Einblicke in Urängste

Gruppenbild mit Stoffente: Elisabeth Pleß, Paul Hess, und Rolf Dennemann. (Foto: © artscenico)
Gruppenbild mit Stoffente: Elisabeth Pleß, Paul Hess, und Rolf Dennemann. (Foto: © artscenico)

Mit dem Stück „Missing Links“ von „artscenico“ zeigte das Theater im Depot kurz vor der Sommerpause ein tiefschwarzen Blick in die menschliche Seele. Elisabeth Pleß, Rolf Dennemann und Tänzer Paul Hess zeigten am 26. und 27. Juni 2015 einen Parforceritt durch weitgehende dunkle Seelenzustände und Ängste.

Es war wohl die eindrucksvollste Szene des Stückes: Pleß klammert sich an Hess und wirkt somit wie ein Alp, den der arme Tänzer mit sich herumschleppen muss. Doch auch andere Szenen hatten viel Kraft, was vor allem an der exzellenten Leitung von Hess lag. Die tänzerischen Bilder, die er entwarf, waren eindringlich und berührend. In einigen Momenten wurde sein Rücken sogar zur Projektionsfläche von kurzen Videoeinspielungen.

Dennemann, der Kopf hinter „artscenico“, arbeitete sich durch die Urängste der Menschheit. Die Angst vor dem „Schwarzen Mann“ oder dem „Butzemann“, die vor allem Kinder plagt, wird aufgegriffen. Neben ziemlich grausamen Grimmschen Märchen wie „Das eigensinnige Kind“ oder „Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben“ steht auch beispielsweise Edgar Allen Poes berühmtestes Gedicht „Der Rabe“ oder Kafkas „Verwandlung“ Mittelpunkt des Stückes.

Die Bühne war karg, bis auf den Lichtkreis, der sich nach bedarf hob und senkte. Musik, unter anderem Mozarts Requiem, unterstützte das Stück. Das Ende von „Missing Links“ war wie der Anfang. Am Ende „stirbt“ der Tänzer durch mehrere Schüsse. Ein neuer Kreislauf beginnt.

Modernes Tanztheater trifft auf Schauspiel trifft auf Musik und Video. Auch wenn man die Rollen von Pleß und Dennemann nicht unterbewerten sollte, aber die tänzerische Leistung von Paul Hess stach einfach heraus. Das Stück ist sicher nicht jedermanns/-fraus Sache, aber wer modernen Tanz liebt und einen Einblick in menschliche Ängste bekommen möchte, sollte auf jeden Fall nach den „Missing Links“ Ausschau halten.

Voll Intensität und Leidenschaft

 Das „Quartet Hawniyaz“ : (v.l.n.r.)  Jazz-Pianist Salman Gambarov, Sängerin Aynur Doğan, Kamancheh-Legende Kayhan Kalhor (Iran) sowie dem kurdischen Tambur-Spieler Cemil Qocgiri. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Das „Quartet Hawniyaz“ : (v.l.n.r.) Jazz-Pianist Salman Gambarov, Sängerin Aynur Doğan, Kamancheh-Legende Kayhan Kalhor (Iran) sowie dem kurdischen Tambur-Spieler Cemil Qocgiri. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Am vorletzten Tag des Klangvokal Festivals bekam das Publikum mit „Songs of Kurdistan“ am 27. Juni 2015 im prall gefülltem Veranstaltungsraum im Dortmunder Jazz-Club Domicil einen besonderen Einblick in die für westliche Hörgewohnheiten ungewöhnliche kurdisch-arabische Weltmusik. Das „Quartet Hawniyaz“ mit der in der kurdischen Musiklandschaft bekannten Sängerin Aynur Doğan, Kamancheh-Legende Kayhan Kalhor (Iran), dem Jazz-Pianisten Salman Gambarov (Aserbaidschan) sowie dem kurdischen Tambur-Spieler Cemil Qocgiri führten die Zuhörerinnen und Zuhörer durch das kulturelle Erbe ihrer Heimatländer.

Erwartungsgemäß lockte das Programm viele Menschen aus der kurdischen Gemeinschaft ins domicil. Das zeigt die große Bekanntheit der Gruppe. Aber auch für die Besucher aus Dortmund, die nicht aus diesem Kulturkreis stammen, lohnte es sich, auf das musikalische Abenteuer einzulassen. Aynur Doğan bot mit ihrer starken Stimme Lieder voller Intensität, Leidenschaft und oft mit einer Portion Melancholie. Es war ein Klagegesang voller Schmerz.

