Fußball in den 70er Jahren oder als Paul Breitner die Scherben besuchte

Man kann wirklich nicht sagen, dass die 70er Jahre ein erfolgreiches Jahrzehnt für den Ballspielverein Borussia aus Dortmund war. In der Saison 71/72 ging es für vier Spielzeiten in die Zweitklassigkeit und am Ende der Spielzeit 78/79 stand das 0:12 gegen Borussia Mönchengladbach.Mit diesen JAhren beschäftigen sich die Fußballbücher von Alexander Heflik und Bernd-M. Beyer. Während sich Beyer mit der Saison 71/72 und dessen Einbettung in die kulturelle Gesamtsituation der Bundesrepublik beschäftigt, thematisiert Hefliks Buch einen tragischen Helden: Erwin Kostedde. Passenderweise fanden die Lesungen im Rahmen des Les.Art-Festivals am 08. November 2021 in den Umkleidekabinen des Westfalenstadions statt.

Alexander Heflik erzählte die tragische Geschichte von Erwin Kostedde, dem ersten schwarzen NAtionalspieler. (Foto: © Hartmut Salmen)

Da ich mich entscheiden musste, begann ich mit der Heimkabine und lauschte zunächst den Worten von Alexander Heflik. Es gibt sicherlich viele tragische Helden und einer trägt den Namen Erwin Kostedde. Ein begnadeter Fußballer, der erste schwarze Nationalspieler, aber auch jemand, der gut darin war, falsche Entscheidungen zu treffen. Ob es nun der richtige Verein für die Karriere war oder finanzielle Optionen. Kostedde hatte erfolgreiche Zeiten in Offenbach und in Belgien sowie spät in seiner Karriere in Bremen, wo er zum dritten Mal auf Otto Rehagel traf. Er hatte bereits in Offenbach und in Bremen mit ihm trainiert. Von 1976 bis 1978 spielte Kostedde auch in Dortmund. Er traf gleich beim ersten Spiel nach dem Wiederaufstieg gegen den HSV doppelt. In der zweiten Saison lief es dann nicht mehr so rund für den Stürmer.

Wegen seiner Hautfarbe war Kostedde ähnlich wie Jimmy Hartwig Opfer von Rassismus. Bei Kostedde war seine Hautfarbe sogar der Grund, dass man ihn fälschlicherweise verdächtigte, eine Spielhalle überfallen zu haben. Er musste mehrere Monate in Untersuchungshaft verbringen.

Die 70er Jahre waren nicht nur eine Hochzeit der deutschen Nationalmannschaft, sondern war auch eine gesellschaftlich spannende Zeit.Bernd-M. Beyer berichtete darüber. (Foto: © Hartmut Salmen)
Die 70er Jahre waren nicht nur eine Hochzeit der deutschen Nationalmannschaft, sondern war auch eine gesellschaftlich spannende Zeit.Bernd-M. Beyer berichtete darüber. (Foto: © Hartmut Salmen)

Nach 45 Minuten und 15 Minuten Pause ging es dann in die Gästekabine, wo Bayer aus seinem Buch „71/72 – Die Saison der Träumer“ las. Die Anfänge der 70er Jahre in Deutschland waren geprägt von der neuen Ära von Willy Brandt, der mit seiner Ostpolitik viele Türen öffnete, aber auch in konservativen Kreisen verhasst war. Die Anfänge der RAF machten sich bemerkbar, in der Bundesliga leckte man sich die Wunden nach dem Bundesligaskandal. Meister wurden die Bayern, die den BVB zu Hause mit 11:1 schlugen. Der BVB beendete die Saison als Tabellenvorletzter und stieg ab. Fußballerisch war die deutsche Nationalmannschaft 1972 an der Spitze. Sie wurde souverän Europameister und verzauberte mit ihrer Spielweise. Währenddessen kam 1972 ein prägendes Musikalbum auf dem Markt mit dem Titel „Keine Macht für Niemand“ von „Ton, Steine, Scherben“. Diese revolutionäre Platte fand Anklang bei einem Revoluzzer in München: Paul Breitner. Breitner, der sich mit Mao-Bild und „Pekinger Rundschau“ ablichten ließ, wurde die Platte von der Band geschenkt, worauf sich Breitner mit einem Gegenbesuch in Berlin revanchierte. Ein Europameister und Bayern-Star zu Gast bei einer Politrockband. Wäre heute nicht denkbar, oder?




Lebendige Lesung mit Christian Berkel

Im Rahmen des diesjährigen LesArt.Festivals in Dortmund las der bekannte Schauspieler und Autor Christian Berkel im Theater Fletch Bizzel am 06.11.2021 aus seinem neuen Roman „Ada“ (2018). Wegen Corona konnte die schon früher geplante Lesung erst jetzt stattfinden.

