1                      Johanna Töpfer, Patricia Gildekötter, Lukas Meyer Puttlitz
Violine 2                      Elisabeth Bovensmann, Nevio Cafuk, Fay Fahl
Bratsche                      Carolin Bernhard, Lars Pollmeier
Kontrabass                  Daniel Gruber
Schlagwerk                 Finn Birk
Piano                           Florian Koch
E-Gitarre                     Anton Krun
E-Bass                         Sabrina Neumann

Musikalische Leitung Andres Reukauf
Inszenierung               Alexander Becker
Bühne und Kostüme   Dorothee Schumacher
Licht                            Bianca Fischer
Choreografie              Jutta Maas
Choreinstudierung &

Musikalische Assistenz Karsten Scholz
Vocal Coaching           Marcelo de Souza Felix, Wendy Krikken
Dramaturgie               Daniel Andrés Eberhard
Projektleitung &

Orchester Koordination Kristina Senne
Regieassistenz            Fabius Tietje
Produktionsleitung     Fabian Schäfer
Kostümassistenz         Nina Albrecht-Paffendorf




Caravaggios Reise – musikalische Hommage

Das Festival Klangvokal brachte uns die Musik von Michelangelo Merisi da Caravaggio in einem fantastischen A-Capella-Konzert näher.



Caravaggio war ein unkonventioneller Künstler, ein Meister des Lichts, der zahlreiche Filmschaffenden beeinflusst hat, Licht in Szenen zu setzen. Er war ein Geschichtenerzähler mit Bildern, ein offener schwuler Mann an der Schwelle zur Renaissance zum Barock.

Die Cappella Mariana entführte die Zuhörer:innen in das Zeitalter von Caraviaggo. (Foto: (c) Bülent Kirschbaum)
Die Cappella Mariana entführte die Zuhörer:innen in das Zeitalter von Caravaggio. (Foto: (c) Bülent Kirschbaum)

Caravaggio hatte mächtige Gönner, die auch wie er, mehr am eigenen Geschlecht interessiert waren und soweit es ging, ihre schützenden Hände über ihn hielten … wobei das nicht immer gelang. Die Händel, die der aufbrausende, jähzornige Maler immer wieder provozierte, führten zu einem Duell. Die Ursache ist unbekannt. Vielleicht ging es um einen Liebhaber?

Das Ensemble Cappella Mariana unter der Leitung von Vojtěch Semerád, Hana Blažiková, Barboa Kabáthová, Daniel Čermáková, Tomáš Lajtkep, Ondřej Holub und Jaromír Nosek intonierte die CapellaMadrigal Gesänge aus der turbulenten Zeit des Wechsels von der Renaissance zum Barock in Italien.

In wechselnder Besetzung intonierte das Ensemble in mitnehmender Weise, geradezu, um sich hinweg zu träumen, oder Traum zu wandeln, unterstützt von den eingeblendeten Meisterwerken, des Lichtregisseurs Michelangelo Caravaggio.

Die Musikstücke kamen von verschiedenen Zeitgenossen von Caravaggio und handeln in erster Linie von Liebe und Sehnsucht, wovon Caravaggio getrieben war.

Die gezeigten Gemälde und ihre darin dargestellten Figuren stammten zumeist von Straßen der Wirkungsorte des Meisters des Lichts, Straßenjungen, Spieler, Tagelöhner und Dirnen. Diese Personen bildeten einen derben Kontrast zu den Liebesliedern, aber aus religiösen Themen wie „Ilumina nos“ aus Sacrae Cantiones II. Bis auf Claudio Monteverdi, dessen Oper L´Orfeo einem breiteren Publikum bekannt ist, dürften die anderen Musikschaffenden weniger bis unbekannt sein. Dennoch schufen sie Meisterwerke der Musik, und Ohrenschmaus für Liebhaber des Madrigal.

Klangvokal hat es wieder einmal geschafft, mit dem Ensemble der Cappella Mariana einen fantastischen Gesangsabend nach Dortmund zu bringen, der beinahe nicht zustande gekommen wäre. Glücklicherweise konnte er jetzt etwas mehr als ein Jahr nach dem ursprünglichen Termin dieses Jahr stattfinden.

Caravaggios Reise endet vorzeitig 1610 in Porto Ercole mit ungeklärter Todesursache, ohne seine Begnadigung erhalten zu haben, auf die er dort gewartet hatte. Der getriebene Mensch, dem kein Glück vergönnt war, aber der Welt seine Meisterwerke schenkte.




BOYBAND – wann ist ein Mann ein Mann

Das Theaterkollektiv notsopretty, in Kooperation mit dem Ringlokschuppen Ruhr, führte das Stück über Männlichkeit, männliche Sexualität und die gesellschaftliche Stellung des Mannes in Theater im Depot in der Immermannstraße 29 auf.



Eine Boygroup oder Boyband (englisch boy band) ist eine Popgruppe mit ausschließlich männlichen Mitgliedern im Teenager- und Twen-Alter, die oft auch synchron zum Gesang tanzen. Nicht unter diesen Begriff fallen für gewöhnlich rein männliche Bands, deren Mitglieder Instrumente spielen

Bereit zum Auftritt: Die Boyband. (Foto:  (c) Anne Spindelndreier)
Bereit zum Auftritt: Die Boyband. (Foto: (c) Anne Spindelndreier)

Die Bezeichnung, Boygroup oder Boyband, wird erst seit den 1990er-Jahren verwendet, auch wenn das Konzept der analog zu Girlgroups meist von Managern oder in einem Casting zusammengestellten Gruppen bereits früher erfolgreich war. So in den 1960ern die Monkees, in den 1970ern die Bay City Rollers und die New Kids on the Block in den 1980ern, übrigens produziert in Deutschland, in Herne. Dann kamen die geradezu identisch konzipierten Gruppen wie Take That, East 17, Worlds Apart, Backstreet Boys, *NSYNC (beide letzteren Lou Pearlman) und Caught in the Act. Mitte der 1990er-Jahre wurde der Begriff Boygroup im deutschen Sprachraum geläufig. In der ersten Hälfte der 2010er-Jahre war One Direction international erfolgreich, in der zweiten Hälfte war vor allem die südkoreanische Gruppe BTS bis heute populär. Gecastet Boygroups und der K Pop sind seit den 1980ern vor allem in Asien sehr erfolgreich. Seit den 2010er-Jahren zunehmend weltweit.

