Ich Lieb Dich – Theaterstück von Kristo Sagor für Erwachsene ab 8 Jahren
„Ich lieb Dich“, gesteht Julian seiner besten Freundin Lia, die ihm keck und selbstbewusst antwortet: „Ich Dich nicht!“ Daraus entspinnt sich ein Reigen über Liebe, lieben und Vorlieben, deren Bedeutung, in verschiedensten Ebenen.
Nur die Antwort bleibt Lia für Julian offenbar nicht begründet, denn er will das warum „nicht“ wissen. Für Menschen im Pubertieralter durchaus ein zur Beantwortung stehendes Problem. Ich lieb/e Dich, Du nicht? Warum?
Um dieses warum entspinnt sich der Reigen von Ebenen, Zeiten und Personen. Bianka Lammert und Thomas Ehrlichmann schlüpfen dabei ohne Pause, Absatz, Punkt oder Komma in Ebenen, Zeiten und Personen, um das Thema Liebe zu ergründen.
Da sind die Großeltern von Lia, von denen wir im Stück lernen, dass der Opa lange vor der Oma von Lia starb. Oder die Eltern von Julian, die, wie wir erfahren müssen sich das Scheitern ihrer Ehe und Liebe eingestehen und sich zur Scheidung entschlossen haben. In dem Zusammenhang lernen wir auch den Unterschied von „Ich liebe Dich“ und „Ich lieb´ Dich“ kennen.
Wir lernen alte Lieben und Vorlieben von Julian kennen, wie Zitroneneis und Kastanien, eigentlich das Sammeln, einen Geruch, oder klebrige Hände vom Eis, ein quiekendes Meerschweinchen mit Namen Moppi … aber auch einen Blick in die Zukunft, eine zukünftige Liebe, die Julian an Lia erinnert. Dass er jetzt doch lieber Cola-Eis mag.
Was ist Liebe? Wo kommt sie her? Wann beginnt sie? Ist sie Verlustangst? Hass? Alle Gefühle auf ein Mal? Wann hört Liebe auf?
Am Ende ist eines klar: Liebe ist immer anders, bei jedem, und sie verändert sich, einen selbst, den anderen, und alles um einen herum. Julian wird eines am Ende klar … er hat Lia auch als Freundin verloren, weil sie bei einem Unfall starb, aber es gibt für ihn eine Liebe, die immer da ist.
Bianka Lammert als Lia fantastisch und überzeugend. Mit ihrem ersten Auftritt auf der Bühne, einem Erscheinen gleich, während Julian Gitarre spielt, kündigt sie in ihrer unnachahmlichen Art ein Ereignis aus der Zukunft des Stückes an, das man am Beginn weder kennt noch erahnt.
Thomas Ehrlichmann als Julian ist der 14-jährige in Lia verliebte Julian, der par tout wissen will, warum Lia ihn nicht liebt, wodurch er mit Lia auf die Reise zur Ergründung von der Liebe geht … Dass diese Reise seine Gedanken sind, erfährt der Zuschauer erst zum Ende …
Das Stück ist vielschichtig, anregend, erklärend und durch die Sprünge in Zeiten und Räumen, zwischen und zu Personen zur Aufmerksamkeit zwingend. Der Aufbau hat etwas von einem modernen TV Stück seh gerecht für junge und junge gebliebene Erwachsene.
Simone, Simone? Da war doch was? Ja, Lisa Simone ist die Tochter der begnadeten Nina Simone. „My Baby cares for Me“, der Song ging damals und geht heute noch unter die Haut. Neben Gloria Gaynors „I Will Survive“ und „It´s Raining Men“ von den Weather Girls eine Hymne für Gays.
Längst ist Lisa Simone aus den Fußstapfen ihrer kongenialen Mutter Nina herausgetreten und selbst zu einem international gefeierten Jazz-Star geworden. Die Tochter der amerikanischen Soul-Legende und Bürgerrechtlerin Nina Simone, gilt als eine der spannendsten Jazz-Sängerinnen unserer Tage und triumphiert bei so erlesenen Jazz-Festivals wie dem Montreux Jazz. Ihre dritte, im Herbst 2019 veröffentlichte CD „In Need of Love“ ist ein sehr persönliches Album der Vollblutkünstlerin und Powerfrau, die mit tiefgründigen Texten, eindringlichen Bildern und dem reichen Farbspektrum ihrer tiefen wandelbaren Stimme die Reiseführerin in eine Jazz- und Soul-Welt ist.
