Rhythmus ist ein Tänzer

Das Tanzensemble in Aktion. Es wurde auf Live Musik gespielt! (Foto: © Ralf Maserski)
Das Tanzensemble in Aktion. Es wurde auf Live Musik gespielt! (Foto: © Ralf Maserski)

Tanz ist ein Ritual, etwas Archaisches, kann in eine Kunstform gepresst oder sogar missbraucht werden und ist einfach nur ein Ausdruck von Freude. Nach „Kein Stück über Liebe“ hat sich die Junge Tanztheaterwerkstatt den Tanz als Thema ausgesucht. „Give me a vibe, Mr. King“ nahm die Zuschauer am 09. Mai 2015 im Theater im Depot auf eine rhythmische Reise durch die Geschichte des Tanzes mit. Als besonderer Gast: König Ludwig, der XIV., der Sonnenkönig.

Dass Tanz etwas ursprünglich, archaisches ist, erlebten die Zuschauer gleich zu Beginn. Die 24 Tänzerinnen und Tänzer zeigten am Anfang, wie Rhythmus und Körper zueinander fanden. Die einfachste Form, das Klatschen oder Stampfen auf dem Boden, das rhythmische Atmen, der eigene Körper als Resonanzfläche: Die Zuschauer erlebten, dass Tanz etwas natürliches ist und die motorische Kontrolle über den Körper fördert.

Doch Tanz ist nicht gleich Tanz. Ludwig, der XIV. (1638-1712) war ein Förderer des Tanzes, vor allem des Balletts und des höfischen Tanzes. Tanz wurde aus einem freien Spiel in ein Korsett von Notationen gezwängt. Die Rolle des Königs wechselte in dem Stück und wurde von verschiedenen Akteuren übernommen. Natürlich traf der Sonnenkönig im Laufe des Stückes auch auf einen anderen König: Elvis, der King of Rock’n’Roll.

Doch auch die dunklen Seiten des Rhythmus wurde gezeigt, als die Tänzerinnen und Tänzer zu monoton stampfenden Rhythmen marschierten. Techno und Marschmusik ähneln sich auf verblüffende Weise.

Die Choreografien von Birigt Götz und Alexeider Gonzales wurden von den Tänzerinnen und Tänzern bravorös umgesetzt, oftmals gab es spontanen Applaus aus dem Publikum. Großes Lob gehört auch auch Cordula Hein, die zusammen mit Götz die künstlerische Leitung innehatte.

Wer Lust auf 90 Minuten mitreißender Musik, engagierte Tänzerinnen und Tänzer und schöne Choreografien hat, der sollte im Depot um eine Audienz beim König bitten. Er/Sie wird es nicht bereuen. Absolut empfehlenswert.

Weitere Termine:

22.05.15 um 20 Uhr

23.05.15 um 20 Uhr

27.06.15 um 20 Uhr

alle im Theater im Depot




Chipstütenmassaker als surreales Bildungsstück

Marie-Ann (Désirée von Delft) will unbedingt in den "Club der Söhne" ( Götz Vogel von Vogelstein, Thorsten Schmidt und Steffen Happel). Foto:©Birgit Hupfeld
Marie-Ann (Désirée von Delft) will unbedingt in den „Club der Söhne“ ( Götz Vogel von Vogelstein, Thorsten Schmidt und Steffen Happel). Foto:©Birgit Hupfeld

Eigentlich gibt es ja zwei Dortmunder Beiträge für das Projekt „Industriegebietskinder“ neben „Asche unter meinen Docs“ (wir berichteten) inszenierte KJT-Leiter Andreas Gruhn das Stück „Ach je die Welt“, mit der die Dortmunder am 30. Mai nach Halle fahren. In Dortmund hatte das Stück von Anne Lepper am 08. Mai im KJT Premiere.

Gibt es morgen noch Arbeit? Werde ich geliebt? Habe ich als Frau eine Chance in einer Männerwelt? Allein die Beschäftigung mit einer dieser Fragen hätte für ein Theaterstück locker ausgereicht, aber Lepper hat versucht, alle Themen in diesem Stück zu behandeln. Angesichts der anvisierten Zielgruppe (ab 14 Jahren) kann ich nicht sagen, dass ihr das geglückt ist.

