Der Hetzer – ein modernes Musiktheater mit aktueller Brisanz

Im Opernhaus Dortmund hatte am 26.09.2021 „Der Hetzer“ (Oper in vier Akten) vom Österreicher Bernhard Lang unter der Regie von Kai Anne Schuhmacher seine Uraufführung.

Nein, das war keine der üblichen Opern mit oft harmonischen, emotional-dramatischen Arien, wie es das Publikum kennt. Bernhard Lang nutzt in seiner Komposition Mittel, die in der elektronischen Musik zum Einsatz kommen. Samples werden geloopt, verkürzt und verfremdet. Seine Musik ist von verschiedenen Elementen wie Jazz, Rap, Hip-Hop, Pop-Rock oder aber Barock (Purcell) beeinflusst.

Für die musikalische Leitung von Dirigent Philipp Armbruster und die Dortmunder Philharmoniker eine große Herausforderung. Orchester und Chor spielten nicht live, sondern wurden coronabedingt und als künstlerische Weiterentwicklung vorab aufgenommen. Es wurde zu Playback live gesungen. Die einzelnen Spuren aus den Orchesteraufnahmen des Hetzers wurde gezielt gefiltert und abgemischt und dann im Raum positioniert. Dabei half dem Dirigenten für die schwierige Aufgabe ein Kopfhörer.

Jack Natas (David DQ Lee) beobachtet im Hintergrund, wie die Beziehung zwischen Desirée (Álfheiður Erla Guðmundsdóttir) und Joe Coltello (Mandla Mndebele) kriselt. (Foto: © Thomas Jauk, Stage Picture)
Jack Natas (David DQ Lee) beobachtet im Hintergrund, wie die Beziehung zwischen Desirée (Álfheiður Erla Guðmundsdóttir) und Joe Coltello (Mandla Mndebele) kriselt. (Foto: © Thomas Jauk, Stage Picture)

Die Geschehen auf der Bühne wurde zur emotionalen Verstärkung live von einer Kamera begleitet und auf Leinwände projiziert. Für die eindrucksvollen Video-Projektionen war Stephan Kosmitsch verantwortlich.

Lang hat die bekannte Oper „Otello“ (1887) von Giuseppe Verdi überschrieben und sowohl textlich wie musikalisch in die Jetztzeit transformiert (Text nach William Shakespeare (1564 – 1616) und Arrigo Boito (1842 – 1918)). Zusätzlich wurde er durch standortbezogene Einschübe von Dortmunder Jugendlicher erweitert.

Die Texteinschübe um Bosheit, Liebe und Eifersucht wurden im Rahmen eines Schreibworkshops des Planerladen e. V. (Jugendforum Nordstadt) von jungen Menschen aus unserer Stadt entwickelt. Direkt und aktuell aus unserer Stadtgesellschaft.

Der Rapper IndiRekt und sein Kollege S.Castro brachten die Ergebnisse als Rap eindringlich auf die Bühne.

Als analytisches Werkzeug, um unsere Vorgefassten Meinungen und die Ereignisse auf der Bühne zu überdenken, nutzt der Komponist auch Loops im Text. Außerdem wechselt er während der Aufführung je nach dem vom teils deftiger deutscher, zur romantischem italienisch bis hin zur britischen Sprache. Dabei ist der Verdi-Kontext immer präsent.

Wie der Titel „Der Hetzer“ (hier wegen des Machtaspekts im Polizeimilieu verortet) schon nahe legt, stand bei dieser Inszenierung der intrigante, von rassistischen Vorurteilen und Neid getrieben Bösewicht, hier der kleine Polizeibeamte Jack Natas, im Mittelpunkt. Seine Kleidung wie aus einem SM-Studio hat einen leicht erotischen Touch und mit einem roten Schleier am Hinterkörper wirkt er optisch wie ein „Teufel“. Die Wirkung wird durch den starken Countertenor von David DQ Lee verstärkt.

Er verabscheut den als schwarzen Flüchtling schnell zum Hauptkommissar aufgestiegenen Joe Coltello und will ihn vernichten. Dazu ist ihm jedes Mittel recht. Den Anti-Helden Coltello singt und stellt überzeugend Mandla Mndebele dar.

Natas manipuliert alle Personen nach Belieben. Seine arglosen Kollegen Mark Kessler (Fritz Steinbacher), Rodriguez (Morgan Moody), Erich Berger (Denis Velev) und vor allem Coltello. Da hat es Joes Frau Desirée (Álfheiður Erla Guðmundsdóttir) schwer, ihre Treue zu beweisen und den eifersüchtigen traumatisierten Ehemann zu beruhigen. Er hört Stimmen, die ihn in den Wahnsinn treiben.

