Klangvokal 2019 – Mit dem Sollazzo Ensemble im musikalischen Liebesfieber

Das sechsköpfige Sollazzo Ensemble (Basel) unter der Leitung von
Anna Danilevskaia existiert seit 2014 und gilt als Shootingstars im
Bereich Alte Musik des Mittelalters und der Frührenaissance. Im
Rahmen des Klangvokal Musikfestivals konnte es nun sein Können am
12.06.2019 in der Dortmunder St. Marienkirche unter dem Titel „Tag
und Nacht – oder: Von der Liebestollheit in der Ars Nova“ unter
Beweis stellen. Die „Ars Nova“ besingt mit einer expressivem
Klangfarbe alle Schattierungen zwischen Liebesfreud und Liebesleid.

Mit dabei waren
Perrine Devillers mit ihrem klaren Sopran, Vivien Simon als sensibler
Tenor, und an den alten eindrucksvollen Instrumenten Franziska
Fleischanderl (Psalter: mittelalterlicher Zither ohne Griffbrett),
Sophia Danilevskaia (Fidel), Anna Danilevskaia (Fidel und Christoph
Sommer (Laute).

Um (Liebes-) Gefühle
in weltliche Gesangsformen zu transformieren, bildeten Balladen oder
sogenannte „“Virelai“ (ein mittelalterliches Tanz- und
Liebeslied) gerade in Frankreich und Italien die Grundlage.

Als ein Beispiel sei
hier das von einem gewissen französischen Komponisten „Borlet“
(Trebol?) Anfang des 14. Jahrhunderts entstandene „ Hé,
tres doulz roussignol joly“ genannt. Es gehört zu den musikalisch
verspielten Virelais mit geschickt eingebauten Vogelimitationen. Man
muss wissen, das Vögel, besonders die Schwalben als „Liebesboten“
galten.

Das Sollazzo Ensemble präsentierte Liebeslieder der Renaissance in der Marienkirche. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Das Sollazzo Ensemble präsentierte Liebeslieder der Renaissance in der Marienkirche. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Mit
Madrigalen (Singgedichte,
bei dem der
Text nicht nur wiedergegeben, sondern durch Gesang wie
Instrumentierung mit gedehnten lautmalerischen Effekten gestaltet)
wie etwa
„Quel sole che
nutric‘al gentil fiore“, wird
die Schönheit der Frauen und der Natur mit Tiefe und Intensität
besungen.

Devillers
und Simon beeindruckten vor allem durch ihre Harmonie, wenn sie
zusammen sangen.

Das
wunderbare Zusammenspiel der Instrumente sorgte zwischendurch immer
wieder für atmosphärische Tiefe.

Im
ersten Teil
des Abends standen in
französischer oder italienischer Sprache gesungenen Texten das
Liebesleid, in der
zweiten Hälfte schon mehr die Liebesfreude und Liebeslust im
Zentrum.

Gespielt und gesungen wurde Lieder von Borlet, Vincenzo da Rimini (ca. 1350-1400), Bartolino da Padova (1365-1405), Niccolò da Perugia (, Matteo da Perugia , Jacob de Senlèche (ca. 1382-1395) oder Francesco Landini (ca. 1335-1397).

Das
Abschlusslied des Programms „Or sus, vous dormés trop“ stammt
von einem anonymen Komponisten und seine Noten
finden sich im „Codex Ivrea“, der Bibliothek
der piemontesischen Stadt Ivrea. Hier
wird eine schöne Dame ausgelassen gefeiert, die zu lange schläft.
Stattdessen soll sie lieber der Lerche, Amsel, Drossel oder dem
Zeisig, aber nicht zuletzt dem Verehrer ihr Ohr und Herz schenken.




Ein Abend mit Willem

Die Geschichte des 30jährigen Willem erzählt die Komödie „Willems Wilde Welten“ im Theater im Depot. Der Mann steckt in einer tiefen Sinnkrise und sucht als ersten Ausweg eine Therapeutin auf. Hier beginnt eine Reise der Erkenntnis durch Abgründe der Vergangenheit und absurde Traumsequenzen. Rückblicke, Träume und Gegenwärtiges wechseln sich ab bei Willems Suche nach dem Glück.

