Ein ausgerechneter Tumult oder wann kommt der Waschmaschinenflüsterer

Ordnung muss sein, heißt es im Volksmund. Doch was ist Ordnung
überhaupt und wo sind die Grenzen zum Chaos? Ist Ordnung gleich
Sicherheit? Diese Frage stellt sich die elektronische Kammeroper für
acht Ordnungskräfte mit dem Titel „[… alles gut …]“ von
„Oper, Skepsis und Gleisbau“ unter der Regie des Komponisten
Frank Niehusmann. Ein Bericht von der Dortmunder Uraufführung am 15.
Juni 2019 im Theater im Depot.

Die Ordnung findet
sich auch auf der Bühne wieder. Farbige Linien durchkreuzen den
Boden, als ob sie ein riesiger Schaltplan wären. Tatsächlich ist
die Bühne auf geteilt in drei x drei Quadrate, auf denen 24 Duette
stattfinden. Jedes dieser Duette findet einmal vorne, in der Mitte
und in der hinteren Reihe statt. Eine Regel besagt, dass nie ein
Duett das andere verdeckt. Klingt kompliziert? Ist es auch, denn die
acht Akteure auf der Bühne müssen sich genau an einen Plan halten,
denn ansonsten kämen sie sich ins Gehege. Schließlich dauert ein
Duett exakt drei Minuten und dann wird gewechselt. Vergleichen kann
man diese Herangehensweise mit Sudoku, Go oder einem Schachproblem.

Im Gegensatz zur
festgelegten Struktur sind die Duette weitgehend improvisiert. Einige
dieser Duette werden gesprochen, gesungen, getanzt oder mit
elektroakustischer Musik ausgefüllt. Lässt der mit
Percussioninstrumenten gefüllte Einkaufswagen an die Anfangszeit der
Einstürzenden Neubauten denken, wird in der Inszenierung noch weiter
experimentiert. Da werden Gitarren mit Fidget-Spinner verbunden oder
man lässt ein Modellauto über eine Gitarre fahren. Sehr spannend
sind die Duette mit dem Theremin von Gilda Razani. Razani ist unter
anderem bekannt durch ihre Aktivität als Saxophonistin und
Theremin-Spielerin in der Geierabend-Band. Ihre Klänge waren sehr
variantenreich und reichten von Klängen aus dem All bis hin zu
vorwurfsvollen und klagenden Lauten.

Für die
gesprochenen Duette war Schauspieler Thomas Kemper zuständig. Beim
ersten war eine Tanzpartnerin dabei. Kempers Aufzählung „Ich
kannte mal eine…“ erinnerte in der Form leicht an Ingo
Insterburgs „Ich liebte ein Mädchen“. Dass Werbesprüche von LKW
auch eine poetische Komponente haben, wurde im nächsten Duett
erkennbar. „Just in Time“, „gut verpackt“ – wer oft auf
Autobahnen unterwegs ist, kann die LKW-Sprüche auf den Planen auch
bald mitsingen. In der Religion und in der Werbung wird oft mit dem
Stilmittel der Zukunftserwartung gespielt. „Etwas wird kommen“ –
sei es der Erlöser oder das neue Smartphone. So deklamierte Kemper
unter anderem „Ein Waschmaschinenflüsterer wird kommen“.
Tatsächlich könnte die Welt einen (oder mehrere)
Waschmaschinenflüsterer gut gebrachen.

Thomas Kemper (links) und Peter Eisold  beim Duett über die Poesie von Texten auf LKW-Planen. (Foto: © Christian Spieß)
Thomas Kemper (links) und Peter Eisold beim Duett über die Poesie von Texten auf LKW-Planen. (Foto: © Christian Spieß)

Als weitere Ebene im
Stück gab es Videos, die Szenen aus Essen zeigten oder
Computergrafikanimationen von Erwin Wiemer.

Was auf den ersten
Blick chaotisch abzulaufen scheint, denn viele Duette laufen ja
parallel, hat in Wahrheit einen geordneten Kern. Für den Zuschauer
ergeben sich viele assoziative Bilder, die erst geordnet werden
müssen. Dann aber ergibt das Ganze nicht nur einen Sinn, sondern
macht auch Spaß. Wenn Kemper beispielsweise wie der Papst mit
erhobenen Händen „reziproke Amnesie“ in den Zuschauersaal ruft,
kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Stück „[… alles
gut …]“ spielt mit dadaistischen Elementen und ist eine gelungene
moderne Kammeroper.