Der Opernchor Theater Dortmund unter der Leitung von Fabio Mancini hat hier in ihren weißen, leicht blutverschmierten Brautkleidern ganze Arbeit geleistet. Er fungierte zudem wieder als Volkes stimme. Zum Schluss klärt Desirées Freundin Emily (Hyona Kim) das Spiel des Hetzers auf. Entgegen der Vorurteile wird Coltello nun nicht zum gewalttätigen Mörder, sondern setzt seinem Leben durch Freitod ein Ende. Es gibt für ihn keine Gerechtigkeit.

Ein gerade in der Gegenwart wichtiger theatraler Weckruf gegenüber schnellen Vorurteilen, Rassismus und der Instrumentalisierung von Menschen.

Weiter Vorstellungstermine und Karten unter: www.theaterdo.de oder Tel: 0231/ 50 27 222




Piratenmolly Ahoi! Vom Mädchen, das auszog Seemann zu werden

Ein Theaterstück von Eva-Maria Stüting für Erwachsene ab 6 Jahren

Das Publikum noch im #corona modus … der 3G-Standard. Aber endlich wieder Theater, auch für die Kinder! Die Kulturbrigaden bieten im Fletch Bizzel ein turbulentes und buntes Stück mit viel Sprachwitz, Männer – Männ*innen, Musik und ein bisschen Lebensphilosophie für Erwachsene ab 6 Jahren. Das Stück räumt auf mit klassischer Rollenverteilung und entführt das Publikum auf eine abenteuerliche und bunte Seereise.

„Träume sind dazu da in Erfüllung zu gehen“, meint Molly Kelly und beschließt ihren Traum wahrzumachen. Sie möchte Seemann werden. Aber die Seefahrt ist ein hartes Geschäft, und harte Geschäfte, die werden meist von „harten“ Männern erledigt. Wie Captain Sparrow in „Pirates of the Caribbean“ … oder nicht?

Olly/Molly (Christiane Wilke) hat es schwer an Bord und versucht es dem Kapitän (Bettina Stöbe) recht zu machen. (Foto: © Kulturbrigaden)
Olly/Molly (Christiane Wilke) hat es schwer an Bord und versucht es dem Kapitän (Bettina Stöbe) recht zu machen. (Foto: © Kulturbrigaden)

Rada Radojčić inszenierte dieses Stück für Kinder von Eva-Maria Stüting, das am 24. September Premiere hatte. Die Theatertruppe Kulturbrigaden lieferte eine mitreißende und professionelle Vorstellung.

Molly Kelly wird von ihrer Mutter mehr oder weniger vor die Tür gesetzt. In einer Gesellschaft ohne soziale Sicherheiten, brutalisiert, wie vor dem 20. Jahrhundert bei Armen häufig üblich. Jedoch Molly gelingt es, ihren Traum zu realisieren und kann, sich als Junge ausgebend, als Schiffsjunge Olly anheuern. An Bord meistert sie die ihr gestellten Aufgaben und Dienste, bis es in einem Sturm, den sie vorhersieht, ihr Kapitän aber arrogant ignoriert, zu einem Unglück kommt.

Molly geht über Bord.

Molly wird alleine auf dem Meer treibend wach. Sie ist verzweifelt. Doch Rettung naht … nur die Rettung besteht aus einem Piratenschiff.

Mit List und Mut wird sie schließlich sogar zur gefürchteten Piratenkapitänin!

Das Stück gab einen guten subtilen Hinweis auf die Gleichberechtigung zwischen Jungen/Männern und Mädchen/Frauen. Denn jeder kann jeder werden. Weil es KEINE Beschränkung von Tätigkeiten, Berufen und Aufgaben auf ein Geschlecht gibt. In dem Stück wurde auch die Sprache Gleichheit verwendet. Mann/Mann und Männ*Innen, was für große Lacher sorgte. Da vor allem unsere Konservativen auf diesem Thema herumreiten und es als Sprachschikane deklarieren, als hinge ihr Leben davon ab.

Es spielen Vassily Kazakos, Bettina Stöbe und Christiane Wilke.