Ihre drei exzellenten instrumentalen Begleiter zogen das Publikum mit in eine fremde Welt. Die Stücke hatten fast schon einen meditativen Sog und gingen fließend ineinander über. Interessant war es für das Publikum, Instrumente kennen zu lernen und akustisch zu erleben, die nicht aus unserem mitteleuropäischen Kulturkreis stammen. So zum Beispiel die Kamancheh, eine Stachelgeige in der iranischen Musik. Kayhan Kalhor spielte mit viel Gefühl auf der Stachelfidel mit einem kleinen einfachen Resonanzkörper und langem dünnen Hals. Wunderbare orientalische Klänge zaubert die von Cemil Qocgiri gespielte und im Orient verbreitete , seit zweitausend Jahren bekannte gezupfte Langhalslaute Tambur. Die Begleitung durch sich wiederholende Klavierklänge des Jazz-Pianisten Salman Gambarov passten gut in das künstlerische Gesamtgefüge.

Als Zugabe für das begeisterte Publikum gab es am Ende noch einen bei vielen kurdischen Gästen bekannten Song zum mitklatschen und mitsingen.

Traumhafte Melancholie

Das Ensemble "Concerto Italiano" spielte ind er Bonifatiuskirche Madrigale von Monteverdi und Zeitgenossen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Das Ensemble „Concerto Italiano“ spielte ind er Bonifatiuskirche Madrigale von Monteverdi und Zeitgenossen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Am 26. Juni 2015 war das Ensemble „Concerto Italiano“ unter der Leitung von Rinaldo Alessandrini im Rahmen des Festivals Klangvokal zu Gast in der Bonifatiuskirche. Sie spielten hauptsächlich Madrigale nach Texten von Battista Guarinis „Il pastor fido“ von Monteverdi und Zeitgenossen.

Neben der Liebe hat wohl kein Gefühl die Künstler so stimuliert wie die Melancholie. In England hat es beispielsweise der Barockkomponist John Dowland zur Perfektion gebracht, aber auch in anderen Ländern hat dieses Gefühl unendlich viel Literatur und Musik hervorgebracht. Im Mittelpunkt von „Il pastor fido“, der treue Hirte, steht eine Unterform der Melancholie: die des unglücklich Verliebtseins.

Die Tragikomödie „Il pastor fido“ von Guarini wurde Ende des 16. Jahrhunderts veröffentlicht und inspirierte viele Komponisten Madrigale zu komponieren. Neben Monteverdi auch Zeitgenossen wie Luca Marenzio, Marsillo Casentini, Sigismondo d’India, Antonio Cifra, Benedetto Pallavicino oder Giaches de Wert. Alle Komponisten fanden einen unterschiedlichen Zugang zu den Texten. Daher wurde es den Zuhörern in der vollen Bonifatiuskirche auch nicht langweilig, das gleiche Madrigal siebenmal zu hören. So war die Version von de Wert beispielsweise schneller, prononcierter als seine Kollegen.

Sie sechs Sängerinnen und Sänger zeigten eine hervorragende Leistung. Vor allem der Bass Marco Bellotto und der Countertenor Andrea Arrivabene, der den Alt-Part sang, überzeugten. Das Lob kann man getrost auch den Musikern übertragen. Vor allem die beiden Theorbe-Spielern Craig Marchetelli und Ugo di Giovanni, die ungewohnter Weise mit dem Rücken zum Publikum saßen, sorgten mit ihrem Basso continuo für einen vollen Klang.

Erneut zeigte das Festival Klangvokal, dass ihr die Pflege der Alten Musik am Herzen liegt. Vokalmusik aus der Renaissance und dem Barock versetzen die Zuhörer dank erstklassiger Interpreten mehrere Jahrhunderte in die Zeit zurück. Die Kirchen boten eine ideale Spielstätte, wobei glücklicherweise auch der weltlichen Vokalmusik gehuldigt werden konnte.

Erst geht Klopp, dann geht Wallfisch

Mit einem zweitägigen Festival am 25 und 26. Juni 2015 verabschiedete der ehemalige musikalische Leiter des Schauspielhauses, Paul Wallfisch, nach sechs Jahren aus Dortmund. Das „Big Small Beast“ zeigte nicht nur die Arbeiten, die Wallfisch für das Schauspielhaus geschrieben hatte, sondern Wallfisch lud auch in bekannter Manier Gäste ein. Am Donnerstag war Giant Sand der Stargast, während am Freitag Lydia Lunch der Hauptact war.

