Von blau zu grau – Sehnsucht als Thema

In ihrer Ausstellung „von blau zu grau“ präsentieren Magdalena Gruber und Pia Henkel ihre Abschlussarbeiten des Bachelor Studiengangs Fotografie der FH Dortmund. Die Sehnsucht – sei es nach einer Person, einem Zustand oder einer Zeitspanne – eint als zentrales Thema die beiden unterschiedlichen, konzeptuellen Projekte.

Magdalena Gruber setzt sich in ihrer Arbeit „mittwegs“ mit ihrem Kindheitstraum in Form einer Atlantiküberquerung auf einem Segelschiff auseinander und sieht sich dabei mit dem großen Mythos der Seefahrt und dessen räumlich bedingten Konflikt zwischen Enge und Weite konfrontiert.

Der Flyer zur Ausstellung "von grau zu blau". Zu sehen in der Nordstadtgalerie an der Bornstraße 148.
Der Flyer zur Ausstellung „von grau zu blau“. Zu sehen in der Nordstadtgalerie an der Bornstraße 148.

Mit „Nachtschwärmer“ macht sich Pia Henkel auf die Suche nach erfüllender Liebe, geprägt durch gesellschaftliche Idealvorstellungen. Insbesondere die zwischenmenschliche Kommunikation auf dem Weg ins Erwachsenwerden spielt dabei eine zentrale Rolle.

Zu sehen gibt es die Arbeiten ab dem 31.10.19, 19:30 Uhr in der Nordstadtgalerie, Bornstraße 148, Dortmund.

Vernissage: 31.10.19 19:30 Uhr

Ausstellung: 01. – 03.11.19, 14-19 Uhr

Auf der Suche nach der Identität

Mit „Die Geworfenen“ zeigte das Sepidar Theater im Roto-Theater eine beeindruckende Premiere

Zwei Koffer, zwei Spieler. Mehr brauchte das Sepidar Theater nicht, um in dem Stück „Die Geworfenen“ im Roto-Theater für Begeisterung zu sorgen. Die Premiere am 19. Oktober 2019 war jedenfalls ein großer Erfolg.

Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad haben die beiden Akteure, die „in die Welt geworfen wurden“. Nur mit einem Koffer, der aber alles enthielt, was wichtig war. Die erste Assoziation für Menschen mit Koffer war natürlich die Flucht. Und aus dem Off kamen passenderweise die Orte und Daten von Kriegen und Krisen, die Menschen dazu genötigt haben, ihre Heimat zu verlassen. Und das waren eine Menge vom 20. Jahrhundert bis heute.

Safadi und Mahrnejad ersinnen noch eine besondere Komponente: Sie markieren mit großen Klettbändern ein Grenze auf dem Theaterboden. Beim Versuch, die Grenzen zu durchschreiten, ertönt ein heulender Wind, der die beiden zurück bläst.

Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad beeindruckten mit ihrer Körperlichkeit bei "Die Geworfenen". (Foto: © Robin Junicke)
Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad beeindruckten mit ihrer Körperlichkeit bei „Die Geworfenen“. (Foto: © Robin Junicke)

Daher müssen sie in ihren engen Grenzen bleiben. Im Koffer finden sie Requisiten, die sie für ihre Performance benötigen. Beim Fußballspielen wird beispielsweise der Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball hörbar, denn jedes mal wenn Mamadoo den Ball hat, ertönt Jubel, bei Bahareh dagegen bleibt es still.

Humor beweisen die beiden Akteure bei der Ballettszene, als Bahareh als verzweifelte Balletttänzerin „Schwanensee“ tanzen soll und vom Ballettlehrer ständig korrigiert wird, bis sie es satt hat. Die Koffer können aber nicht nur Requisiten lagern, sondern sie dienen auch als Tafel oder Schneidebrett für eine imaginäre Küchensendung.

Gesungen wurde auch: Georg Kreislers „Tauben vergiften“ erklang unter kräftigen Streuen von Vogelfutter. Doch das blieb das einzig makabere Stück in der Performance. Gegen Ende verkleideten die beiden Schauspieler noch in verschiedene Personen wie Monroe, Rocker oder Fußballer, um aber sofort weggeweht zu werden. Nur als echte Persönlichkeit ohne Verkleidung konnten dann zum Schluss auch die Grenzen überwunden werden.

