Barocke Strahlen, französische Eleganz und amerikanische Rhythmen

Die virtuose französische Trompeterin Lucienne Renaudin Vary (26 Jahre jung) gastierte am 30. Oktober 2025 erneut im Rahmen des Formats Junge Wilde im Dortmunder Konzerthaus. Renaudin Vary ist sowohl als klassisch ausgebildete Musikerin als auch als Jazzkünstlerin international gefragt. Zudem gründete sie ihr eigenes Quintett. An diesem Abend standen ihr Bruder Philémon Renaudin Vary (Kontrabass) sowie das herausragende Quatuor Hanson mit Arthur Hanson (Violine), Jules Dussap (Violine), Gabrielle Lafait (Viola) und Simon Dechambre (Violoncello) als Streichquartett zur Seite.

Gemeinsam boten sie ein facettenreiches, epochenübergreifendes Programm, das durch das harmonische Zusammenspiel von Trompete und Streichern getragen wurde. Die Musiker*innen verzichteten auf erklärende Worte und ließen ihre Musik für sich sprechen.

Eröffnet wurde das Konzert mit dem Konzert für Trompete, Streicher und Basso continuo Es-Dur von Johann Baptist Georg Neruda (1708–1780). Im eindrucksvollen Zusammenspiel der Künstler*innen entfaltete sich barocker Glanz mit eleganten Linien, klaren Harmonien, liedhaften Oberstimmen und einer bewusst zurückgenommenen Begleitung.

Es folgten drei traditionelle Melodien, darunter ein berührendes Abendlied von Antonín Dvořák (1841–1904).

Mit George Gershwins berühmtem An American in Paris (1928, Fassung für Trompete und Streicher) führte das Ensemble das Publikum anschließend in eine ganz andere Klangwelt. In dieser Bearbeitung konzentriert sich das Werk auf den melodischen Kern der Komposition. Die Trompete verkörperte eindringlich den amerikanischen Reisenden im pulsierenden Paris – umgeben von hupenden Taxis, geschäftigen Boulevards und den Klängen der Cafés. Die rhythmische Vielfalt aus Ragtime, Blues, Jazz und Charleston sowie der melancholische Heimwehklang im Mittelteil traten hier besonders deutlich hervor.

Lucienne Renaudin Vary verzauberte mit ihrer Trompete erneut das Konzerthaus Dortmund. (Foto: (c) Simon Fowler)
Lucienne Renaudin Vary verzauberte mit ihrer Trompete erneut das Konzerthaus Dortmund. (Foto: (c) Simon Fowler)

Nach der Pause zeigte das Quatuor Hanson seine technische Brillanz und interpretatorische Sensibilität mit dem Streichquartett F-Dur op. 35 von Maurice Ravel (1875–1937). Dieses Werk verlangt einerseits ein tiefes Verständnis für klassische Klangkultur, andererseits ein feines Gespür für moderne Farbgebung und subtile Klangnuancen.

Den Abschluss bildete das Konzert für Trompete und Streichorchester „Intrada“ (2024) von Karol Beffa (*1973) – ein Werk, das in die unmittelbare Gegenwart führt. Die Komposition, eigens für Lucienne Renaudin Vary geschaffen, ist in drei Abschnitte gegliedert und verbindet Elemente der Klassik mit rhapsodischen Linien, lebendigen rhythmischen Impulsen und gelegentlichen jazzartigen Wendungen. Die Trompete agiert dabei nicht als dominantes Soloinstrument, sondern tritt in einen spannungsreichen Dialog mit dem Streichensemble – ein klanglich reizvolles Wechselspiel zwischen Virtuosität und Empfindsamkeit.

Als Zugabe präsentierte Renaudin Vary schließlich die Trompete pur – strahlend, ausdrucksstark und mit einer Leichtigkeit, die das Publikum begeistert entließ.




Johannes-Passion als musikalisch-emotionales Erlebnis

Es war zwar nicht Karfreitag, doch die Dortmunder Philharmoniker unter der sensiblen und leidenschaftlichen Leitung von Generalmusikdirektor Jordan de Souza machten die Aufführung von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion BWV 245 am 28. und 29. Oktober 2025 im Konzerthaus Dortmund zu einem musikalisch wie emotional tief bewegenden Ereignis.

Bachs erstes großes Passionswerk entstand 1724, kurz nach seinem Amtsantritt als Thomaskantor in Leipzig – unter enormem Zeitdruck und hohen Erwartungen. Im Vergleich zur später komponierten Matthäus-Passion beeindruckt die Johannes-Passion durch ihre komprimierte Form und ihre unmittelbare, fast theatralische Dramatik.

Die Vertonung der Leidensgeschichte Christi nach dem Johannesevangelium verlangt nach einer vielgestaltigen Besetzung: mehrere Solist*innen, Chor und Orchester erzählen gemeinsam das Geschehen. In den wechselnden Dialogen zwischen Evangelist, Jesus, Pilatus und dem Volk entfaltet sich ein bewegendes Wechselspiel von Nähe und Distanz, Reflexion und Anklage.

Obwohl es eigentlich nicht die passende Zeit vor, ein Ereignis war die Johannes-Passion dennoch.
Obwohl es eigentlich nicht die passende Zeit vor, ein Ereignis war die Johannes-Passion dennoch.