Regie: Rada Radojčić
Musikalische Leitung: Dixon Ra
Kostüm & Bühne: Anna Hörling
Licht: Marco Scholz

So. 28.11             11.00 Uhr            8,— €

Mi. 01.12             10.00 Uhr            8,— €    ermäßigt 6,— €

So. 10.10             15.00 Uhr            8,— €




30 Jahre artscenico – drei Monate Festival mit Brennschärfe X

An einem ungewöhnlichen, aber sehr ehrwürdigem Ort feiert die freie Theatergruppe um Rolf Dennemann ihr 30-jähriges Bestehen: Das Haus Schulte-Witten in Dorstfeld ist der Schauplatz eines Programms, das über drei Monate das Erdgeschoss in künstlerische Anordnungen verwandelt. Der Startschuss fällt am 01. Oktober 2021 um 18 Uhr.

Rund 36 einzelne Veranstaltungen halten das Haus Schulte-Witten in künstlerischem Atem. Möglich gemacht hat das eine Kooperation mit der Stadt- und Landesbibliothek und die Förderung durch das NRW Landesbüro für freie Künste.

Der Eingangsbereich vom Haus Schulte Witten. Im Erdgeschoss wird artscenico von Oktober bis Dezember 2021 der Hausherr sein.
Der Eingangsbereich vom Haus Schulte Witten. Im Erdgeschoss wird artscenico von Oktober bis Dezember 2021 der Hausherr sein.

Ein zentraler Punkt ist die gleichnamige Fotoausstellung namens „Helter Skelter“. Die Ausstellung ist immer mittwochs von 17.00 – 21.00 Uhr geöffnet und von donnerstags – sonntags immer 1 Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Die Fotos von Guntram Walter sind schöne Zeitdokumente über die verschiedensten Aktion von artscenico. Dazu gibt es die Möglichkeit, Unikate zu kaufen. Daneben gibt es einen kleinen Raum – für zwei bis drei Menschen gleichzeitig – in dem Filme angeschaut werden können.

Doch die Eröffnung bietet noch mehr, nämlich den ersten „in-ear“ Abend. Hier müssen Matthias Hecht, Elisabeth Pleß, Sascha von Zambelly und Stefanie Winner direkt wiedergeben, was sie auf dem Ohr gesagt bekommen. Ohne Zeit zu reflektieren. Um 20 Uhr ist am 01. Oktober Zeit für Künstler wie Jonathan Meese, Joseph Beuys und andere. Weitere dieser „in-ear“ Abende gibt es am 09.10.21 um 20 Uhr mit dem Thema „Wissenschaftler“ und am 05.11.21 um 20 Uhr sowie am 06.11.21 um 19 Uhr mit dem Thema Sport.

Musikalisch bietet die Veranstaltungsreihe auch einiges. Volker Wendland spielt mit Gregor Hengesbach Gypsy Swing am 02.10.21 um 19 Uhr und am 16.12.21 um 15 Uhr, am 07.10.21 um 20 Uhr präsentiert sich Chilek mit der ungewöhnlichen Kombination Gitarre, Cello und Schlagwerk, Yoyo Röhm bringt am 21.10.21 um 19 Uhr musikalische Gäste mit. Literatur trifft auf Musik am 25.11.21 um 20 Uhr, denn dann liest Elisabeth Pleß und Chilek machen dazu Musik.

Für langjährige Mitstreiter von artscenico finden gesonderte Abende statt, bei denen sie sich präsentieren können. Thomas Kemper entwickelt seine „Frauenfigur“ am 30.10.21 um 19 Uhr, danach ist der Besucher zu Gast bei Matthias Hecht am 26.11.21 um 19 Uhr und am 17.12.21 um 20 Uhr präsentiert Elisabeth Pleß ihr Programm.

Selbstverständlich ist auch Rolf Dennemann beim Mammutprogramm vertreten. „Hattingen ist nicht Helsinki“ lautet seine Lesung mit Drums und Piano, die am 12.11.21 um 20 Uhr stattfinden wird. Daneben macht er auch das Gespräch „Der Tod auf Visite“ am 19.11.21 um 20 Uhr, bei dem es um die Frage geht, wie er und sein berufliches Umfeld mit seiner Krebserkrankung umgeht.

Darüber hinaus gibt es weitere Veranstaltungen mit Lesungen, Musik und sogar Tanz. Eine Filmcrew kommt dreimal zum Filmen und an manchen Tagen kann man sein mitgebrachtes Grillgut grillen lassen. Wann? Das ausführliche Programm finden Sie auf https://www.artscenico.de/blog/2021/09/10/brennschaerfe-x/. Dort finden Sie auch Informationen zu Kartenreservierungen.