Vom Ghetto-Netto zum Vermieter-Gebieter

Der dritte Teil der Nordstadtsaga um den Hinterhof in der
Missundestraße 10 trägt den schönen Titel „Soda und Gomera“.
Nach „Juckpulver und Hagebuttentee“ (2018) und „Im Tal der
fliegenden Messer“ (2017) geht es diesmal mit der Produktion von
artscenico in die Zukunft. Hier ist die Nordstadt das hippe Viertel
der Republik und die Mietwilligen stehen Schlange. Eine schwere
Entscheidung für den Vermieter, der sich als König geriert. Zudem:
The Return of the Omas. Ein Premierenbericht vom 13. Juni 2019.

Zurück in die
Zukunft – wo andere einen Fluxkompensator brauchen, um in die
Vergangenheit zu reisen, reichen Rolf Dennemann, der Kopf hinter
artscenico, nur ein paar Papptafeln um von 2017 und 2018 in die
Zukunft und wieder zurück zu reisen.

Die altbekannten
Gesichter sind wieder dabei: Emmi (Elisabeth Pleß) ist die Frau vom
Vermieter (Linus Ebner) und Walla (Thomas Kemper), der als Oma einen
mobilen Kiosk mit dem schönen Namen „Wallahalla“ betreibt.
Logischerweise gibt es dort Eierlikör in rauen Mengen.

Was tut man/frau nicht alles, um dem Vermieter zu gefallen und die Wohnung zu bekommen. (Foto: © Guntram Walter)
Was tut man/frau nicht alles, um dem Vermieter zu gefallen und die Wohnung zu bekommen. (Foto: © Guntram Walter)

Die Hauptgeschichte
spielt im Jahre 2022: Der junge Hausbesitzer weiß nicht, an wen er
eine seiner Wohnungen vermieten soll. Die Nordstadt ist so attraktiv
geworden, dass die Kandidaten Schlange stehen und an einem
„Mietmarathon“ teilnehmen müssen. Walla ist mit seinem mobilen
Kietz-Kiosk unterwegs als er seinen alten Kumpel Kalla wiedertrifft,
der jahrelang als Maskenverleiher auf Gomera sein karges Leben
fristete.

Rolf Dennemann hat
hier wieder das aktuelle Thema „Wohnungsnot“ in gewohnt
skurril-amüsanter Form aufbereitet. Auch wenn die Nordstadt noch
weit weg ist von der Gentrifizierung, in anderen Städten müssen die
Mietkandidaten sich quasi nackt machen vor dem „Vermieter-Gebieter“.
Schon die kleinste Verfehlung kann das Aus bedeuten. Schwierig ist es
auch für einen unerfahrenen Vermieter, der das Haus vererbt bekommt,
den oder die richtige Kandidatin zu finden. Es hat ja auch etwas mit
Vertrauen zu tun, wem man seine Wohnung vermietet.

Wer es am Ende sein
wird, verrate ich nicht, denn das können die Besucher am 21. und 22.
Juni 2019 noch selbst herausfinden. Wer also etwas Abstand vom
Kirchentag haben möchte und Lust hat sich intelligent und
hintergründig zu unterhalten, der sollte gegen 19:30 Uhr nicht an
der Missundestraße 10 vorbei gehen. 90 Minuten echte
Nordstädter-Hinterhofatmospähre mit überdachter Tribüne.




Klangvokal 2019 – Georg Friedrich Händels starke „Heroinen“

Die imposante Maschinenhalle im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in
Bövinghausen bildete einen würdigen Rahmen für „Händels
Heroinen“ am 14.06.2019 im Rahmen des Klangvokal Musikfestivals
2019.

„The King‘s
Consort“ als erstklassiges britisches Ensemble unter der Leitung
von Robert King, der auch am Cembalo spielte sowie die englische
Sopranistin und Spezialistin auf dem Gebiet der Barockmusik Carolyn
Sampson zogen das Publikum in die faszinierende Welt der Oratorien
und Opernmusik von Georg Friedrich Händel ( (1685 – 1759).

Die Musik des Komponisten war von Frauen, darunter auch seiner Mutter, inspiriert. Egal ob als Königinnen, Prophetinnen, Zauberinnen, Dienerinnen oder rachsüchtige Intrigantinnen – Frauen spielten sie in seinem Vokalschaffen eine gewichtige Rolle mit starker Präsenz.

Los ging es mit den
wunderbaren „Wassermusik“ und der Sarabande aus der Oper „Almira,
Königin von Castilien“). Schon hier konnte sich der Solo-Trompeter
Neil Brough in dem Ensemble-Gefüge auszeichnen.