Neben Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad sorgte Ruben Philipp mit seinen Sounds und Live-Klängen am Klavier für einen gelungenen Abend.

„Die Geworfenen“ ist ein gelungen Performance um Identitätsfindung, die mit einfachen Mitteln Stück für Stück eine ungeheure Kraft entwickelt. Es zeigt viele Facetten des menschlichen Lebens und die Möglichkeiten, sich in dieser Welt zurecht zu finden.

Weitere Termine: 08.11.2019 | 20 Uhr (Parzelle im Depot | Immermannstraße 29, Dortmund) und

09.11.2019 | 20 Uhr (Parzelle im Depot | Immermannstraße 29, Dortmund).

Ein Haus voller Klänge, Rhythmen und Tänze

„Inhouse – Die Welt unter einem Dach“ ist der Titel einer interkulturellen Tanz-Performance unter der Leitung von Monica Fotescu-Uta, Dortmunds ehemaliger Primaballerina. Die renommierte Tänzerin choreographierte, führt Regie und tanzt selbst. Am 26. Oktober erlebt die Produktion ihre Premiere im Schauspielhaus Dortmund.

Die Rahmenhandlung dieser einzigartigen Mischung der Musikrichtungen und Tanzstile spielt „in den eigenen vier Wänden“. Auf der Bühne, stellvertretend für diesen Ort der Privatheit, ist aus vielen einzelnen Sequenzen eine neue Inszenierung entstanden. InHouse öffnet die Fenster und ermöglicht dem Zuschauer einen Blick auf die interkulturelle Realität dieser Stadt, auf Hausbewohner aus verschiedenen Kulturen, die echte Kommunikationsexperten sind. Dies geht nicht nur mit Vokabeln und Grammatik!

Monica Fotescu-Uta (stehend am Rand) beim Choreografieren der einzelnen Szene bei der Generalprobe im Dietrich-Keuning-Haus.
Monica Fotescu-Uta (stehend am Rand) beim Choreografieren der einzelnen Szene bei der Generalprobe im Dietrich-Keuning-Haus.

Mit dabei sind zahlreiche Künstlerinnen und Künstler sowie in Dortmund trainierende Tanzgruppen aus Argentinien, Deutschland, Griechenland, Indonesien, Kolumbien, Korea, Kuba, Rumänien, Serbien, Spanien, Peru und vielen weiteren Nationen. InHouse verknüpft dabei Elemente des Theaters mit modernem Tanz, Folklore und Live-Musik.

Nach Abschluss der erfolgreichen interkulturellen Tanzperformance DANCEtination hat das DKH dieses neue Tanzprojekt entwickelt. Es hat durch die finanzielle Förderung von House of Ressources Dortmund, eine inhaltliche Weiterentwicklung und Ausweitung der bisherigen Tanz-Theaterproduktionen mit neuen Protagonisten ermöglicht. Als herausragendes Kulturprojekt mit Nachhaltigkeit ist „Inhouse“ vom Lions-Club Rothe Erde 2018 ausgezeichnet worden.

Gestohlenes Leben – Kammeroper wider das Vergessen im Orchesterzentrum NRW

Eine schmerzhaft eindringliche Kammeroper als Plädoyer wider das Vergessen konnte das Publikum im Dortmunder Orchesterzentrum NRW erleben. Im Rahmen des Projekts „EchoSpore“ der Hochschule für Musik und Tanz Köln gastierte das Ensemble mit „Gestohlenes Leben“ von Helmut Bieler (1940 – 2019) auch in unserer Stadt. Das Projekt EchoSpore gilt der Wiederentdeckung verfemter Kompositionen von entrechteten, verfolgten, ermordeten und oft in Vergessenheit geratenen Komponisten.

In Bielers „Gestohlenes Leben“ (Libretto von Tochter Susanne Bieler) geht es um das Schicksal der Juden und anderer verfolgter Gruppen, die aus der Pfalz, Baden und dem Saarland in das Internierungslager Gurs im französisch-spanischen Grenzgebiet am Fuße der Pyrenäen deportiert wurden. Erzählt anhand des (fiktiven) Geschichte der hoffnungsvollen jüdischen Sängerin Greta Lilienberg, die mit ihrer Familie 1940 dort hin verschleppt, wo sie wenige Monate später verstarb. Wie sich später herausstellt, hat nur ihr älterer Bruder Jakob überlebt.

