Gefühlsstürme – Kammermusik im sweetSixteen-Kino

Das sweetSixteen-Kino im Dortmunder Depot ist sonst ein Ort für Filmkunst – doch an diesem Novemberabend wurde es zur Bühne für große Emotionen. Beim ersten Kammerkonzert der Reihe unter dem Titel „Gefühlsstürme“ verwandelte sich der kleine Saal in einen Raum intensiver musikalischer Nähe. Die Akustik erwies sich als warm und klar, jeder Bogenstrich war hörbar, jede Nuance spürbar – eine perfekte Umgebung für Kammermusik, die berührt und fordert.

Das Belsima Quartett – Rika Ikemura und Haruka Ouchi (Violine), Hanna Schumacher (Viola) und Sofia Lucía Roy (Violoncello) – nahm das Publikum mit auf eine Reise durch drei Jahrhunderte musikalischer Gefühlskunst: von Viktor Ullmanns erschütternder Ausdruckskraft über Beethovens ungestüme Energie bis zu Mendelssohns romantischer Innigkeit.

 

Viktor Ullmann – Musik als Widerstand

Den Auftakt bildete Viktor Ullmanns Streichquartett Nr. 3, komponiert 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt. Kaum ein Werk zeigt eindrücklicher, wie Kunst selbst unter unmenschlichen Bedingungen zu einer Form des Widerstands werden kann.
Das Quartett spielte mit großer Klarheit und emotionaler Intensität. Im Wechsel zwischen drängenden, fast verzweifelten Passagen und zarten Momenten des Innehaltens entstand ein Klangbild von existenzieller Tiefe. Besonders das Largo wirkte wie ein stilles Gebet, das am Ende in ein trotziges, rhythmisch pulsierendes Finale mündete.

„Gefühlsstürme“ war damit nicht nur ein Konzerttitel, sondern eine Erfahrung
„Gefühlsstürme“ war damit nicht nur ein Konzerttitel, sondern eine Erfahrung

 

Beethoven – Sturm und Ordnung

Mit Beethovens Streichquartett Nr. 4 c-Moll, op. 18/4 kehrte das Programm in die Klassik zurück, doch die Leidenschaft blieb. Schon der junge Beethoven zeigt hier seine unbändige Energie, die das Belsima Quartett mit technischer Brillanz und feinem Gespür umsetzte.
Das Zusammenspiel war präzise und lebendig, die musikalischen Dialoge zwischen den Stimmen wirkten spontan und organisch. Besonders das temperamentvolle Finale „Allegro – Prestissimo“ ließ spüren, warum Beethovens Musik bis heute elektrisiert.

 

Mendelssohn Bartholdy – Jugendliche Sehnsucht

Nach der Pause folgte mit Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquartett Nr. 2 a-Moll, op. 13 ein Werk voller Romantik und innerer Bewegung. Der junge Mendelssohn – kaum achtzehn Jahre alt – verarbeitete darin persönliche Empfindungen und musikalische Bewunderung für Beethoven zu einem Stück von berührender Emotionalität.
Das Belsima Quartett brachte diese Mischung aus jugendlicher Leidenschaft und lyrischer Zartheit wunderbar zum Klingen. Das Adagio, fein phrasiert und warm im Ton, wurde zum emotionalen Zentrum des Abends.

 

Ein Ort, der Musik atmet

Das Konzert zeigte eindrucksvoll, wie viel Atmosphäre ein kleiner Raum entfalten kann. Das sweetSixteen-Kino, sonst Ort für anspruchsvolles Kino, bot mit seiner Nähe und Akustik eine ideale Bühne für Kammermusik. „Gefühlsstürme“ war damit nicht nur ein Konzerttitel, sondern eine Erfahrung – intensiv, konzentriert und menschlich nah.




Bist du Bär oder Pavian? Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute

Bist du Bär oder Pavian?