Eine Besonderheit von Boygroups ist ihr kommerzieller Charakter, da sie auf die Zielgruppe der weiblichen Teenager ausgerichtet sind. Daneben bedienen die Boygroups auch die LGBTQIAplus community, aber ohne das zu verbalisieren. Und leider werden Gruppenmitglieder, die gay sind, daran gehindert sich zu outen, weil es die weiblichen Fans verschrecken würde … was eher eine calvinistische Prüderie ist als eine Tatsache. Zumal Boylove Filme und Mangas gerade unter weiblichen Lesern und Zuschauern größter Beliebtheit erfreuen.

Die Musik folgt aktuellen Trends, Satzgesang ist typisch. Ein Musikproduzent überwacht das Gesamtkonzept von der Musik über die Choreografien bis zum Image. Oft lösen sich Boygroups nach einigen Jahren wieder auf, wenn ihre Fans das Teenager-Alter verlassen haben oder eine neue Gruppe vermarktet werden soll, wobei aber einzelne Mitglieder durchaus auch Solo-Karrieren durchlaufen und sich, wie Robin Williams, dauerhaft etablieren können. Die koreanische K Pop Gruppe BTS ist hier eine herausragende Ausnahme, weil sie länger stabil im Markt blieben; Kulturbotschafter Koreas sind und jetzt in eine „Militärpause“ gehen, da sie ihre Militärpflicht erfüllen müssen.

Soweit der Exkurs, nun zum Stück. Es beginnt mit Versatzstücken aus Gesprächen und Fragen an die Protagonisten. Oberflächlichkeiten, die an Instagram-Posts erinnern, sie bleiben unbeantwortet. Wie die unerfüllten Liebessehnsüchte ihrer Fans. In diesen Fragen schwingen Sex und Homoerotik offen und unterschwellig mit. Und über allem schwebt die Frage, was ist das Konzept „Mann“ eigentlich, wie definiert sich ein „Mann“, wie muss oder soll er sein?

Wie toxisch das Konzept Mann ist, wird im Lauf des Stückes immer deutlicher. Ohne dabei an den derzeitigen Krieg zu denken, wo russische Soldaten und Wagner Söldner die in Russland gelebte toxische Männlichkeit „ausleben“, inklusive Vergewaltigung.

Wie schnell diese toxische Männlichkeit, deren Vertreter meine Grandmère immer mit „Männekens“ bezeichnete, gefährlich abgleiten kann, wird im weiteren Verlauf des Stückes von den Protagonisten gut herausgearbeitet und dargestellt.

Im Stück bleibt es nicht bei der Anklage, sondern es wird eine Lösung angeboten, die gerade unsere AltRight Helden im Reichsbürger- und Blut und Boden Wahn auf die hier nicht wachsenden Palmen treibt. Die das Gendern der Sprache, am alten Männlein-Konzept festhaltend, kategorisch ablehnen und dafür einen in Russland, durch einen gewissen Dugin, pervertierten Begriff verwenden, der eigentlich aus der Afro-Community der USA kommt: „woke“. Damit wird alles abgelehnt, was nicht konservativ „männlich“ ist, beginnend beim Gendern, über Trans-Menschen und am Ende alles was LGBTQIAplus ist sowie einfühlsame, sensible Männer, die sich erlauben auch Gefühle zu zeigen.  Der Ausspruch, dass alle Wölfe sein müssen, wabert in den Köpfen der AltRight (Faschisten/NAZIs) vor sich hin. Wo das endet, sieht man in der Ukraine und vor 90 Jahren hier in Deutschland.

Woke entstand im Übrigen in den 1930 in den USA unter der Afroamerikanischen Bevölkerung, die sich für Demokratie, Teilhabe, Bildung, Weltoffenheit und Menschenrechte interessierten.

Die drei Schauspieler, David Martinez Morente, Lars Nichtvontrier und Felix Breuel, schwirren zum Höhepunkt im „transparenten“ Drag als geschlechterübergreifende, fluide Individuen auf der Bühne umher und reißen das Publikum mit in den Strudel.

Zum Ende hin wird deutlich, wie sehr Männlichkeit ein Konstrukt ist, in das wir als Männer und Frauen, die Weibchen in dem primatösen Konzept, hinein geordnet und erzogen werden. Ein toxisches Konzept, das schon Herbert Grönemeyer mit „Wann ist man ein Mann?“ hinterfragte.

Eine Buchempfehlung zum Thema Boygroup/-band

Georgina Gregory: Boy Bands and the Performance of Pop Masculinity. Routledge, New York / London 2019, ISBN 978-1-138-64731-2.

Konzept / Künstlerische Leitung        notsopretty

Video                                                  Pooyesh Frozandek

Technik                                              Nils Hestermann

Outside Eyr                                        Miriam Michel

Grafikdesign                                      Viviane Lennert

Fotographie                                       Anna Spindelndreier