Lisa Simone bot im domicil in Dortmund eine reife und fantastische Mischung aus Soul, Karibik-Sound und Jazz. Vor allem aber, ihre fantastische Stimme, die einfing, trug und auf eine musikalische Reise mitnahm. Das Publikum schwang mal mehr, mal weniger, aber alle in jazziger Bewegung im Rhythmus der Songs mit.
Zwischen den Songs gab Simone ein wenig aus ihrem Leben preis, den nächsten Song einführend. So erfuhr das Publikum ein wenig über ihre Mutter, das Verhältnis zu ihr und ihre Zeit in der US Air Force in Frankfurt. Sie musste sich damals in Hessen wohlgefühlt haben, so wie ihre Stimme dabei klang. Sie erinnerte sich an eine Frage, die sie berührte, bis heute: „Wie geht´s?“ Sie fragte auch uns. Ende September berechtigt, wäre aber auch jetzt bei den wieder steigenden Inzidenzen. Bis zu der Frage hatte Simon ihr Publikum in einen Wohlfühlrhythmus versetzt. In Deutschland begann sie eine musikalische Karriere als Sängerin. Unter der Woche war sie Soldatin, am Wochenende trat sie in Clubs auf. Dabei wurde sie von Joan Faulkner als Sängerin entdeckt.
Über den Broadway nahm sie ihren Weg in die Solokarriere. Nicht leicht, weil man anderes erwartete und sie in ein Schema pressen wollte. Ihre Stimme ist aber nicht in ein Schema zu pressen oder gleichförmig. So wandelbar wie ihre Songs ist auch ihre Stimme und sie gibt damit jedem Stück ein eigenes Leben. Perfekt für eine musikalische Reise, deren Antrieb Jazz und Soul sind. Die Stimme als Tragfläche. Die Songs als Kabine. Simone als unsere perfekte Gastgeberin über den Wolken.
• 2014: All Is Well (Laborie Jazz) • 2016: My World (Sound Surveyor Music) • 2019: In Need of Love (Elektra Records)
Seit 2.500 Jahren ist er fester Bestandteil des Theaters: der Sprechchor. Die alten Griechen benutzten ihn als „Stimme des Volkes“, als „moralische Instanz“ oder als „Kommentator“. Mittlerweile gehört er wieder öfter zu Inszenierungen dazu, im Schauspiel Dortmund ist der Sprechchor sogar ein festes Ensemblemitglied. Nach „anfassen“ ging der Sprechchor wieder „fremd“ für die neue Produktion „schwierig“ von vier.D. Sie stellt in der großen Mittelhalle des Kulturorts Depot den Sprechchor in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Premiere war am 22. Oktober 2021.
Auf weißen Papphockern sitzend erlebt das Publikum mitten in der Halle ein Chor, der irgendwie in eine Krise gekommen ist. Sind es die Anforderungen? „Viel zu viel“ und „viel zu hoch“ klingt wie eine Kritik an zu absurden Texten oder an zu merkwürdigen Regieanweisungen von Regisseuren, die beispielsweise einen Sprechchor aus Hartz-IV-Empfängern fordert.
Schnell kommt auch etwas wie Neid gegenüber der Protagonistin (Christiane Wilke) auf, die im Laufe des Stückes eine Entwicklung durchlaufen kann, was dem Chor als Einheit, als Masse verwehrt bleibt. Dieser Konflikt zwischen Individualität und dem „Wir“ durchzieht das gesamte Stück. Der Versuch eines zweiten Protagonisten (Thomas Kemper) aus dem Chor heraus eine Individualität zu erreichen, scheitert letztendlich.