Steffen Happel, Götz Vogel von Vogelstein und Thorsten Schmidt spielen die Jugendlichen Marc, Tobias und Christopher. Christopher ist der „Checker“, der sagt, wo es lang geht und Marc ist eher schwerfällig von Begriff. Zusammen sorgen sie sich, dass es keine Arbeit mehr gibt, wenn sie von der Schule kommen. Früher sorgte „Alfred Krupp und seinesgleichen“ dafür, dass es Arbeit gab. Doch heute? Kompliziert wird das ganze dadurch, dass mit Marie-Ann (Desirée von Delft) ein Mädchen in die Jungenwelt eindringt, dessen Wunsch es ist, „geliebt“ zu werden. Besonders gelungen und ein Highlight war der „Schülerchor der Sechstklässler“: Lucas Franken, Oliver Seifert und Sven Voss gaben im Sumoringer-Look den „Chor der dicken Kinder aus Dortmund“. Wenn sie nicht das Stück kommentieren, dann saßen sie am Rand der Bühne und aßen Chips und tranken Cola.

„Alles Rückwärts ab jetzt“ sagt einer der drei Jugendlichen, in der Hoffnung auf Reindustrialisierung. Leppers „Coming of Age“ Stück (früher sagte man Bildungsroman) wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen. Manchmal hat man das Gefühl die Sprache und die Figuren von „Ach je die Welt“ stammen aus dem Zeitalter der Industrialisierung. Bei den Gesprächen zwischen den drei Jungen und Marie-Ann wird man an Wedekinds „Frühlings Erwachen“ erinnert, aber auch sonst benutzt Lepper viele Elemente der Popkultur in ihrem Werk. Mal geschieht das sehr witzig, wenn Marc, Tobias und Christopher als die „Drei ???“ unterwegs sind, manchmal etwas surreal, wenn die drei durch eine Riesenlinse in den „Club der Söhne“ verschwinden.

Ob jemand in Deutschland Arbeit findet und ob er in den „Club der Söhne“ gelangt, hängt in Deutschland ganz besonders von der sozialen Herkunft ab. Diese Chancenungleichheit per Geburt wäre ein schönes Thema gewesen, denn nicht jeder Jugendliche kommt automatisch in den „Club der Söhne“ wie bei Lepper, sondern höchstwahrscheinlich in die Unterstadt, wo die Arbeitermassen ihr tristes Dasein fristen müssen, um im Bild von „Metropolis“ zu bleiben.

So bleibt ein Stück, das versucht den Geist des Industriezeitalters wieder zum Leben zu erwecken, aber vergeblich. Das lag nicht an den Schauspielern. Von Delft spielte eine „Pretty in Pink“ Marie-Ann, die an der Liebe und der Tatsache, dass sie ein Mädchen ist, verzweifelt. Happel, Vogel von Vogelstein und Schmidt als Gruppe von drei Freunden, die lernen müssen, mit den Dingen, die auf sie einstürzen (u.a. auch Homosexualität) umzugehen.

Das Bühnenbild zeigt das ehemalige Klärbecken von Phoenix-West, das mit Bambus überwuchert ist und heute ein inoffizieller Treffpunkt von Jugendlichen ist. Während er „Rebellionsphase“ wird der Treffpunkt von den drei Protagonisten gestürmt und der Chipsvorrat des Schülerchores kommen unter den Baseballschläger.

Je mehr popkulturelle Zusammenhänge der Zuschauer begreift, desto eher erschließt sich ihm „Ach je die Welt“, unvorbereitet wird es mühsam. Die Leistung der Schauspieler ist in Ordnung, sehr berührend war die Selbstmordszene von Marie-Ann zu „Asleep“ von The Smiths.

