Weltmusik und die abenteuerlichen Reisen des Leo Africanus

Viele Menschen müssen aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimatländer verlassen und versuchen, durch Flucht in für sie sichere Länder ihre Freiheit und Leben zu sichern. Heute wie auch damals.



Im Rahmen des Klangvokal Musikfestivals Dortmund stand am 01.06.2023 im hiesigen Orchesterzentrum Weltmusik um diesen Themenbereich auf dem Programm.

Der Sänger, Musiker und Komponist Rebal Alkhodari (verließ 2011 Syrien) widmete sich in diesem Jahr gemeinsam mit Orpheus XXI NRW, dem Amaan Choir XXI sowie weiteren musikalischen Gästen der Musik aus gleich mehreren unterschiedlichen Ländern. Darunter Marokko, Ägypten, Mali, Saudi-Arabien, Syrien, Türkei, Italien oder Frankreich. Dabei kamen auch traditionelle Instrumente wie die afrikanische Kora oder der arabische Kanun zum Einsatz.

Die Sänger*innen und Instrumentalist*innen wandeln zu jeweils passenden Videoprojektionen und kurzen Texterklärungen (deutsch) auf den Pfaden des Diplomaten und Forschers Leo Africanus (geboren ca. 1488 als Abu Hassan al-Wazzan in Andalusien). 

Dieser war schon als Kind gezwungen, gemeinsam mit seiner Familie seine Heimat zu verlassen. Nach einer Odyssee durch verschiedene arabische und afrikanische Länder auf seiner Reise wurde er schließlich von europäischen Piraten gefangen genommen und danach dem Papst in Rom als Sklave übergeben. Um frei leben zu können, konvertiert Leo Africanus zum Christentum und erhielt so seinen neuen Namen. Wie auch bei den heutigen Flüchtlingen war die Sehnsucht nach Heimat bis zuletzt immer dabei.

Die Instrumente hatten eine ganz besondere Atmosphäre und einen arabischen Flair. Die wunderbaren Stimmen gaben den oft religiösen, von der Liebe zur Natur oder Heimatsehnsucht getragenen Texten Tiefe und Ausdruckskraft. Der afrikanische Rhythmus begeisterte beim Auftritt von Ibou Kalaama.

Weltmusik als Plädoyer für Toleranz und Verständnis.

Nicht nur unter den Religionen, sondern den Menschen in ihrer Vielfalt im Allgemeinen.




Sean Shibe – Gitarrenmusik aus fünf Jahrhunderten

Am 31. Mai 2023 hieß es wieder „Musik für Freaks“ und zu Gast war Sean Shibe, seines Zeichens Gitarrist und Lautenist. Jetzt werden sich einige fragen, was ist daran jetzt „freakig“. Nun, Shibe spielte im dritten Drittel seines Programmes auf der E-Gitarre. Und die E-Gitarre ist für klassische Musik schon außergewöhnlich. In der zeitgenössischen klassischen Musik wird die E-Gitarre oft als Klangfarbe verwendet, um eine breitere Palette an Klängen und Ausdrucksmöglichkeiten zu erreichen. Sie erzeugt einen charakteristischen Klang, der von den herkömmlichen akustischen Gitarren abweicht. Dieser Klang kann mit verschiedenen elektronischen Effekten und Verstärkungstechniken weiter manipuliert werden, um eine noch größere Vielfalt an Klängen zu erzeugen.



Doch beginnen wir mit dem Anfang. Hier spielte Sean Shibe auf der Laute kurze Stücke von Robert Ballard und Pierre Attaingnant, die den damaligen Zeitgeist einfingen und ähnlich klangen wie die Werke von John Dowland.

Im zweiten Teil stand die akustische Gitarre im Mittelpunkt. Nach einer Bearbeitung von Bachs Präludium und Fuge in Es-Dur wurde die Musik moderner. Mit Thomas Adès, Manuel de Falla, Francis Poulenc und Harrisson Birtwistle stammten alle Komponisten aus dem 20. bzw. 21. Jahrhundert. Der Charakter veränderte sich, rhythmische Figuren und Dissonanzen erklangen.

Doch auch das war nicht das besondere an diesem Konzert. Denn Im Schlussteil spielte Sean Shibe auf der E-Gitarre und benutzte für die gespielten Stücke  Loops und Effektgeräte. Damit erklangen Olivier Messiaens „O sacrum convivium“ und Hildegard von Bingens „O choruscans lux stellarum“ sehr spährisch, fast entrückt. Beeindruckend war Shibe aber in dem Werk „Electric counterpoint“ von Steve Reich, dass durch die Rhythmik an manchen Stellen durch aus den Rock ins Konzerthaus brachte.