Aber hat der Chor nicht recht mit seiner Bemerkung, dass es das „Volk“ oder eine „moralische Instanz“ gar nicht mehr gebe? Sind wir nicht alle mittlerweile zu Individuen geworden, die ein „gesundes Volksempfinden“ wie es perfide unter den Nazis hieß, nicht mehr nötig haben? Oder haben wir den Chor als moralischen Rückhalt weiter nötig. Eine Antwort darauf gibt es nicht, auch dem Chor fällt keine andere Antwort ein und sagt deshalb fast resignierend: „Ich möchte gern ein anderer sein, mir fällt aber keiner ein.“
„Schwierig“ ist nicht nur ein Stück über dem Chor, sondern auch mit dem Chor und die Mittelhalle des Depots ist ein sehr guter Ort, um die mehr als 20 Chormitglieder in Szene zu setzen. Da das Publikum in der Mitte saß, mussten sie die Perspektive mal ändern. Trotz des Halls in dem großen Raum konnte ich alles gut verstehen. Eine weitere Arbeit von Thorsten Bihegue, der wie bei „Anfassen“ den Text schrieb und die Regie führte. Birgit Götz war für zwei wunderschöne Choreografien zuständig und Manuel Loos für die Musik. Es war ein sehr gelungenes Stück über das Seelenleben eines Sprechchors.
Das Stück wird noch am 26. und 27. Oktober 2021 im Depot gespielt. Kartenreservierungen sind über die Homepage möglich: www.depotdortmund.de. Weitere Informationen zum Stück sind auf der Homepage www.vier-d.info/projekte/schwierig oder den Social Media Kanälen von vier.D und dem Dortmunder Sprechchor erhältlich.
Judas, der Name, der zum Synonym des Verrats schlechthin geworden ist … Du Judas Du … wie oft mögen wir das schon gehört haben, wie es jemandem in Verachtung entgegengeschleudert wurde, wir es vielleicht sogar waren, die es herausspuckten.
Dieses Synonym für Verrat hat sich längst aus dem religiösen Kontext gelöst und ist zu etwas eigenem geworden. Wirklich? Steckt nicht doch sehr viel mehr Religion und auch noch das andere, diese widerwärtige Haltung darin oder dahinter?
Lot Vekemans, die niederländische Autorin des Bühnenstückes, lässt Judas in ihrem Monolog zum ersten Mal durch Amelle Schwerk selbst sprechen. Vekemans lässt uns in dem Monolog teilhaben an den Gedanken des Apostels, der Jesus auslieferte, damit der die Prophezeiung erfüllt und die Schuld der Menschen auf sich nimmt. Judas provoziert mit seinem Statement, das ja eigentlich er und nicht Jesus die Schuld der Menschen, mit seinem Handeln auf sich, seine Schultern, die Schultern des Judas Iskariot, genommen habe. Starker Tobak.
Judas tritt damit endgültig aus dem Schatten der jahrhundertelangen Verachtung ins Rampenlicht einer erstaunten Öffentlichkeit und lässt uns teilhaben an seiner Geschichte. Eine Geschichte die wir alle glauben zu kennen, weil sie uns hinlänglich erzählt, gepredigt wurde, und nachzulesen war im Buch der Bücher … Eine Geschichte, die vor mehr als 2000 Jahren begann.
Judas liefert uns keine Rechtfertigung, lamentiert nicht, keine Entschuldigung, sondern er nimmt uns mit auf seine Seite der Geschichte. Die Geschichte von Judas und Jesus, in der die Tat des Verrats neu beleuchtet wird. Die Seite der Geschichte, die die Evangelisten nicht niedergeschrieben haben.
Einige Zuschauer schienen irritiert worden zu sein. Zu Recht, denn es besteht keine allgemeine, alleinige Wahrheitsgültigkeit der Evangelien. Es sind Geschichten, die Jahrzehnte nach den Ereignissen in Judäa niedergeschrieben wurden von Menschen … und Erinnerungen sind flexibel, ändern sich mit der Zeit, der Distanz zum Ereignis. Auch dem nicht religiösen, kritischen Zeitgenossen gehen zu Judas doch weitere, andere Gedanken durch den Kopf.
Unser Judas ist Amelle Schwerk die mit uns zu flirten scheint, damit ihre Sicht der Dinge einfacher zu verdauen ist. Sie kungelt geradezu mit uns dem Publikum. Sie wird laut, schreit und fleht gar. Warum? Bringt uns mit ihrem kraftvollen Gesang ihr Anliegen nahe. Dieser Monolog in der Inszenierung von Oliver Meyer ist mehr als nur ein Rahmen, in dem eine Schauspielerin ihre künstlerischen Fertigkeiten demonstriert. Amelle Schwerk ist energiegeladen, nicht aufgedreht oder geltungssüchtig, sondern immer ganz bei sich. Mit dieser Innerlichkeit füllt Schwerk die Bühne aus und greift über in den Raum des Publikums, nicht nur mit der Frage nach der nicht bezahlten Eintrittskarte. Es ist eine Show, eine ruhige Show. Nachdenklich und Nachdenklichkeit erzeugend.
