Heldenhafter Kampf gegen die Monotonie

Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Herzlich willkommen zum „Tag der offenen Tür“ in ihrem Finanzamt. Was wie eine komische Idee klingt, gab und gibt es aber in der Realität. Julia Schubert präsentiert – zum ersten Mal als Regisseurin – in den Kulissen der „Borderline Prozession“ eine irre Reise durch die Räume eine fiktiven Steuerbehörde. Merkwürdiges, Verzweifeltes, Komisches wechseln in jeder Runde ab. „Heimliche Helden“ könnte der skurrile Zwillingsbruder der „Borderline-Prozession“ sein. Auch bei den „Heimlichen Helden“ sieht der Zuschauer nicht alles, es sei denn, er kommt öfter wieder. Da wir von Ars tremonia zu Zweit unterwegs waren, konnten wir bei der Premiere am 21. Oktober 2016 einen Blick in alle Räume erhaschen.

Wie bereits geschrieben, das Stück findet in den Kulissen der „Borderline-Prozession“ statt, genauer gesagt, im vorderen Teil. Es gibt acht Räume und den Garten, aber nur sieben Runden, die jeweils um die 10 Minuten dauerten. Natürlich unterbrochen von der Mittagspause („Mahlzeit“) Jeder Zuschauer erhält eine Karte mit einer Nummer. Dort ist penibel (wir sind ja in einer deutschen Steuerbehörde) aufgezeichnet, welche Räume in welcher Runde man zu besuchen hat. Nicht, dass noch etwas durcheinander kommt.

Doch am Anfang erzählte uns Frank Genser im Wartebereich über die „heimlichen Helden“: Die Beamten in der Steuerbehörde, die treu gegen die Monotonie ihres Tagesablauf ankämpften. Ich halte es aber eher wie Schriftsteller Terry Pratchett, der in seinem Buch „Das Licht der Fantasie“ eine Figur folgendermaßen charakterisierte: „Er machte graue Durchschnittlichkeit zu einer erhabenen Kunst, und in seinem Bewusstsein herrschte die gleiche dunkle, gnadenlose Logik wie in einer Beamtenseele“.

Stichwort: Grau. Schauspieler und Mitglieder des Sprechchores trugen beinahe allesamt diese schöne unbunte Farbe.

Für mich begann der Zug durch die Büros bei Herrn Genser, der gekonnt die Möglichkeiten darbot, wie man sich die Zeit vertrieb, wenn man nichts zu arbeiten hatte. Gekonntes Kugelschreiber bewegen von rechts nach links und ein kleines Theaterstück mit Spielfiguren. Danach hatte ich gleich in zwei Räumen die Konfrontation mit dem negativen Auswirkungen der sich ständig wiederholenden Arbeiten. Depression bei den Damen vom Telefondienst und Marlena Keil präsentierte eine Mitarbeiterin mit persönlichen Problemen.

Hier noch ein kleiner Einschub: Innerhalb der Räume wechseln sich die Szenen auch noch ab, so dass kaum jemand den gleichen Abend erleben wird.

Eine besondere Rolle spielte Uwe Schmieder, alias Herr Krüger. In ziemlich mitgenommener Kleidung schlürfte er schon zu Beginn durch den Gang. In dem kleinsten grottenartigen Raum der „Büros“ konnten die Besucher erfahren, das er schon über 35 Jahre im Steuerbüro gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geschickt wird. Sein Wellensittich im Einweckglas hat diese Zeit nicht überlebt. Tragisch-komisch dargestellt.

Neben „normalen“ Büros, gab es auch noch sehr besondere Räume: Im Garten wurde das Betriebsfest vorbereitet und die Zuschauer durften mit Hand anlegen. Käsewürfel zurecht machen, an einer Büroklammergirlande basteln oder Buchstaben ausschneiden. Der abgefahrenste Ort war sicherlich das Auto mit den Einschusslöchern der Borderline Prozession. Hier unterhielten Ekkehard Freye und Thorsten Bihegue die Besucher auf ihre spezielle Art.

Zum Abschluss des Tages der offenen Tür stieg dann noch das Betriebsfest, bei dem der altgediente Kollege Krüger verabschiedet wurde und der Alleinunterhalter Rene Carmen drei Lieder sang.