Über zwanzig Jahre später wird ihr Geliebter Leopold Stein durch eine Radiosendung mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Schuldgefühle, dass er nicht den Mut hatte, rechtzeitig mit Greta zu fliehen, nagen an ihm. Es beginnt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung und dem Schicksal der Juden in Gurs…

Zunächst brachten der Tenor Maximilian Fieth und die Sopranistin Anna Sayn, begleitet am Klavier von Alexander Breitenbach, eine eher romantische Auswahl von zwei Komponisten dar, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Einmal Felix Wolfes (1892–1971), und zum anderen von Ernst Bachrich (1892–1942), der im KZ Majdanek ermordet wurde.

Musikalisch atmosphärisch einfühlsam unterstützt vom Schönberg-Ensemble der Hochschule für Musik und Tanz Köln, spielte sich die dramatische Handlung auf einer kleinen Bühne auf der linken Seite ab. Die Musik von Bieler ist der Thematik entsprechend ruhig und einfühlsam. Seine Klänge tragen die Geschichte und der Gesang wirkt öfters wie in einem Oratorium.

Leopold Stein wurde vom Bariton Benjamin Hewat-Craw gesungen und mimisch dargestellt, die Sopranistin Anna Sayn schlüpfte sowohl in die Rolle der Johanna (Frau von Leopold) wie auch ab und zu in die der Greta. Später kam Gretas Bruder Jacob Lilienberg (Maximilian Fieth) hinzu.

Anna Sayn sang sowohl die Johanna als auch die Greta. (Foto: © Christian Nielinger)
Anna Sayn sang sowohl die Johanna als auch die Greta. (Foto: © Christian Nielinger)

Die Sänger*innen mussten neben ihren gesanglichen Können schauspielerische Talent und Empathie beweisen. Mit geschickt eingesetzten Lichteinsatz, symbolhaftem Spiel mit dem roten Kleid von Greta, bekam die Kammeroper Tiefe und Eindringlichkeit. Ein großes Kompliment an die Dramaturgin Susanne Bieler.

Der ganz Schmerz, die Schuldgefühle, Vorwürfe vom Bruder, und die durch die alte Liebe zu Greta belastete Beziehung des Ehepaars sprudelten heraus. Während Leopold die schrecklichen Ereignisse aus der Vergangenheit nicht vergessen kann, will seine Frau Johanna am liebsten nichts mehr davon hören. Für Leopold steht fest: Durch seine Feigheit hat er der Geliebten Greta das Leben gestohlen. Was geht Johanna das an? Misstrauisch fragt sie sich, ob sie nur wegen ihrer Ähnlichkeit mit Greta von ihrem Mann geheiratet wurde.

Zahlen und Fakten, aber auch berührende persönliche Berichte von Gefangenen im Internierungslager Gurs wurden per Lautsprecher von Thomas Braus eingesprochen.

„Gestohlenes Leben“ ist ein Plädoyer gegen das Vergessen und für die Verantwortung der Nachgeborenen, dass solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht wieder geschehen.

Im nächsten Jahr (achtzig Jahre danach) so soll dieses Kammerkonzert in der Umgebung von Gurs aufgeführt werden.

„Bewegung ist Alles!“ – künstlerische Aufhebung der Eindeutigkeit

In der Städtischen Galerie im Torhaus Rombergpark sind vom 20. Oktober bis zum 10. November 2019 vierzehn Arbeiten der Herdecker Künstlerin Petra Böttcher-Reiff unter dem Motto „Bewegung ist alles!“ zu sehen. Die Werke (verschiedene Formate) sind in den Jahren 2013 bis heute entstanden.

Die Künstlerin gelingt es in ihren Arbeiten (Fotografie > Fotografiken), aus statischen Fotografien von Natur, Menschen, Landschaften sowie Sonne, Wolken, Wasser, Meer und Bauwerken fließende, schwebende, Kunstwerke ohne Eindeutigkeit erschaffen. So werden bei den Betrachtern ganz individuelle Emotionen hervorgerufen.