Judas, ist nicht mehr der Name, der zum Synonym des Verrats schlechthin geworden ist.
Judas – Amelle Schwerk REGIE – Oliver Meyer BÜHNE – Vanessa Maria Sgarra KOSTÜM – Annabelle Gotha MUSIK – Christian Decker DRAMATURGIE – Melanie Hirner Credits – Staatstheater Hannover
Im Studio des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) ist vom 24.10.2021 bis zum 12.12.2021 die Wanderausstellung „Menschen, Bilder, Orte – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ als fünfte und letzte Anlaufstelle im Rahmen des bundesweiten Festjahres zu Gast. Damit endet das gemeinsame Programm der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR).
Sie umfasst den umfangreichen Zeitraum vom Dekret Kaiser Konstantins von 321 (Recht für Juden, in den Stadtrat gewählt zu werden) bis in zu den jüdischen Gemeinden in der Gegenwart.
Die Ausstellung ist in vier Bereiche unterteilt, die durch vier begehbare und multifunktionalen Kuben repräsentiert werden. Dort befindet sich neben einer Leinwand mit einführenden Bildern jeweils vier Tablets und Kopfhörer. Visuelle und akustische Eindrücke vermitteln die Inhalte. Die Besucher*innen können diese durch Interaktion selbst entdecken und nach Interesse und Neugier ihr Wissen vertiefen. Der Einstieg ist einladend niederschwellig gehalten.
Kubus 1 behandelt im weitesten Sinne „Recht und Unrecht“, was jüdischen Menschen seit 1700 Jahren widerfahren ist. Themen sind etwa das Pest-Pogrom (1349, da ging es mit den Verschwörungstheorien, z. B. „Brunnenvergifter“ richtig los), die spätmittelalterliche Ausweisung aus den Städten und die Schoah. Der Fokus liegt auf Alltagsgeschichten und auch Persönlichkeiten.
Im Kubus „Leben und Miteinander“ thematisiert das unterschiedliche Zusammenleben von Jüdinnen und Juden sowie Christ*innen im Laufe der Jahrhunderte.
Der Kubus 3 „Religion und Geistesgeschichte“ erzählt vom 1. Jahrtausend, in dem besonders die Niederschrift des mündlichen Gesetzes bedeutsam ist. Behandelt werden außerdem die jüdische Aufklärung (Haskala) sowie die damit hervorgehenden Entwicklungen neuer Strömungen im Judentum. Zusätzlich können die Besucher*innen etwas über grundlegende Schriften und deren Verwendung für spezielle Anlässe oder über die Architektur der Synagogen oder der Konversion erfahren.
Beim Kubus 4 geht es um „Kunst und Kultur“ mit dem Schwerpunkt auf rituellen und kulturellen Aspekten. Feiertage mit ihren Riten und Symbolen werden hier erklärt, aber auch ein Einblick in die Kunst, Musik und Unterhaltungskultur gegeben. Da geht es auch um Fragen wie „was ist jüdische Kunst?“.
Der Bogen ist weit gespannt und geht von den Gemälden Felix Nussbaums, Marc Chagalls und Max Liebermann oder Architekturen von Erich Mendelsohn, Gottfried Semper bis hin zu Musik etwa von Friedrich Hollaender.
Informationen zu Führungen und dem Begleitprogramm erhalten Sie unter info.mkk@stadtdo.de oder 0231-5026028, wo man sich auch anmelden sollte.
Liebe, viel ist darüber geschrieben worden, die fantastischsten Dramen, die wunderbarsten Romanzen und natürlich getanzt … auch über die unmöglichen, verbotenen Lieben, wie im Schwanensee. Für mich ist der Schwan ein Synonym für eine andere geliebte Person, als die weibliche, die nicht gesellschaftlich tolerierte.
Aber zu unserer Premiere zurück. „In the Still of the Night“ ist die neueste Arbeit von Lucia Lacarra und Mathew Golding. Sie hatten sich schon mit Fortlandia als neues Kreativpaar der internationalen Tanzwelt in Dortmund vorgestellt, und mit der Eigenproduktion einen Zustandsbericht zum globalen Stillstand abgegeben.
