Auf der Suche nach Würde

Der kolumbianische Beitrag „Ella“ beim Regiewettbewerb des Internationalen Frauenfilmfestivals 2015 in Dortmund von Libia Stella Gómez zeigt ein ungeschminktes Bild der Welt in Bogota in Kolumbien. Beim Ansehen des Filmes wird einem deutlich, dass wir hier mit unserem Sozialsystem durchaus im Komfort leben, angesichts der Situation der Protagonisten. Das Baby hat Fieber und soll im Krankenhaus untersucht werden? Erst einmal 40.000 Pesos (etwa 15 €) auf den Tisch legen. Geld, das viele Arme nicht haben.

Im Film „Ella“ geht es um zwei alte Menschen Alcides und Georgina, die in einem Armenviertel in Bogota leben. Eines Tages stirbt Georgina und Alcides muss alleine zurechtkommen. Er will seiner toten Frau ein würdiges Begräbnis verschaffen, muss aber dafür lernen, sein eigenes Leben zu leben. Dabei hilft ihm die 12-jährige Guiselle, die von ihrem Vater misshandelt wird.

Gómez arbeitet mit schwarz-weiß Bildern, so dass der Film wirkt, als käme er aus den 50igern. Ein besonderes Verdienst der Regisseurin ist es, dass die Protagonisten ihre Würde behalten. Denn allzuleicht können Szenen wie der Transport der Leiche durch Alcides auf einem Karren ins Lächerliche abgleiten. Mit Humberto Arango hat Gómez auch eine gute Wahl getroffen, genauso wie die bezaubernde Deisy Marulanda als Guiselle.

Auf der anderen Seite zeigt Gómez ungeschminkt die Gewalt in ihrem Land. In Gegenden, wo ein Menschenleben nicht viel zählt, sind Ermordete keine Schlagzeile wert. Erschütternd die Szene, als eine Mutter ihren Sohn sucht und der Polizist ihr beiläufig sagt, schauen sie mal bei den gefundenen Leichen der vergangenen Nacht, ob er darunter ist.




Mahlers Schicksalssinfonie in voller Pracht

Es war voll auf der Bühne des Konzerthauses. Die 6. Sinfonie von Gustav Mahler brachte Musiker und Organisatoren beim 8. Philharmonischen Konzert an ihre Grenzen. Hätte Mahler für seine Sinfonie noch ein paar (exotische) Instrumente hinzugefügt, dann wäre es eng geworden. Sehr eng. So konnten die Zuhörer am Dienstag und Mittwoch der geballten Wucht und den zärtlichen Klängen der Dortmunder Philharmoniker lauschen.

Eigentlich sollte die Sinfonie im vierten Satz drei Hammerschläge haben, aber Mahler hat den letzten (aus Aberglaube?) in einer Überarbeitung gestrichen. So gibt es Versionen mit zwei oder drei Hammerschlägen. Gabriel Feltz gab der Version mit zweien den Vorzug. Vielleicht ahnte er, dass am Mittwoch für viele Dortmunder die Ankündigung des Weggangs von Jürgen Klopp wie ein Hammerschlag wirkte. So waren es zumindest für manchen am Mittwochabend derer drei.

Feltz hatte also mit dieser großen Besetzung alle Hände voll zu tun und lenkte die Philharmoniker in sehr gewohnt energischen und mitreißenden Art durch die 6. Sinfonie. In Mahlers Werk mischen sich energisch-militärische Elemente mit idyllischer Klangmalerei. Eine Sinfonie für Schlagwerker. Von Kuhglocken über Rute, Glockenspiel, Pauken, Trommeln bis hin zum berühmten Hammer waren bekannte und exotische Instrumente vertreten. Die Musiker rund um den ersten Schlagzeuger Louis-Pierre Janquin waren auf Zack. Herauszuheben waren ebenfalls die drei Harfinistinnen, die meist kleine dissonante Akzente setzten.

