Dortmund in einer Tüte

Seit März 2019 startete die besondere Mitmach-Ausstellung „Mein Dortmund. Eingetütet, ausgepackt und ausgestellt“ des Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK). Das Projekt stellte der Dortmunder Bevölkerung an 30 kulturellen Standorten eigens produzierte Tüten, mit mehrsprachigen Aufdrucken zur Verfügung. Es war als Angebot an die hiesige Stadtgesellschaft gedacht, diese mit Objekten und Geschichten mit einem ganz persönlichen Bezug zu Dortmund zu füllen. Das Format war nach außen gerichtet, sowohl auf analoge wie digitaler Ebene.

Die Menschen in unsere Stadt sollten zu Akteuren werden, nicht zu „passiven Konsumenten“ von Kunst in ihrem Museum (MKK). Sie finden Gehör mit ihren Geschichten und persönlichen Objekten, und treten so in einen lebendigen Dialog mit unserer Stadt ein. Eine erste Auswahl der bis jetzt um die 115 eingereichten Dortmund-Dinge ist nun ab dem 11.12.2019 im MKK zu sehen.

Teil 1 der Ausstellung „Mein Dortmund. Eingetütet, ausgepackt und ausgestellt“ wird am 11.12.2019 um 18:00 Uhr im Foyer des Museums eröffnet. Der Eintritt ist frei.

Astrid Wegner (Projektleiterin "Stadtlabor" am MKK) und Jens Stöcker (Direktor MKK) stellen die ersten Exponate von "Mein Dortmund" aus.
Astrid Wegner (Projektleiterin „Stadtlabor“ am MKK) und Jens Stöcker (Direktor MKK) stellen die ersten Exponate von „Mein Dortmund“ aus.

Zu sehen sind an über 30 Stationen unter und in Glasvitrinen Schenkungen und Leihgaben aus sieben Jahrzehnten. Zusätzlich zu lesen sind die Antworten und Statements der Dortmunderinnen und Dortmunder, die sich etwa zu ihren Lieblingsorten und weniger beliebten Plätzen äußern. Außerdem geben sie auch preis, was sie an Dortmund schätzen oder eben weniger schätzen.

Die Projektleiterin Astrid Wegner konnte sich schon jetzt über eine Vielzahl von Objekten, Gedichten, Fotografien, Filmen, Bildern oder einfallsreiche Äußerungen freuen.

Diese erste Präsentation zeigt u.a. Objekte aus den Bereichen Kunst, Kultur, Klima, vergangene und heutige Kindheit, Zukunft, Strukturwandel, Freizeit, Fußball und Mobilität.

Die aktuellsten Objekte sind Schenkungen der Fridays-for-Future-Bewegung aus diesem Sommer.

Es handelt sich um ein original Banner mit dem Aufdruck „Wir sind wütend!“. Daneben ist eindrucksvolles buntes Kleid mit dem Aufdruck „Eco statt Ego“ einer niederländischen Aktivistin vom 08.08.2019 zu sehen.

„Mit ‚Mein Dortmund‘ liefern wir eine Art Update unseres Museums“, erklärte Dr. Jens Stöcker (Direktor des MKK) beim Pressegespräch. Die Dortmunderinnen und Dortmunder bereichern mit ihren Geschichten und Erinnerungen die Dortmund-Erzählungen des Museums und bilden gleichzeitig die Vielfältigkeit der Stadtgesellschaft wieder.

Das Spannende ist aber, dass die ausgestellten Lieblingsobjekte der Menschen unserer Stadt später in Korrespondenz zu den vorhandenen Kunst im Museum gestellt werden.

So könnte etwa das eingetütete, von Relief-Aufnahmen aus der Nordstadt inspirierte Kleid (Schwarz-gelb) Kleid gut in die Jugendstil-Abteilung des MKK passen.

Eventuell entdecken die Leihgeber vielleicht aber auch selbst neue Lieblingsstücke in der Museums-Sammlung und werden wieder einmal dorthin gelockt.

Mit der Eröffnung der Preview ist die Aktion aber noch nicht abgeschlossen.

Das MKK sammelt fortlaufend weiter. Die Dortmund-Tüten(oder größere Gegenstände) können auch weiterhin zu den Öffnungszeiten des Museums abgegeben werden: Dienstag, Mittwoch, Samstag, Sonntag zwischen 11:00 und 18:00 Uhr, Donnerstag und Freitag 11:00 bis 20:00 Uhr.

Teil 2 der Ausstellung „Mein Dortmund“ eröffnet voraussichtlich am 26.02.2020.

Die ausgestellten Leihgaben der Dortmunder*innen sind dann übers ganze Museum verteilt zu sehen und werden temporär ein teil der Sammlung.

Showdown bei Lucie Flebbes Jenseits-Trilogie

Nach „Jenseits von Wut“ und „Jenseits von Schwarz“ ist nun unter dem Titel „Jenseits von tot“ der mit Spannung erwartetet dritte und letzte Teil der Kriminalroman-Trilogie von Lucie Flebbe erschienen.