Julia Schubert schafft es, zusammen mit dem Ensemble und dem Sprechchor, ein warmherziges Stück auf die Bühne zu bringen. Ein liebevoller und humorvoller Blick auf Typen und Situationen von Menschen, die eben nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche kreativ arbeiten müssen, dafür aber nach 17 Uhr den Stift fallen lassen können. Welches Leben ist das bessere? Das muss jeder Besucher für sich selber entscheiden.

Wann ist wieder Tag der offenen Tür in der Finanzbehöre? Am 01. und am 27. November 2106 oder unter www.theaterdo.de nachschauen.




Zwischen Show und Realität

Noch zeigt Katja (Merle Wasmuth) dem Journalisten Pierre (Carlos Lobo) die kalte Schulter. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Noch zeigt Katja (Merle Wasmuth) dem Journalisten Pierre (Carlos Lobo) die kalte Schulter. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 21.10.2016 hatte der junge Regisseur Maximilian Lindemann sein Debüt mit dem Stück „Das Interview“ von Theodor Holman nach dem gleichnamigen Film (2003) von Theo van Gogh im Dortmunder Megastore.

Fans des „Studios“ können sich freuen. „Das Interview“ bringt die besondere Atmosphäre der Bühne in den Megastore. Das spannende Kammerspiel zwischen dem 26-jährigen Soap-Star Katja, gespielt von Merle Wasmuth und dem Politik-Journalisten Pierre Petersen (45 Jahre), gespielt von Calos Lobo, findet vor ein kargen Bühne mit zwei geräumigen Ledersesseln und einer langen Ledercouch statt und die übrige Wohnung wird von einem glitzer-behangenem, durchgängigen Vorhang verborgen.

Der Reiz dieses Stoffes liegt vor allem an dem Zusammenprall dieser beiden unterschiedlichen Charaktere. Beide sind dabei absolute Medienprofis. Es geht immer um die Frage, wie komme ich hinter der Oberfläche? Das Stück wirkt wie eine Art Boxkampf mit Worten. Jeder versucht den anderen aus seiner Deckung zu locken, und wie es beim Boxkampf häufig vorkommt, tragen beide am Ende Narben davon.

Katja ist der von einem Millionen-Publikum bewunderte, junge und schöne Star im Showbusiness. Ihr ist klar, dass ihre äußere Hülle das besondere Kapital für ihre Karriere ist. Um ihr Gesicht nicht zu verlieren, setzt sie wie der Journalist immer wieder neue Masken auf. Sie kokettiert dabei geschickt mit Rollenerwartungen und Klischees, so zum Beispiel Drogen, Silikonbrüste oder ständiges Handygebimmel. Sie kann jeden Mann haben, den sie will.

Ihr unterschwelliger Wunsch nach Respekt und Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit blitzt dazwischen immer wieder durch.

Pierre ist ein angesehener investigativer Politik-Journalist mit Erfahrung im Balkan-Krieg. Den Unfalltod seiner damals neunjährigen Tochter hat ihn tief getroffen. Nur durch Zufall und Ersatz für einen Kollegen nimmt er eher mit Widerwillen an. Ist dieses Interview nicht unter seiner Würde?

Schon bei ihrer ersten Begegnung sehen sich die beiden Protagonisten sehr lange abschätzend an.

Die (anfängliche) Ignoranz des Journalisten, der den Soap-Star kaum kennt, weiß Katja schlagfertig zu kontern. Es entwickelt sich ein witzig-bissiger Schlagabtausch zwischen den beiden Personen. Wahrheit und Lüge sind da bald nicht mehr zu unterscheiden. Langsam kommt es auch zu einer vorsichtigen Annäherungen zwischen diesen unterschiedlichen Menschen.

Nicht nur ihre Einsamkeit, sondern auch ihre dunklen Geheimnisse kommen am Ende ans Tageslicht.

Merle Wasmuth spielt die schlagfertige Schauspielerin mit Sexappeal in all ihren Facetten glaubwürdig. Das gilt für die witzig-ironischen Momente genau so wie in ihrer Traurigkeit.

Carlos Lobo im edlen Zwirn überzeugt als Politik-Journalist, der hin und her gerissen ist zwischen seinen anfänglichen Ignoranz dem wachsenden Interesse an der Person Katja.

Es ist schon eine schwierige und beachtliche Leistung über anderthalb Stunden das Publikum zu unterhalten und bei der Stange zu halten.

Informationen und Karten für die weiteren Vorführungen erhalten sie unter www.theaterdo.de