Pünktlichkeit und Small Beast. Zwei Dinge die nicht zusammen passen. Fingen die kleinen Konzerte statt um 22 Uhr gerne mal eine halbe Stunde später an, sollte sich diese schöne Tradition bei den „Big Small Beasts“ auch nicht ändern.

Der Donnerstag begann mit einer Retrospektive der Arbeiten von Paul Wallfisch für die unterschiedlichsten Theaterstücke. Von „Woyzeck“ über „Meister und Margarita“, „Republik der Wölfe“ bis hin zu „Drama Queens“ spielten und sangen seine musikalischen Weggefährten sowie das Dortmunder Ensemble Lieder, die regelmäßige Theatergänger sofort wiedererkannten. Hier zeichneten sich vor allem Bettina Lieder und Eva Verena Müller durch ihren Gesang aus. Zum Abschluss erhielt Wallfisch als Erinnerung ein Stück original Dortmunder Theaterboden sowie den weißen Mantel, den er bei der Produktion von „Woyzeck“ getragen hatte. Der Weggang von Wallfisch ist ein Verlust für Dortmund, konstatierte Schauspielleiter Kay Voges. „Erst geht Klopp, dann Wallfisch.“

Danach spielte John Parish mit Band. Er präsentierte das Beste aus seiner Filmmusik der letzten Jahrzehnte wie „Nowhere Man“, „Plein Sud“ oder „Rosie“. Vor allem mit der belgischen Regisseurin Patrice Toye scheint Parish eine künstlerische Verbindung zu haben. Auch wenn auf einer Leinwand Szenen aus den Filmen eingeblendet wurde, seine Songs oder Songstrukturen zauberten eine ähnliche Atmosphäre wie in den Filmen.

Der Freitag begann mit einem kurzen Konzert von „Solmn Diver“, dem Bühnenname von Wallfischs Sohn. Er entwickelte sich in die Singer/Songwriter-Richtung und erinnerte ein wenig an die ersten Alben von „The tallest man on earth“.Es bleibt abzuwarten, ob er sich in der ersten Liga der „Klampfenmänner und -frauen“ etablieren kann.

Danach kam ein alter Bekannter auf die Bühne. Thomas Truax, der auch schon für die Theaterproduktion „Peer Gynt“ die Musik gemacht hatte, begleitet durch den „Hornicator“ und „Mother Superior“. Truax ist einer der wenigen Musiker, die zwar alleine spielen, aber Dank ihrer Instrumente klingen, als wäre ein komplette Band auf der Bühne.

Danach war es wieder Zeit für Paul Wallfisch und seine Band Botanica. Paul Wallfisch an der Orgel, John Andrew an der Gitarre, Budgie am Schlagzeug und Christian Bongers am Bass, begleitet von Anne DeWolff an der Violine legten sich von der ersten Sekunde an so ins Zeug, dass man das Gefühl hatte, die Bühne des Schauspielhauses würde sofort danach geschreddert.

Zum Schluss betraten Lydia Lunch und ihre Band Retrovirus die Bühne des Schauspielhauses. Ihre energische „noise music“ ist laut, unangepasst, auch wenn ihr Gitarrist Weasel Walter sämtliche Rock-Gitarristen-Posen schon im ersten Song untergebracht hatte.

Klarinette zu dritt

Im fünften Kammerkonzert am 22. Juni 2015 im Orchesterzentrum lud Cellist Florian Sebald zwei Mitmusiker ein: Die Pianistin Barno Akhmedjanova sowie den Klarinettisten Ralf Ludwig. Die Werke von Beethoven (Trio op. 11), Paul Juon (Trio Miniatures op. 18) und das Klarinettentrio a-Moll von Brahms stellten das Holzblasinstrument in den Mittelpunkt.

Klassik zu Beginn: Das „Gassenhauer-Trio“ heißt so, weil Beethoven im dritten Satz ein Motiv aus dem Terzett „Pria ch’io l’impegno“, aus der Oper „L’amor marinaro“ des Komponisten Joseph Weigl, das zu Beethovens Zeit ein Schlager war. Wie es im Leben so spielt, Beethoven ist weltbekannt, Weigl und sein Werk eher weniger. Dennoch bleibt das Stück ein schönes Werk von Beethoven, das von den drei Musikern virtuos wiedergegeben wurde.