Die Protagonisten sind wieder die Teilzeitpolizistin Edith „Eddie“ Beelitz und ihr Freund Jo, genannt „Zombie“. Beide leben inzwischen mit ihrer kleinen Tochter Lottti und den beiden Töchtern des selbständigen Security-Unternehmers (Zombie) zusammen. Während Eddie nach ihrer Scheidung von (noch) Ehemann Philipp in ihrem Beruf ständig neu durchsetzen muss, kämpft Zombie immer noch mit dem Umgang mit seiner Aggression. Tiefsitzende Wunden aus der Vergangenheit belasten ihn. Als eine Frau, die in der Immobilienbranche arbeitete, tot aufgefunden wird, wird sie ausdrücklich ins Ermittlerteam berufen. Das Opfer hatte zahlreiche Feinde und wollte ihre Mutter in einer Intensivpflege-Wohngemeinschaft unterbringen. Eddie ruft ihren Freund Zombie, der den Einrichtungsleiter kennt, um Hilfe. Die Ereignisse spitzen sich zu, als Zombie während der Ermittlungen einen alten Bekannten wieder trifft und ihn sein dunkelstes Geheimnis einholt…

Mit "Jenseits von tot" präsentiert Lucie Flebbe den dritten Teil der Trilogie um Kommissarin Edith "Eddie" Beelitz. (Foto: © grafit Verlag)
Mit „Jenseits von tot“ präsentiert Lucie Flebbe den dritten Teil der Trilogie um Kommissarin Edith „Eddie“ Beelitz. (Foto: © grafit Verlag)

Lucie Flebbe gelingt es wieder hervorragend, nicht nur Spannung aufzubauen, sondern mit viel Empathie in die tiefen der Seele der Protagonisten mit ihren Ängsten, Unsicherheiten aber auch mit ihren Hoffnungen und Mut zu blicken. Die Sprache ist deutlich und umgangssprachlich oft ziemlich deftig. Ihre Kriminalromane sind immer auch gesellschaftliche Milieu-Studien,

So wird die schwierige Situation in der Intensiv-Pflege, Korruption und Vetternwirtschaft, sowie soziale Probleme in Eddies Umfeld sensibel dargestellt. Auch diesmal wird der Plot abwechselnd aus der Sicht von Eddie und Zombie erzählt.

Die Charaktere kommen so vielschichtig und authentisch rüber. Gerade mit ihren Schwächen, Ängsten vor dem Scheitern bieten sie den Leserinnen und Lesern ein hohes Identifikationspotential.

Das Ganze immer mit einen liebevoll verständnisvollen Blick und trotz aller Probleme.

Empathie, Achtsamkeit sowie ein möglichst liebevolles familiäres Umfeld als stärkenden Rückhalt und Hoffnung.

Lucie Flebbe
Jenseits von tot
Kriminalroman Grafit in der Emons Verlag GmbH 2019
ISBN 978-3-89425-591-6
288 Seiten € (D) 12,00 € (A) 12,40

Vielschichtig-spannender zweiter Teil der „Jenseits-Trilogie“ von Lucie Flebbe

Spannend und fern von schwarz-weiß Klischees – dabei vielschichtig und aktuell – geht es nach „Jenseits von Wut“ im zweiten Teil der Trilogie von Autorin Lucie Flebbe im frisch erschienenen Kriminalroman „Jenseits von Schwarz“ weiter.

Edith „Eddie“ Beelitz, alleinerziehende Bochumer Kommissarin in Teilzeit und Protagonistin des Krimis, erwartet schon zu Anfang eine Überraschung. Ausgerechnet Joseph Rheinhard alias „Zombie“, gegen den sie schon einmal ermittelt hat, ist der Vater der besten Freundin ihrer kleinen Tochter Lotti aus der Nachbarschaft. Als der Security-Mann verdächtigt wird, für den Tod von zwei Patienten einer Suchtklinik verantwortlich zu sein, gerät ihr Leben erneut außer Fugen. Eddie glaubt an seine Unschuld und hilft ihm sogar unterzutauchen. Damit riskiert sie nicht nur ihren Job…

Die Geschichte wird wieder abwechselnd aus der Perspektive von Eddie und Zombie erzählt. Den Leserinnen und Leser gelingt es dadurch , sich in die beiden Charaktere mit ihren Schwächen und Stärken sowie in ihrer Verletzlichkeit hinein zu versetzen.

Der zweite Band der Trilogie um die Kommissarin Edith "Eddie" Beelitz. (Foto: © grafit verlag)
Der zweite Band der Trilogie von Lucie Flebbe um die Kommissarin Edith „Eddie“ Beelitz. (Foto: © grafit verlag)

Der lange und muskelbepackte „Zombie“ mit dunklerer Hautfarbe hat sich einen Schutzpanzer angeschafft. Der Umgang mit seinen Aggressionen fällt ihm schwer.

Eddie wird von ihrem Vorgesetzten aus gekränkter Eitelkeit trotz ihrer Fähigkeiten hauptsächlich am liebsten als „Sekretärin“ eingesetzt. Nicht gerade gut für das Selbstbewusstsein der Kommissarin.

Flebbe gelingt es mit viel Sensibilität, die langsame Annäherung von Eddie und Zombie in entsprechende Worte zu fassen. Beide sind sich zunächst in ihrer Liebe unsicher.

Trotz aller Probleme und einem etwas „chaotischen“ Umfeld, zieht sich die Bedeutung von Solidarität und Freundschaften im Leben nicht nur von Eddie wie roter Faden durch den Kriminalroman.