Liebe, in ihrem Beginn wohnt das Ende. Sie ist aufregend, blendend, erfüllend, verstörend durch Ängste von Verlust und wieder Einsamkeit, beides setzen Lacarra und Golding fantastisch in ihren Pas de Deux im Film und auf der Bühne um. Morgen ist jetzt! Die Momente und Augenblicke reihen sich. Man spürt regelrecht den Herzschlag der Liebenden. Man ahnt aber auch das Drama, das jeden Moment zuschlagen könnte.
Bis … bis, dass das Schicksal zuschlägt. Ist es wirklich der Unfall? Oder ist er nur ein Synonym für das Scheitern der Liebe? Der Schmerz, der danach kommt, ist der Gleiche in beiden Fällen. Er ist tötend. Er ist wie Lehm, der sich über einen legt und förmlich erstickt. Die Einsamkeit, die folgt, ist erschlagend und laut, unerträglich und man spürt den Menschen, den man sich herbeisehnt, ersehnt, erfühlt wie eine Realität.
Die letzte Szene gibt etwas zum Nachdenken zur getanzten Beziehung … aber auch für Zuschauer. Vor allem diejenigen unter uns, die eine schmerzhafte Trennung durchlebt haben.
Das Tanztheater von Lacarra und Golding lässt uns eine intensive Liebe erleben, nicht unsere, aber eine schöne, eine schreckliche, eine brutale Liebe. Das Stück ist eine kreative Union zwischen Film und Bühne, die unterschiedliche Musikstile verbindet und dabei etwas Neues, sehr kraftvolles auf die Bühne zaubert und fesselt.
Musik von Five Satins, Philip Glass, Ben E. King & The Drifters, Edith Piaf, Max Richter, Righteous Brothers, The Ronettes, Tänzer – Lucia Lacarra, Mathew Golding Konzept und Inszenierung, Choreographie, Filmregie – Mathew Golding Video – Valeria Rebeck, Craneo Media
Besonders für die bildenden Künstler beginnt die Arbeit an einem neuen Werk mit einem simplen Strich mit einem Bleistift oder ähnlichem Werkzeug. Die Skizze bildet die Grundlage. Im Fokus der Ausstellung „a bit of the side III – Zeichnungen auf Seitenwegen“ stehen Zeichnungen, die sich selbst weiter verändern oder die Veränderung schon in sich tragen. Somit wird der simple Strich zu einem Objekt, das Farbe, Ton oder Dreidimensionalität erhält. Kuratiert von Elly Valk-Verheijen und Maria Schleiner zeigen sieben Künstler*innen ihre Positionen vom 23. Oktober bis zum 28. November 2021 im Künstlerhaus.
Bei Nina Brauhauser hat die Skizze den Weg in die Dreidimensionalität geschafft, sie sind zu einer Plastik geworden, die aus der Bewegung entstanden sind. Das Besondere: Die Künstlerin fotografiert ihre Plastik und somit erschafft sie durch das Schattenspiel ebenfalls eine Dreidimensionalität, die den Betrachtenden durchaus irritieren kann.
Vor der Arbeit von Samuel Treindl stehen (v.l.n.r.) die Kuratorinnen Maria Schleiner und Elly Valk-Verheijen sowie die Künstlerinnen Marta Colombo und Mira Schumann.
Mira Schumann zeigt Arbeiten aus der Reihe „Anwesenheiten“. Sie erschafft kleine Räume aus Elementen, die wie Szenen aus Puppenhäusern wirken. Zeichnungen scheinen zu schweben und muten wie kleine Geister an, die die Szenerie beleben. So können die Betrachtenden eigene Geschichten entwickeln.
Digital wird es nebenan, denn da zeigt Gerhard Reinert seine interaktiven Sekundenfilme. Die digitalen Zeichnungen verändern ihre Form, sobald jemand mit der Maus über die hinwegfährt oder darauf klickt. Darüber hinaus kann man auch auf die Seite sekundenfilme.de gelangen, auf der noch weitere Links zu experimentellen Filmen zu finden sind.
Alltagsgegenstände haben Marta Colombo während der Corona-Zeit fasziniert. Dabei verknüpft sie Zeichnungen mit dreidimensionalen Objekten. Die Elemente in den Zeichnungen lassen sich nämlich in irgendeiner Art in der Objekten wiederfinden, beispielsweise durch die Farbe. Darüber hinaus spielt sie mit der Architektur des Raumes, indem sie den Weißraum in ihren zeichnerischen Arbeiten der Leere des Raumes gegenüberstellt.