Beim Namen Paul Juon wird man schwer darauf kommen, dass dieser Schweizer Komponist überwiegend in Deutschland arbeitete und russischer Abstammung ist. Doch die russsichen oder osteuropäischen Einflüsse waren in seinen „Trio Miniatures“ besonders im dritten und vierten Satz deutlich herauszuhören.

Brahms Klarinettentrio in a-Moll gehört zu seinen Spätwerken. Der Komponist, der eigentlich mit 57 Jahren nicht mehr komponieren wollte, schuf in den letzten Jahren seines Lebens überwiegend Kammermusik wie das Klarinettentrio. Ein kleines wunderbares Stück, in dem alle Instrumente zu ihrem Recht kommen.

Insgesamt war es ein feiner Kammermusikabend.

Zickenkrieg im Dschungel

Eine außergewöhnliche Spielbar präsentierten uns Bettina Lieder und Julia Schubert am 19. Juni 2015 im Institut. Die szenische Lesung des Stückes von Wolfram Lotz „In Ewigkeit Ameisen“ wurde gekrönt durch einen amüsanten Zickenkrieg der beiden Schauspielerinnen. Ein Erlebnis!

Zur Geschichte des Stückes „In Ewigkeit Ameisen“: Der Atomkrieg hat begonnen, die Menschheit hat nur noch einen Tag, aber das wichtigste für den Ameisenforscher Professor Schneling-Göbelitz ist es, die blaue Ameise zu entdecken, um unsterblich zu werden. Begleitet wird er von seinem Assistenten Müller.

Lieder und Schubert spielen nicht nur die beiden tragikomischen Figuren mit besonderer Leidenschaft, sondern mischen in den Text auch kleine Kämpfe zwischen Schauspielern, die vermutlich auf jeder Bühne der Welt stattfinden. Die erfolgreichere Schauspielerin, die die Hauptrolle spielt, versucht sofort klarzustellen, wer Herrin auf der Bühne ist. Entweder ist die Nebenfigur nicht naturalistisch genug gespielt oder eben zu naturalistisch, ganz nach Belieben. Ein wenig denkt man an die Wutausbrüche eines Klaus Kinski.

Die beiden Figuren Müller und Schneling-Göbelitz sind in ihrer Absurdität wunderbar gezeichnet. Müller, der bis zur Selbstaufgabe und darüber hinaus seinem Professor zu Diensten ist und Schneling-Göbelitz, ein Forscher „alten Schlages“, der für die Eingeborenen nur Verachtung übrig hat, ist ganz in seinem Wahn verfallen, als Entdecker unsterblich zu werden. Auch wenn die Menschheit kurz danach aussterben wird.

Mehrere kleine Auftritte haben per Video die beliebten Figuren Purl und Lum aus Becketts Stück „Endspiel“. Sie kommentieren als Radioreporter den Weltuntergang. Sehr gut gelungen war auch der absurde Gag mit der Telefonzelle im Dschungel mit einem Riesenhörer. Selbstredend hatte Müller dank Schneling-Göbelitz kein Kleingeld mehr, um seine Frau zu Hause anzurufen.

„In Ewigkeit Ameisen“, der Titel bezieht sich sicher nicht zufällig auf das Ende des Vaterunsers „In Ewigkeit Amen“, wurde dank Lieder und Schubert zu einem unterhaltsamen Trip in die Abgründe menschlichen Daseins.

Kaleidoskop des menschlichen Lebens

Bereit für die fehlenden Verbindungen: (v.l.n.r.) Elisabeth Pleß, Rolf Dennemann und Paul Hess. (Foto: © artscenico)
Bereit für die fehlenden Verbindungen: (v.l.n.r.) Elisabeth Pleß, Rolf Dennemann und Paul Hess. (Foto: © artscenico)

Die letzte Premiere in der laufenden Spielzeit im Theater im Depot trägt den Titel „Missing links“ und ist ein Tanztheater von artscenico. Rolf Dennemann als Kopf der Produktion steht mit der Schauspielerin Elisabeth Pleß auf der Bühne, während Paul Hess den tänzerischen Teil übernimmt. Die Uraufführung ist am Freitag, den 26. Juni um 20 Uhr, eine weitere Vorstellung findet am 27. Juni 2015 ebenfalls um 20 Uhr statt. Im August gibt es weitere Termine.