Dabei arbeitet sie mit Reduktion und Verfremdung. Es entsteht eine magische, oft futuristisch anmutendes, in Form und Farbe reduziertes Kunstwerk. Die Werke haben nur kurze Titel wie etwa „Bambuswald“ oder „Sand“ zur Orientierung. Für eigene Assoziationen bleibt genug Spielraum.

Petra Böttcher-Reiff vor ihrer Arbeit "Zeitraffer I" im Torhaus Rombergpark. Zu sehen vom 20. Oktober bis zum 10. November 2019.
Petra Böttcher-Reiff vor ihrer Arbeit „Zeitraffer I“ im Torhaus Rombergpark. Zu sehen vom 20. Oktober bis zum 10. November 2019.

Mit Hilfe technischer, digitaler Veränderungen lässt Böttcher-Reiff in ihrer Farbe reduzierte effektvolle Fotografien oder malerische Bilder mit verwischenden Aquarelleffekten entstehen. In Bauwerken (Duisburg oder Antwerpen (Bahnhof-Centraal blau)) sind stilisierte Personen oder andere Details schemenhaft zu erkennen.

Eindrucksvoll sind zum Beispiel die Arbeiten, die durch die Natur in Frankreich inspiriert wurden, aber auch die digital bearbeiten Fotografien etwa einer muskulösen männlichen Person in der Drehbewegung (Arbeiten „Zeitraffer 1“ und „Zeitraffer 2“). Der Kopf und Teile des Körpers sind schemenhaft surreal in mehrfacher Ausführung zu sehen. Das hat eine leicht surreale Wirkung auf die Betrachter. Je nachdem, von welchem Blickwinkel man die Arbeiten auf sich wirken lässt, entdeckt man etwas neues. Nichts ist eindeutig und alles eben in Bewegung und verändert sich. Das ist der Künstlerin in ihrer jetzigen Schaffensperiode besonders wichtig, wie sie im Pressegespräch erklärte.

Die Eröffnung der Ausstellung „Bewegung ist Alles!“ Petra Böttcher-Reiff findet am Sonntag, den 20.10.2019 um 11:00 Uhr in der Städtischen Galerie Torhaus Rombergpark (Am Rombergpark 65) statt.

Einführung: Axel M. Mosler (Dipl. Fotodesigner, Geschäftsführer Westfälischer Künstlerbund Dortmund e.V.)

Die Künstlerin ist anwesend.

Die Doppelmoral der Oberschicht – Jekyll und Hyde

Mit Jekyll und Hyde bringt die Oper Dortmund einen Bestseller unter den Gruselgeschichten als Musical auf die Bühne. Das Premierenpublikum war begeistert und sprang spontan aus den Sesseln, um das Ensemble mit anhaltenden Standing Ovations zu belohnen.

Das Musical, konzipiert von Steve Cuden und Frank Wildhorn, beschreibt die Suche von Dr. Jekyll nach einer Möglichkeit das Gute und das Böse im Menschen zu trennen und dadurch zu beherrschen. Frank Wildhorn, der auch die Musik schrieb, und Leslie Bricusse, verantwortlich für Buch und Liedtexte, fügten der ursprünglichen Novelle von Robert Louis Stevenson zwei Frauenrollen hinzu. Lisa, Jekylls Verlobte und Lucy, eine Prostituierte, der Hyde verfällt. Außerdem verdeutlichen sie stärker die Doppelmoral der Upperclass der damaligen Zeit, bei der moralischer Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klafften. Auf der Suche nach der richtigen Dosierung eines Elexiers im Selbstversuch, verfällt Jekyll seinem Alter Ego Edward Hyde fast vollständig. Neun Leichen sind das Ergebnis seines Wahns.

Dr. Jekyill präsentiert den faustischen Trank. David Jacobs (Henry Jekyll) und Ensemble bei "Jekyll und Hyde". (Foto: © Theater Dortmund)
Dr. Jekyill präsentiert den faustischen Trank. David Jacobs (Henry Jekyll) und Ensemble bei „Jekyll und Hyde“. (Foto: © Theater Dortmund)

Die Sehnsucht des Dr.Jekyll nach höherer Erkenntnis ist ein Desaster. Kurz bevor er auch seine Verlobte Lisa tötet, besinnt er sich in einem lichten Moment und richtet sich selbst.