Gesellschaftliche soziale Probleme werden mit einer gewissen positiven Grundhaltung vermittelt, und der Themenkomplex Sucht auf unterhaltsame Art facettenreich beleuchtet.

Mit lockeren Dialogen und Erzählstil sowie einem oft etwas schnoddrigem Ton gelingt es Flebbe, ihrer unkonventionellen Protagonistin unterhaltsam für die LeserInnen zum Leben zu erwecken.

Man darf gespannt sein, wie es mit Eddie, Zombie sowie den anderen Personen im dritten und letzten Teil weiter geht.

„Jenseits von Schwarz“ ist selbstverständlich auch als E-Book erhältlich.

Lucie Flebbe
Jenseits von Schwarz
Kriminalroman
Köln: Grafit Verlag 2019
ISBN 978-3-89425-590-9
317 Seiten € (D) 12,00 € (A) 12,40

Abwechslungsreicher Hörnerklang beim 2. Kammerkonzert

Die Kammerkonzerte der Dortmunder Philharmoniker sind immer eine gelungene Möglichkeit, die verschiedenen Instrumentengruppen kennenzulernen. Am 02. Dezember 2019 standen die Hörner im Mittelpunkt des 2. Kammerkonzertes dieser Spielzeit. Das Instrument von sich im Laufe der Zeit entwickelt: Vom Jagdhorn über das Naturhorn bis hin zum modernen Ventilhorn mit seinen Varianten wie der Wagner-Tuba. Die acht Musikerinnen und Musiker präsentierten eine große Bandbreite des Instrumentes.

Zu Beginn hörten wir die „Sonate pian e forte“ des venezianischen Komponisten Giovanni Gabrieli (1557-1612). Er stand zwischen Renaissance und Barock und galt als avantgardistisch. Der Komponist verknüpft die Tradition der Vokalpolyphonie und die venezianische Mehrchörigkeit zu einem bewegenden Klangbild, das die Hornisten in zwei Vierergruppen eindrucksvoll wiedergeben.

Im 2. Kammerkonzert präsentierte die Horngruppe einen sehr abwechslungsreichen Klang ihres Instrumentes. Image by <a href="https://pixabay.com/users/AlLes-2597842/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=2878648">Alexander Lesnitsky</a> from <a href="https://pixabay.com/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=2878648">Pixabay</a>
Im 2. Kammerkonzert präsentierte die Horngruppe einen sehr abwechslungsreichen Klang ihres Instrumentes. (Foto: © Alexander Lesnitsky from Pixabay)

Der Sprung danach führte zu Paul Hindemith (1895-1963). Gespielt wurden zwei Sätze aus der „Sonate für vier Hörner“. Zu Beginn erklang ein ruhiges Fugato, gefolgt von einem lebhaften Satz mit häufigen Taktwechseln. Anspruchsvoll, aber souverän gespielt von der Horngruppe.

Zurück in die Zeit Mozarts brachte der „Grand Sextuor op. 10“ von Louis-François Dauprat (1781-1868), der auch Professor für Horn am Conservatoire de Paris war. Daher erforschte Dauprat neue Ausdrucksregister und Klangfacetten des Instrumentes. Einiges war davon im „Großen Sextett“ zu hören. Von leisen melancholischen Klängen im „Adagio“ bis zu wilden Klängen im „Finale“ – alles war dabei.

Vor der Pause ging es nach Russland oder besser in die Sowjetunion. Dimitri Schostakowitsch (1906-1975) schrieb mit dem „Walzer Nr.2“ ein Stück für die Ewigkeit. Den Walzer von Hörnern geblasen zu bekommen, war sicherlich eine neue Erfahrung für viele Besucher.

Nach der Pause kam die geballte Kraft der Romantik. Erst ein paar Tage vorher spielten die Hornisten zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Oper „Lohengrin“. Die „Lohengrin-Fantasie“ von Richard Wagner (1813-1883) brachte ein „Best-of“ der schönsten Melodien aus „Lohengrin“. Bei Wagner ist Anton Bruckner (1824-1896) nicht weit weg. Sein kurzes „Andante in Des-Dur“ gehört eigentlich zu einem von drei Chorälen. Sehr besinnlich war auch die Musik. Danach gab es wieder ein „Best of“, diesmal erklangen M+-elodien aus „Carmen“ von Georges Bizet (1828-1875).

Insgesamt war es ein schönes Konzert, das den Zuhörern die Horngruppe der Dortmunder Philharmoniker nahebrachte. An den Instrumenten wareN Monika Lorenzen, Shukuko Okamoto-Farges, Gregor Fas, Ferenc Pal, Arnd Schmitt, Florian Winkelmann, Yukako Golebiowski und Jan Golebiowski.

Kunstvoll mit „Grafik aus Dortmund“-Kalender in das Jahr 2020

Zum 44. Mal wird in diesem Jahr der neue, mit 500 Exemplaren limitierte und exklusive Kunstkalender „Grafik aus Dortmund“ heraus gebracht. Am Ende wurden für den Kalender von einer sachkundigen Jury die Arbeiten von sechs Künstlern (Bärbel Thier-Jaspert, Dieter Ziegenfeuter, Walter Hellenthal, Adriane Wachholz, Ida Andrae und Axel M. Moser) für den Grafik-Kalender ausgewählt. Jeder von ihnen hat zwei Grafiken für den Kalender beigetragen. Alle Grafiken sind von den jeweiligen Künstler*innen einzeln handsigniert worden.

