Tag 1 – Internationales Frauenfilmfestival Dortmund / Köln 2019

Der erste Tag des
Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund / Köln 2019 bot in der
Kategorie des Spielfilmwettbewerbs für Regisseurinnen am 10.04.2019
im Dortmunder Kino Schauburg um 20:00 Uhr mit „Wajib“
(Verpflichtung) einen Film der Regisseurin Annemarie Jacir ein
familiäres Kaleidoskop der palästinensisch-israelischen
Problematik. Die Regisseurin lebt wieder in Palästina, hat aber
einen US-Pass. Das erlaubt ihr, ohne Probleme nach Israel ein- und
ausreisen zu können.

Die Stadt Nazareth
ist die größte palästinensische Stadt auf dem Staatsgebiet
Israels. Die jüngere Stadt Nazrat-Illit wird hauptsächlich von
Juden, während Nazareth in erster Linie von Muslimen und Christen
bewohnt ist. In „Wajib“ geht es um die Tradition, die Einladungen
zur Hochzeit der Tochter persönlich zu überbringen. Der in Rom
lebende Architekt Shadi kommt ohne Begeisterung wegen der
Hochzeitsvorbereitungen für seine Schwester Amal für kurze Zeit in
seine Heimatstadt Nazareth zurück. Diese hatte er wegen der
Schwierigkeiten mit den Israelis und seinem Vater verlassen und lebt
zusammen mit seiner der PLO nahestehenden Freundin in Rom. Sein Vater
Abu Shadi arangiert sich dagegen mit den Israelis , da er gerne
Rektor werden möchte. Nun begleitet er ihn in einem humorvollem
urbanen Roadmovie bei der Abgabe der Einladungen.

Interessant ist,
dass die beiden von Saleh und Mohammad Bakri gespielt werden, die
auch im wahren Leben Sohn und Vater sind. Während der Fahrt brechen
zwischen ihnen Konflikt auf politischen, gesellschaftlichen aber auch
persönlichen Ebene auf.

Szene aus "Wajib": Vater und Sohn bringen persönlich Einladungen vorbei. Bei den kleinen Geschichten lernt man sehr viel über das tägliche Leben in Nazareth. (Foto: Wajib (R: Annemarie Jacir, PS/FR/DE/CO/NO/QA/AE 2017) © Pyramide Films)
Szene aus „Wajib“: Vater und Sohn bringen persönlich Einladungen vorbei. Bei den kleinen Geschichten lernt man sehr viel über das tägliche Leben in Nazareth. (Foto: Wajib (R: Annemarie Jacir, PS/FR/DE/CO/NO/QA/AE 2017) © Pyramide Films)

Die Mutter, die nur
über Telefonate mit ihrem Sohn Shadi im Film vorkommt, spielt eine
wichtige Rolle. Sie hatte die Familie früh, vor allem wegen der
politischen Verhältnisse, verlassen. Das hat der Vater nicht
vergessen und nimmt es ihr immer noch sehr übel. Der Sohn wiederum
ist sauer auf seinen Vater, der sich nach seiner Meinung zu sehr
anpasst und verbiegt. Das er sehr viel Wert auf die Meinung von
Familie und Freunden in seinem Heimatort legt, zeigt sich vor allem,
als er seinen Sohn auch einmal als „Arzt“ ausgegeben hat. Aber
auch andere Figuren, die nicht im Film zu sehen sind, haben eine
wichtige Rolle. Shadis Freundin Nada wird von seinem Vater mehr oder
weniger ignoriert, vermutlich weil er Angst vor politischen
Repressalien hat. Auch der israelische Freund des Vaters ist nicht im
Bild zu sehen. Es bleibt unklar, ob er eine Einladung bekommt oder ob
sich Shadi durchgesetzt hat.

Bespitzelung, die
fehlende Müllentsorgung und oft Benachteiligung der Palästinenser
durch die Israelis wird von Shadi in Nebensätzen oder Seitenblicken
angesprochen und gestreift. Das Verhältnis von Israel und Palästina
wird mit viel Empathie beschrieben, sowie gleichzeitig das
Vater-Sohn-Verhältnis ausgelotet.

Auf der Reise werden
kleine Geschichten erzählt. Cousinen wollen den Architekten aus Rom
zur Heimkehr „verführen“. Man bekommt kleine humorvolle
Einblicke in die verschiedenen Welten der zur Hochzeit eingeladenen
Muslime, Christen und Atheisten.

Kleine Schummeleien,
doppeldeutige Bemerkungen oder Sticheleien beleben und befeuern
dieses bemerkenswerte Roadmovie. Am Ende sitzen Vater und Sohn
einträchtig zusammen auf dem Balkon.




