Ein Konzertabend voller rhythmischer Vielfalt

Das 9. Philharmonische Konzert im Dortmunder Konzerthaus am 21. und 22. Mai 2024 stand unter dem Motto „Schmelztiegel der Kulturen“. In dieser Spielzeit wird „Wir im Ruhrgebiet“ thematisiert, was auch die kulturelle Diversität Dortmunds betont. Seit Jahrzehnten ist die Stadt ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen, die das gesellschaftliche Leben prägen. Die türkischstämmigen Einwanderer, zunächst als „Gastarbeiter“ angeworben, haben dabei einen bedeutenden Beitrag geleistet.



Die Dortmunder Philharmoniker, unter der humorvoll-temperamentvollen Leitung des erfahrenen britischen Dirigenten Howard Griffiths (*1950, verheiratet mit einer Türkin), präsentierten sich erneut in Höchstform. Das Programm begann mit der Ouvertüre zu „Figaros Hochzeit“ von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) aus dem Jahr 1786 und dem Klavierkonzert Nr. 17 in G-Dur, KV 453. Nach der Pause folgte die ausdrucksstarke „Istanbul-Sinfonie op. 28“ des türkischen Komponisten und Pianisten Fazil Say (*1970).

Mozarts Ouvertüre, die ursprünglich einen langsamen Mittelteil beinhaltete, begeistert das Publikum immer wieder durch ihre sprühende Vitalität, Lebensfreude und dynamische Kontraste. Für das anschließende Klavierkonzert Nr. 17 in G-Dur konnte die virtuose US-amerikanische Pianistin Claire Huangci (*1990) gewonnen werden. Während der erste Satz heiter geprägt ist, entwickelt sich im zweiten Satz eine melancholisch-nachdenkliche Stimmung. Der variationsreiche Schlusssatz bietet der Pianistin und dem Orchester die Gelegenheit, ihr Können eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Huangci begeisterte zudem mit einer rasanten Interpretation von Mozarts „Türkischem Marsch“.

Nach einer kurzen Pause entführte die „Istanbul-Sinfonie“ von Fazil Say das Publikum atmosphärisch in eine fremde Kultur. Traditionelle türkische Instrumente wie die Ney-Flöte (gespielt von Burcu Karadağ), die orientalische Kastenzither Kanun (gespielt von Hakan Güngör) und diverse türkische Schlaginstrumente (gespielt von Aykut Köselerli) sorgten für ein authentisches Klangbild. Die Sinfonie beginnt und endet mit einem eindrucksvollen instrumentalen Meeresrauschen des Marmarameers. In den sieben Abschnitten werden Sehenswürdigkeiten wie die „Blaue Moschee“ und die Romantik der „Prinzeninseln“ lebendig dargestellt, ebenso wie dramatische Ereignisse wie der Krieg im östlichen Mittelmeer um 1485 und religiöser Fanatismus. Diese Passagen erinnerten an die Musik von Dmitri Schostakowitsch. Das Chaos der Großstadt Istanbul wurde ebenfalls eindrucksvoll musikalisch umgesetzt, bevor die Sinfonie in einem ruhigen „Wellenabschluss“ endet.

Dieser musikalisch spannende und rhythmisch vielfältige Konzertabend bot eine wunderbare Verbindung zwischen klassisch-westlicher Sinfonieorchestertradition und türkischer Musik.




Raincatchers: Szene 2wei über den (unv)erhofften Wandel

Ein Nachbericht

Am 17. & 18. Mai 2024 brachte die mixed-abled Tanzkompanie Szene 2wei den Regen auf die Bühne des Theaters im Depot. Analog zur ökologischen Lage der Welt beginnt Raincatchers mit dem drohenden Ende. Wir sehen eine reich gedeckte Tafel mit Weinkelchen und Äpfeln bestückt, um die sich die diverse Gesellschaft der Szene 2wei tummelt. Sie prosten sich zu, reichen sich die süßen Früchte an und lassen es sich augenscheinlich gut gehen. Im Hintergrund strahlt uns das romantische Bild einer unberührten Wiesen-Landschaft über einen Bildschirm an. Doch etwas Unheilvolles kündigt sich in dieser Tischidylle an, die zwischen letztem Abendmahl und morbidem großen Fressen oszilliert.



Allmählich bricht das Bild auf und die feine Gesellschaft ergießt sich über den Tischrand hinweg: Sie rollen, kriechen und robben sich in den weiten Raum der Bühne, der sonst nur einen Müllberg aus Tüten beherbergt. Das Ensemble tanzt sich mit immer wilder werdender Dynamik in verschiedene Emotionen und Zustände hinein. Sie bilden wechselnde Konstellationen, zucken, schwingen, vibrieren, imitieren, resonieren miteinander oder tanzen stur aneinander vorbei. Die Performer:innen zeigen uns Bilder und Anordnungen, die nicht nur inhaltlich von Diversität erzählen, auch die Choreografie (William Sánchez H.) setzt die diversen körperlichen Konstitutionen des Ensembles ganz selbstverständlich in Beziehung. Der Apfel als Symbol und konkretes Objekt begleitet sie durch ihre Bewegungsfolgen. Schließlich rückt er ganz in den Mittelpunkt als eine Stimme aus dem Off die reine, feine Frucht lobpreist und ein anmutiger Tanz die Eloge an den Apfel krönt.

Das Ensemble von Szene 2wei bei "Raincatchers". (Foto: Stefan Wachter)
Das Ensemble von Szene 2wei bei „Raincatchers“. (Foto: Stefan Wachter)

Und dann der Bruch! Klimawandel! Und der kickt so richtig: Die Performer:innen hüllen sich in absurder Manier in Kleidung, die aus den Mülltüten zum Vorschein kommt. Die Stoffe werden in Lagen und ansteigendem Tempo angelegt, umständlich umwickeln sie die Gliedmaßen der Performer:innen und werden so teils zum Handicap. Wieder teilen sich die Bewegungsfolgen in kollektives und vereinzeltes Handeln und Sein. Die Diversität der Bühnengesellschaft bleibt gleich, aber mit der Umwelt scheinen sich ihre sozialen Dynamiken und Zustände zu verändern. Dabei hören wir Texte über Konsum, Ressourcen, Überfluss, Hoffnungen, Verunsicherung, politisches Handeln und Scheitern. Die Landschaft im Hintergrund ist längst in ein Dämmerlicht gehüllt und lässt uns im Dunkeln, ob es Nacht wird oder der Morgen wieder graut. Die Fast Fashion Show endet schließlich mit einem knalligen Statement der Nacktheit, das mit einem Augenzwinkern auf unseren „natürlichen“ Ursprung verweist, aber so schnell wieder vergeht, wie es kam. Zum Schluss geraten die Körper der Szene 2wei ein letztes Mal in Wallung und tanzen sich zu „my body, my choice“ und dröhnenden Beats (Soundtrack: Lukas Tobiassen) in Ekstase. Und dann – endlich – regnet es wieder… Ruhe kehrt ein und wir hören nur noch die belebenden Tropfen auf die Erde niederprasseln.

Choreografie: William Sánchez H.
Leitung: William Sánchez H. und Timo Gmeiner
Tanz: Jörg Beese, Sonja Pfennigbauer, Ricarda Noetzel, Manuela Aranguibel, Jose Manuel Ortiz, Sander Verbeek
Musik: Lukas Tobiassen
Licht Design: Clément Debras
Bühnenbild und Kostüme: William Sánchez H. und Simone Müller