Traditionell erhielt der Dortmunder OB Ullrich Sierau die Nr. 1 des begehrten Kalenders von dem Vorsitzenden der Sparkasse Dortmund Dirk Schaufelberger überreicht. Die Sparkasse fungiert schon seit langen Jahren als finanzieller Förderer dieses besonderen Kalenders. Als Herausgeber treten das Kulturbüro der Stadt und die Sparkasse Dortmund in enger Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Kunstverein e.V. auf.

Marion Edelhoff (Vorsitzende des hiesigen Kunstvereins) wies darauf hin, wie wichtig die kulturelle Förderung durch die Wirtschaft ist. Damit die Menschen (und Unternehmen) sich in unserer auch Stadt wohl fühlen und angelockt werden, sei eine vielfältige und innovative Kunst-und Kulturszene in Dortmund gerade in Zeiten des Strukturwandels von großer Bedeutung.

Oberbürgermeister Ullrich Sierau (5.v.l.), Künstlerinnen und Künstlern sowie die Organisatoren präsentieren den neuen Kunstkalender.
Oberbürgermeister Ullrich Sierau (5.v.l.), Künstlerinnen und Künstlern sowie die Organisatoren präsentieren den neuen Kunstkalender.

Die Grafiken für den neuen einzigartigen Kalender lassen sich von ihrem Ausdruck thematisch grob zwischen „Hoffnung und Bedrohungen“ einordnen. Auch das Spiel mit Licht und Schatten sowie mit Formen spielt eine Rolle.

Die Druckerei Klenke GmbH ist wie immer für den qualitativ hochwertigen Druck des Kalenders verantwortlich. Durch ein neues verstärkendes Verfahren wird in diesem Jahr dafür Sorge getragen, dass sich kein Monatsblatt nach innen rollt, wie es in den vorherigen Jahren schon beobachtet wurde.

Ein ganz spezieller Kalender, der seine Liebhaber auch über Dortmund hinaus hat, wie die Angebote dafür im Netz bezeugen. Denn er ist käuflich nicht zu erwerben.

PeterLicht mit poetischem Programm im Schauspielhaus

Poetisch, melancholisch, ironisch, subversiv, kreativ; Vokabeln, die die Show des Künstlers PeterLicht nur annähernd beschreiben. Gemeinsam mit dem Multiinstrumentalisten Benedikt Fillebröck zelebrierte er ein Gesamtkunstwerk auf der Basis seines letzten Albums „Wenn wir alle anders sind“. Das Titelbild des Covers diente im Schauspielhaus auch als Bühnenbild. Es zeigte eine abstrahierte Stadtlandschaft, mit angedeuteten Hochhäusern und fraktalen Strukturen. In grellen Farben führt eine Autobahn durch die rechte Bildhälfte und zwischen allem schweben blaue Quallen sanft durch das Motiv.

Zum Einstieg startete PeterLicht etwas schwermütig mit „Die Nacht“ und besang danach „Das absolute Glück“, in dem der allerletzte Mensch mit den Füßen über den Rand der Erde baumelnd ein Glücksgefühl erlebt. Der Song stammt vom Album „Lieder vom Ende des Kapitalismus“.

Der Musiker spielt mit den Genres, legt sich nicht fest. PeterLicht wechselt von Elektro-Pop, zu Bossa Nova, über Reggae zur chilligen Fahrstuhlmusik. Die Texte erinnern in kurzen Passagen an die Nonsenssongs von Helge Schneider.

PeterLicht (Foto) gab ein Konzert mit dem Multiinstrumentalisten Benedikt Fillebröck. (Foto: Christian Knieps)
PeterLicht (Foto) gab ein Konzert mit dem Multiinstrumentalisten Benedikt Fillebröck. (Foto: Christian Knieps)

Dann wird die Rhythmusmaschine angeworfen und mit piepsiger Mickeymouse-Stimme, durch Autotune verfremdet, erklingt das „Umentscheidungslied“. Es könnte ein Ausdruck der Variationsbreite der menschlichen Natur sein. „Du hast dich vertätowiert, Ich habe mich verfönt, Sie hat sich veroperiert, Er hat sich vertippt.“ So viele Entscheidungsmöglichkeiten, man muss sich umentscheiden, um dennoch vielleicht wieder einen Fehler zu begehen. Dazu tanzt er in einer groß gepunkteten Jogginghose mit einem Burberrykäppi auf dem Kopf in ekstatischen Verrenkungen. Das Publikum kann sich vor Lachen kaum halten.

Mit einem Stapel kopierter Zettel quetschte sich PeterLicht durch die Stuhlreihen und verteilte den Liedtext „Die Emotionale“, zu singen auf die Melodie „Die Internationale“. Der Text ist ein Aufruf zum letzten Widerstand, witzig und trotzig zugleich. Das Publikum singt aus voller Kehle zum Beispiel: „Ungerechte und Gerechte! Es ist nicht auszuhalten! Haltet aus! Es geht nicht immer gradeaus, im Kreisverkehr geht es immer rund!“ Ein Volltreffer ist auch sein erster Hit „Sonnendeck“. Er spielt ihn schneller und druckvoller als das Original und kommt damit gut an.

