Täter und Opfer zugleich

Ein kurzer Moment des Glücks: Emily Newton (Ellen Orford), Peter Marsh (Peter Grimes)  ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Ein kurzer Moment des Glücks: Emily Newton (Ellen Orford), Peter Marsh (Peter Grimes)
©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

Doppelte Premiere in Dortmund. Am 09. 04. 2016 hatte nicht nur Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ Premiere, es war sogar das erste Mal, dass der britische Komponist in Dortmund aufgeführt wurde. Sicherlich ist „Peter Grimes“ keine leichte Kost und garantiert nicht sofort volle Opernhäuser wie etwa die eingängigen italienischen Opern, Mozart oder Wagner. Es ist zu begrüßen, dass nun mutig gegen den „Mainstream-Geschmack“ endlich auch in Dortmund eine Britten-Oper aufgeführt wird.

Peter Grimes ist eine düstere Oper mit ein wenig britischen schwarzen Humor, geprägt von der rauen See. Ort der Handlung ist die Ostküste Englands, die Heimat des Komponisten. Das einfache Bühnenbild zeigte ein heruntergekommenes Fischerdorf mit einem Pub und Kiosk in düsterer Beleuchtung. Regisseur Tilman Knabe lässt das Publikum wie durch ein Guckloch auf das Geschehen sehen. Die ursprüngliche Handlung verlegt er von den 30iger Jahren des 19. Jahrhundert der Kleidung nach zu Urteilen in die 80iger des 20. Jahrhunderts. Eine Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs und hartem Überlebenskampf der Fischer. Eine Welt von Korruption, Drogen- und Kinderhandel und Prostitution.

Der Fischer Peter Grimes ist ein gewalttätiger Sonderling und Außenseiter, der sich Kinder aus einem Armenhaus als Lehrlinge kauft, um sie zu misshandeln, auszubeuten und zu missbrauchen. Jedem in der Ortschaft ist das klar. Aber es wird weggesehen. Nur die Mrs. Sedley eine Art Opiumsüchtige Miss Marple und der Alkoholabhängige Methodist Bob Boles erheben ihre Stimme nach dem Tod eines Lehrlings bei einer Verhandlung gegen Grimes. Der stellt das Geschehen als ein Unglücksfall dar.

Mit Hilfe der Lehrerin Ellen Orford, eine Frau mit Helfersyndrom und in ihn verliebt, kommt er an einen neun Jungen als Lehrling. Der Traum von einen gemeinsamen Neuanfang und Heirat zerplatzt wie eine Seifenblase. Der Junge John wird schon bald vermisst und der erzürnte Mob jagt Grimes. Dem bleibt nur ein Ausweg….

Die Inszenierung stellt die ambivalente Persönlichkeit des Peter Grimes als Täter und gleichzeitig Opfer in den Mittelpunkt. Er ist ein gewalttätiger Mörder, der als einsamer Sonderling mit pädophiler Neigung aber auch keine Hilfe bekommt. In seiner Verzweiflung ist der Freitod für ihn die einzige Lösung. Gleichgültigkeit und Verrohung der Mehrheitsgesellschaft in seinem verarmten Heimatort entspricht der Gewalt und Unberechenbarkeit der Natur des Meeres.

Der Regisseur setzt in der Aufführung keine plakativ offensive Zeichen, aber klare symbolhafte. So lässt er den wütenden Mob mit Fackeln durch die Gegend laufen, ohne sie aber direkt (wie in Karlsruhe) als Faschisten zu kennzeichnen. Auch die pädophilen Neigungen des Peter Grimes werden nur mit Gesten angedeutet. Für Knabe ist Peter Grimes eher jemand, der seine sadistischen Triebe nicht unter Kontrolle hat, unter denen auch Ellen zu leiden hat.

Peter Marsh, Gastsänger aus Frankfurt, sang und spielte den Peter Grimes mit seiner kräftigen Statur in all seiner Ambivalenz und seiner Verzweiflung in allen Nuancen eindrucksvoll und sensibel. Emily Newton als Ellen Orford steht ihm in ihrer vielschichtigen Charakterdarstellung und Stimme in nichts nach. Die Sängerinnen und Sänger in den wichtigen Nebenrollen, ohne sie jetzt alle einzeln zu nennen, gingen in ihre verschiedenen Charakteren auf und trugen zur Veranschaulichung des gesellschaftlichen Gesamtbildes bei. Sangmin Lee hat als Kapitän Balstrode so eine Art Beschützerfunktion als „Leader of the pack“.

Der Opern und der Extrachor unter der Leitung von Manuel Pujol hatten bei der Aufführung eine herausragende Funktion. Sie waren praktisch immer auf der Bühne präsent und bildeten einen kraftvollen „Mob“.