Die
Komödie des freien Theaters „glassbooth“ plante Regisseur Jens
Dornheim als Fortsetzung des Stückes Container Love aus dem Jahr
2014.

Einige
Sequenzen standen schon länger fest, es bedurfte aber einer
Verknüpfung der Ideen und eines roten Fadens, um nicht in einer
Nummernrevue zu landen. Gemeinsam mit Dominik Hertrich, mit dem Jens
Dornheim schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, entwickelte der
Regisseur die Geschichte um die Hauptperson Willem, gespielt von
Dietmar Meinel.

Die
Titelfigur führt die Zuschauer durch ein Leben voller
Zurückweisungen und Niederlagen. Sein Kostüm, bestehend aus einem
beigen Hemd und einem Wollpollunder, der in die zu kurze Anzughose
gestopft ist, unterstreicht das Loser-Dasein, das Willem in die Krise
gestürzt hat. Während seiner Therapiesitzung erzählt er von
Erniedrigungen auf dem Schulhof durch brutale Zwillingsbrüder, der
Unfähigkeit sich mit einem Mädchen zu unterhalten, geschweige denn
sich zu verabreden und einer grotesken Szene am Abendbrottisch der
Familie. Diese wird in eine Videosequenz eindrücklich dargestellt.
Ein despotischer Vater hält Frau und Kind mit strengen Regeln unter
seiner Kontrolle. Als der Vater den Geschmack der abendlichen Suppe
kritisiert und neues Essen einfordert, geht seine Frau in die Küche,
nimmt einen gebrauchten Tampon und rührt das Blut in die helle
Suppe, voilà ein neues Gericht. Dem Vater schmeckt es, Mutter ist
kurzfristig gerettet, der kleine Willem starrt mit großen Augen
hungrig auf seinen leeren Teller. Dieser bleibt leer, da seine Mutter
nur ihren Mann bestrafen will. So mancher Zuschauer konnte angeekelte
Laute nicht unterdrücken.

Auch eine Szene im Arbeitsamt war optisch schwer zu ertragen. Willem sitzt einem sabbernden dicken Mitarbeiter, der aus der Psychiatrie entsprungen scheint, gegenüber und muss sich mit Formalitäten herumschlagen. Die Dialoge sind so absurd, dass man viel Sympathie für den verzweifelten Willem entwickelt. Viele Lacher ernten die Schauspieler auch, als Willem bei der Automatenfee (Foto) ein Passbild anfertigen will, was natürlich misslingt.

Willem (Dietmar Meinel) hat kein Glück beim Passbildautomaten. (Foto: © Anja Cord)
Willem (Dietmar Meinel) hat kein Glück beim Passbildautomaten. (Foto: © Anja Cord)

In
einer Castingshow mit mehreren Videoeinspielern nimmt Willem die
Rolle des Chefs ein und agiert prompt nach dem Vorbild seines Vaters
mit machtbesessenen Starallüren. Die Einspieler sind gespickt mit
Zitaten von Woody Allen bis Dieter Hallervordens Palim Palim.

Im
Schlussbild des Stückes kommt es zu einem versöhnlich Abschluss.
Mit Tiermasken verkleidet lauschen die Schauspieler Opa Walters
Märchenkiste, und im Kreis der Tiere schöpft Willem Vertrauen. Er
beginnt befreit zu tanzen und fühlt sich in die Gemeinschaft
aufgenommen.

Das
sechsköpfige Ensemble, bestehend aus Dietmar Meinel, Safiye Aydin,
Dominik Hertrich, Timo Josefowicz, Timo Knop und Aless Wiesemann
meistert die Aufgabe des ständigen Rollenwechsels mit Bravour.

Das
durch geschickt eingesetzte Garderobenständer schnell wandelbare
Bühnenbild wurde von Sabine Bachem in Szene gesetzt, die
Filmsequenzen drehten Dirk Gerigk und Stefan Bahl von bs-Film, einem
langjährigen Partner der Theatergruppe.