Im Original griff Autor Stevenson in seiner Geschichte eine wahre Begebenheit auf. In Edinburgh lebte im 18. Jahrhundert ein gewisser William Brodie, der tagsüber als ehrbarer Geschäftsmann fungierte, nachts aber als Einbrecher unterwegs war. Das Genre der Gothic Novel war zum Ende des 18. Jahrhundert sehr en vogue. Die Ursache des Bösen wurde jetzt in Mitten der Gesellschaft gesehen und nicht mehr nur höheren Mächten zugeschrieben. Aufklärung und der Fortschritt der Naturwissenschaften führten zu veränderten, oft schwierigen Lebensumständen. Im Vergleich mit dem schauerlichen Geschehen in den Erzählungen, relativierten sich die eigenen Sorgen ein wenig.

David Jakobs zeigt in seiner Doppelrolle eine große stimmliche Variationsbreite. Lisa (Milica Jovanovic) als Verlobte verliert mit ihren zarten Balladen ein wenig gegen die kraftvoll und frivol auftretende Prostituierte Lucy Harris (Bettina Mönch). Unterstützt durch die hervorragenden Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Philipp Armbruster geben die Sänger alles, um die gruselige Spannung des Stückes hochzuhalten.

Besonders gelungen ist die Regiearbeit von Gill Mehmert. Um die unterschiedlichen Szenen miteinander zu verbinden bewegen sich die Schauspieler während des Singens und der Erzählung durch vier auf einer Drehbühne inszenierte viktorianische Bühnenbilder. Dies erzeugt den Eindruck einer filmischen Darstellung und ist sehr dynamisch. Vervollständigt wird dies durch die gleichzeitige Ansicht der Szenerie auf der Drehbühne und Jekylls Labor in der Kelleretage, Dort ist mit diversem Laborzubehör, brodelnden Flüssigkeiten und Theaternebel der Raum für die Verwandlung in den monströsen Hyde geschaffen.

Insgesamt ein unbedingt sehenswertes Stück, wenn auch durch die Vorhersehbarkeit der Handlung und die zahlreichen Balladen sich hin und wieder einige Längen einschleichen.

Termine bis Ende des Jahres: 18., 20., 23., 26. Oktober, 3. ,16. , 22., 29. November, 18., 19., 28., 29., 31. Dezember.

Mehr Informationen unter: www.theaterdo.de

Herzensbildung schlägt Bücherwissen

Zum Abschluss der russischen Kulturtage im Kinder- und Jugendtheater präsentierte das Akademische Jugendtheater aus Rostow am Don am 13. Oktober 2019 das Stück „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“. Das Stück von Éric-Emmanuel Schmitt über die schwierige Zeit des Erwachsenwerdens ist inzwischen zu einem Klassiker der Toleranz und des Verständnisses geworden.

Die Geschichte spielt irgendwann in den 50er/60er Jahren: Der elfjährige Moses, der von Monsieur Ibrahim Momo genannt wird, lebt mit seinem Vater, der Rechtsanwalt ist, in einer Wohnung in der Rue Bleue in Paris. Seine Mutter, sowie seinen Bruder Popol hat er nie kennengelernt. Sein Vater ist gefühlskalt zu ihm und vergleicht ihn mit seinem perfekten Bruder Popol. Zuneigung findet Moses nur in den Armen der Prostituierten und in Monsieur Ibrahim, den Inhaber eines kleinen Kolonialwarenladens. Als sein Vater Selbstmord begeht, wird Monsieur Ibrahim sein Vater-Ersatz und tritt später in seine Fußstapfen. Zusätzlich findet er einen späten Frieden mit seiner Mutter.

Das kleine Skelly verwandelte sich im Nu in eine alte Pariser Straße mit ihren kleinen Läden. Dank eines Kastens, der sich durch Öffnen in einen Kramladen verwandelte und die typische Musik der damaligen Zeit. Trotz der Sprachbarriere – die Schauspieler sprachen natürlich Russisch – konnte man Dank der Texteinblendungen an der Seite der Handlung gut folgen.

