Seit wann sind Eltern objektiv?

Er wird doch wohl nicht nach dem Notenzettel schauen? Bianka Lammert, Rainer Kleinespel und Andreas Ksienzyk. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Er wird doch wohl nicht nach dem Notenzettel schauen? Bianka Lammert, Rainer Kleinespel und Andreas Ksienzyk. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Willkommen in der Schule. Mittlerweile sind Zeugnisse nicht mehr allein der Schrecken mancher Schüler, sondern auch der Eltern. Vor allem, wenn das wichtige Zeugnis ansteht, das entscheidet, an welche weiterführende Schule das Kind gehen wird. Alles andere als das Gymnasium ist für die Eltern aus dem Stück „Frau Müller muss weg!“ nicht akzeptabel. Daher sind nicht ihre Kinder Schuld an den schlechten Noten, sondern die Klassenlehrerin. Fast parallel zum Kinostart des gleichnamigen Films präsentiert das Kinder- und Jugendtheater die Theaterfassung. Ein Premierenbericht vom 13. Februar 2015.

Wer den Unterschied zwischen Kinofilm und Theater kennenlernen möchte, sollte sich ins Kinder- und Jugendtheater aufmachen. Auch wenn im Schauspielhaus mit Kay Voges sogar eine Mischform zwischen den beiden Genres probiert wird, zeigt die Inszenierung von Intendant Andreas Gruhn, welche Vorteile das Theater gegenüber dem Kino hat und immer haben wird. Die Zuschauer sind hautnah an den Schauspielern, Missgeschicke passieren und können nicht in der nächsten Aufnahme entfernt werden und die Schauspieler bekommen danach den Applaus des Publikums.

Andreas Gruhn versucht aber auch einige „typische“ Filmtricks unterzubringen: So agieren die Schauspieler in wichtigen und entscheidenden Situationen wie in Zeitlupe. Beispielsweise wenn die Tasche von Frau Müller durchsucht wird und die Lehrerin plötzlich in der Tür steht. Dazu erklingt Musik aus bekannten Westernfilmen wie beispielsweise „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Die Geschichte kurz erzählt: Der überwiegende Teil der Eltern der Klasse 4b möchte, dass die Klassenlehrerin Frau Müller ihre Klasse abgibt, weil die Kinder in ihren Noten abgesackt sind und der wichtige Übergang zur weiterführenden Schule bevorsteht. Das Gymnasium ist natürlich Pflicht. Aus der Gruppe haben sich fünf Eltern gefunden, die Frau Müller diese Entscheidung mitteilen wollen. Doch nach und nach bricht auch der Konflikt zwischen den Eltern auf, als sie erkennen, wie sich ihre Kinder in der Klasse verhalten. Beim Blick in die Notentabelle von Frau Müller sehen sie, dass die Lehrerin vorhat, ihren Kindern doch gute Noten zu geben. Jetzt soll sie doch Klassenlehrerin bleiben. Hätten sie mal genauer gelesen.

„Frau Müller muss weg“ erinnert ein ganz klein wenig an Yasmin Rezas „Der Gott des Gemetzels“. Das Stück von Lutz Hübner ist aber deutlich humoriger, vor allem weil die Eltern aus unterschiedlichen Schichten stammen. Aber in beiden Stücken wird das hohe gemeinsame Ziel „Frau Müller muss weg“ langsam aber sicher wegen persönlicher Eitelkeiten geopfert, interne Konflike treten zutage und untereinander sind sich nicht alle grün.

Johanna Weißert spielt die Karrierefrau Jessica Höfel. Passenderweise im Hosenanzug hat sie die Kontrolle über die Elternschaft übernommen und möchte alles „businessmäßig“ über die Bühne bringen. Als das Gespräch mit der Klassenlehrerin auf dem Ufer läuft, erfährt auch sie die Wahrheit: Laura, ihre „coole“ Tochter fälscht Entschuldigungen. Sehr schön, wie Jessica vorher gefällte Entscheidungen ohne mit der Wimper zu zucken umwirft, frei nach dem Politiker-Motto „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“.

Ein anderes Kaliber sind die beiden Jeskows. Sie sind von München hergezogen. Bianca Lammert gefällt in der Rolle der „Zicke“ Marina Jeskow, die wegen ihres Mannes aus München wegziehen musste. Das nimmt sie ihrem Mann übel. Sehr übel. Als dann noch herauskommt, dass ihr „hochbegabter“ Sohn in Wirklichkeit der Klassenkasper ist und von allen anderen Kindern geschnitten wird, wird Marina zur Furie.

Patrick Jeskow (Rainer Kleinespel) ist der Pantoffelheld, der unter der Fuchtel seiner dominanten Frau steht und erst gegen Ende den Mund auf bekommt. „Ich lande nicht bei Hartz IV, nur damit Lucas Fußball spielen kann“, bringt Patrick sein Dilemma auf den Punkt. Kleinespel bringt den arg gebeutelten Charakter sehr gut rüber.

