Bröckelnde Fassaden einer dysfunktionalen Familie

Die slowenische Filmregisseurin Sonja Prosenc war mit ihrer Gesellschaftssatire Family Therapy als Wettbewerbsfilm im Rahmen des IFFF in Dortmund (Schauburg) am 04.04.2025 zu sehen.
Mit einer bemerkenswerten Filmsprache, perfekt komponierten Hochglanzbildern und expressiver musikalischer Untermalung (viel Henry Purcell) erhalten die Zuschauenden Einblicke in eine reiche, entfremdete und dystopisch wirkende post-jugoslawische Familie.

Family Therapy reiht sich stimmig in das bisherige Œuvre von Sonja Prosenc ein. Bereits in früheren Werken wie The Tree und History of Love beschäftigte sie sich mit innerfamiliären Spannungen, der Rolle des Einzelnen innerhalb sozialer Strukturen sowie der emotionalen Isolation. Auch in ihrem neuen Film verbindet sie existenzielle Themen mit einer poetisch-reduzierten Bildsprache – diesmal jedoch stärker satirisch gebrochen und mit gesellschaftskritischem Biss.

Ein Familienbild als Fassade? Family Therapy von Sonja Prosenc
Ein Familienbild als Fassade? Family Therapy von Sonja Prosenc

Die Familie lebt buchstäblich in einem Glashaus. Der Vater, ein Schriftsteller mit momentaner Schreibblockade, träumt davon, in die Endauswahl für einen Flug ins All zu kommen. Dafür muss er eine perfekte Familie präsentieren. Die Ängste seiner Frau, einer Galeristin, und die Krankheit seiner Tochter haben dabei keinen Platz. Was zählt, ist die makellose Fassade.
Zusätzlich tritt Julien, Sohn des Vaters aus einer früheren kurzen Beziehung in Frankreich, in das Familiengefüge ein und sorgt für Aufruhr im bislang empfindlich austarierten Gleichgewicht.
(Der Film ist als Neuinterpretation von Pasolinis Teorema gedacht.)

Schein und Sein

Man hält sich für weltoffen und kosmopolitisch, fürchtet jedoch die Nähe „normaler“ Menschen, die Chaos in die durchdesignte Ordnung bringen könnten. Nach und nach beginnt die Fassade zu bröckeln.
Die Frage, warum der Familie zu Beginn nicht sofort geholfen werden konnte – als sie erschüttert neben ihrem brennenden Auto am Straßenrand steht –, zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Die emotionalen Kämpfe innerhalb der Familie treten zunehmend offen zutage.
Visuell wird dieser Wandel durch eine sich verändernde Kameraführung begleitet: von einer zunächst distanzierten Einstellung hin zur sensiblen Handkamera, als die Realität der Außenwelt in den „sterilen Luxus“ der Familie einbricht.

Das herausragende Sounddesign betont den Kontrast zwischen der beklemmenden Stille des Innenraums und den belebenden Naturgeräuschen außerhalb.

Eine ebenso visuell wie akustisch beeindruckende schwarze Komödie, durchzogen von zahlreichen (auch humorvollen) Metaphern – getragen von starken Schauspieler*innen.




Der Kampf um Autonomie – Sunshine

Am Freitag, dem 04.04.2025, präsentierte das Internationale Frauenfilmfestival um 21:00 Uhr den philippinischen Film Sunshine von Regisseurin Antoinette Jadaone.

Die Handlung: Sunshine Francisco, eine talentierte Turnerin mit Olympia-Ambitionen, wird durch eine ungewollte Schwangerschaft aus der Bahn geworfen. Sie lebt in Manila, auf den tiefkatholischen Philippinen, wo Abtreibung illegal ist. Eine Entscheidung scheint unmöglich – zwischen sportlichem Traum, gesellschaftlichem Druck und existenzieller Verzweiflung.

Was kann eine junge Frau tun, die alles für ihren Lebenstraum gegeben hat – und plötzlich mit einer Realität konfrontiert ist, die keinen Platz für diesen Traum lässt? Offizielle Hilfe gibt es nicht. Der Kindesvater zieht sich zurück. Er gibt ihr Geld, damit Sunshine das „Problem“ aus der Welt schafft – ein Verhalten, das wütend macht. (Man möchte ihn als „Arschloch“ bezeichnen – was hart klingt, aber durch sein empathieloses Verhalten leider gerechtfertigt erscheint.) Am Ende kehrt er zurück – diesmal mit seinem Vater, einem Pastor. Doch beide wollen Sunshines Zukunft mit Geld erkaufen, ohne echte Verantwortung zu übernehmen.

Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Die illegalen Mittel, die auf einem Marktstand zwischen Heiligenbildern verkauft werden, zeigen Nebenwirkungen. Sunshine nimmt sie schließlich in einem Stundenhotel ein – und landet nach starken Blutungen im Krankenhaus. Regisseurin Jadaone zeigt die beklemmenden Lebensrealitäten vieler philippinischer Frauen: ein Alltag zwischen Glaube, Scham, Armut und rechtlicher Ohnmacht. Dabei gelingt ihr ein ungeschönter Blick auf die Schattenseiten Manilas.

Sunshine - eindrucksvolle Leistung von Maris Racal.
Sunshine – eindrucksvolle Leistung von Maris Racal.

Besonders eindrucksvoll ist die Figur eines geheimnisvollen kleinen Mädchens, das Sunshine begleitet. Es wirkt wie eine Manifestation ihres Gewissens, eine Art Phantasiefreundin, die sie mit den moralischen und emotionalen Dimensionen ihrer Entscheidungen konfrontiert – mal fordernd, mal verständnisvoll, aber stets nah an ihrem inneren Konflikt.

Sunshine ist ein mutiger und relevanter Film, der gesellschaftliche Tabus thematisiert und persönliche Geschichten mit struktureller Kritik verwebt. Maris Racal überzeugt in der Hauptrolle mit einer körperlich eindringlichen, emotional nuancierten Performance.

Antoinette Jadaone, die sich mit Filmen wie That Thing Called Tadhana oder Never Not Love You bisher vor allem im romantischen Genre einen Namen gemacht hat, zeigt mit Sunshine eine neue, radikalere Seite ihres Schaffens. Ohne Sentimentalität, aber mit großem Einfühlungsvermögen, setzt sie sich mit der Lebensrealität junger Frauen auseinander – und liefert einen ihrer politischsten Filme bisher.