IRWIN, was ist Retroavantgarde?

Die aktuelle Ausstellung im Hartware MedienKunstverein präsentiert eine Retrospektive über 40 Jahre Schaffen der Künstlergruppe IRWIN, ein Teil der Neuen Slowenischen Kunst (NSK).  Die Ausstellung geht bis zum 28.01. 2024   



Die Neue Slowenische Kunst (NSK) ist eine avantgardistische Kunstbewegung und kulturelle Gruppierung, die in den 1980er Jahren in Slowenien entstanden ist. NSK war eine multidisziplinäre Bewegung, die Kunst, Musik, Philosophie, Politik und Performance miteinander verknüpfte. Zu dieser Bewegung gehören beispielsweise die Band Laibach oder eben IRWIN. Die NSK verwendete Ironie und Parodie, um die Ideen von totalitären Systemen zu erforschen und zu kritisieren.

Key Visual der Ausstellung „Was ist Kunst, Irwin?“, HMKV im Dortmunder U, 09. September 2023 – 28. Januar 2024. Abbildung: IRWIN in New York, 1991, Foto: Leslie Fratkin. Gestaltung: e o t. Berlin
Key Visual der Ausstellung „Was ist Kunst, Irwin?“, HMKV im Dortmunder U, 09. September 2023 – 28. Januar 2024. Abbildung: IRWIN in New York, 1991, Foto: Leslie Fratkin. Gestaltung: e o t. Berlin

IRWIN wurde 1983 in Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, gegründet und besteht aus einer wechselnden Gruppe von Künstlern, darunter Dusan Mandic, Miran Mohar, Andrej Savski, Roman Uranjek und Borut Vogelnik. Ihr Name „IRWIN“ ist ein Pseudonym und eine Anspielung auf den amerikanischen Maler Jackson Pollock. IRWIN wird oft als Vertreter der Retroavantgarde bezeichnet, einer Bewegung, die in den 1980er Jahren in Osteuropa aufkam. Die Retroavantgarde bezog sich auf historische künstlerische Stile und Techniken, um sie neu zu interpretieren und in zeitgenössischen Kontexten zu verwenden.

Was erleben die Besucher*innen im HMKV? Ein Ausstellungskapitel fragt nach dem „schwarzen Humor“, der sich durch die Werke von IRWIN zieht und der andere Teil widmet sich Fragen des Staates.

Besonders im ersten Teil fallen die Rahmen der Bilder auf. Das ist nicht ohne Grund so. Die Verwendung dieser speziellen Rahmen ist Teil des künstlerischen Konzepts von IRWIN, das auf Ironie und Parodie abzielt. Die breiten, dekorativen Rahmen sollen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das Bild lenken und gleichzeitig die Frage nach der Bedeutung und Interpretation des Bildes selbst aufwerfen.

Weitere Themen sind die Hommage an das „schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch oder Kritik am Kunstmarkt.

Und was hat das mit dem „Staat“ zu tun? Ein bemerkenswertes Projekt von NSK war die Gründung des fiktiven Staates „NSK Staat“ im Jahr 1992. Dieser Staat existierte nicht in der realen Welt, sondern war eine künstlerische Konzeption. Die Idee dahinter war, die Konzepte von Nation und Staatsbürgerschaft in Frage zu stellen und die Ironie und Absurdität politischer Systeme zu betonen. NSK Staat hatte eigene Symbole, Flaggen und Pässe, die von Mitgliedern und Unterstützern der Bewegung angenommen wurden.

Das hatte Folgen in der realen Welt. In Moskau wurde eine temporäre Botschaft in Moskau eröffnet und in Nigeria erlebten die Reisepässe des NSK-Staates einen regen Handel, weil sie für echte Pässe gehalten wurden, was die slowenische Regierung veranlasste, auf ihrer Homepage vor diesen Reisepässen zu waren. Es ist übrigens immer noch möglich, Bürger des NSK-Staates zu werden.

Erwartungsgemäß beantwortet die Ausstellung nicht, was Kunst ist, gibt aber einen guten Einblick in die moderne Kunst, die in Osteuropa in den 80er Jahren aufkam.

Es gibt weitere Veranstaltungen zu dieser Ausstellung. Weitere Informationen finden Sie auf dieser Seite: https://hmkv.de/veranstaltungen.html




Musical um Kulturwerte im entfesselten Kapitalismus

Im Schauspiel Dortmund konnte das Publikum am 08.09.2023 die deutschsprachige Erstaufführung von „Das Kapital: Das Musical“ (Nick Rongjun Yu) unter der Regie von Kieran Joel in einer Fassung für die deutsche Theaterrealität. Es wird hier Frage nach der Finanzierung von Kunst und Kultur vom gesamten Ensemble klar und konkret gestellt. In dem Stück kommt dem neuen Ensemble-Mitglied Lukas Beeler gleich eine besondere Rolle zu.