Nach seinem erfolgreichen autobiografischen Roman „Der Apfelbaum“ erschien als Folgeroman „Ada“. Im Mittelpunkt steht hier die Geschichte von Ada, die mit ihrer jüdischen Mutter Sala in der Nachkriegszeit zunächst nach Argentinien flieht und 1955 in ein ihr fremdes Deutschland nach Berlin zurückkehrt. In einem noch immer autoritären Land trifft sie auf den lang ersehnte Vater Otto (der war in Kriegsgefangenschaft). Das Familienglück bleibt jedoch aus. In einer „sprachlosen“ Gesellschaft stößt sie auf viel Schweigen (das betraf Opfer wie Täter) über die Kriegszeit und ihre jüdische Familienvergangenheit. Sie sehnt sich nach Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

Christian Berkel (links) im Gespräch mit Matthias Bongard. (Foto: © Hartmut Salmen)
Christian Berkel (links) im Gespräch mit Matthias Bongard. (Foto: © Hartmut Salmen)

Der Roman ist gleichzeitig ein Abriss der politischen Entwicklung von der Adenauer-Ära über die 1968er Aufbruchstimmung und Studentenrevolten (Experimentieren mit Drogen, freier Sexualität) bis hin zum Mauerfall 1989.

Berkel begibt sich als Ich-Erzähler empathisch in die weibliche Person der Ada. Wie er während der Lesung erklärte, fühlte er sich am Anfang damit etwas unsicher, ob er so als Mann in eine andere Identität schlüpfen könnte. Seine Verlegerin und Lektorin beruhigten ihn aber, dass das in Ordnung sei.

Der Autor las nicht nur aus seinem Buch, sondern das Publikum (falls es seinen „Apfelbaum“ nicht gelesen hatte) erfuhr auch viel über seine Lebensgeschichte und jüdischen Familienhintergrund, und das er sich damals nicht „richtig und ganz“ gefühlt hatte.

Bereichert wurde der Abend durch ein anschließendes Interview vom WDR Fernseh- und Rundfunkmoderator Matthias Bongard mit Christian Berkel. Da wurden Themen wie etwa der aktuelle Antisemitismus, Verunsicherungen, Verschwörungstheorien, Angst vor dem Fremden und mehr behandelt.

Deutlich wurde wieder einmal, dass Demokratie und Freiheit nichts Selbstverständliches sind. Gerade in einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spaltung ist es notwendig, sich dafür aktiv einzusetzen und sich gegen die Instrumentalisierung von rechten Politikern und Kräften sowie Verschwörungstheoretikern zu schützen und wehren.

Eine interessante und lebendige Lesung.




Musikalisch begleitete Lesung mit Ralf Sotschek

Der Journalist und Autor Ralf Sotscheck (*1954 in Berlin-Landwitz) ist einem breiteren Publikum seit 1991 vor allem durch seine montägliche witzig-skurrilen und manchmal auch makabre Kolumnen in der Berliner taz bekannt. Seit 1985 ist er zudem schon Auslandskorrespondent für Irland und das Vereinigte Königreich für die Zeitung. Er schreibt seit 1990 regelmäßig für das Irland Journal und lebt an der irischen Westküste.

Da kommt genug Stoff für seine Geschichten von Farmern, künstliche Besamung von Kühen, seinen diversen kleinen Abenteuer und Missgeschicke und politischen Inkorrektheiten und ähnlichem.

Friedrich Küppersbusch (links) lauscht den Geschichten von Ralf Sotschek. (Foto: © Hartmut Salmen)
Friedrich Küppersbusch (links) lauscht den Geschichten von Ralf Sotschek. (Foto: © Hartmut Salmen)

Davon gab er am 10.11.2021 im Rahmen des Dortmunder LesArt.Festivals in der Rotunde des hiesigen Museums für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) zum Besten.

Musikalisch stimmungsvoll begleitet wurde er dabei von dem Journalisten, Autor und Fernsehproduzenten (heute-show) Friedrich Küppersbusch und seiner Bandfreud*innen. Neben Küppersbusch (Gitarre) gehörten zu ihr Jürgen Friesenhahn (Percussion), Guido Schlösser (Piano) sowie als Sängerin mit cooler Soul-Stimme, Claudia Zahn.

Dabei zeigte die Band mit einem speziellen Sound eine musikalische Bandbreite. Die ging von einer eigenen Version von „Blue Velvet“ (Bobby Vinton, The Moonglows) bis zu einer eindrucksvollen Interpretation des alten deutschen Song von Paul Kuhn „Schau mich bitte nicht so an.“ (gesungen etwa von Mireille Mathieu).

Eingeleitet und moderiert wurde der Abend von Autorin Frederike Jacob. Mit ihr lieferte sich Sotscheck ein kleines kulinarisches Duell. Während der in Irland beliebte Porridge (Haferbrei) bei dem Autor seit seiner früheren „Kinderverschickung“ nicht in guter Erinnerung ist, liebt Frederike Jacob das „Hafersüppchen“ nach dem Rezept ihrer Großmutter als wärmenden Trostspender.

Das Sotscheck nicht viel für den „Gutmenschen“ Bono (U2) übrig hat, machte er mit einer kleinen Anekdote deutlich.

Ein interessante und humorvoll-ironische musikalische Lesung, bei der nur etwas schade war, dass die kurzen Gespräche zwischen Küppersbusch und Sotscheck nur schwer zu verstehen waren.