„Urängste, Naturgewalten und Kindheitserinnerungen. Was macht das mit den Menschen“, fragte sich Rolf Dennemann und stieg hinab in unser aller Seelenleben, das geprägt ist durch Geschichten, Märchen und Anekdoten, die auch mal ins Grausame abgleiten können.

Um ein passendes Setting für diese Art von Geschichtenerzählung zu schaffen, wird ein Lichtkreis im Zentrum der Bühne stehen. Wie in einem Kaleidoskop werden die Geschichten von Kafka, Poe und weiteren Autoren in Ausschnitten angeleuchtet. „Die Geschichten werden aber nicht aus erzählt“, so Dennemann.

Den tänzerischen Part übernimmt der Essener Tänzer Paul Hess, der bereits in früheren Produktionen von artscenico zu sehen war wie beispielsweise „Feedback“. Denn der Körper kann bestimmte Dinge ausdrücken, die der Sprache fremd bleiben. Auch wenn sich die beiden Schauspieler bewegen werden, gestaltet Hess die tänzerischen Bilder. Dabei will er sich einer Tanzsprache bedienen, die ein reduziertes Bildmaterial benutzt und natürliche Bewegungen fördert. „Es werden Bilder entstehen, die Spaß machen können, aber auch erschrecken“, ist sich Hess sicher.

Temperamentvolle spanische Barockmusik in der Marienkirche

Al Ayre Español mit Sängerin Raquel Andueza. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Al Ayre Español mit Sängerin Raquel Andueza. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Spanische Barockmusik fristet hierzulande noch ein stiefmütterliches Dasein. Ja, die Italiener, Franzosen, Deutschen oder Engländer – einige Barockkomponisten aus diesen Ländern fallen einem sofort ein, aber Spanien? Doch auch Spanien hatte seine Barockmusik und -komponisten. Einen, mit dem Namen José de Torres (1670-1738) hat Dirigent und Cembalist Eduardo López Banzo wiederentdeckt und mit seinem Ensemble „Al Ayre Español“ aufgeführt. Zu hören waren sie am Konzert am 21. Juni 2015 in der Marienkirche im Rahmen des Festivals Klangvokal.

Spanische Barockmusik war ein Exportschlager. Zumindest in den spanischen Kolonien Mittel- und Südamerikas wurde die Musik aufgeführt. Glücklicherweise, denn bei einem Brand des Königlichen Archivs in Madrid ist auch das gedruckte Werk von de Torres den Flammen zum Opfer gefallen, aber in Guatemala-Stadt wieder entdeckt worden. Daher konnte Banzo mit seinem Ensemble und der Sopranistin Raquel Andueza einige Werke des spanischen Komponisten zu Gehör bringen.

Spanische Barockmusik bringt viel Temperament mit, ist volkstümlich und hat viel Leidenschaft. Dafür war Andueza die richtige Sängerin. Sie stand nicht stocksteif da und sang, sondern ihre Mimik und ihre Körperbewegungen lebten die Musik mit. Doch neben der Vokalmusik überzeugten die Musiker auch bei den Instrumentalstücken wie dem „Pasacallas“ eines unbekannten Komponisten, der „Sonata da Chiesa Nr. 12“ von Arcangelo Corelli, in der vor allem die beiden Violinen ihr Können zeigten, und der „Sonata Nr. 5“ von Georg Friedrich Händel.

Besonders berührend war das „Ay que favor. Cantata a Nuestra Señora“ von de Torres. Der Bittgesang für Maria wurde nur von Banzo am Cembalo begleitet und bot Andueza die Möglichkeit ihre Stimme dem zarten Spiel des Instrumentes anzupassen.

Erst nach zwei Zugaben durften die Musiker die Bühne verlassen. Das Konzert bot eine exzellente Möglichkeit, eine bisher vernachlässigte Erscheinungsform der Barockmusik kennenzulernen. Es bleibt zu hoffen, dass die kleine Renaissance(!) der spanischen Barockmusik durch „Al Ayre Español“ und anderen Musikern weiter anhält. Es gibt hier noch viel zu entdecken.