Das begeisterte Publikum applaudierte nach dem 90 Minütigen Programm ausgiebig, bis das gut eingespielte Duo Licht und Fillebröck noch vier Lieder als Zugabe brachte.

Sehnsucht – Zweifel – Angst: Lohengrin in der Oper Dortmund

Es war wohl klar, dass Ingo Kerkshofs Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Zusammen mit einem recht spartanischen, aber durchaus effektvollen Bühnenbild macht Kerkhof klar, hier gibt es keine Schwäne oder glänzende Ritter zu sehen. Hier wird eine Geschichte aus dem Blickwinkel von Elsa von Brabant erzählt, die zusammen mit ihrer Rivalin Ortrud um Macht in einer von Männer dominierten Gesellschaft kämpft. Ein Premierenbericht von ars tremonia.

Die Handlung der Oper in Kurzform: Der deutsche König Heinrich sucht in Brabant Hilfe für einen Feldzug gegen die Ungarn. Dabei muss er feststellen, dass der Herzog tot ist und es um die Nachfolge Streit gibt. Friedrich von Telramund, der sich um die beiden Waisen Elsa und Gottfried kümmern sollte, klagt Elsa an, ihren Bruder umgebracht zu haben. Der König lässt ein Gottesurteil anrufen und plötzlich erscheint, von einem Schwan gezogen, Lohengrin, der aber seinen Namen nicht verraten darf. Er besiegt Telramund, aber lässt ihm sein Leben. Elsa und Lohengrin heiraten und Lohengrin verlangt von Elsa das berühmte Versprechen „Nie darfst du mich befragen“. Ortrud, die Frau von Telramund, gelingt es aber, Zweifel in Elsa zu sähen. Und es kommt wie es kommen muss: Elsa fragt voller Angst Lohengrin nach Rang und Namen und er gibt vor dem König sein Geheimnis preis. Danach muss er wieder entschwinden, aber sagt, dass Gottfried der Schwan sei, der ihn gezogen hat und in einem Jahr wieder auftaucht.

Geschichten, Legenden und Mythen über Menschen, die sich (eine Zeitlang) in Tiere verwandeln gibt es in jeder Kultur. In Japan gibt es die Geschichte über einen Kranich, der sich in eine Frau verwandelt und die Geschichte mit Leda und dem Schwan (Zeus) ist sicher bekannt. Kerkhof verquickt in seiner Inszenierung durch Zitate, die auf der Bühne eingeblendet werden, den „Lohengrin“ Mythos mit dem Märchen von „Brüderchen und Schwesterchen“. Im letzteren verwandelt sich der Bruder in ein Reh.

Lohengrin (Daniel Behle) ist ziemlich ratlos, im Hintergrund Elsa (Christina Nilsson). Foto: © Thomas Jauk, Stage Picture
Lohengrin (Daniel Behle) ist ziemlich ratlos, im Hintergrund Elsa (Christina Nilsson). Foto: © Thomas Jauk, Stage Picture

Die große Schwester wird hier zum Mutterersatz und der Bruder zum Kind. Der Sehnsuchtstraum von Elsa nach ihrem Bruder manifestiert sich in der Gestalt von Lohengrin, hier als erwachsener Mann. Ortrud ist das schlechte Gewissen von Elsa, das sie vor dieser verbotenen Liaison warnt. Bevor es aber ernst wird, also die Hochzeitsnacht naht, stellt Elsa Lohengrin die verbotene Frage: Wer bist du wirklich. Lohengrin muss Farbe bekennen und verschwinden. Aus dem Traumbild Lohengrin kann wieder die reale Person Gottfried werden.

Andererseits präsentiert Wagner auch zwei Frauen in seiner Oper, die eine starke Rolle spielen, denn beide wollen an die Macht. So wie Elsa sich nicht zu Seite schieben lassen will, kämpft Ortrud um ihre Position. Dabei tritt sie ihren Mann Friedrich von Telramund durchaus mal in den Hintern, wenn er zu sehr zögert. Interessanterweise sind die Männerrollen in Kerkhofs Inszenierung durchaus nicht die starken Streiter, wie sie zu sein scheinen. Der König Heinrich ist im Streitfall wenig entscheidungsfreudig und lässt lieber ein Gottesurteil ausfechten, Friedrich von Telramund hat erst große Klappe, versteckt sich aber beim kleinsten Widerstand unter dem Rock seiner Frau und Lohengrin setzt mit einen Forderungen Elsa unter Druck statt ihr beizustehen.

Neben einer inhaltlichen Analyse steht natürlich die Musik im Vordergrund. Wagners Musik zu Lohengrin hat auch nach fast 170 Jahren nichts an seiner Kraft verloren. Das Hochzeitslied aus dem 3. Akt ist so populär geworden, dass es fast den Rest in den Schatten stellt. Doch wer sich darauf einlässt, wird feststellen, wie kraftvoll die Musik ist trotz der 3 ½ Stunden. Das ist auch ein Verdienst der Dortmunder Symphoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz.

Sehr schön war die Idee, den Chor im Zuschauerraum zu verteilen. Es machte den Eindruck, dass alle Anwesenden ein Teil der Inszenierung wurden. Auch die zusätzlichen Trompeten erklangen aus dem Saal.