Eine große und wesentliche Rolle spielt bei der Oper das Orchester als kommentierende Begleiter der verschiedenen Emotionen und Bedrohungen. Während der vier „Sea Intercludes“ gelang es außerdem der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz, die Gewalt der See und der Natur in all ihren verschiedenen Ausformungen und Nuancen vor dem Auge des Publikums lebendig werden zu lassen. Sie schafften eine Einheit von Musik, Gesang und Darstellung.

Leider hat das „Nicht-Wissen-wollen“ und nicht genau hinsehen auch heutzutage nichts an Aktualität verloren.

Mit Standing Ovations und „Bravo-Rufen“ wurde die gelungene Premiere vom Publikum gefeiert.

Hingehen lohnt sich!




Stimmungslandschaften und surreale Gemälde

Aquarelle, Acrylbilder und Objekte von Erika Grabe in der Artothek.
Aquarelle, Acrylbilder und Objekte von Erika Grabe in der Artothek.

Bis zum 20. Mai zeigt die Artothek der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund Arbeiten der Künstlerin Erika Grabe unter dem Titel „Aspekte der Wahrnehmung“. 45 Acrylbilder, Aquarelle und Collagen aus den vergangenen elf Jahren sind dort zu sehen.

Die ausgestellten Arbeiten kann man grob in drei Kategorien unterteilen. Zunächst sind da die Landschaftsbilder zu nennen, die Grabe „Stimmungslandschaften“ nennt. Sie sind mit Aquarellfarben gemalt. Hier sind die Motive gegenständlicher gemalt. Die Landschaften entstammen der Erinnerung der Künstlerin und werden oft mit Sturm oder der wilden Natur kombiniert. Diese Bilder entstehen häufig im Zusammenhang mit den Kursen für Aquarell- und Acrylmalerei in der Erwachsenenbildung, die Grabe seit 1990 gibt.

Bei den Porträts, die Grabe ausgestellt hat, kommt es ihr nicht so sehr auf die naturalistische Wiedergabe an. Bei manchen Bildern tauchen surrealistische Elemente auf wie beispielsweise eine Schlange oder eine Eule. Beim Bild „Die Fischerin“ trägt die rothaarige Fischerin keinen Korb voller Fische, sondern einen Korb voller Obst. Oft haben die Porträts einen „textilen Hintergrund“. Grabe war als Textildesignerin tätig und arbeitet die Stoffmuster als Hintergrund in ihre Bilder ein.

Bei den surrealistischen Acrylbildern lässt die Künstlerin ihrer Fantasie freien Lauf. Teilweise in sehr bunten Farben gehalten erinnern die Werke an psychedelische Bilder aus den 70er Jahren. Auch wenn diese Bilder sehr abstrakt sind, teilweise arbeitet Grabe auch figürliche Elemente ein. So erscheint plötzlich ein Gesicht in einem Bild oder ein winziges Paar taucht in der Mitte des Bildes auf. Hier sollte sich der Betrachter auf jeden Fall Zeit nehmen, um die Details genau zu studieren.

Die Artothek hat dienstags und freitags von 10 bis 19 Uhr geöffnet.




Facetten der Nordstadt

Eine gemalte Hommage an die Nordstadt mit ihren faszinierenden Häusern von Günter Rückert.
Eine gemalte Hommage an die Nordstadt mit ihren faszinierenden Häusern von Günter Rückert.

Bis zum 01. Mai 2016 zeigt das Torhaus Rombergpark Malerei und Zeichnung von Günter Rückert mit dem Schwerpunkt „Nordstadt“. Das größte zusammenhängende Altbaugebiet des Ruhrgebiets mit ihren Häusern aus der Gründerzeit ist für Künstler eine Fundgrube an Motiven.

Die Nordstadt lässt einen nicht kalt. Für den einen ist sie ein angehendes Szeneviertel mit einer Vielzahl an Kultur, für die anderen der Ort von Drogen, Armut und Arbeiterstrich. Hier findet das Leben draußen statt und wunderschöne Fassaden stehen neben heruntergekommen Problemhäuser.

Die 21 Bilder, die Rückert im Torhaus zeigt, präsentieren eher den landschaftlichen Aspekt des Stadtteils. Häuserkomplexe und Hinterhöfe teilweise aus der ungewohnten Vogelperspektive. Dabei geht es Rückert nicht um die naturalistische Sicht der Dinge. Oft wirken die Bilder unfertig, weil der Künstler sich auf einen Häuserkomplex konzentriert und den Rest weggelassen hat, obwohl im „wahren Leben“ daneben noch andere Häuser existieren. Wer sich in der Nordstadt auskennt, wird auf Anhieb einige Orte wiedererkennen wie beim Bild „Ararat Grill“ am Anfang der Münsterstraße, in der der gleichnamige Imbiss und die Kneipe „Bei Ernie“ ihre Heimat haben.

