Solange Sie mich sehen, existiere ich.
Climb a mountain – Tanzperformance
In einem eng umgrenzten Quadrat aus vier Leuchtröhren auf einer weiten, weißen Ebene mit einer weißen Leinwand im Hintergrund befindet sich Joy. Joy, die Tanzende auf der Bühne, die genauso heißt wie die international erfahrene Tänzerin Joy Kammin im Leben abseits der Bühne. Ein Zucken fährt durch ihren Fuß, die Bewegung erfasst nach und nach den Körper. Alles kommentiert beziehungsweise erklärt von Joy selbst. Aber spricht sie? Oder sind das die Anweisungen aus der KI, der künstlichen Intelligenz aus der App, die die Choreographin Julia Riera, die in Tilburg zeitgenössischen Tanz studierte und bereits Stipendiatin der Tanzrecherche NRW war, mit der MIRA-Tanzproduktion entwickelt hat und nutzt?
Joy bewegt sich in dem Viereck, manche Sequenzen wiederholen sich in den Anweisungen, die Ausführungen ähneln sich nur scheinbar. „Ich bin stark, ich kann das schaffen.“ Irgendwann löst sie sich aus dem Viereck. Von der Decke abhängende weitere Röhren erhellen die gesamte Bühne (Lichtdesign Jasper Diekamp). Der Aktionsradius erweitert sich.
Ein Raum der Möglichkeiten eröffnet sich, aber das erzeugt auch Unsicherheiten. Die Tänzerin löst sich wie eine Wolke auf, um sich immer neu zusammenzusetzen. Textfragmente. Irgendwann verschwindet sie hinter der Leinwand. Man sieht, dass sie weiter tanzt, doch man sieht nur Schemen, die sich überlagern. Auflösungserscheinungen.
Sie kehrt zurück auf die Bühne, verlässt sie, um eine Hose anzuziehen, mit der sie sich „sicherer“ fühle. Das Spiel wird streckenweise bedrohlicher, verstärkt durch die Komposition von Timm Roller und die Lichtwechsel.
Doch Joy lächelt auch mit „dreihundert“ Muskeln und nimmt sich vor, Missverständnisse freudig aus dem Weg zu räumen.
Immer wieder setzt sie sich neu zusammen, wird sie hin- und hergeworfen vom Sturm und Brausen der Musik, vom Flackern des Lichts. Und steht letztlich im Dunkel, genau in der Mitte der Bühne.
Das Publikum benötigt eine ganze Weile, um zu begreifen, dass dies nun kein weiterer Fehler im System ist, sondern tatsächlich das Ende dieser in jeder einzelnen Sekunde spannenden Tanzperformance.
Dann gibt es den verdienten, lang anhaltenden Applaus und Joy existiert in den Köpfen sicherlich noch eine Weile weiter.
„Climb a mountain“ hatte seine Premiere am Samstag im Theater im Depot im Rahmen des Festivals „Beyond Gravity“ und markierte den Beginn der neuen Saison an der Immermannstraße. Es kann gern so weitergehen.
Beyond Gravity Festival ist ein biennales, interdisziplinäres Festival für Digitale Künste, Tanz und Performance. Diese zweite Ausgabe 2025 fand in einer Kooperation zwischen dem Theater im Depot, der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund und dem Kulturforum Witten statt.