Über die Farce eines Prozesses

Bettina Lieder (im Vordergrund) erzählte gegen Ende des Stück noch etwas über das Dortmudner Opfer Mehmet Kubasik. (Foto: Birgit Hupfeld)
Bettina Lieder (im Vordergrund) erzählte gegen Ende des Stück noch etwas über das Dortmunder Opfer Mehmet Kubaşık. (Foto: Birgit Hupfeld)

Welche Rolle spielte Beate Zschäpe bei der NSU? Nachdem sie vor Gericht jahrelang geschwiegen hatte, ließ sie vor einigen Tagen ihre Rechtsanwälte eine lange Erklärung vorlesen. Müsste die Premiere am 11. Dezember 2015 von „Das schweigende Mädchen“ nach dem Text von Elfriede Jelinek jetzt abgesagt werden, weil sie ja nicht mehr schweigt? Keine Sorge, etwas vorlesen zu lassen, ist noch nicht „sprechen“ und Jelinek hat frisch für die Premiere noch etwas Text hinzugefügt. So konnte die neue Zwischenspielstätte im ehemaligen BVB-Megastore gebührend eingeweiht werden.

Regisseur Michael Simon hat die über 300 Seiten der Vorlage selbstverständlich nicht 1:1 umgesetzt, sondern hat den Text sehr stark eingedampft, beziehungsweise sich auf den Anfang konzentriert. Positiv ist auch, dass Simon sich nicht auf das „schweigende Mädchen“, sprich Zschäpe, einschießt, denn diese Popularisierung hat sie nicht verdient. Im Mittelpunkt steht für Simon, die Beziehung der Deutschen zu der Mordserie, die ja durch die Bezeichnung „Dönermorde“ ins Lächerliche gezogen wurde. Darüber hinaus wurde sehr stark auf die Rolle des Verfassungsschutzes hingewiesen, der einerseits nichts wusste, aber andererseits mit Geld die militante Neonazi-Szene unterstützt.

Die Entscheidung, die erste Premiere in den neuen Räumen mit dem „schweigende Mädchen“ zu beginnen, ist eine sehr gute. Denn die Inszenierung nimmt den Raum, die große Halle, bewusst auf uns spielt optimal mit ihren Möglichkeiten. Zu Beginn sind die sechs Schauspieler an verschiedenen Orten und sprechen wie auf ein geheimes Kommando alle zugleich. Da sich der Text wiederholt, kann der Zuschauer verschiedenen „Engeln“ zuhören.

Im Raum ist ein zerstörtes Polizeiauto zu sehen, in Anlehnung an den Fall Kiesewetter, die die NSU ermordete, aber auch eine Silhouette des Wohnwagen, in dem sich Mundlos und Böhnhardt umgebracht haben. Auf einer Seite sind die Namen der Opfer samt Todesdatum eingetragen. Mitten im Stück wird von den Schauspielern auch das Bild „Die Kreuzigung Christi“ von Matthias Grünewald nachgestellt. Später dürfen die Zuschauer auch auf einer kleinen Tribüne Platz nehmen.

Das Stück hat den Charakter einer typischen Stückentwicklung, bei der verschiedene Texte zu einem Werk verschmelzen. Unter der Regie von Simon gibt es klar definierte Teile wie beispielsweise die grosteke Gerichtsverhandlung, bei der Uwe Schmieder den Richter gibt. Hier werden neue Texte benutzt, die Jelinek extra geschrieben hatte. Hier tauchen albtraumartige Geschöpfe auf, die den Richter quälen.

„Das schweigende Mädchen“ ist ein sehr emotionales Stück, weil Simon hauptsächlich auf die Rolle des Verfassungsschutzes und die Frage, wie die Mehrheitsgesellschaft mit den Taten umgegangen ist und noch umgeht. Nach all den Jahren bleibt immer noch Fassungslosigkeit über die Morde und deren Aufarbeitung samt jahrelangen Prozess. Es ist gut, dass Zschäpe nicht in den Mittelpunkt rückt.

Neben den Schauspielern Frank Genser, Marlena Keil, Bettina Lieder, Uwe Schmieder, Friederike Tiefenbacher und Merle Wasmuth spielte der Dortmunder Sprechchor eine beeindruckende Rolle in dem Stück. Wer die neue Örtlichkeit des Dortmunder Schauspiel kennenlernen möchte, kann die neuen Möglichkeiten in „Das schweigende Mädchen“ erleben.

Infos und Karten unter www.theaterdo.de




Verpasste Beziehungen

Eigentlich sollte Pianist Andreas Boyde beim 4. Philharmonischen Konzert am 08. und 09. Dezember 2015 die Klavierkonzerte von Clara und Robert Schuhmann spielen. Doch leider wurde er krank. So musste Clara zurückstehen, denn Martina Filjak spielte nur das Klavierkonzert von Robert. So verpasste das Publikum zwar die musikalische Beziehung zwischen den beiden Ehepartnern, aber die lernten mit Filjak eine Pianistin kennen, deren zartes, aber farbenfrohes Klavierspiel die Besucher begeisterte.

Die Philharmoniker unter der Leitung des Gastdirigenten Sebastian Lang-Lessing begannen mit dem „Ersatzstück“ der „Tragischen Ouvertüre“ von Brahms. Das Werk stand schon vor knapp drei Jahren auf dem Programm eines Philharmonischen Konzertes. Brahms passt thematisch ideal zu denn Schumanns, denn seine Zuneigung zu Clara wird in mehreren Briefen deutlich. Ob es zu mehr gekommen ist, bleibt aber Spekulation. In dem kurzen Stück von Brahms wird der Klang durch Posaunen und Tuba geprägt und gibt ihm einen dunklen, schweren Charakter.

Das Klavierkonzert in a-moll von Robert Schumann ist sicher ein Meilenstein in der Klaviermusik. Und wenn man Martina Fijak spielen hört, weiß man auch warum. Das Konzert verbindet das solistische Klavier wunderbar mit dem Orchester. Filjak spielt sanft, fast zärtlich, hat aber auch die nötige Power, um die energischen Stellen des Konzertes zu bewältigen. Ein souveräne Leistung der Pianistin, die erst nach zwei Zugaben die Bühne verlassen durfte.

Die 3. Sinfonie von Brahms fällt in den „Richtungsstreit“ zwischen der „Neudeutschen Schule“, vertreten durch Bruckner und Wagner und den „Traditionalisten“, zu denen Brahms gehörte. Zu den Besonderheiten der Sinfonie gehört der vierte Satz, das „Allegro“. Am Ende scheint die Sinfonie langsam zu verklingen. Es ertönt zwar noch das Hauptthema des ersten Satzes, doch nur noch wie ein schwacher Widerhall. Ein sehr beeindruckendes Ende für ein insgesamt sehr ansprechendes Konzert. Schade, dass wir nicht Clara Schumanns Klavierkonzert hören konnten. Wir wurden zwar mit dem betörenden Klavierspiel Filjaks entschädigt, andererseits gibt es nicht häufig die Gelegenheit, Musik von Komponistinnen im Konzertsaal zu erleben.