Als Evangelist überzeugte der britisch-deutsche Tenor Kieran Carrel mit klarer Diktion und eindringlicher Erzählkunst. Die russisch-libanesische Sopranistin Anna El-Khashem begeisterte durch ihre leuchtende, dabei stets kontrollierte Stimme, während die in Köln geborene Mezzosopranistin Anna Lucia Richter ihre Arien mit emotionaler Tiefe und kammermusikalischer Feinheit gestaltete. Der Stuttgarter Bariton Michael Nagy verlieh seinen Partien Würde und Wärme, Mandla Mndebele überzeugte als menschlich naher Christus, und Ks. Morgan Moody zeichnete einen vielschichtigen Pilatus zwischen Macht und Zweifel.

Getragen wurde die Aufführung von den beiden großen Chören der Chorakademie Dortmund – dem Jugendkonzertchor (Einstudierung: Johannes Honecker) und dem Konzertchor Westfalica (Einstudierung: Johannes Honecker und Volker Hagemann). Mit ihrem präzisen, kraftvollen und doch transparenten Klang prägten sie entscheidend die Atmosphäre des Abends. Die zwölf vierstimmigen Choräle, deren Melodien und Texte dem evangelischen Gesangbuch entnommen sind, bildeten emotionale Ruhepunkte inmitten des dramatischen Geschehens.

Im zweiten Teil – der Verhandlung vor Pilatus und der Kreuzigung – wurden die Chöre als „geifernde Volksmenge“ in das Geschehen einbezogen. Musikalisch war dies zwingend und packend umgesetzt, zugleich aber erinnerte die Szene an die problematische christliche Tradition der pauschalen Schuldzuweisung an „die Juden“. Umso stärker wirkte Bachs überzeitliche Botschaft der Nächstenliebe, des Mitgefühls und der inneren Erneuerung.

Mit den letzten, sanft versöhnlichen Klängen der Grablegung findet Bach zu einer berührenden Ruhe. Nach all der Dramatik und Erschütterung lässt er am Ende das Licht der Versöhnung aufscheinen – ein leiser, aber nachhaltiger Trost, den die Dortmunder Philharmoniker in dieser Aufführung eindrucksvoll zum Klingen brachten.




Geteilte Vergangenheit, gemeinsame Zukunft – Deutschland und Kamerun im Spiegel der Kunst

Die Geschichte zwischen Deutschland und Kamerun ist eine Geschichte von Eroberung, Widerstand und Begegnung – aber auch eine Geschichte des Schweigens, das erst allmählich gebrochen wird.

Als Deutschland 1884 Kamerun zum „Schutzgebiet“ erklärte, begann ein Kapitel europäischer Kolonialherrschaft, das von Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung geprägt war. Hinter der beschönigenden Bezeichnung „Protektorat“ verbarg sich ein System der Kontrolle, das Land und Menschen seinem ökonomischen Nutzen unterwarf. Deutsche Handelsgesellschaften eigneten sich riesige Flächen an, die einheimische Bevölkerung wurde zu Zwangsarbeit verpflichtet, ihre Rechte und Kulturen wurden ignoriert oder zerstört.

Szene aus "BÂTIR LE COMMUN". Foto: (c) Kathleen Kunath
Szene aus „BÂTIR LE COMMUN“. Foto: (c) Kathleen Kunath

Doch die koloniale Herrschaft stieß von Anfang an auf Widerstand. Kamerunische Gemeinschaften leisteten mutigen Widerstand gegen die militärische Übermacht – etwa die Bakweri gegen Landenteignungen an den Hängen des Kamerunbergs oder die Duala, die gegen die Verletzung ihrer Handelsrechte protestierten. Diese Akte des Widerstands sind Teil einer Geschichte, die in der deutschen Erinnerung lange verdrängt blieb, während sie in Kamerun als Ausdruck nationaler Selbstbehauptung weiterlebte.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 endete das deutsche Kolonialprojekt abrupt. Frankreich und Großbritannien besetzten das Gebiet, und 1918 besiegelte der Versailler Vertrag den Verlust der deutschen Kolonien. Kamerun wurde geteilt – ein Symbol für die anhaltende Fremdbestimmung durch europäische Mächte. Dennoch bleibt die Zeit der deutschen Herrschaft ein prägendes Fundament der kamerunisch-deutschen Beziehungen – ein Erbe, das bis heute Fragen nach Verantwortung, Erinnerung und Gerechtigkeit aufwirft.
Eine interessante Facette dieses Erbes zeigt sich auch im kulturellen Bereich: In Kamerun entstand im Laufe der Kolonialzeit Tänze, der unter Einfluss der deutschen Kolonialherren entstanden beziehungsweise von ihnen inspiriert wurden. Beispiele dafür, wie koloniale Begegnung – auch wenn sie von Unterdrückung geprägt war – in kultureller Hybridität münden konnte.
Im Rahmen des Stücks „BÂTIR LE COMMUN“, das am 25.10.2025 im Theater im Depot gezeigt wurde, eröffneten die Tänzerinnen aus Kolumbien, Japan und dem Balkan eine Perspektive, die weit über die deutsch-kamerunische Beziehung hinausreicht: Sie erzählten von Kolonialisierten und Kolonialherren, von Machtverhältnissen und Verflechtungen. Begleitend zu ihren Tanzeinlagen wurden auf einer Videoleinwand Aussagen von Nachfahren der Widerstandskämpfer:innen eingeblendet und machten die „Stimme von unten“ hörbar.
Der Abend mündete in ein gemeinsames Tanzevent im Theatersaal – als symbolisches Zeichen dafür, wie Erinnerung, Bewegung und Gemeinschaft zusammenkommen können. Dabei wurde aus der geteilten Vergangenheit eine greifbare Einladung zur gemeinsamen Zukunft, zu einem veränderten Blick auf die Gegenwart – zwischen Deutschland und Kamerun und weit darüber hinaus.