Das
Stück wird nach der Sommerpause am 22. September wieder im Theater
im Depot zu sehen sein.




Hoesch-Museum präsentiert Ausstellung zu Migration und Religionen im Ruhrgebiet

Das Ruhrgebiet ist ohne die Einwanderung nicht denkbar. Die neuen
Bewohner der Ruhrgebietsstädte brachten neben ihren Bräuchen auch
ihre Religion mit. Aus Masuren kamen evangelische Christen, aus den
anderen Provinzen des ehemaligen polnischen Staates überwiegen
Katholiken. Im 20. Jahrhundert kamen orthodoxe Griechen und
muslimische Türken ins Ruhrgebiet. Die religiöse Vielfalt brachte
Kooperationen, aber auch Konflikte. Die Ausstellung „Migration und
Religionen im Ruhrgebiet“ im Hoesch-Museum (16. Juni – 14. Juli)
erzählt davon.

Konzipiert wurde sie
als Wanderausstellung in einer Kooperation zwischen Hoesch-Museum und
dem Verein zur Erforschung der Kirchen- und Religionsgeschichte des
Ruhrgebiets in Bochum. Die Ausstellung wurde von einem Team aus 16
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeitet. Die Zugänge
waren daher vielfältig und umfassen Geschichtswissenschaft,
Theologie, Stadtteilarbeit oder Soziologie.

Wie Migranten mit ihren religiösen Bräuchen das Ruhrgebiet prägten, zeigt die aktuelle Ausstellung im Hoesch-Museum. (v.l.n.r.) Gisela Piechotta (Ehrenamtliche Mitarbeiterin im Hoesch-Museum), Dr. Jens Stöcker (Direktor des
Museums für Kunst und Kulturgeschichte), Isolde Parussel (Leiterin Hoesch-Museum), Prof. Traugott Jähnichen (Ruhr-Universität Bochum). (Foto: © Karin Pinetzki, Stadt Dortmund)
Wie Migranten mit ihren religiösen Bräuchen das Ruhrgebiet prägten, zeigt die aktuelle Ausstellung im Hoesch-Museum. (v.l.n.r.) Gisela Piechotta (Ehrenamtliche Mitarbeiterin im Hoesch-Museum), Dr. Jens Stöcker (Direktor des Museums für Kunst und Kulturgeschichte), Isolde Parussel (Leiterin Hoesch-Museum), Prof. Traugott Jähnichen (Ruhr-Universität Bochum). (Foto: © Karin Pinetzki, Stadt Dortmund)

Unter den
Wissenschaftlern ist Prof. Traugott Jähnichen vom Lehrstuhl für
Christliche Gesellschaftslehre . „Für Migranten ist die Religion
identitätsstiftend und dient zur Beheimatung“, findet Jähnichen.
Das hatte Folgen: ehemals protestantische Gegenden wurden katholisch
und umgekehrt.

Um einen
persönlichen Blick auf die Thematik zu bekommen, wurden sehr viele
persönliche Gegenstände zur Verfügung gestellt. Fußballtrikots,
ein Wäschekorb mit Rädern oder ein Notenständer – diese und
andere Objekte sind Ausdruck des durch Migration geprägten
religiösen Lebens im Ruhrgebiet.

Die Schau ist als Wanderausstellung konzipiert und kann kostenlos über Prof. Traugott Jähnichen von der Ruhr Universität Bochum ausgeliehen werden. Für das Hoesch-Museum und im Rahmen des Kirchentages wurde die Ausstellung bei ihrem Auftakt um Exponate erweitert. Zahlreiche Privatpersonen und religiöse Institutionen haben dafür großzügig Leihgaben zur Verfügung gestellt. Drei Hörstationen mit Interviews und ein Medientisch sind ebenfalls nur im Hoesch-Museum zu nutzen.

Zur Ausstellung
erscheint ein Katalog.