Es gibt noch Termine am: So, 10. Mai 2015, Mo, 11. Mai 2015, Mi, 13. Mai 2015, So, 17. Mai 2015, Di, 19. Mai 2015, Do, 18. Juni 2015, Fr, 19. Juni 2015, Sa, 20. Juni 2015, So, 21. Juni 2015, Do, 25. Juni 2015 und Fr, 26. Juni 2015.

Weitere Informationen unter http://www.theaterdo.de oder 0231 5027222.




Freiraum in der Industriebrache

Glücklich über die Spende des Vereins "Bürger für ihr Schauspiel": (v.l.n.r.)  stellv. Vorsitzende Annegret Niedermeier, Vorsitzender Heinz Dingerdissen, die Schüler Laura Färber und Philip Effenberger, Leiter des KJT Andreas Gruhn. Im Hintergrund noch die Regisseure Melanie Nagler und Manuel Schmitt
Glücklich über die Spende des Vereins „Bürger für ihr Schauspiel“: (v.l.n.r.) stellv. Vorsitzende Annegret Niedermeier, Vorsitzender Heinz Dingerdissen, die Schüler Laura Färber und Philip Effenberger, Leiter des KJT Andreas Gruhn. Im Hintergrund noch die Regisseure Melanie Nagler und Manuel Schmitt

Die Dortmunder Premiere des theaterpädagogischen Projekts „Asche unter meinen Docs“ ist am 15. Mai 2015 im KJT. Regie und Choreografie Manuel Schmitt, Regie und Textentwicklung Melanie Nagler. Die Inszenierung ist eine 50-minütige Theater-/Textperformance zum Strukturwandel am Phönixgelände Dortmund.

Die beteiligten Jugendlichen haben während der Produktion des Stückes viel gelernt: Sie haben Freundschaften geschlossen, Selbstvertrauen entwickelt, freies Sprechen auf der Bühne trainiert und sich selbst und die Mitspieler sehr genau kennen gelernt. In den letzten Monaten ist das Vertrauen in sich und die Anderen gewachsen.

Auf dem Hörder Phönixgelände treffen sich die Jugendlichen in einem Klärbecken das mit Bambus überwuchert ist. Dies ist ihr Ort, den sie selbst gewählt haben, der ihren Freiraum darstellt. Dieser Ort spielt auch im Stück eine große Rolle. Er steht im Kontrast zu dem durchstrukturierten Stadtumfeld, das kaum Möglichkeiten zur Entwicklung bietet. Von zwanzig Jugendlichen zu Beginn sind fünf bis zum Ende dabei geblieben.

Besucher des Stückes „Ach je die Welt“ werden ein De-ja-vu-Erlebnis haben: Denn das Bühnenbild ist das gleiche.

Zum Projekt Industriegebietskinder: Jugendliche aus Halle an der Saale (Thalia Theater), Berlin (Theater Strahl) und Dortmund (KJT, Marie-Reinders-Realschule und Fachhochschule Dortmund) setzten sich mit dem Wandel ehemals eindeutiger Industriestandorte in neue Lebenswelten auseinander. Die Produktion ist Bestandteil des überregionalen Projekts, für das der Förderverein „Dortmunder für ihr Schauspiel“ 4000 Euro gespendet hat.

Jede Gruppe entwickelte anhand eines vorab ausgearbeiteten Fragenkatalogs je ein Theaterstück für eine Aufführung. Mit Unterstützung von Theaterpädagogen, Künstlern und Sozialarbeitern entwickelten die Jugendlichen Themenwelten zu Fragen die mit dem Strukturwandel aufgekommen sind. Ehemals hochproduktive Betriebe verschwanden und hinterließen große Brachen, Arbeitslose die heute Rentner sind. Wie empfinden die Jugendlichen diesen Wandel, wie finden sie ihren Platz in der heutigen Welt? Können sie mit den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern etwas abfangen? Beeinflusst dies ihre heutiges Leben? Wie finden sie ihren Platz? Welche Träume, Hoffnungen und Frustrationen sind mit diesen Orten verbunden?

Ende Mai treffen sich alle in Halle zu einem Minifestival, bei dem alle Stücke aufgeführt werden sollen.