Beinahe meditative Arbeiten erzeugt die Schweizer Künstlerin Evelina Cajacob. In ihren Videoarbeiten tritt sie in Dialog mit dem Raum und beschäftigt sich sehr stark mit dem Material. In einem Fall ist es ein langes Bergseil, das sich fast sinnlich über den Bildschirm schlängelt und Elemente der Pareidolie herbeirufen kann.
Im Eingangsbereich hat Samuel Treindl sein „Spuckschutz“ aufgebaut. Ein verspieltes Objekt aus Alltagsmaterialien, das seinen Zweck, Menschen vor anderen Menschen zu „schützen“ gleich wieder dekonstruiert durch seine teilweise Offenheit und seine Unperfektion.
Zeichentrickfilme im ursprünglichen Sinn zeigt Anna Lytton. Vor allem „Shell“ überzeugt mit vielen witzigen Ideen und auch „Mirror“ kombiniert Bleistiftzeichnungen mit realer Haut zu einem visuellen Kunstwerk.
Die Neuen des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler Westfalen e. V. (BBK) präsentieren sich ab kommenden Sonntag in der BIG gallery direkt neben dem Dortmunder-U. Im 900 qm großen Foyer wird endlich wieder eine spannende Kunstausstellung gezeigt und so Kunst sicht- und erlebbar. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 14.11.2021.
Der Ausstellungstitel „Die Neuen“ ist zugleich Programm: Der BBK freut sich, seine „NEUEN Mitglieder“ der letzten 4 Jahre mit ihren Arbeiten präsentieren zu können. 27 zum Teil weit über NRW hinaus bekannte Künstler*innen sind dem Aufruf gefolgt und hatten Arbeiten eingereicht. Zu sehen sind jeweils zwei Werke von 21 Künstlerinnen und 6 Künstlern aus 16 Städten. Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll die große Bandbreite künstlerischen Schaffens in Westfalen. Thematisch wurden keine Vorgaben gemacht – erwünscht war die typische, individuelle, künstlerische Ausdrucksform. So kontrastieren filigrane, eher ästhetische bis hin zu politischen Arbeiten. Die Werke umfassen die Bereiche Malerei, Grafik, Fotografie, Plastik, Skulptur und Video.
Beklemmend aktuell und politisch brisant die schon 2012 in Bethlehem entstandenen Bilder aus der Serie „Wall“ von Eva Horstick, wo sie Fotos von Kriegsgeschehen mit Popart und Zeichnungen mit Mangamotiven überlagert, um ein Plädoyer für Freiheit und Toleranz zu geben. Direkt kontrastierend daneben farbstarke Menschengruppen von Anette Göke mit der Botschaft „Vielfalt macht bunt“. Angelockt durch ein scheinbar widersprüchliches Verhältnis von Bild und Rahmen erschließt sich bei Klaus Pfeiffer erst mit dem nebenstehenden Text aus der Fabel „Der Blick vom Turm“ von Günter Anders die -fast- surreale Botschaft.
Die Skulpturen von Karina Cooper oder die zart geflochtenen Gebilde von Sylvia Jäger besitzen eine organische Ästhetik. Coopers Arbeiten wirken dabei wie holzgewordene Ammoniten oder andere Fossilien.
Im begleitenden Katalog sind alle Werke abgebildet, die Lebensläufe inklusive der Ausstellungstätigkeiten dargestellt. Die Kunsthistorikerin Anke Schmich hat sich mit der künstlerischen Arbeitsweise sowie dem jeweiligen Werk beschäftigt und so erschließen sich auch eher „sperrige“ Werke dem lesenden Betrachter.
Ein Schauspiel von Nona Fernandéz in der deutschsprachigen Erstaufführung übersetzt von Friederike von Criegern.
Der erste Akt wirft den Zuschauer direkt hinein in ein Problem, das er sich allerdings selbst erarbeiten muss, was es ist und wo. Aus dem Off sind spanische Worte zu hören, der Raum ist also die spanische Welt, nur die ist sehr groß … die vier Personen, als Film präsentiert, sind offensichtlich zu Hause, gegen Abend, zwei „Mädels“ und zwei Männer … eine gleichgeschlechtliche Ehe? Spanien? Nach Franco? Dazu passen aber die zu verstehenden Wortfetzen nicht, hier sind ehemalige Lateinschüler oder regelmäßige Spanienurlauber etwas im Vorteil. Die Reaktion der Erwachsenen zeigt urplötzlich doch einen Hinweis auf die Zeit, 1980er Jahre und den Ort … der Ort des Geisterhauses, Allende, Chile … die Stimme aus dem Off, es muss zur Zeit von Pinochet sein.