Carolyn Sampson und "The Kings' Consort" präsentierten starke Frauen aus Händels Opern- und Oratorienschaffen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Carolyn Sampson und „The Kings‘ Consort“ präsentierten starke Frauen aus Händels Opern- und Oratorienschaffen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Im Folgenden
wechselten sich instrumentale Passagen mit den von der Sopranistin
Sampson mit klarer Stimme sensibel gesungenen Arien ab. Am Anfang lag
der Schwerpunkt bei den Oratorien wie „Sememe“, „Theodora“
oder „Deborah“, später standen dann die Opernarien wie die der
Cleopatra (Oper Giulio Cesare), die Arie der Teofane (Oper „Ottone,
Re di Germania“). Die Arie der Ginevra (Oper „Ariodante“) oder
etwa die der Melissa (Oper „Amadigi di Gaula“) im Mittelpunkt.

Die verschiedensten
Emotionen, von traurig-melancholisch, rachsüchtig-temperamentvoll
bis liebes- freudig wurden von der Sängerin in allen Schattierungen
gekonnt dargebracht. Die oft feierlich bewegende Musik Händels kam
in der Maschinenhalle gut zur Geltung. Als Zugabe gab es ein Stück
aus dem dritten Akt des Oratoriums „Samson“.

Für alle Freunde
des Komponisten und der Barockmusik ein großartiges Erlebnis.




Seniorentanztheater und das Sinnhafte im Eigensinnigen

Unter der Leitung und tatkräftigen Unterstützung von Barbara Huber
sowie des erfahrenen Choreografen Mark Hoskins bereichert das
Dortmunder Seniorentanztheater schon in der zehnten Spielzeit das
kulturelle Leben in unserer Stadt. Die fitten Seniorinnen und
Senioren (57 bis 82 Jahre) sind keine Profitänzer, sondern haben,
wie man sehen und spüren kann, enormen Spaß an Bewegung und Tanz.

In ihrer neuesten
Produktion „We don‘t need no (s) education“ (frei nach Pink
Floyd), an der sie über Monate zusammen gearbeitet haben, geht es
darum, gegen überkommene Vorstellungen über „ältere Menschen“
mit Mut und das Leben möglichst lange selbstbestimmt und autonom
anzugehen.

Ein aktuelles Thema
aus dem Erfahrungsbereich der älteren Generation. Der demografische
Wandel zeigt deutlich, das die Zahl der Senioren in den nächsten
Jahren stetig ansteigen wird. Die individuelle Situation und
Fähigkeiten sind bei ihnen sehr unterschiedlich und lassen sich
nicht über einen Kmm scheren.

Wie schafft man es, lange selbstbestimmt Leben zu können? Eines der Fragen, die das Seniorentanztheater beschäftigte. (Foto: ©Piotr Gregorowicz)
Wie schafft man es, lange selbstbestimmt Leben zu können? Eines der Fragen, die das Seniorentanztheater beschäftigte. (Foto: ©Piotr Gregorowicz)

Die dreiundzwanzig
beteiligten Personen (sechzehn Frauen und sieben Männer) waren alle
mit einer Art weißen Kittel (ähnlich einem Engels-oder
Krankenhauskittel) anonym und wie „unsichtbar“ gekleidet. Nur
bunte Fäden ihren Köpfen brachten kleine zaghafte Farbtupfer
hinein.

Passend zum ernsten Thema war die energiegeladenen Musik von Igor Strawinskys „Sacre du printemps“ sowie natürlich Ausschnitten aus Pink Floyds „The Wall“ sehr gut ausgewählt.

Strawinky beschwört
in seinem legendären Ballett ein vorzeitliches Ritual und feiert die
stete Erneuerung der Natur. Für die älteren Menschen, die schon
einige Frühlinge und Sommer hinter sich haben, wird aus dem
Frühlings- ein Herbstopfer

Der Druck von außen,
wie man als älterer Mensch zu sein und sich zu verhalten hat, wurde
sehr plastisch und eindringlich tänzerisch dargestellt. Widerstand
entwickelt sich erst langsam nach und nach.

Das Leben wird als
Spiel auf Leben und Tod erfahren, bei der Humor nicht auf der Strecke
bleiben darf.

Im Laufe der
Aufführung werden dann den Beteiligten in goldenen Kelchen „rote
Nasen“ gereicht und sie werden zu Clowns. Glücklich sind sie damit
nicht, mit den roten Nasen lächerlich gemacht zu werden. Sie sind
keine Narren, sondern haben eine Art Freibrief.

Wenige
Videoprojektionen dienten zwischendurch als Hintergrund. Am
Eindrucksvollsten war dabei die bunte „Wall“, die Risse bekam.
Beim Song „We don‘t need no education“ rockte das Ensemble die
Bühne .

Es gab wohl bisher
keiner Produktion des Seniorentanztheaters, wo die tänzerisch und
motorischen Anforderungen für alle so hoch waren. Viele Elemente des
modernen Balletts waren darin eingeflossen.

Ein großes
Kompliment für diese Leistung!