Auf der Bühne (Bühnenbild Dirk Becker) wirkte alles etwas farblos. Die Akteure tragen Kleider, die aus Wagners Zeiten stammen, aber niemand trägt etwas farbiges. Das Zimmer von Elsa sieht ärmlich aus, die Einrichtung kann auch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Der Außenbereich wird durch einige Stoppeln kenntlich gemacht.

Neben dem Orchester sind natürlich die Sängerinnen und Sänger das wichtigste Element. Leider hat Kerkhof die Protagonisten sehr statisch arrangiert. Es gab kaum schauspielerische Aktionen, außer vielleicht zwischen Ortud und Elsa, ansonsten hätte man alles auch szenisch aufführen können.

Man merkte sofort, dass Morgan Moody besondere Freude an seiner Rolle als Heerrufer des Königs hatte. Souverän sangen Shavleg Armasi (Heinrich der Vogler) und Joachim Goltz (Friedrich von Telramund) ihren Part. Daniel Behle, erschien nicht als glänzender Ritter wie erwähnt, seine Stimme war an diesem Abend aber über jeden Zweifel erhaben.

Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Oper „Elsa und Ortrud“ geheißen hätte, denn Christina Nilsson (Elsa) und Stéphanie Müther (Ortrud) gaben den beiden starken Frauen ein ebenso starkes gesangliches Profil.

Ein Abend, der wegen der gewagten Inszenierung sicher nicht jedem gefiel, aber durch Musik und Stimmen zu einem gelungenen Abend beitrug.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de

Der Widersacher – wenn Lügengerüste in sich zusammenfallen

Im Studio des Dortmunder Schauspiel hatte am Sonntag, den 01.12.2019 „Der Widersacher“ nach dem gleichnamigen, auf einer wahren Begebenheit beruhenden, Roman von Emmanuel Carrère seine Premiere. Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Matthias Seier versuchten mit ihrer Inszenierung in die Hintergründe und psychologische Tiefen der realen menschlichen Tragödie eines spektakulären Mordfalls im Jahr 1993 in Frankreich zu blicken.

Manchmal, ganz selten, kann Hochstapelei zum Erfolg führen. Wer kennt nicht die Geschichte des aus dem Gefängnis entlassenen Schuster Voigt, der als „Hauptmann von Köpenick“ zum Held wurde. Doch die meisten Geschichten gehen schlecht aus. Meist enden sie im Gefängnis, aber keine endete so katastrophal wie die von Jean-Claude Romand.

Wie konnte der angeblich als Mitarbeiter in gehobener Position bei der WHO in Genf arbeitende, gutbürgerliche Familienvater Romand zu einem exzessiven Mörder seiner gesamten Familie samt Eltern und Hund werden? Wie konnte er sich über fast zwei Jahrzehnte ein Lügengerüst und Doppelleben aufbauen? Warum hatte keiner in der Familie oder Bekanntenkreis etwas bemerkt? Wieso musste es, von der ersten harmlosen kleinen Lüge angefangen, wie bei einem Kugelstoßpendel zur gewalttätigen Eruption kommen? Wie lange kann man Fassaden und Masken aufrecht erhalten? Die Grenzen zwischen „Real“ und „Fake“ verschwimmen.

Der Stoff ist gerade auch heute höchst aktuell und macht nachdenklich. Wie in der Inszenierung wörtlich ausgesprochen, wird Erfolg für viele Menschen zu einer neuen „Religion“ und gibt ihnen eine Art Daseins-Sinn.

Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Bühnenbild bot einen kleinen Einblick in die zerstörten, durch das nach seinen Taten von Romand in Brand gesetzten Wohnraum. Drei Trennwende im Hintergrund zeigten die verkohlten Überbleibsel des Wohnhauses, und in der Mitte des Raumes war auf schwarzen Sockeln Requisiten (Familenfoto, Geschirr, ein leicht verkohlter Teddybär u.s.w.) Die rechte Wandseite wurde für Videoprojektionen, wie etwa für das Gebäude der WHO oder den Jura-Wald u.a.) oder kurze Hinweise genutzt.

Die sieben Schauspieler*innen auf der Bühne versetzten sich stellvertretend für das Publikum in die beteiligten Personen, und versuchten das scheinbar Unerklärliche fassbar zu machen. Sie ließen die Entwicklungsgeschichte von der Kindheit Romands (und der anderen beteiligten Personen) bis zu der grausamen Tat mit eigenen Bemerkungen dazu Revue passieren, sowie deren möglichen Beweggründe und Persönlichkeitsstruktur zu analysieren.

Uwe Rohbeck spielte dabei sowohl den Part des recherchierenden Schriftsteller Emmanuel Carrère und am Ende den des Mörders Jean-Claude Romand (als in seiner Angst der Aufdeckung gefangenen Bär).

Alida Bohnen, Berna Celebi und Maximilian Ranft (Schauspiel studierende aus Graz) übernahmen den Part, der sich auf die Studentenjahre bezog oder den der Kinder von Romand.

Björn Gabriel, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Rohbeck übernahmen die Rollen von Freund Luc und Ehefrau in den Jahren vor und bis zu den Morden. Durch ihre stark gespielte Stellvertreterfunktion wurde es dem Publikum schwer gemacht, sich selbst unbeteiligt ruhig zurückzulehnen.

Unsicherheit, eigene „Widersacher“ (Teufel?) und Lügen, Scham, Ängste wurden ihm vor Augen geführt.

