Selbstermächtigung des weiblichen Körpers – Velvet

In ihrer Tanzperformance „Velvet“ setzt sich Tänzerin Claire Vivianne Sobottke mit der Geschichte des weiblichen Körpers auseinander. Das Stück spielt in einem Garten mit Steinen, und Blumen und bietet mit der archaisch, rhythmischen Musik von Tian Rotteveel einen Par-Force-Ritt. Ein Bericht über die zweite Aufführung am 21. April 2023 im Theater im Depot.



Es ist erstaunlich, welche Querverbindungen entstehen können. Auf dem Internationalen Frauenfilmfestival lief im Wettbewerbsprogramm der Film „Regel 34“ der brasilianischen Regisseurin Júlia Murat über eine angehende Pflichtverteidigerin, die tagsüber Frauen hilft, aber abends über eine Plattform ähnlich wie „Onlyfans“ ihren Körper gegen Geld zur Schau stellt. In „Velvet“ wie in „Regel 34“ geht es um die Wiederaneignung des weiblichen Körpers.

"Velvet" ist eine sehr ausdrucksstarke, intensive Tanzperformance von Claire Vivianne Sobottke. (Foto: (c)  Eike Walkenhorst)
„Velvet“ ist eine sehr ausdrucksstarke, intensive Tanzperformance von Claire Vivianne Sobottke. (Foto: (c) Eike Walkenhorst)

Über Jahrtausende haben Männer geschafft, den weiblichen Körper durch Kleidervorschriften und Verbote unter ihrer Kontrolle zu bekommen. Die Angst vor dem weiblichen Körper und der weiblichen Sexualität scheint tief zu sitzen.

Ein anderer Aspekt, die tierisch-animalische Wildheit fasziniert Sobottke ebenfalls. Der Begriff „Wildnis“ symbolisiert für sie ein unerforschtes Gebiet, in dem keine menschlichen Regeln gelten und nicht-menschliche Kräfte und Wesen wirken. So taucht gegen Ende eine Bärin auf, mit die Tänzerin Sex simuliert, dabei wird seine Dominanz gebrochen und die Tänzerin ist die aktive Person.

Die Performance von Sobottke ist ein grotesker Tanz mit vielen repetitiven Elementen. Sie erzählt quasi in ihrem Stück die „Menschwerdung“ von Menschenaffen bis hin zum modernen Menschen und durchbricht dabei die vierte Wand. So wurde beispielsweise meine Brille zum Requisit.

Das Stück „Velvet“ ist nicht umsonst ab 14 Jahre, denn Sobottke tanzt den Großteil ihres Programms nackt. Es ist für die Zuschauenden die direkte Konfrontation mit einem weiblichen Körper.

Nicht zu vergessen ist die intensive Musik von Tian Rotteveel. Zusammen mit Kelly O’Donohue, Abigail Sanders (beide Blechblasinstrumente), Almut Lustig, Sabrina Ma (beide Percussion) , Camilla Scholtbach (Bärin) und Tian Rotteveel (Spinett, Harmonium) wurden archaische Klänge erzeugt, die die Tanzperformance sehr effektvoll ergänzte.

Ja, die Wildnis ist nicht ganz ungefährlich und hat nichts mit sauberen, gefegten Wegen zu tun. Wer sich traut, kann mit „Velvet“ ein außergewöhnliches wildes Tanztheater erleben.




IFFF Tag 4 – Before, Now & Then

Der erste Wettbewerbsbeitrag am 4. Tag des IFFF Dortmund/Köln kam mit „Before, Now & Then“ von der indonesischen Regisseurin Kamila Andini.



Indonesien in den 1960er-Jahren ist er Ort der Handlung. Die Hauptperson im Film ist Nana, deren Mann im West-Java-Krieg verschleppt wurde.

Einblicke in die moderne Geschichte Indonesiens gibt "Before, Now & Then" von Kamila Andini. (Foto: (c) FourcoloursFilm)
Einblicke in die moderne Geschichte Indonesiens gibt „Before, Now & Then“ von Kamila Andini. (Foto: (c) FourcoloursFilm)

Zuflucht findet sie bei einem Sundanesen, den sie heiratet und mit ihm und vier Kindern in einem großfamiliären Kontext lebt. Sie kümmert sich neben dem Wohlergehen ihres Mannes und Kinder auch um die Gemüse-Plantage.

Das Trauma holt Nana jedoch ein. Doch eine unerwartete Frauenfreundschaft ist ihre Rettung und hilft auf emanzipatorischen Weg. Sie muss am Ende eine schwere Entscheidung treffen.

Dabei steht sie auch als Synonym für Indonesien.

Der Film ist durch opulente Bilder und passender Musikbegleitung geprägt. Nahaufnahmen, die jede Mimik und Geste auffangen, sowie starke Symbolik wurden als Stilmittel genutzt.

Es gibt einige Traum- und Albtraumsequenzen, aber auch Alltagsszenen, die das Klima von Angst und Enge, den herrschenden Traditionen, Angst vor Verfolgung eindrucksvoll visualisieren. Auch die schönen Momente, etwa beim Spielen mit den Kindern am Strand oder die tröstlichen Szenen mit der Freundin fehlen nicht.

Ein ruhiger aber eindringlicher Film mit um Emanzipation und Solidarität.