Ausgerechnet das Hauptwerk von Karl Marx „Das Kapital“ soll in der kommerziellsten Theaterform „Musical“ aufgeführt werden. Der „Neue“ als hochmotivierter Schauspieler soll dem Theater aus der Finanzmisere helfen und geht dafür ganz eigene Weg. Die Aufführung wird bestreikt und als scheinbare Lösung ein neues Finanzierungsmodell präsentiert. Das Publikum sowie finanzkräftige Investor*innen sollen eine „geile“ Luxus-Aufführung von  „Kapital: Das Musical“ möglich machen und dem Theater die nötige Relevanz verschaffen. Natürlich auch fette Rendite für die Investierenden!

EnsemSofia Galin, Saranya Bosch, Alexander Darkow, Sarah Quarshie, Nila Habibzadeh, Raphael Westermeier, Lukas Beeler, Adi Hrustemović, Galatea Weber, Marlena Keil, Antje Prust, Sarah Avanitis, Lili Michalski
Foto: (c) Birgit Hupfeldble

Es folgt eine musikalische Komödie und Musicalparodie, die gehörig Fahrt aufnimmt und durch die Widersprüchlichkeit des entfesselten Kapitalismus führt.

Bei der Inszenierung wurde nicht an Musical-Glanz gespart. Aufwendige Bühnenbilder, viele Kostümwechsel und Songs mit einem gewissen Ohrwurmpotential (Leitung: Leonardo Mockridge), Tänzerinnen vom Tanzhaus Dortmund sorgten dafür.

Die Schauspieler*innen des Dortmunder Ensembles spielten nicht nur sich selber, sondern schlüpften teilweise mit viel Humor, Selbst-Ironie und viel Spielspaß in die Rollen des Finanzmoguls, Investment-Bankers, Aktien-Queen oder der Intendantin. Neue Medien wurden mit kurzen Video-Einspielungen an den Seiten oder auf der Leinwand im Hintergrund geschickt eingebunden. Das Publikum wurde durch die Schauspieler*innen an manchen Stellen direkt einbezogen.

Ein Theaterabend zwischen Lachen, Witz, Ironie und leiser Nachdenklichkeit in manchen Momenten.

Das Dilemma zwischen den Anspruch eines kritischen und unabhängigen Theaters (offen für gesellschaftlich relevante Themen durch städtische Subventionen gestützt) und den Mechanismen und Gegebenheiten des „real existierenden Kapitalismus“.

Werden auf der Bühne nur „Reproduktionen unmittelbarer Lügen, in denen wir in der Realität leben“ gezeigt, wie Schauspielerin Antje Prust sagt? Ist das, was die Schauspielenden machen denn überhaupt Kapitalismuskritik – oder nur eine kulturindustrielle Bestätigungsmaschine? Der Umgang mit diesem Bruch und der Identitätskrise bleibt am Ende offen.

Die übrig gebliebene riesige Abrissbirne am Ende auf der Bühne ist hoffentlich nicht nur ein pessimistisches Omen.

Die gelungene Aufführung, bei der sich auch der Ensemble-Neuzugang gut einführte, wurde vom Publikum mit viel Applaus honoriert.

Die weiteren Aufführungstermine erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222




Musikalische Romantik und kunstvolle Verleger-Verspottung

Im Dortmunder Reinoldihaus startete die Konzertsaison 2023/24 des Klangvokal Musikfestivals am 07.09.2023 mit einem besonderen Liederabend mit dem Tenor Daniel Behle und seinem kongenialen Begleiter am neuen Flügel Oliver Schnyder.



Behle ist vielen noch von der Opern- und Operettengala im letzten Jahr mit seiner weichen wie auch kraftvoll starken Stimme in guter Erinnerung.

Zu Beginn des Liederabends standen mit „Zwölf Gedichten op. 35 (Liederreihe nach Kerner)“ von Robert Schuhmann (1810-1856) und „Sechs Lieder op. 48“ von Edvard Grieg (1843-1907) zunächst einige romantische Vertonungen von bekannten Dichtungen auf dem Programm.

Da geht es um erfüllte und unerfüllte Liebe, Wanderlust, Naturfreude, Schmerz und Schwermut. Der Tenor mit seiner variablen Stimme sowie die Verstärkung durch das schmeichelnde Pianospiel verliehen den unterschiedlichen Stimmungen einen emotionalen Ausdruck.

Nach der Pause konnte sich das Publikum auf den satirisch-spöttischen 12 Gesänge „Krämerspiegel op. 66“ (Texte: Alfred Kerr) vom „letzten Romantiker“ Richard Strauss (1864-1949) freuen.

Seit der Jahrhundertwende hatte sich Strauss für eine Reform des Urheberrechts eingesetzt und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer gegründet. Nachdem der Berliner Verlag Bote & Bock  dem Komponisten 1903 neben einem großzügigen Honorar für dessen „Symphonia Domestica“ noch zwölf neue Lieder gerichtlich abverlangte, gab er Texte bei dem für seine spitze Feder bekannte Alfred Kerr in Auftrag. Die Musikverleger sollten aufs Korn genommen werden und Kerr lieferte das gewünschte zu der großen Musik des Komponisten. Genüsslich und mit sichtbarem Spaß brachten Behle und seine musikalische Begleitung den „Krämerspiegel“ zu gehör.