Monsieur Ibrahim erklärt Momo die Feinheiten des Lebens. (Foto: © Akademisches Jugendtheater Rostow am Don)
Monsieur Ibrahim erklärt Momo die Feinheiten des Lebens. (Foto: © Akademisches Jugendtheater Rostow am Don)

Schmitt stellt den Sufismus in den Mittelpunkt seines Stückes. Die Toleranz dieser Richtung des Islams steht im Gegensatz zu strengen, gesetzestreuen Auslegung des Korans. Daher trinkt Ibrahim, der im übrigen kein Araber ist, sondern Türke, auch gerne einen Anisschnaps trinkt. Ibrahims Grundsatz uist: „Ich glaube nicht an Bücher“. Im Gegensatz zu Moses‘ Vater, der viele Bücher liest, dessen Buchwissen ihn kalt gemacht hat.

Dabei hat Moses‘ Vater kein leichtes Leben: Seine Eltern wurden von den Nazis ermordet und seine Frau hat ihn verlassen. Zudem erfindet er einen imaginären Bruder für Moses: Popol, der perfekt und unerreichbar. Für einen Heranwachsenden ist es sicher mit das Schlimmste, ständig mit jemanden verglichen zu werden, der dieses oder jenes besser kann als man selber. Ibrahim gibt ihm hingegen die Wertschätzung, die er von seinem Vater nicht bekommt.

Die vier Schauspielerinnen und Schauspieler erwecken auf faszinierende Weise die Geschichte zum Leben. Musik und ein paar Requisiten genügen ihnen völlig. Auch der Humor durfte nicht fehlen, als beispielsweise Brigitte Bardot für Filmaufnahmen in der Nähe ist und den Laden von Monsieur Ibraim besucht. Die Derwischkostüme am Anfang und Ende des Stückes lassen die mystische Richtung des Sufismus greifbar werden. Eine gelungene Aufführung.

PLAY: Möwe – Mash up mit Tschigorin, Godard und einer Menge Erinnerungen

Ein „Mash-up“ ist laut Wikipedia spezifische Form der Musikcollage, die aus Tonaufnahmen von Stücken verschiedener anderer Interpreten zusammengemischt wird. Auf das Theater übertragen wäre ein Mash-up eine Stückcollage, die aus Stücken anderer Autoren zusammengestellt wird. Auch Tschechows „Möwe“ wurde mit Jean-Luc Godards Film „Histoire(s) de Cinema“ gemischt und vor allem mit Erinnerungen des Ensembles kräftig gewürzt. Eine Freude vor allem für die unter dem Publikum, die Kay Voges schon seit seiner Ankunft folgen und die Anspielungen aus „Nora“, „Das goldene Zeitalter“ oder die „Borderline-Prozession“ erfreut zur Kenntnis nahmen.

Auch das letzte Stück in Dortmund unter der Regie von Kay Voges enthielt natürlich Elemente, die ihn weit über Dortmunds Grenzen bekannt werden ließen: Loops, gefilmte Schauspieler hinter der Bühne und ein frischer, unverbrauchter Blick auf die Stoffe.

Wer Tschechows „Möwe“ nicht kennt: Treplew ist ein Nachwuchsschriftsteller, dessen Ideen etwas zu neu sind. Er verliebt sich in die Nachwuchsschauspielerin Nina, in die sich der etablierte Romancier Trigorin ebenfalls verguckt. Nina folgt Trigorin nach Moskau, um in dessen Windschatten Karriere zu machen, was aber nicht aufgeht. Sie wird eine Provinzschauspielerin, während Treplew spät aber immerhin Erfolg hat. Bei Tschechow gibt es kein Happy-End wie in Hollywood: Nina besucht Treplew, verlässt ihn jedoch wieder, worauf sich Treplew erschießt.