Für die Ausstellung hat sich Rückert ganz auf die Acrylmalerei konzentriert, obwohl sonst Aquarell und Zeichnung im Vordergrund stehen. Rückert beschäftigt sich nicht nur malerisch mit der Nordstadt, er ist auch bekannt als Autor und Regisseur für den „Geierabend“ dem alternativen Ruhrpottkarneval. Die Typen, die in der Show vorkommen, sind Nordstadt-Typen, die aus ihrer Sicht ihre Geschichten vorkommen.

Passend zur Ausstellung ist das kleine Bändchen „Nordwärts“ mit Bilder und Szenen von Rückert herausgekommen.

Die Öffnungszeiten der Galerie Torhaus sind dienstags bis samstags 14 bis 18 Uhr und sonntags und feiertags von 10 bis 18 Uhr.




Spieglein, Spieglein …

Heike Kabisch", "If you go Bold, I go Bolder", 2014
Heike Kabisch“, „If you go Bold, I go Bolder“, 2014

Nein, die Ausstellung „Mirrors“, die seit dem 09. April 2016 im Künstlerhaus zu sehen ist, beschäftigt sich nicht mit Märchen. Die elf Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Facetten, die Spiegel und Reflexionen mit sich bringen. Die Ausstellung ist bis zum 08. Mai 2016 zu sehen und wurde von Adriane Wachholz kuratiert.

Zu Reflexionen gehört Licht. Das Licht ist ein wesentlicher Bestandteil der Skulptur „-scape“ von Dorothea Nold. Ihre Turmmodule aus Spanholzplatten besitzen winzige Schilze durch die das Licht einfällt. So verändert das Licht je nach Stand der Sonne die Skulptur. Zusätzlich wirkt das spröde, matte Material roh im Gegensatz zu den speigelnden Hochglanzflächen.

Kitsch as Kitsch can – so könnte man die Arbeiten „Detox“ von Katja Tönnissen beschreiben. Ihre Lampen scheinen ihre Struktur zu verändern und wirken organisch wie eine sich öffnende Auster, die statt einer Perle eine Glühbirne besitzt. Mit starken Rottönen und Echtgold wirken die Lampen „overkitsched“.

Heike Kabisch zeigt mit „If you go Bold, I go Bolder“ ein Objekt, das auf den ersten Blick anmutig aussieht. Zwei kleine Figuren schauen sich vor einem blauen Kreis an. Ist es eine Art Sonnenuntergang oder droht eine Katastrophe? Diese Ungewissheit macht den Reit dieses Objektes aus.

Ein zerbrechliches Gleichgewicht ist die Arbeit „Tagundnachtgleiche“ von Gereon Krebber. An einer Aluminumstange hängt ein ovaler Spiegel und als Gegengewicht fungieren Gehwegplatten und ein Bronzeguss. Durch einen Anstoß kommt alles in Bewegung. Alles dreht sich um um die eigene Achse und auf eigenen Bahnen, aber ist auch gleichzeitig in Abhängigkeit mit den anderen Objekten.

Die Arbeiten von Thomas Musehold sind Fundstücke, er einerseits als Anschauungsmaterial andererseits an Anschauungsmaterial nutzt. Die Objekte werden durch Zeichnungen, Abformung oder chemische Prozesse bearbeitet. Daraus entstehen Objekte, die an Wohnungseinrichtungen aus den 50er Jahre erinnern oder tatsächlich der Natur entstammen können wie beispielsweise an Tannenzapfen.

Ein Spiegel, der mit Stoff bezogen wurde, steht im Mittelpunkt von Timo Kubes „United White Cloth“. Denn dadurch reflektiert der Spiegel nur sehr schwach den Raum, trotzdem bleibt eine Ahnung der Räumlichkeit erhalten. Somit bildet das Gewebe eine Art Schnittstelle zwischen dem bildlich Vorstellbaren und dem Tatsächlichen.

Folgende Künstlerinnen und Künstler sind zu sehen: Sophie Erlund, Philipp Fürhofer, Anton Ginzburg, Heike Kabisch, Gereon Krebber, Timo Kube, Claudia Mann, Thomas Musehold, Dorothea Nold, Linda Sanchez und Katja Tönnissen.

Öffnungszeiten des Künstlerhauses Dortmund: Donnerstag bis Sonntag von 16 bis 19 Uhr.