Die ebenerdige Bühne im Operntreff zeigt an diesem Morgen ein Zoogehege mit angedeuteter Mauer. Freier Blick auf die Bärenburg, den Affenbaum mit zwei grünen Blättern und den Murmeltierfelsen (Bühnenbild: Emine Günser). Auch die Instrumente des Ein-Mann-Orchesters (Sven Pollkötter) sind links und rechts in das Bühnenbild integriert. Die Dirigentin arbeitet versteckt und wird auf Monitoren übertragen, die das Publikum kaum bemerkt.

Das Murmeltiermädchen ist jung, lebhaft, interessiert und sehr vergesslich.

Der Bär ist eher langsam, dabei aufmerksam für seine Umgebung und nicht zufrieden mit dem, was er wahrnimmt.

Der Pavian ist cool, er fläzt sich auf seinen Baum. Ein bisschen Fellpflege, aber vor allem für Ordnung sorgen. Das angenehme Leben schützen. Nicht zu neugierig sein, nicht auffallen. Ein kleiner, kollegialer Rat.

Willst du der Pavian sein?

Die beiden Sängerinnen (Wendy Krikken und Cosima Büsing) und ihr Kollege Franz Schilling verkörpern die drei Tiere in einem Zoo, der an einen weiteren Zaun grenzt. Eine Grenze, hinter der die Gestreiften eingepfercht sind. Von Gestiefelten. Einen solchen Zoo gab es neben dem Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.

Nach intensiven Recherchen zu diesem fast vergessenen Zoo entwickelte der Autor Jens Raschke vor zwölf Jahren sein Theaterstück, zu dem die Junge Oper Dortmund jetzt eine Komposition in Auftrag gab. Zur Uraufführung am 10.11.2025 am Platz der Alten Synagoge in Dortmund reiste Jens Raschke eigens an. Im Raum saßen Kinder von der siebten Jahrgangsstufe aufwärts, intensiv von der Theaterpädagogin Kristina Senne und ihren Lehrerinnen und Lehrern in verschiedenen Fächern vorbereitet. Dazu auch eine ganze Reihe von Erwachsenen.

Foto: Franz Schilling, Wendy Krikken, Cosima Büsing(c) Björn Hickmann
Foto: Franz Schilling, Wendy Krikken, Cosima Büsing
(c) Björn Hickmann

Das Thema eine Herausforderung, aber auch die musikalische Umsetzung, wie der Komponist Edzard Locher in der anschließenden Nachbesprechung zugab. Keine Verse, keine Reime. Manche Sätze werden auch gesprochen, mehr als in anderen Opern und der Schluss ist auch als Ensemblearbeit zu verstehen. In den Proben unter Regisseur Stephan Rumphorst haben alle Beteiligten die Vorlagen weiterentwickelt.

Die Sängerinnen und Sänger stellen ihre Tiere sehr glaubwürdig dar. Ihr Verhalten sorgt auch immer wieder für ein Schmunzeln im Publikum. Hin und wieder treten sie auch vor die Mauer und sind Gestiefelte und Gestreifte, Kinder und Erwachsene. Das Leben vor dem Zaun beeinflusst die Tiere, aber auch das Leben und Verhalten im Zoo hat Auswirkungen auf das Lager. Wenn der Bär nicht zur Unterhaltung beiträgt, müssen die Gestreiften leiden.

Das Wort „Buchenwald“ fällt nicht, das Lager ist nicht zu sehen, aber die beklemmende Nähe ist spürbar. Die damaligen „echten“ Besucherinnen und Besucher des Zoos wollen nichts gewusst haben, die Tiere auf der Bühne nehmen sehr viel wahr und riechen den Rauch aus dem weithin sichtbaren Schornstein. Bis es der Bär nicht mehr aushält.

Eine gelungene Uraufführung eines wieder aktuellen Themas, das auch als Oper wunderbar funktioniert. „Wenn man’s nicht mehr sagen kann, fängt man an zu singen.“

Auf jeden Fall sind alle im Publikum hochkonzentriert, anderthalb Stunden ohne Pause. Eine Aufführung für junge Menschen und am besten auch für Erwachsene.

Und jede und jeder kann sich auf dem Weg nach Hause selbst die Frage beantworten: Will ich Pavian sein oder Bär? Wie entscheide ich mich?

 

Weitere Termine unter www.theaterdo.de