Es kann nicht Spanien sein, weil auch das Stück nicht europäisch auf einen einstürmt.
Die Familie ist eine klassische, mit Mann, Mutter und zwei Töchtern, die einen Geflüchteten bei sich aufgenommen haben. Nur der Geheimdienst meldet sich und droht. Also schützt man die Familie, denn die Töchter werden zuerst in ihr Zimmer geschickt, wo sie sich verstecken sollen.
Es fällt ein Schuss und die Kamera nimmt die Position der Seele ein und entflieht der Erde.
Die Szene wechselt brutal, während man noch den ersten Akt verarbeitet. Aber man ist derart gefangen, dass man umschaltet, man will wissen, was passiert … und vielleicht kommt die Auflösung ja gleich …
Chile, 9/11 1973 putschte das Militär gegen den demokratisch gewählten Salvador Allende, der das Land aus dem kolonialen Griff der USA und Europas herausführen wollte. Die USA boykottierten Chile, ein zweites Kuba befürchtend und destabilisierten das Land, nachdem Allende Schlüsselindustrien, Bergbau, Banken, Versicherungen und die Kupferminen verstaatlichte … es ging wie immer um US-Investitionen, wie damals in Kuba. Aus Chile wurde ein neoliberales Musterland gemacht, mit anderen Worten, die US pervertierte Bronzezeitwirtschaft radikal durchgesetzt, alles, inklusive der Grundversorgung, z.B. mit Wasser, ist privatisiert.
Der Lehrer telefoniert, sein Mobil benutzend, wirkt zum Bersten gestresst und geht hektisch, immer wieder betonend, dass er sich im Griff habe, hin und her. Er hatte seine Psychopharmaka selbst abgesetzt, um wieder normal leben zu können. Er hört eine Stimme aus der Wand und kurz darauf steht Maldonado vor ihm. Sie taxieren sich Gegenseitig mit größtem Misstrauen aus unterschiedlichen Gründen. Es braucht einige Zeit, bis dass sie einen Nenner erreichen. Der wieder unausbalanciert wird, als zwei weitere Personen aus dem Loch in Wand hervorkriechen … Riquelme und die stumme Fuenzalida, die alles, was sie zu fragen oder zu sagen hat, aufschreibt und dabei zusehends rasender schreibt … es kulminiert in einem ersten Wort, das sie wieder spricht.
Die drei und weitere Companieras befinden sich seit Oktober in ihrem Versteck und realisieren, dass sie ihre Abschlussprüfungen verpasst haben … Dem Zuschauer schwant, dass die drei nicht im Oktober des gleichen, aktuellen, Jahres im Versteck verschwanden. Oder ob der Lehrer ohne seine Medikamente gerade eine Psychose erlebt … so reagieren aber auch die drei SchülerInnenprotestler. Sie haben zudem aufgrund des Erlebten eine Paranoia entwickelt, die sich in gelegentlich komischen, Lacher erzeugenden, Situationen zeigt … wie auf das Mobil des Lehrers, das für eine Bombe gehalten wird … Das die geflüchteten Schülerinnen 1985 in dem Versteck verschwanden, wird nach Fuenzalida erstem Wort und der folgenden Beichte ihres Lebens nach den Ereignissen, die zur Flucht zwangen, berichtet.
Im Zuschauer, der gebannt ist, in die Geschichte tief hineingezogen wurde, entsteht ein Konflikt … hat der Lehrer halluziniert, weil er seine Medikamente abgesetzt hat, oder wie haben die Companieras in ihrem Versteck über 30 Jahre überleben können?
Das Stück bezieht sich auf die 1985 verstärkten Schülerproteste gegen General Pinochet im Jahre 1985 und die Folterungen des Regimes, die auch in der von dem Deutschen Evangelikalen, Paul Schäfer, in Chile 1961 gegründeten Sektengemeinschaft, der Colonia Dignidad, durchgeführt wurden … Neben diesen Menschenrechtsverletzungen und Beteiligungen an Staatsmorden, beging Schäfer auch massiv Kindesmissbrauch.