Drag – Die Verteidigung des Non-Konformen

Vom 15. Juni bis zum 18. August 2019 zeigt der Dortmunder Kunstverein die Gruppenausstellung „Display. Staging Identites“. In der Gruppenausstellung zeigen Johannes Paul Raether, Victoria Sin, Mikołaj Sobczak und Philipp Timischl ihre Positionen zum Thema „Drag“.

In
unserer Populärkultur ist „Drag“ meist mit dem Begriff der
„Dragqueen“ verbunden. Olivia Jones und Conchita Wurst sind
bekannte Beispiele aus
dem deutschsprachigen Raum. Doch Drag bezeichnet zunächst das
Auftreten in Kleidung des jeweils anderen Geschlechts, wobei ein
Charakter angenommen oder eine eigene Identität entwickelt wird.
Daher gibt es natürlich auch Dragkings, also Frauen in
Männerkleidung. Angefangen von Frauen, die als Soldaten in Kriege
zogen, bis hin zu Hosenrollen in der Oper. Die
barocke Oper war in der Hinsicht von Mann/Frau sehr flexibel. Das
Festival Klangvokal bot mit
dem Abend „Gender Stories“ einen schönen Einblick in dieses
Thema.

Doch
in der Ausstellung geht es um mehr als Unterhaltung, denn Drag hat
auch eine politische Seite, die als Werkzeug zur Selbstermächtigung
dient und die Möglichkeit einer immer wieder neu zu erfindenden
Identität bietet.

"A Weak Female Figure" von Victoria Sin erinnert ein wenig an das Grabtuch von Turin.
„A Weak Female Figure“ von Victoria Sin erinnert ein wenig an das Grabtuch von Turin.

Bilder
beschrieben Geschichte. Der polnische Künstler Mikołaj
Sobczak probiert sich an
der Umdeutung historischer Gemälde. In seinen jüngsten Arbeiten
setzt er sich mit der Hexenverfolgung auseinander. Bei ihm
triumphieren die angeklagten Dragqueens über
die als Dragkings gezeichneten Kirchenvertreter.

Johannes
Paul Raethers Thema ist die Reproduktionstechnologie.
In-Vitro-Technologie, Leihmutterschaft
und Pränatale Implantationsdiagnostik möchte er zur Gründung eines
anti-heteronormativen „ReproTechnoTribes“ nutzbar machen. Das
heißt, ein Kind könnte das Produkt mehrerer Väter und Mütter
sein.

Victoria
Sin sieht sich weder als weiblich noch als männlich. Ihre Definition
ist non-binär. Im Drag inszeniert sie sich als Frau, eine Kunstfigur
zwischen Marilyn Monroe, Marlene Dietrich und Jessica Rabbit. Sins
Videoarbeiten thematisieren die Objektifizierungen in der Kunst.

Für
Philipp Timischl ist Drag eine Methode zur Überwindung sozialer
Klassen. In seinen Arbeiten fragt er sich, welche
Codes und Normen es gibt, um in bestimmte Räume zu kommen. Reicht es
die Codes zu adaptieren?

Die Umdeutung historischer Gemälde ist das Interesse von Mikołaj Sobczak ("Witch Examination")
Die Umdeutung historischer Gemälde ist das Interesse von Mikołaj Sobczak („Witch Examination“)

Während
der Ausstellung gibt es auch ein Rahmenprogramm:

Am
Freitag, den 14. Juni, veranstalten die beiden Künstler Nicolas
Grafia und Mikołaj
Sobczak um 20 Uhr eine
Performance, ebenso wie am 02. August der Künstler
Adam Christensen (20 Uhr).

In
Kooperation mit dem Kino Schauburg werden dort die Filme
Victor/Victoria (04. Juli 2019, 20:15 Uhr) und ONE ZERO ONE (
25. Juli 2019, 20:15 Uhr)
gezeigt.

Matthias
Zalthen
bietet am 05. und 12. August von 11 bis 18 Uhr einen Workshop für
Kinder an. Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung unter
info@dortmunder-kunstverein.de