Mit den Strauss-Liedern „Herr Lenz“, „Ich liebe dich“ (1896/98) sowie der bekannten „Freundlichen Vision“ (1900) schlossen Daniel Behle und Oliver Schnyder den Kreis zum ursprünglichen Liebesthema des besonderen Liederabends.




Ein Sommernachtstraum nach William Shakespeare

Eine Aphrodisische Verwechslungskomödie des Theater Phoebus im Fletch Bizzel … Das von angeblich einem gewissen Handschuhmacher verfasste Stück, durch den Fleischwolf gedreht, eingekocht und die Essenz a point humorvoll und respektlos dargebracht.



Ein unterhaltsames fasst rokokohaftes Stück Weltliteratur, aus der englischen Renaissance in dem zwei Schauspieler*innen, Josefine Schönbrodt und Jan Maria Meissner, in verschiedenste Rollen schlüpfen, minimalistisch „dekoriert“ und interpretieren Shakespeare, den Handschuhmacher, neu. Sicher und elegant wandeln sie dabei zwischen Comedy und magischer Verzauberung durch die Parallelwelt der Elfen.

Nicht nur einmal wird der Zuschauer, ganz im Sinne der ursprünglichen Aufführungsform, u.a. im Globe, London, mit einbezogen. So auch bei der nicht nur einmal gestellten Frage oder besser Überlegung ob denn nun Herr Shakespeare das Stück (und andere verfasst habe) … William aus Stratford-upon-Avon hinterließ keine Silbe zu Tantiemen, Stücken und ähnlichem in seinem Testament … wo er doch ein so erfolgreicher Theaterautor und Sonettenschreiber war …

Alleine sein Stück über die Liebe und Leidenschaft, mit einhergehender Blindheit, an sich Romeo und Julia, eine 13 jährige verliebt sich in einen 17 jährigen überwachsenen Heißsporn … hätte profunde Ortskenntnisse von Verona und den dort herrschenden Gepflogenheiten vorausgesetzt … durch Ortsanwesenheit … nur William verließ nicht einmal die Insel. Belegbar aus den Elisabethanischen Geheimdienstpapieren … Madame ließen ihr Volk strengstens überwachen.

So beginnt denn auch das Stück mit dem respektlosen Kauderwelschen des Namens des Autors … was an einen gewissen Big Brother „Insassen“ erinnerte, der unter Shakespeare ein Bier zum Schütteln verstand: Schüttelbier, was er nicht kannte … RTL …

Das Elfenkönigspaar Oberon und Titania liegt aufgrund ihrer beidseitigen Untreue im Streit. Oberon ersinnt einen süßen Racheplan, der Kobold Puck soll ihm die Zauberblume bringen, die einst von Amors Pfeil getroffen wurde und Liebesrasereien bewirkt. Über die Augen eines Schlafenden gestrichen, verliebt sich der Betreffende beim Erwachen in die nächste lebende Kreatur „Erwache erst, wenn ein Scheusal in Deiner Nähe ist“- mit diesen Worten bestreicht er die Augen der schlafenden Titania … Wem die Zauberblume sonst noch die Sinne betört und welche Verwechslungen daraus entstehen, das führte zu zahlreichen Lachern und klirrenden, zerspringenden Gläsern, in diesem Shakespearischen Welttheater.

Interessant waren dabei die subtil verarbeiteten Männlichkeiten, oder wie sagte dazu meine Grandmère immer: Männekens. Lysander, Hermia liebend, Demetrius, von Helena nicht begeistert, sehr toxischer Macho und Oberon, gekonnt gespielt und treffend überhöht durch Jan Maria Meissner. Wobei der Oberon sehr gut zur Diskussion von hegemonialer Männlichkeit passt … sich alle Freiheiten herausnehmen, während das Weib gefälligst züchtig zu Hause am Herd zu stehen hat.

Hermia, Lysander liebend, Helena, Demetrius liebend, Titania und Puck werden durch Josefine Schönbrodt fast absurd üb3rhöht charakterisiert. Dabei ist die leicht verliebt, verblödete Helena ein Lacher in sich. Ihre Verliebtheit in den Esel … schlüpfrig schön.

Das Stück ist ein respektloser und auf die Spitze getriebener Parforceritt durch den Sommernachtstraum des Handschuhmachers aus Stadford-ipon-Avon. Oder war es vielleicht doch eher Phillip Marlow?

Die Aphrodisische Verwechslungskomödie des Theater Phoebus ist in jedem Fall ein Genuss und ein Muss für jeden Fan des Midsummer Dreame, egal wer das Stück letztendlich verfasst hatte.