Eindrucksvoll war unter anderem der wütende Ausbruch von Marlena Keil als Florence Romand, die unbedingt eine „guten Auflauf“ aufbacken will, um wenigstens „etwas zu schaffen“. Bezeichnend für die problematische Sicht auf die Frauenrolle. Florene hat schließlich ein Studium der Medizin /Pharmazie abgeschlossen, arbeitet halbtags, hat zwei Kinder erzogen.

Es darf nicht vergessen werden, das vor allem Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wie das Stück auch zeigt, ist das Schweigen und verdrängen ein großes Problem. Ein nachdenklich machendes Stück, das seine lustigen Momente hatte. Besonders, wenn es um die kleinen menschlichen Schwächen ging.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50-27222.

Die Dämonen – Eindringliche „Böse Geister“ auf der Theaterbühne

Am 29.11.2019 hatten „Die Dämonen“ nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor M. Dostojewski (Übersetzung „Böse Geister“ von Swetlana Geier) in einer Bühnenfassung von Sascha Hawemann und Dirk Baumann seine Premiere im Schauspiel Dortmund.

Dass es ein langer Abend (viereinhalb Stunden inklusive Pause) war schon beim Vorgespräch von Ars tremonia mit dem Dramaturgen Dirk Baumann klar. Denn es handelt sich um einen komplexen Stoff und einen vielseitigen Roman.

Neben den zehn Schauspieler*innen (unter ihnen der Gast-Schauspieler Jakob Benkhöfer als Ivan P. Schatow und Annou Reiners (Schauspielstudentin aus Graz) auf der Bühne wurde für die Handlung auch atmosphärisch live am Piano von Alexander Xell Dafo begleitet.

Neben einer zum größten Teil weißen Hintergrundwand, die für „Theaterblut“ und andere Aktionen genutzt wurde, wurde mit relativ wenig Mobiliar (Stühle, Schrank) oder ein flexibel drehbares leuchtendes Gerüst in Form eines „russischen R“ (Ich) und später auch ein offenes, begehbares Kreuz auf der Bühne gearbeitet.

Im Zentrum dieses Klassikers steht die Situation am Ende des 19. Jahrhunderts in einer russischen Provinz in der Nähe von Sankt Petersburg. Die beiden Protagonisten Nikolaj (Frank Genser) und Pjotr (Ekkehard Freye) sind Teil eines Universums zwischen Tradition und Revolution.

Die eine Seite , zum Beispiel der alternde Schöngeist Stepan T. Werchowwenskij (Andreas Beck) Vater von Pjotr, ist vom westlichen humanistischen Zeitgeist durch Schriftsteller wie Albert Camus, Emil Zola und andere geprägt, während Ivan P. Schatow die „westliche Aufklärung „und Freiheit etwa ablehnt. Sie führe zu haltlosen Ausschweifungen und zu „Ganzkörpertattoos“ (kleiner Bezug zu unserer heutigen Zeit). Er wünscht sich einen starken, nationalen und religiös fundierten russischen Staat.

Die revolutionäre Gruppe "Die Unsrigen" in ausgelassener Stimmung. (v.l.n.r.) Frank Genser, Annou Reiners, Ekkehard Freye, Jakob Benkhofer (im Hintergrund), Christian Freund, Uwe Schmieder
(Foto: ©Birgit Hupfeld)
Die revolutionäre Gruppe „Die Unsrigen“ in ausgelassener Stimmung. (v.l.n.r.) Frank Genser, Annou Reiners, Ekkehard Freye, Jakob Benkhofer (im Hintergrund), Christian Freund, Uwe Schmieder
(Foto: ©Birgit Hupfeld)

Pjotr ist ein Strippenzieher, der die Menschen um sich, ob Frau oder Mann. In seinem Sinn manipuliert. Er möchte das alte System und Religion zerstören. Intrigen, Denunziation und geschicktes gegeneinander Ausspielen sind seine Vorgehensweise. Er beeinflusst den zwischen allen Seiten hin und her gerissenen Nikolaj, Sohn Warwaras (Friederike Tiefenbacher) und gleichzeitig Mäzenin von Stepan für seine Zwecke. Dieser trägt mehrere dunkle Geheimnisse mit sich, die sich auch auf seine aufkeimende Liebe zu Lisa (Alexandra Sinelnikova) auswirken. Am Ende überlebt fast keiner der männlichen Hauptpersonen, bis auf Pjotr.

Den Beteiligten auf der Bühne, wurde schauspielerisch und auch physisch einiges abverlangt. Frank Genser simulierte eindrucksvoll mehrfach den von bösen Geistern (epileptischer Anfall) befallenen Nikolaj. Annou Reiners meisterte die schwierige Aufgabe, die humpelnde und geistesgestörte Marja (von Nikolaj nebenbei mal geheiratet) glaubhaft darzustellen. Unter anderem musste Uwe Schmieder gleich in mehrere Rollen schlüpfen.

„Die Dämonen“ beschriebt das Russland ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts sehr gut. Aufkeimende Ideen aus dem Westen wurden durch verschiedenste Gruppen immer weiter radikalisiert. Ein gutes Beispiel aus heutiger Zeit wäre die RAF, aber auch die NSU oder radikale Salafistengruppen zeigen auf, wie Gruppendynamik zu Verbrechen führt. Es geht um Fragen von Moral: welche Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen sind legitim?