Nona Fernandéz gelingt mit dem Stück eine subtile Gratwanderung zwischen Wahnsinn, Psychosen, möglicher Realität und fantasievoller Sciencefiction. Es spiegelt die Situation derjenigen ansatzweise wider, die in die Mühlen eines terroristischen, diktatorischen Regimes geraten sind, Folter und Brutalität erleben müssen oder mussten.
Ein Stück, das uns vor Augen führt, wie privilegiert wir hier in Deutschland leben und doch bedroht sind durch eine populistische Sekte und querschlagende Sozialverweigerer, besonders weil auch wir in Deutschland immer mehr die Destabilisierung des Systems durch die Brutalität des US-Kapitalismus, besonders seit 2007/08, jedes Jahr ein Stück mehr erleben.
Mädchenschule ist eine faszinierende und fesselnde Inszenierung, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Denn nicht nur die Geschichte zieht einen in das Stück, sondern auch das Ensemble spielt fantastisch fesselnd … inklusive Situationskomik, die gelegentlich im Halse stecken bleibt.
Der Lehrer – Alexander Darkow, Maldonado – Nika Miskovic, Riquelme – Valentina Schüler, Fuenzalida – Linus Ebner, der gealterte Junge – das Ensemble Regie – Anna Tenti, Bühne – Nane Thomas, Kostü, + Videokonzept – Lena Kremer, Musik – Tobias Hoeft, Dramaturgie – Sabine Reich, Regieassistenz – Christian Feras Kaddoura, Souflage – Violetta Ziegler
Das Stück „Fünf“ von Lina Mareike Wolfram, Seth Tietze und Sofie Neu erzählt das Schicksal von fünf eineiigen Mädchen, die am 28. Mai 1934 in Kanada geboren wurden. Die Weltsensation warf schnelle ihre Schattenseiten auf die Mädchen, die als Begaffungsobjekte in einem Vergnügungspark leben mussten und somit ihrer Kindheit beraubt wurden. Premiere hatte „Fünf“ im Rahmen des Summer up Festivals am 17. Oktober 2021.
Die Geschichte handelt von Yvonne, Annette, Cécile, Emilie und Marie Dionne. Entgegen aller Erwartungen überleben die Fünflinge und werden zur Sensation. In der Folge werden sie ihren Eltern weggenommen und in einer Art Vergnügungspark namens „Quintland“ zur Schau gestellt. Mit neun Jahren kehrten sie wieder zu ihren Eltern zurück, wurden dort nicht glücklich, weil sie unter anderem von ihrem Vater sexuell missbraucht wurden. Mit 19 Jahren zogen sie gemeinsam aus ihrem Elternhaus aus. Emilie starb schon früh mit 20 Jahren, Annette und Cécile sind noch am Leben.
Wolfram und Tietze erzählen die Geschichte der fünf Mädchen und Frauen mit sehr viel Humor, auch wenn sie aus heutiger Sicht sehr traurig ist. Die Mädchen werden im Prinzip wie Tiere im Zoo behandelt und von Eltern und anderen Menschen als Geldquelle missbraucht. Der Schwerpunkt des Stückes liegt deutlich auf die Jahre in „Quintland“.
Die Schauspielerinnen wechselten die Kostüme, benutzen Fotomasken, um beispielsweise den Hausarzt der Dionnes, Dr. Dafoe, darzustellen oder fuhren als die kleinen Fünflinge mit dem Dreirad über die Bühne des Studios. Gelungen war auch die Idee mit der Kamera und einem Puppenhaus manche Szenen auf die Leinwand zu bringen. Wie es sich für die damalige Zeit gehört, natürlich in Schwarz-Weiß.
Ein gelungener Geschichtsunterricht in Schauspielform über das Leben von fünf Mädchen, dessen Schicksal in Deutschland so gut wie unbekannt sein dürfte. Ihrer Kindheit und Jugend beraubt, wurden sie benutzt, um andere reich zu machen. Ob es heute anders wäre? Gut, in einen Vergnügungspark würde man die Kinder wohl nicht mehr stecken. Aber wir haben heute genug andere Vermarktungsmöglichkeiten, sodass es für skrupellose Eltern genug Gelegenheiten gäbe, die Kinder auf twitch, instagram oder youtube zur Schau zu stellen, um den berühmten Rubel rollen zu lassen.
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