PLAY: Möwe – Mash up mit Tschigorin, Godard und einer Menge Erinnerungen

Ein „Mash-up“ ist laut Wikipedia spezifische Form der Musikcollage, die aus Tonaufnahmen von Stücken verschiedener anderer Interpreten zusammengemischt wird. Auf das Theater übertragen wäre ein Mash-up eine Stückcollage, die aus Stücken anderer Autoren zusammengestellt wird. Auch Tschechows „Möwe“ wurde mit Jean-Luc Godards Film „Histoire(s) de Cinema“ gemischt und vor allem mit Erinnerungen des Ensembles kräftig gewürzt. Eine Freude vor allem für die unter dem Publikum, die Kay Voges schon seit seiner Ankunft folgen und die Anspielungen aus „Nora“, „Das goldene Zeitalter“ oder die „Borderline-Prozession“ erfreut zur Kenntnis nahmen.

Auch das letzte Stück in Dortmund unter der Regie von Kay Voges enthielt natürlich Elemente, die ihn weit über Dortmunds Grenzen bekannt werden ließen: Loops, gefilmte Schauspieler hinter der Bühne und ein frischer, unverbrauchter Blick auf die Stoffe.

Wer Tschechows „Möwe“ nicht kennt: Treplew ist ein Nachwuchsschriftsteller, dessen Ideen etwas zu neu sind. Er verliebt sich in die Nachwuchsschauspielerin Nina, in die sich der etablierte Romancier Trigorin ebenfalls verguckt. Nina folgt Trigorin nach Moskau, um in dessen Windschatten Karriere zu machen, was aber nicht aufgeht. Sie wird eine Provinzschauspielerin, während Treplew spät aber immerhin Erfolg hat. Bei Tschechow gibt es kein Happy-End wie in Hollywood: Nina besucht Treplew, verlässt ihn jedoch wieder, worauf sich Treplew erschießt.

Auch die Figur der "Nina" gerät in den Loop bei "PLAY: Möwe": (v.l.n.r.) Marlena Keil; Bettina Lieder; Caroline Hanke; Andreas Beck; Uwe Rohbeck; Anke Zillich. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Auch die Figur der „Nina“ gerät in den Loop bei „PLAY: Möwe“: (v.l.n.r.) Marlena Keil; Bettina Lieder; Caroline Hanke; Andreas Beck; Uwe Rohbeck; Anke Zillich. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Figuren in Tschechows Stück sind und bleiben immer noch aktuell. Treplew ist jemand, der nach der perfekten Kunst strebt, es aber schwer hat, in einer Welt, die eher dem Massengeschmack huldigt. Das gilt auch für das Theater, wo manche noch immer erwarten, dass ein Klassiker mit dem selben heiligen Ernst aufgeführt werden soll, wie bei der Premiere im 19. Jahrhundert. Da sind moderne Interpretationen natürlich des Teufels.

Nina ist ebenfalls eine tragische Figur, denn ihr Traum als große Schauspielerin in Moskau hat sich nicht erfüllt. Sie muss nun auf den Bühnenbrettern der Provinz ihr Können zeigen. Das aber auch von Selbstzweifeln geprägt ist. Und hier kommen wir wirklich zu den emotionalen Höhepunkten der Inszenierung. Als das gesamte Damenensemble als „Nina“ auf der Bühne steht und sich in einem internen Wettkampf damit brüsten, wer wann ein Hochzeitskleid oder gar ein weißes Kleid getragen hat. So beklagte sich Anke Zillich: „Warum habe ich nie eine Jungfrau gespielt? Nie eine Jungfrau spielen dürfen? Ich sah halt nie wie Gretchen aus.“

Besonders emotional ist Bettina Lieder als „Nina“, die den Druck und den Stress einer Schauspielerin auf der Toilette los wird: „Aber niemand zwingt mich. Vielleicht hätte ich ja in der Provinz bleiben sollen. Aber ich kann nun mal nichts anders! Ich kann nicht mehr, als mein Bestes zu geben. Auch wenn das immer nur scheiße sein kann!“ Schließlich „Nicht der Ruhm ist wichtig, sondern die Kraft, etwas auszuhalten.“ Ihr Monolog bekam verdientermaßen Sonderapplaus.

Und sonst? Natürlich tauchten wieder bekannte Figuren aus vergangenen Inszenierungen von Kay Voges auf: der berühmte rosa Hase, Adam und Eva aus „Das Goldene Zeitalter“, Wum und Wendelin und selbstverständlich durften auch die Lolitas aus der „Borderline-Prozession“ nicht fehlen.

„PLAY: Möwe“ ist ein Stück, eine Geschichte eines Theaters, nein, die Geschichte des Dortmunder Schauspielhauses in den vergangenen zehn Jahren. Es ist sehr emotional, sehr bewegend, aber auch sehr kraftvoll und positiv. Wer die Arbeiten von Kay Voges in Dortmund verfolgt hat, sollte dieses Stück nicht verpassen.

Mehr Informationen unter www.theaterdo.de




In die Welt geworfen

Eine Welt, in der es kein Halten gibt. Heulender Wind und unsicheres Schwanken in der gähnenden Leere. Mit diesem Gefühl beschäftigt sich die aktuelle Performance der Gruppe „Sepidar Theater“.

Die jungen Theatermacher*innen feiern im Oktober im ROTO-Theater Premiere mit ihrer Produktion „Die Geworfenen“. Die Bühne ist leer – nur zwei Performer*innen und zwei Koffer befinden sich in dem großen, weiten Raum. Die Besucher*innen werden empfangen von einer akustischen Wolke.

Gemeinsam mit den Performer*innen sind sie dieser Geräuschkulisse ausgesetzt – sie werden in sie hineingeworfen. Rund um dieses Gefühl des Geworfen-Seins dreht sich die Arbeit der jungen Theatermacher*innen. Mit ihren Koffern begeben sie sich auf eine Erkundungssuche danach, wie sie sich zu dieser Welt verhalten können, sollen und wollen. Sie fragen danach, wer sie sind und was sie mit den Koffern und ihrem Inhalt verbindet.

Bahareh Sadafi und  Mamadoo Mehrnejad in Aktion bei "Die Geworfenen". (Foto: © Robin Junicke)
Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad in Aktion bei „Die Geworfenen“. (Foto: © Robin Junicke)

Die Künstler*innen vom Sepidar Theater setzen bei ihrer Inszenierung gezielt auf Körperlichkeit. Sie werfen sich über die Koffer, klettern auf ihnen herum und fahren mit ihnen durch die Gegend. Mit ihren Körpern erforschen sie die Bühne und suchen, welchen Platz sie dort – und somit stellvertretend in der Welt – haben.

Das Sepidar Theater existiert seit 2016. Gegründet wurde die Gruppe von den iranischen Theaterwissenschafts-Studierenden Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad. Mittlerweile gehören viele Kulturschaffende mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen der Gruppe an. Mit ihrer ersten Produktion „Der kleine schwarze Fisch“ wurde die Gruppe zum 45. Fritz-Wortelmann-Preis eingeladen.

„Die Geworfenen“ feiert Premiere am 19.10. Premiere im ROTO-Theater Dortmund (Gneisenaustraße 30). Weitere Vorstellungen finden am 8. und 9. November in der Parzelle im Depot (Immermannstraße 29) statt. Karten können per Mail reserviert werden unter sepidar.theater@gmail.com. Für die Premiere kosten die Karten 12 Euro (10 Euro ermäßigt) und können bei allen Vorverkaufsstellen von ProTicket erworben werden. Bei den weiteren Vorstellungen kosten die Karten 10 Euro (8 Euro ermäßigt).