Die unglaubliche Mirga

Eine
exzellente Wahl traf Intendant Raphael von Hoensbroech mit der
nächsten Exklusivkünstlerin, der Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla.
Ab Herbst 2019 tritt sie im Konzerthaus die Nachfolge von Andris
Nelson, dem jetzigen Künstler an. Für drei Spielzeiten wird sie mit
ihrem Orchester, dem City of Birmingham Symphony Orchestra die
Konzerthausbesucher begeistern. Seit 2016 ist sie Chefdirigentin
dieses renommierten britischen Klangkörpers. Damit folgte sie
berühmten Vorgängern wie Edward Elgar, Simon Rattle, Sakari Oramo
und Andris Nelson.

Die
temperamentvolle litauische Musikerin stammt aus einer
musikbegeisterten Familie. Ihr Vater ist Chordirigent, die Mutter und
eine Schwester sind Pianistinnen, die Großmutter war Geigerin.

Mirga
Gražinytė-Tyla studierte zunächst Chor- und Orchesterdirigieren an
der Grazer Universität, wechselte dann an das Konservatorium nach
Bologna, besuchte die Musikhochschule Leipzig und die Züricher
Hochschule der Künste. 2009 wurde sie in das Dirigentenforum des
Deutschen Musikrates aufgenommen. Das Forum ist ein bundesweites
Förderprogramm des Deutschen Musikrates für den dirigentischen
Spitzennachwuchs, in den Sparten Orchesterdirigieren und
Chordirigieren. Sie ist Trägerin des „Salzburg Festival Young
Conductors Award“ und hat in den letzten Jahren Einladungen
zahlreicher Orchester und Opernhäuser angenommen.

Die
32-jährige Musikerin gilt als Shootingstar unter den jungen
Dirigenten und als eine der wenigen Frauen, die sich bis jetzt das
Dirigentenpult erobern konnten. Als erste Dirigentin unterschrieb
Mirga Gražinytė-Tyla einen Exklusivvertrag der Deutschen
Grammophon.

Die neue Exklusivkünstlerin des Konzerthauses Mirga Gražinytė-Tyla. (Foto: © Ben Ealogeva).
Die neue Exklusivkünstlerin des Konzerthauses Mirga Gražinytė-Tyla. (Foto: © Ben Ealogeva).

Als
ihre bekanntesten Vorreiterinnen in der Männerdomäne gelten die
Amerikanerin Marin Alsop und die Australierin Simone Young. Young war
von 2005 bis 2015 Generalmusikdirektorin und Intendantin an der
Staatsoper in Hamburg. Marin Alsop leitet seit 2007 das Baltimore
Symphony Orchestra und wird zur nächsten Saison Chefin beim
ORF-Radiosinfonieorchester.

Als
Ausblick auf ihre Zeit in Dortmund möchte die Dirigentin Musik
unterschiedlichster Komponisten vorstellen, aus Litauen und auch
britische Musik. Gerade in der heutigen Zeit ist es ihr wichtig
Brücken zu bauen. Es ist ihr „eine Freude und Ehre als
Exklusivkünstlerin in Dortmund tätig zu sein.“

Fünfmal
wird Mirga Gražinytė-Tyla während ihrer ersten Saison in Dortmund
auf der Bühne stehen. Die Chordirigentin bringt ein Schlüsselwerk
des 20. Jahrhunderts zur Aufführung. „A child of our time“, ein
Oratorium von Michael Tippett. In zwei weiteren großformatigen
Konzerten sind mit Piotr Anderszewski und Gabriela Montero ihre
musikalischen Partner.

Im
„Geheimnis der Liebe“ bringt sie in kleinerem Rahmen „ägyptische
Gedichte der Liebe“ zur Aufführung und im Salongespräch mit
Intendant Raphael von Hoensbroech begrüßt Mirga Gražinytė-Tyla
ihre Familie.

Einige
Besucher hatten schon im November 2017 die Möglichkeit Mirga
Gražinytė-Tyla in einem beeindruckenden Konzert zu erleben und auch
in der laufenden Saison ist die Chefdirigentin und ihr Orchester im
Konzerthaus zu Gast. Neben Werken von Mieczyslaw Weinberg und Igor
Strawinsky präsentieren sie am 15. Mai gemeinsam mit Starpianistin
Yuja Wang das fünfte Klavierkonzert von Sergej Prokofiew.




Das Internet als Bilderfalle – Internationales Frauenfilmfestival

Das
Internationale Frauenfilmfestival ist nicht nur eine
Präsentationsfläche für Filme von Frauen, sondern dient auch der
Schaffung von Netzwerken. So gehören
zur Jury des Internationalen Spielfilmwettbewerbs beispielsweise
Edima Otoukon aus Nigeria,
die sich mit ihrer „Ladima Stiftung“ für die Förderung von
Frauen in der nigerianischen Filmindustrie einsetzt. Das Jurymitglied
Sheri Hagen möchte die Sichtbarkeit von Schwarzen in der deutschen
Filmwelt vor und hinter der Kamera verbessern.