Multiple Marilyn

Marilyn Monroe – unnahbare Sexgöttin oder Frau mit unterschiedlichen Facetten? Das Stück „Displace Marilyn Monroe“ dargeboten von sieben Darstellern und drei Musikern präsentierte am 17. Juni 2015 im Studio des Schauspielhauses ein inklusives Stück über Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Jeder hat ein Bild von Marilyn Monroe in seinem Kopf: Blond, weiblich, gut aussehend. Eben ein Sexsymbol. Was passiert, wenn auch Brünette und sogar bärtige Männer (nicht Conchita Wurst) von sich behaupten, sie seien Marilyn Monroe? Gelächter? Ein wenig, doch es geht in dem Stück auch nicht darum, einen Marilyn Monroe-Lookalike-Wettbewerb zu veranstalten, sondern um die verschiedenen Facetten der Kultfigur zu beleuchten. Spannend war auch die Frage: Wie weit würde man gehen, um persönlichen Erfolg zu haben? Kleinere Schönheitsoperationen für eine Rolle?

Dabei wurden Stationen ihres Lebens von den sieben Darstellern, von denen manche eine Beeinträchtigung besaßen, szenisch dargestellt. So wurde die berühmte Szene mit dem weißen Kleid, das durch den Wind hochwallte, nachgespielt. Daneben wurden auch die bekannten Songs der Monroe wie „Diamonds are a girl’s best friend“ zum Besten gegeben. Das Geburtstagslied „Happy birthday, Mr. President“wurde von allen Beteiligten gesungen.

Die Musiker und Darsteller schafften mit „Displace Marilyn Monroe“ einerseits eine würdige Hommage an die Schauspielerin, andererseits auch eine nachdenkliche Reflexion darüber, wie wir uns selbst und andere Menschen wahrnehmen. Wahrscheinlich sind wir alle ein Stück Marilyn Monroe.

Alice im farbenfrohen Wunderland

Eine besonders farbenprächtige Version der Geschichte von „Alice im Wunderland“ präsentierte das Theater „Bubamara“ am 19. Juni 2015 im Theater im Depot. Vor allem die atemberaubenden Kostüme der Figuren aus Lewis Carrolls Geschichte faszinierten die jungen und jung gebliebenen Zuschauer. Gespielt wurde das Stück von Kindern und Jugendlichen von 8 bis 22 Jahren.

„Was für’n Trip“, sagt Alice, als sie sich statt auf ihrem 13. Geburtstag plötzlich in einer Parallelwelt mit völlig skurrilen Figuren befindet. Viele bekannte Figuren aus dem Buch tauchen auf: das weiße Kaninchen, der verrückte Hutmacher oder die grausame Herzkönigin.

Die beiden Regisseure Jens Wachholz und Rada Radojcic haben die Sprache des Stückes leicht an die heutige Zeit angepasst („Burn-Out-Syndrom“) und natürlich durfte „Who the fuck is Alice?“ bei der Gerichtsverhandlung am Ende nicht fehlen.

Die aufwändigen Kostüme waren auf alle Fälle ein Hingucker. Angefangen bei den sprechenden Blumen oder der Grinsekatze bis hin zur weißen Herzogin, die ein wenig „gruftimäßig“ geschminkt und gekleidet war. Ein besonderer Höhepunkt war die Teeparty des „verrückten Hutmachers“, der mit seinen Freunden eine kleine Tanzeinlage unterlegt mit Elektroswing hinlegte.

Wachholz und Radojic konzentrierten sich auf bestimmte Szenen und Figuren, die die surreale Welt von Carroll noch einmal unterstrichen. Das machte es für diejenigen, die das Buch (oder die Bearbeitungen) kaum oder gar nicht kannten, etwas schwierig der Geschichte zu folgen.

Dabei hatten viele Figuren in dieser „Coming of age“-Geschichte eine besondere Bedeutung. So symbolisiert das weiße Kaninchen, das bürokratisch ist und ständig auf die Uhr schaut, die Berufswelt der Erwachsenen. Die Teeparty karikiert die stocksteifen Rituale, die Alice irgendwann als Erwachsene ebenfalls über sich ergehen lassen muss.

Insgesamt war die Produktion eine herrlich quitschbunte Variante der Geschichte um Alice mit wunderbaren witzigen Darstellern, behutsam modernisierten Texten (das weiße Kaninchen rezitiert ein Dada-Gedicht bei der Gerichtsverhandlung) und passender Musik (Erik Satie und Elektroswing). Die nächsten Vorstellungen sind am 21. August 2015 um 20 Uhr sowie am 22. August um 18 Uhr im Theater im Depot.