In den Veranstaltungsraum passen coronabedingt nur 20 Menschen, es kann sein, dass die Kapazität auf 30 erhöht werden kann. Dennoch möchten die Veranstalter von artscenico, dass der intime Charakter gewahrt wird.
Eintritt:
Normaler Ausstellungsbesuch: kostenfrei
Konzerte: 15 €/10 €
Performances: 10 €/5 €
Tanzabende: 15 €/10 €
L’après-midi (sonntags): 5 €
Flatrate alle Veranstaltungen: 100 €

Eine Reservierung ist erforderlich. Es gelten die Regeln der Coronaschutzverordnung.




Evelyn Glennies Kampf für ihren Traum

Nach längerer Corona bedingter Pause freuten sich am Freitag, dem 24.09.2021 alle Beteiligten im Dortmunder Kinder und Jugendtheater (KJT) mit „Playing from the heart“ von Charles Way unter der Regie von Antje Siebers eine Premiere vor Publikum in ihrem Haus feiern zu können. Das Stück basiert auf einer wahren Geschichte und ist für Kinder ab 10 Jahren.

Evelyn Glennie wächst bei ihrer Familie auf einen Bauernhof in Schottland auf. Durch eine Nervenkrankheit verliert sie nicht nur ihr Gehör, sondern scheinbar auch ihren Wunsch, Profimusikerin zu werden. Schon mit 12 Jahren begann sie, Perkussionsinstrumente (Pauken, Trommel, Becken, Xylofone) zu spielen.

Maria Portugal an den Percussion-Instrumenten und das Ensemble von "Playing from your heart". (Foto: © Florian Dürkopp)
Maria Portugal an den Percussion-Instrumenten und das Ensemble von „Playing from your heart“. (Foto: © Florian Dürkopp)

Mit Mut und Willenskraft verfolgte sie trotz ihrer Taubheit ihren großen Traum. Heute ist sie eine weltberühmte Komponistin und Perkussionistin.

Siebers arbeite bei ihrer Inszenierung geschickt mit verschiebbaren Wänden mit halbdurchlässiger Gaze. Diese ermöglichten sowohl Rückblicke, standen aber auch symbolisch für die „unsichtbare Trennung“ der Welten von „normal Hörenden“ und der tauben Evelyn.

Auf der Bühne war ein großes Klettergerüst und einem Drehrad mit Neon-Leuchtfarben an den Rändern und stilisierten Wolken. Schauspielerin Ann-Kathrin Hinz thronte als Evelyn am Anfang oben auf dem Gerüst und führte in deren Geschichte ein.

Das Gerüst stellt den Kornspeicher des Bauernhofs dar, wo sie als Kind kletterte und Königin in ihrer Welt war. Sie muss sich gegen ihre großen Brüder Colin (Max Ranft) und Roger (Thomas Ehrlichmann) und zankt wie in Familien üblich ab und zu mit ihnen. Ranft und Ehrlichmann schlüpften auch noch mit viel Lust an der Verwandlung in diverse andere Rollen.

Bettina Zobel zeigte ihre Vielseitigkeit sowohl als besorgt-liebende Mutter wie auch in verschiedene andere Rollen.

Ann-Kathrin Hinz verkörperte die Evelyn nicht nur mit viel Engagement, sondern auch mit viel Empathie für deren Situation als nicht mehr normal die Welt Hörende. Ob sie versucht, ihren Hörverlust durch Lippenlesen zu verheimlichen, bei der Verkörperung all ihrer Emotionen, und wie sie langsam lernt und erfährt, mit anderen Sinnen, Herz und Körper sowohl zu hören als auch zuzuhören.

Für die Inszenierung hat sich Hinz extra fünf Wochen als Perkussionistin ausprobiert.

Ein bedeutender Faktor war die von Maria Portugal extra für dieses Stück entwickelte sensible auf die Stimmungen angepasste und live dargebrachte Musik auf ihren Perkussionsinstrumenten. Zudem bildeten sie und Hinz beim Zusammenspiel gegen Ende ein gut eingespieltes Team.

Eines wurde deutlich: Wie schwer es für einen nicht betroffenen ist, sich in die Welt der Gehörlosen hineinzuversetzen.

Der gesprochene Text wurde zusätzlich auf eine kleine Leinwand für taube Besucher*innen der Veranstaltung projiziert. Aufführungen in Gebärdensprache sind übrigens für das nächste Jahr geplant.

Informationen und Karten für weiter Vorstellungen unter Tel.: 0231/50 27 222 oder www.theaterdo.de