Regisseurin Eef Hilgers fragt nach den Grenzen im Internet. (Foto: © Anja Cord)
Dortmund Eröffnungspressekonferenz Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln 2019 im Dortmunder Rathaus. Eef Hilgers, eine niederländische Regisseurin zeigt ihren Dokumentarfilm Shame/Fame. (Foto: © Anja Cord)

Daneben
gibt es ein Schulprogramm, das sich mit dem Thema Internet
auseinandersetzt. Passend zum Motto, denn im Internet gibt es
besonders viel Täuschung und Maskerade. Ars tremonia hat ein kurzes
Interview mit der Regisseurin Eef Hilgers geführt, die ihren Film
„Shame/Fame“ zeigt.

Ars tremonia: Können
Sie sich kurz vorstellen?

Eef Hilgers: Ich
arbeite seit sieben Jahren im Dokumentarfilmbereich. Vor allem
Dokumentationen über Jugendliche. Vor sieben Jahren habe ich mein
Studium beendet. Mit den Jugenddokumentationen beschäftige ich mich
mit dem Verhältnis von Jugendlichen und dem Internet. Darüber
hinaus mache ich Kinderfernsehen, aber alles dokumentarisch.

Ars tremonia:
Worüber handelt ihr Film Shame/Fame?

Eef Hilgers: Es geht
darum wie wir eigentlich mit dem Internet umgehen. Wie wir das
Internet nutzen, um zu lachen, weil Menschen dumme Dinge tun. Aber
auch, wo die Grenze liegt, bei der es kein Problem ist, darüber zu
lachen und wann wird es unpassend. Die Grenze ist im Internet ein
wenig verschoben. Ich will herausfinden, wo diese Grenze im Internet
liegt.




Bewegender Animationsfilm bei der Eröffnung des 36. Frauenfilmfestivals

Mit dem
beeindruckenden Animationsfilm „THE MAN WOMAN CASE“ von
Anaïs
Caura wurde das Internationale Frauenfilmfestival 2019 in
Dortmund eröffnet. Das diesjährige Motto lautet „Bilderfallen:
Täuschung, Tarnung, Maskerade“. Zur
Eröffnung am Abend
im Dortmunder Cinestar sprachen
Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller, Birgit Jörder (Bürgermeisterin
der Stadt Dortmund und Schirmherrin des Festivals), Dr. Martina
Gräfin von Bassewitz (Referatsleiterin Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Klaus Kaiser
(Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Kultur und
Wissenschaft des Landes NRW) ihre Grußworte.

Bei der Eröffnungspressekonferenz des Internationalen Frauenfilmfestivals waren zugegen (v.l.n.r.) Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller, Regisseurin Anaïs Caura (THE MAN WOMAN CASE), Stefanie Görtz (Pressearbeit), Edima Otoukon (Jurymitglied), Bürgermeisterin Birgit Jörder und Jurymitglied Sheri Hagen. (Foto: © Anja Cord)
Bei der Eröffnungspressekonferenz des Internationalen Frauenfilmfestivals waren zugegen (v.l.n.r.) Festivalleiterin Dr. Maxa Zoller, Regisseurin Anaïs Caura (THE MAN WOMAN CASE), Stefanie Görtz (Pressearbeit), Edima Otoukon (Jurymitglied), Bürgermeisterin Birgit Jörder und Jurymitglied Sheri Hagen. (Foto: © Anja Cord)

Doch
zurück zum Hauptfilm „THE MAN WOMAN CASE“. Es ist die wahre
Geschichte von Eugene/Eugenia Falleni.
Falleni wurde 1875 in Italien als Euginia geboren, wanderte mit ihrer
Familie mit zwei Jahren nach Australien. Als Teenager wurde die
männliche Seite immer dominanter und sie verwandelte sich in Eugene.
Falleni
arbeitete als Seemann, dabei wurde ihre Identität entdeckt, sie
wurde vergewaltigt und bekam ein Kind, das sie zur Adoption freigab.
Später heiratete sie die Witwe Annie Birkitt, die einen Sohn in die
Ehe brachte. Als Birkitt
entdeckte, dass Falleni ebenfalls eine Frau war, kam es – je nach
Lesart – zu einem tödlichen Unfall oder zu einem Mord. Jedenfalls
wurde Falleni erst zum Tode verurteilt, dann zu lebenslänglich. 1931
wurde sie freigelassen.

Der
Animationsfilm ist frei von digitalen 3-D-Bildern. Er ist
hauptsächlich in Schwarz-Weiß, mit wenigen Farbtupfern in Rot oder
Blau. Die Machart, die an alte Animationsfilme erinnert, macht vor
allem in den surrealen Zwischensequenzen die
Zerrissenheit
und das Zerfließende
im Charakter von Eugene/Euginia deutlich. Dafür
bot sich Tinte als Medium besonders gut an.