Die 90 Minuten intensiver Musik, eine Pause brauchte es nicht, denn Mahler und die Dortmunder Philharmoniker fesselten die Zuhörer so sehr, dass die Zeit wie im Fluge verging.




Der ewige Kreislauf

Der zweite Beitrag im Rennen um den RWE Filmpreis war die japanische Produktion „Still The Water“ von der renommierten Regisseurin Naomi Kawase. Im Gegensatz zu „Eden“ ist „Still The Water“ ein poetisch-philosophischer ruhigerer Spielfilm um den Kreislauf von Leben, Tod und Energie. Wunderschöne Naturaufnahmen und eine sich Zeit nehmende Kameraführung mit sensiblen Nahaufnahmen kennzeichnen diesen Beitrag.

Die Story um den 16-jährige Kaito und seiner Freundin Kyoko, die auf einer Japanischen Insel leben. Kaito wohnt alleine bei seiner Mutter und kann seinen Vater nur ab und zu in Tokyo besuchen. Kyoko lebt dagegen in geordneten Verhältnissen bei ihren beiden Eltern. Ein Schock ist, das ihre Mutter, eine Schamanin, schwer krank ist und bald sterben muss. Für ihren Freud ist dagegen eine große Belastung, dass seine Mutter wechselnde Liebhaber hat. Eine wichtige Rolle für die beiden Jugendlichen, zwischen denen sich eine Liebesgeschichte entwickelt, spielt ein weiser alter Viehzüchter. Zimperlich ist die japanische Produktion nicht. So wird bereit am Anfang (und später noch einmal) in aller Ausführlichkeit das Töten und langsame Ausbluten einer weißen Ziege gezeigt. Nichts für empfindliche Gemüter. Untermalt wird die Geschichte von ruhiger, meditativer Musik.

Der Film gibt einen guten Einblick in die asiatische Mentalität und ist voller Symbolkraft.

Ein nachdenklicher Beitrag über das Leben, Vergänglichkeit und der bleibenden Energie.




Sex, Koks und Techno

Der erste Film, der in diesem Jahr ins Rennen um den mit 15.000 Euro dotierten RWE Filmpreis des Internationalen Frauenfilmfestivals in Dortmund ging, war eine französische Produktion aus dem Jahr 2014 der Regisseurin Mia Hansen-Løve. „Eden“ taucht ein in die Zeit Anfang der 90er Jahre, als die elektronische Musik in Frankreich einen ganz besonderen Boom erlebte.

Das junge DJ-Duo „Cheers“ mit Paul und sein Freund erlangen zunächst einige Erfolge mit ihren Auftritten. Es ist eine wilde Zeit mit Sex, Koks und Techno-Musik. Als Vorbilder dienen ihnen die zwei Freunde, die als „Daft Punk“ eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Der Weg führt bis nach New York. Im Laufe der nächsten Jahre gehen nicht nur Beziehungen in die Brüche, sondern die Einnahmen aus dem Musikgeschäft halten nicht mit dem aufwendigen und teuren Lebenswandel stand. Am Ende erkennt Paul spät, das er nicht nur pleite ist, sondern auch in einer Scheinwelt gelebt hat.

Ein großartiger Soundtrack zieht sich durch den gesamten Film und zieht den Zuhörer mit in die Zeit-Stimmung hinein. Getragen wird „Eden“ auch von dem natürlichen , offenen Spiel der Schauspieler, allen voran Félix de Givry (Paul) und Greta Gerwig (Louise).

Leider hat der Film mit seinen über zwei Stunden Dauer einige Längen (und vorhersehbare Wiederholungen). Ein wenig mehr Tiefgang wäre wünschenswert gewesen. Einige Szenen mit einer gewissen Situationskomik lockerten die Geschichte etwas auf.

Mit dem Film „Inside Llewyn Davis“der Coen-Brüder aus dem Jahr 2012 um den Folk-Musiker Llewyn Davis in den 60er Jahren kommt er sicherlich nicht heran. Trotzdem ist dieser Film ein beeindruckendes Zeitdokument der 90er Jahre.