Den Schlusspunkt machte „Buddha“ von Julius Eastman. Als Komponist schuf Eastman eine Reihe von Werken, die sich durch ihre repetitive Struktur und minimalistische Ästhetik auszeichneten. Er experimentierte mit Klangfarben, Wiederholungsmustern und Zeitstrukturen, wobei er oft auf die Improvisation als gestalterisches Element zurückgriff. Obwohl Eastman in den 1970er und 1980er Jahren einige Erfolge hatte und mit renommierten Ensembles und Komponisten zusammenarbeitete, geriet er später in finanzielle Schwierigkeiten und litt unter persönlichen Problemen, die zu einem Rückzug aus der Musikszene führten. In den letzten Jahren hat es eine Wiederentdeckung und Neubewertung von Eastmans Werk gegeben. Neue Generationen von Musikern und Musikliebhabern haben sein Werk wieder aufgegriffen und seine Bedeutung in der Avantgarde-Musik erkannt.   Das gelungene Konzert von Sean Shibe machte deutlich, dass die E-Gitarre nicht nur das Standart-Instrument für Pop, Rock oder Metal ist. Die E-Gitarre kann nicht nur bei neuen Kompositionen eingesetzt werden, sondern sie ist auch in der Lage durch die Effekte neue Klangfarben an alten Kompositionen zu erschaffen. Das hat Sean Shibe unter Beweis gestellt.




The Tallis Scholars – Musik zu Ehren von heiligen Frauen

Nach 2015 und 2018 konnte ich zum dritten Mal das Vokalensemble „The Tallis Scholars“ im Rahmen des Festivals Klangvokal erleben.  Und erneut gab es ausgewählte Musik aus der Zeit der Renaissance, wobei sich auch drei modernere Komponisten mit „hineingeschmuggelt“ hatten. Das Konzert fand am 25. Mai 2023 in der Propsteikirche statt.



Das bemerkenswerte an dem Konzert war, dass alle aufgeführten Werke eine heilige Frau im Mittelpunkt hatte. Überwiegend stand Maria, die Mutter Jesu, im Zentrum, Francesco Guerrero widmete Maria Magdalena eine Motette.

Nach Orlando di Lassos „Alma redemptoris mater” war der erste Teil des Konzertes der Missa „Ave maris stella“ von Josquin Desprez gewidmet. Die „Ave maris stella“ ist eine Marienantiphon, eine Hymne an die Jungfrau Maria, und Josquin Desprez basierte seine Messe auf diesem gregorianischen Choral. Die Messe wurde wahrscheinlich um das Jahr 1500 komponiert und ist eines von Josquins bekanntesten Werken. Josquin Desprez schafft eine eindringliche musikalische Darstellung der Verehrung der Jungfrau Maria. Durch den Einsatz verschiedener kompositorischer Techniken wie Imitation, Kontrapunkt und Klangfarbenwechsel erzeugt er eine vielschichtige und emotionale Wirkung. Diese Wirkung wurde von den die Sänger:innen der Tallis Scholars unter der Leitung von Peter Philips in gewohnt hochwertiger Weise erzielt.

Nach der Pause ging es mit Renaissancemusik von Francesco Guerrero weiter.  Seine Musik zeichnet sich durch eine ausgeprägte melodische Schönheit, sorgfältige Textausdeutung und ein feines Gespür für Kontrapunkt und Harmonie aus. Danach gab es eine kleine Zeitreise in die Jetztzeit. Der zeitgenössische Komponist Matthew Martin zeichnet sich durch eine moderne Tonsprache und eine sorgfältige Textausdeutung aus. Seine Kompositionen vereinen traditionelle und zeitgenössische Elemente und zeigen eine beeindruckende Beherrschung von Harmonik, Rhythmik und Klangfarben.  Auch hier überzeugten die Tallis Scholars ebenso wie beim russischen „Bogoroditse Devo“ von OIgor Strawinsky, der sehr stark auf die russisch-orthodoxe Kirchenmusik in seiner Komposition zurückgreift.

Ein Name durfte bei moderner geistlicher Chormusik natürlich nicht fehlen: Arvo Pärt. Hier erklang „Virgencita“, die an eine Marienerscheinung im 16. Jahrhundert in Mexiko erinnern soll.

Zum Schluss ging es wieder zurück in die Renaissance. Heinrich Isaacs „Virgo prudentissima“ ist ein mehrstimmiges Chorstück, das typisch für die polyphone Musik der Renaissance ist. Die Komposition besteht aus vier oder fünf Stimmen, die in kunstvoller Weise miteinander verwoben sind. Isaac ist durch seine Komposition „Innsbruck, ich muss dich lassen“ bekannt geworden.

Das Konzert hat wieder mal gezeigt: Wer Chormusik aus Renaissance-Zeit liebt, wird an den Tallis Scholars nicht vorbeikommen.