Operndrama um Treue, Verrat und falsche Heldenmythen

ars tremonia durfte am 19.01.2024 die zweite Aufführung des lyrischen Dramas „La Montagne Noire“ (Der schwarze Berg) in vier Akten und fünf Bildern der französischen Komponistin Augusta Holmès (1847 – 1903) in der Oper Dortmund miterleben.



Diese in Vergessenheit geratene Oper ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Sie ist von einer willensstarken und durchsetzungsfähigen Frau komponiert, die zudem auch noch das Libretto dazu verfasst. Da gibt es nicht so viele.

Anna Sohn (Héléna), Alisa Kolosova (Dara), Opernchor Theater Dortmund
(c) Björn Hickmann
Anna Sohn (Héléna), Alisa Kolosova (Dara), Opernchor Theater Dortmund
(c) Björn Hickmann

Die Regisseurin Emily Hehl ist mit ihrer Inszenierung in die Tiefen der ursprünglichen Fassung dieser Oper mit ihrem Bezug zur slawischen Literatur, epischen Gedichten und slawischen Volksliedern eingedrungen. Denn „La Montagne Noire“ stellt keine rein fiktive Dichtung dar. Symbole und Metaphern spielen eine große Rolle.

Neben der Dortmunder Philharmoniker unter der souveränen Leitung von Motonori Kobayashi wurde deshalb von Anfang an extra eine (blinde) Gusla-Spielerin eingeführt. Die Tradition der Gusla ist hängt unmittelbar mit den alten epischen Volksliedern des Balkans und der Identitätsbildung der Montenegriner zusammen. Durch sie blickt das Publikum wie durch einen Filter auf das Geschehen. Eine wichtige unterstützende Funktion hat wieder einmal der Opernchor Theater Dortmund (und Projekt Extrachor) sowie die Statisterie des Theaters.

Hintergrund bildet der Unabhängigkeitskampf des christlich-orthodoxe Montenegro gegen das (muslimische) Osmanische Reich. Die montenegrinischen Krieger Mirko (Sergey Radchenko) und Aslar (Mandla Mndebele) schwören sich nach erfolgreicher Heimkehr ewige Treue und werden quasi „Blutsbrüder“. Das Ritual wird von dem Gründer der serbisch-orthodoxen Kirche Sava (Denis Velvet) durchgeführt.

Als sich Mirko in die gefangene Türkin Yamina (Aude Extrémo) verliebt, verlässt er seine Heimat. Er schwankt lange zwischen Yaminas orientalischer Verführung und der Loyalität zum Land, Aslar, seiner Verlobten Héléna (Anna Sohn) und Mutter Dara (Alisa Kolosova). Aslar will den Verrat des Bruders nicht hinnehmen, worauf beide am Ende den Tod finden.

Der Nachwelt wird auch Mirkos Tod als „ehrenvoll und heldenhaft im kriegerischen Kampf“ überliefert, obwohl er eigentlich mit seinem Bruder, Nation und Religion gebrochen hat.

Die beteiligten Ensemble-Mitglieder konnten nicht nur durch ihre starken Stimmen überzeugen, sondern konnten sich auch gut in ihre jeweiligen Charaktere und ihre Situation einfühlen.

Das in der vollständigen Opernfassung Yamina als starke und freie Frau überlebt, kann durchaus als Kritik der Komponistin an patriarchalen Strukturen zu ihrer Lebenszeit gesehen werden.

Musikalisch bietet die Oper eine anspruchsvolle Bandbreite von intensiv romantisch-gefühlvoll bis hin zu einem dramatischen Feuerwerk.

Die Komponistin war stark von Richard Wagner beeindruckt und beeinflusst. Das wird etwa an dem sich durchziehenden Gusla-Motiv oder dem relativ großen Pathos-Anteil deutlich.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen finden Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.:0231/ 50 27 222




Paavo Järvi – das Prequel zur Zeitinsel Avro Pärt

Der estnische Dirigent Paavo Järvi präsentierte mit dem Estonian Festival Orchestra einen Vorgeschmack auf die kommende Zeitinsel für seinen estnischen Landsmann Arvo Pärt. Daneben gab es Musik des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov und dem russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch zu genießen.



Den beginn machte Silvestrov mit seiner lyrischen „Abendserenade“. Seine Musik ist leise, behutsam und die Melodien sind sachte miteinander verwoben.

Die Sinfonie Nr.1 von Arvo Pärt, die danach erklang, verweist auf alte musikalische Traditionen. Titel wie Kanon, Präludium und Fuge könnten wir eigentlich von Johann Sebastian Bach und Zeitgenossen erwarten, aber nicht von einem Werk aus dem Jahre 1963. Die konstruktive Grundlage der Sinfonie ist die Notenreihe aus der Zwölftonmusik, die streng eingehalten wird. Die Kanons im ersten Satz verlaufen in Wellen, die gegen Ende am höchsten ansteigen. Ein Violinsolo zu Beginn des Präludiums scheint die Rolle eines langsamen Mittelsatzes zu spielen. Der eigentliche Höhepunkt der gesamten Komposition wird in der Fuge durch einen einzigen energiegeladenen dynamischen Aufstieg gebildet.

Danach stand „Summa“ von Pärt auf dem Programm. Es wurde erstmals 1977 unter dem Titel „Credo“ komponiert und später 1991 für Streichorchester unter dem Titel „Summa“ überarbeitet. In „Summa“ verwendet Pärt die Tintinnabuli-Technik, bei der zwei Stimmen, die Melodie und der Tintinnabuli (Glockenklang), miteinander verflochten sind. Die Melodie bewegt sich oft in Schritten, während die Tintinnabuli-Stimme einfache Dreiklänge spielt. Das Ergebnis ist eine ruhige und meditative Atmosphäre.

Nach der Pause erklang das „Cantus in Memory of Benjamin Britten“ von Pärt, dem es leider nicht vergönnt war, den britischen Komponisten persönlich kennenzulernen. Auch hier verwendet Pärt die Tintinnabuli-Technik, wobei im „Cantus“ die Glocke eine zentrale Rolle spielt. Die Wirkung von „Cantus“ liegt in seiner ruhigen Intensität und der Kombination von Traurigkeit und Schönheit. Es erzeugt eine eindringliche und meditative Stimmung.

Zum Schluss wurde auch die erste Sinfonie von Schostakowitsch gespielt. Hier zeigte der erst 19-jährige Komponist schon, was ihn später auszeichnete: Das Brechen mit traditionellen Formen sowie Ironie und Satire. Die Sinfonie Nr. 1 zeigt zwar Einflüsse von zeitgenössischen Komponisten wie Igor Strawinsky, Sergej Prokofjew und Alexander Skrjabin. Dennoch entwickelt Schostakowitsch bereits hier seinen eigenen, unverkennbaren Stil.

Paavo Järvi begeisterte mit seinen Musikern das Dortmunder Publikum, so dass er sogar eine Zugabe geben musste. Ein großartiger Start in die Zeitinsel Arvo Pärt.