Auch die Figur der "Nina" gerät in den Loop bei "PLAY: Möwe": (v.l.n.r.) Marlena Keil; Bettina Lieder; Caroline Hanke; Andreas Beck; Uwe Rohbeck; Anke Zillich. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Auch die Figur der „Nina“ gerät in den Loop bei „PLAY: Möwe“: (v.l.n.r.) Marlena Keil; Bettina Lieder; Caroline Hanke; Andreas Beck; Uwe Rohbeck; Anke Zillich. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Figuren in Tschechows Stück sind und bleiben immer noch aktuell. Treplew ist jemand, der nach der perfekten Kunst strebt, es aber schwer hat, in einer Welt, die eher dem Massengeschmack huldigt. Das gilt auch für das Theater, wo manche noch immer erwarten, dass ein Klassiker mit dem selben heiligen Ernst aufgeführt werden soll, wie bei der Premiere im 19. Jahrhundert. Da sind moderne Interpretationen natürlich des Teufels.

Nina ist ebenfalls eine tragische Figur, denn ihr Traum als große Schauspielerin in Moskau hat sich nicht erfüllt. Sie muss nun auf den Bühnenbrettern der Provinz ihr Können zeigen. Das aber auch von Selbstzweifeln geprägt ist. Und hier kommen wir wirklich zu den emotionalen Höhepunkten der Inszenierung. Als das gesamte Damenensemble als „Nina“ auf der Bühne steht und sich in einem internen Wettkampf damit brüsten, wer wann ein Hochzeitskleid oder gar ein weißes Kleid getragen hat. So beklagte sich Anke Zillich: „Warum habe ich nie eine Jungfrau gespielt? Nie eine Jungfrau spielen dürfen? Ich sah halt nie wie Gretchen aus.“

Besonders emotional ist Bettina Lieder als „Nina“, die den Druck und den Stress einer Schauspielerin auf der Toilette los wird: „Aber niemand zwingt mich. Vielleicht hätte ich ja in der Provinz bleiben sollen. Aber ich kann nun mal nichts anders! Ich kann nicht mehr, als mein Bestes zu geben. Auch wenn das immer nur scheiße sein kann!“ Schließlich „Nicht der Ruhm ist wichtig, sondern die Kraft, etwas auszuhalten.“ Ihr Monolog bekam verdientermaßen Sonderapplaus.

Und sonst? Natürlich tauchten wieder bekannte Figuren aus vergangenen Inszenierungen von Kay Voges auf: der berühmte rosa Hase, Adam und Eva aus „Das Goldene Zeitalter“, Wum und Wendelin und selbstverständlich durften auch die Lolitas aus der „Borderline-Prozession“ nicht fehlen.

„PLAY: Möwe“ ist ein Stück, eine Geschichte eines Theaters, nein, die Geschichte des Dortmunder Schauspielhauses in den vergangenen zehn Jahren. Es ist sehr emotional, sehr bewegend, aber auch sehr kraftvoll und positiv. Wer die Arbeiten von Kay Voges in Dortmund verfolgt hat, sollte dieses Stück nicht verpassen.

Mehr Informationen unter www.theaterdo.de

In die Welt geworfen

Eine Welt, in der es kein Halten gibt. Heulender Wind und unsicheres Schwanken in der gähnenden Leere. Mit diesem Gefühl beschäftigt sich die aktuelle Performance der Gruppe „Sepidar Theater“.

Die jungen Theatermacher*innen feiern im Oktober im ROTO-Theater Premiere mit ihrer Produktion „Die Geworfenen“. Die Bühne ist leer – nur zwei Performer*innen und zwei Koffer befinden sich in dem großen, weiten Raum. Die Besucher*innen werden empfangen von einer akustischen Wolke.

Gemeinsam mit den Performer*innen sind sie dieser Geräuschkulisse ausgesetzt – sie werden in sie hineingeworfen. Rund um dieses Gefühl des Geworfen-Seins dreht sich die Arbeit der jungen Theatermacher*innen. Mit ihren Koffern begeben sie sich auf eine Erkundungssuche danach, wie sie sich zu dieser Welt verhalten können, sollen und wollen. Sie fragen danach, wer sie sind und was sie mit den Koffern und ihrem Inhalt verbindet.

Bahareh Sadafi und  Mamadoo Mehrnejad in Aktion bei "Die Geworfenen". (Foto: © Robin Junicke)
Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad in Aktion bei „Die Geworfenen“. (Foto: © Robin Junicke)

Die Künstler*innen vom Sepidar Theater setzen bei ihrer Inszenierung gezielt auf Körperlichkeit. Sie werfen sich über die Koffer, klettern auf ihnen herum und fahren mit ihnen durch die Gegend. Mit ihren Körpern erforschen sie die Bühne und suchen, welchen Platz sie dort – und somit stellvertretend in der Welt – haben.