Auf der anderen Seite wirken die Hauptfiguren wie Schablonen, wie Schaufensterpuppen, auf deren Stirn „Nihilst“, „Sozialist“ oder „Freigeist“ steht. Dostojewski nannte „Die Dämonen“ selbst ein Pamphlet-Roman und so darf man sich nicht wundern, dass bestimmte Protagonisten wie Nihilist Pjotr extrem schlecht wegkommen. Darüber hinaus gibt es kaum Selbstreflexion der Figuren. Einzig Atheist und Freigeist Stepan lässt sich auf dem Sterbebett Bibelstellen von Warwara vorstellen. Logisch, denn Dostojewski scheint sich eine humanitäre Gesellschaft nur in Verbindung mit religiösem Unterbau vorstellen zu können.

Daran krankt auch die Inszenierung ein wenig, denn die Protagonisten treffen in den einzelnen Szenen wie Schachfiguren aufeinander, die unbeirrt ihrer Linie folgen. Das macht es schwer, irgendeine Sympathie für die Hauptfiguren zu entwickeln. Das ist auch der größte Gegensatz zum wunderbaren „Kirschgarten“, der den Zerfall der alten russischen Gesellschaft eindrucksvoll darstellt.

Trotz der starken schauspielerischen Leistungen und Anstrengungen auf der Bühne ließen sich gewisse Längen nicht vermeiden. Zudem war der Beginn der Aufführung mit 19:30 Uhr schon spät gewählt.

Die Pause um ca. 22.30 Uhr nutzen einige Personen aus dem Publikum, um sich zu verabschieden und nach hause zu fahren. Eigentlich schade, aber auch irgendwie verständlich.

Das Schauspiel Dortmund hat reagiert, und setzt den Beginn für alle folgenden Aufführungen um 18:00 Uhr an!

Informationen über die weiteren Termine erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.:0231/ 50-27222.

Der Widersacher – eine theatraler Blick hinter menschliche Fassaden

Im Studio des Dortmunder Schauspiels hat am Sonntag, den 01.12.2019 um 18:00 Uhr „Der Widersacher“ von Emmanuel Carrère Premiere. Der Roman entstand nach einer ungeheuren wahren Begebenheit in Frankreich 1993. Die Regie führt Ed. Hauswirth, ars tremonia sprach im Vorfeld mit Dramaturg Matthias Seier.

Es ist die fast nicht zu glaubende Crime-Geschichte vom freundlichen, kompetenten Hochstapler Jean-Claude Romand. Um erfolgreich und gut dar zu stehen, behauptete er, eine hohe Position bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu bekleiden. Es fing harmlos mit einer Notlüge an. Als Student wollte er sein „Versagen“ nicht eingestehen, und behauptete, er habe eine Medizinklausur bestanden.

Seine Position bei der WHO, wichtige Geschäftsreisen mit berühmten Kollegen, alles erfunden. In Wahrheit verbrachte er seine Zeit auf Raststätten oder teuren Hotels in Genf. Das Geld für dieses Doppelleben erlog er sich mit angeblich perfekten Finanzkonditionen in der Schweiz aus seinem engsten Familienkreis. Alles nur Fassade.

Das mühsam mit Charisma aufgebaute Netz aus Lügen, zieht sich immer mehr zusammen und es kommt zur Eskalation. Romand ermordet seine Ehefrau, die beiden Kinder, seine Eltern und den Hund. Anschließend setzte er sein Haus in Brand.

Schriftsteller Carrère hatte den Aufsehen erregenden Fall für seinen persönlich vor Ort nachrecherchiert und sich auf Spurensuche begeben. Er besuchte auch den Täter im Gefängnis. Jetzt fängt das eigentlich Spannende an dieser Geschichte erst an.

Marlena Keil und Uwe Rohbeck sind im Stück "Der Widersacher" dabei. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Marlena Keil und Uwe Rohbeck sind im Stück „Der Widersacher“ dabei. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Stück versucht aus multiperspektivischer Sicht im übrig gebliebenem „Brandhaus“ den Fall zu rekonstruieren.Viele Fragen stellen sich: Wie konnte die Hochstapelei so lange unbemerkt bleiben? Wie zerbrechlich sind soziale Masken? Was ist mit dem Widersacher, der in uns steckt?

Wie Dramaturg Matthias Seier beim Gespräch mit ars tremonia verriet, faszinierte ihn vor allen die Diskrepanz zwischen der Banalität des Vorgangs auf der einen, und der Brutalität des Verbrechens auf der anderen Seite. Nach und nach verselbständigt sich die Lüge immer mehr, und es benötigt ungeheure Anstrengungen, Selbstzweifel und Angst vor „Enttarnung“ zu ertragen. Die Story ist in unserer öffentlichen-digitalen Zeit höchst aktuell. Jeder will sich ohne Makel und stark präsentieren.

Neben den vier Schauspieler*innen (Björn Gabriel, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Robeck) spielen noch Alina Bohnen, Berna Celebi und Max Ranft vom Schauspielstudio Graz auf der Bühne.

Für die Premiere am Sonntag gibt es noch Restkarten. Weitere Aufführungstermine sind am 6.,13. Dezember (jeweils 20:00 Uhr) und am 29. Dezember (18:00 Uhr)

Weitere Infos erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de und 0231/50-27222.