Das Sepidar Theater existiert seit 2016. Gegründet wurde die Gruppe von den iranischen Theaterwissenschafts-Studierenden Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad. Mittlerweile gehören viele Kulturschaffende mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen der Gruppe an. Mit ihrer ersten Produktion „Der kleine schwarze Fisch“ wurde die Gruppe zum 45. Fritz-Wortelmann-Preis eingeladen.

„Die Geworfenen“ feiert Premiere am 19.10. Premiere im ROTO-Theater Dortmund (Gneisenaustraße 30). Weitere Vorstellungen finden am 8. und 9. November in der Parzelle im Depot (Immermannstraße 29) statt. Karten können per Mail reserviert werden unter sepidar.theater@gmail.com. Für die Premiere kosten die Karten 12 Euro (10 Euro ermäßigt) und können bei allen Vorverkaufsstellen von ProTicket erworben werden. Bei den weiteren Vorstellungen kosten die Karten 10 Euro (8 Euro ermäßigt).

Poetisch-bewegende Geschichte um den treuen Hund Kaschtanka

Das dritte Stück im Rahmen der Russischen Kulturtage mit dem Akademischen Jugendtheater aus Rostow am Don am Sonntag, den 13.10.2019 um 15:00 Uhr im Kinder- und Jugendtheater (KJT) war ein poetisches Stück nach der Erzählung „Kaschtanka“ von Anton Tschechow (ab 6 Jahren) unter der regie von Pawel Sobnin.

Das zahlreich erschienene Publikum lernte die Hündin Kaschtanka aus der Geschichte in Form einer jungen Schauspielerin schon vor Beginn der Aufführung kennen. Zudem waren da zwei fleißige russische Schauspieler mit warmer Pelzkappe, Mantel und Filzschuhen, die mit einem Reisigbesen den Boden im Vorraum säuberten. Einer von ihnen führte das Publikum in den Vorstellungsraum mitten auf die Bühne.

Schuh, Fisch,oder Restaurants waren symbolisch auf großen bemalten Stellplakaten dargestellt an der linken Seite zu sehen. Wie in einer die Circus-Manege konnten sich die Zuschauer*innen nach zehn Minuten auf kleine, in einem Kreis gestellte Bänke setzen.

Die Vorstellung von "Katschanka" brachte etwas Zirkusatmosphäre ins KJT Symbolbild. (Foto: © Jörg Brinckheger  / pixelio.de )
Die Vorstellung von „Katschanka“ brachte etwas Zirkusatmosphäre ins KJT Symbolbild. (Foto: © Jörg Brinckheger / pixelio.de )

Entsprechend der bewegenden Geschichte um die treue Hündin Kaschtanka, wurde das geschehen mit ruhigen Flöten oder Lautenklängen begleitet. Die empfindliche Hündin büxt ihrem Herrchen, dem Tischler Luka Aleksandrytsch und seinem Sohn, wegen des Lärms einer Musikkapelle aus..

Der reiche Mr. George nimmt das verängstigte Tier auf und füttert es besser als der oft betrunkene Tischler. Kaschtanka taucht in die magische Welt des Zirkus ein und findet in einem Schwein, einem Kater und einem Gänserich neue Freunde. Sie müssen gemeinsam hart für eine Kunstfigur namens „Ägyptische Pyramide“ trainieren. Bei einem (misslungenen) Zirkusauftritt am Schluss erkennen der Tischler und sein Sohn ihre Hündin und es gibt ein freudiges Wiedersehen.

Fantasievolle Kostüme machen die Aufführung zu einem bunten Spektakel.

Die Schauspieler arbeiten mit Mimik, Gesten und vielen Tiergeräuschen und einer insgesamt starken Körperlichkeit.

Die deutschen Erläuterung zu der Handlung, konnten von der Seite leider nicht so gut gelesen werden.

Die gute Bildsprache des Ensembles erleichtere aber auch so das Verständnis.

Ein rührend poetische Inszenierung.