Désirée von Delft spielt die alleinerziehende Mutter Katja Grabowski. Anfänglich scheint sie keine Probleme zu haben, denn ihr Sohn Fritz ist der Klassenbeste. Daher steht sie dem Ansinnen, Frau Müller das Vertrauen zu entziehen, nicht positiv entgegen. „Ich bin nur aus Solidarität dabei“, so Katja. Ihr Problem ist, dass sie keinen Zugang zu ihrem Sohn findet. „Mein eigenes Kind ist mir fremd“; sagt sie in dem Stück. Später kommt heraus, dass Fritz ein ernstes Problem mit Lukas hat. Dass sie das von der Lehrerin nicht mitgeteilt bekommen hat, lässt ihre Sympathien für Frau Müller erkalten.

Hinzu kommt, dass Katja ein Verhältnis mit dem verheirateten und impulsiven Wolf Heider (Andreas Ksienzyk) hat. Heider bringt durch seine direkte Art Feuer in das Gespräch mit der Lehrerin, das danach eskaliert. Da er arbeitslos ist, versucht er seine Tochter Janine möglichst viel Bildung zukommen zu lassen, dass das Mädchen schier erdrückt und in eine sklavische Freundschaft mit Laura bringt.

Bettina Zobel spielt die Rolle der Klassenlehrerin Sabine Müller, die völlig unerwartet mit der Drohung der Absetzung konfrontiert wird. Denn die Eltern waren allesamt nicht in der Lage, vorher ein Gespräch mit der Lehrerin zu suchen. Zobel spielt diese Rolle sehr sanft, zart und zerbrechlich.

Der ernstere Hintergrund des Stückes ist der immer stärker werdende Druck, sein Kind auf das Gymnasium schicken zu müssen. „Ich bin heute Abend angetreten, weil ich Laura auf dem Gymnasium haben will“, erklärt Jessica Höfel klipp und klar. „Ich habe mehr Angst vor dem Zeugnis als Janine“, gibt Wolf Heider zu. Und in dieser Situation können alle Objektivität nicht gebrauchen. Denn „seit wann sind Eltern objektiv?“

Ein Stück mit vielen lustigen Déjà-vus für Lehrer und Eltern. Beispielsweise wenn die Lehrerin voller Stolz auf die Ergebnisse der Projektwoche mit den Kastanienmännchen zeigt und später herauskommt, dass Eltern an dem Werk nicht ganz unbeteiligt waren. Vielleicht wegen der Zielgruppe ein ungewöhnliches Stück für das Kinder- und Jugendtheater, aber ein Besuch lohnt sich.




Flüchtige Berührungen

'The Piano': Emilie Nguyen (Ada McGrath), Casey Hoskins (Flora McGrath) und Ensemble (Foto: ©Bettina Stöß)
‚The Piano‘: Emilie Nguyen (Ada McGrath), Casey Hoskins (Flora McGrath) und Ensemble
(Foto: ©Bettina Stöß)

Ballettdirektor Xin Peng Wang hatte zu einem Ballettabend der besonderen Art mit Choreographien der Sonderklasse von Benjamin Millepied, Demis Volpi und den in Dortmund bekannten und auch als Tänzer zusammen mit seinem Zwillings-Bruder Otto beliebten Jiři Bubeníček geladen.

Unter dem Oberbegriff „Drei Streifen Tanz“ konnte sich das Ballett-Publikum im Dortmunder Opernhaus bei der Premiere am 14. Februar 2015 von der Qualität der technisch höchst anspruchsvollen Choreographien und deren Umsetzung durch die Tänzer und Tänzerinnen überzeugen.

Wenn man alle Choreografien in einem Begriff zusammenfassen könnte, würde wohl „flüchtige Berührungen“ dabei herauskommen. Während die Duette von Millepied und Volpi deutlich die Beziehung zwischen Mann und Frau in den Mittelpunkt stellen, ist es beim vertanzten Film „The Piano“ von den Bubeníčeks ähnlich. Auch hier geht es um flüchtige Berührungen zwischen Ada und George und die vergeblichen Bemühungen von Alister eine Beziehung zu Ada zu bekommen.

Zu Beginn stand Benjamin Millepied im Vordergrund. Seine Choreografie „Closer“ setzt stark auf die fast schon hypnotische Musik von Philip Glass und seinen „Metamorphosen“. Live am Klavier gespielt wurde das rasante Stück von Tatiana Prushinskaya. Dazu tanzten Monica Fotescu-Uta und Mark Radjapov die Geschichte eines Paares, das nach einer Zeit der Leidenschaft eigentlich voneinander loskommen will, es aber nicht schafft.

Denis Volpi setzte das Thema der Anziehung und der Abstoßung von Körpern in seinem getanzten Triptychon „Little Monsters“, „Private Light“ und „Ebony Concerto“ auf seine Art und Weise um. Gleich zu Beginn von „Little Monsters“ wird die Aufdringlichkeit thematisiert. Der Tänzer versucht sich der Umklammerungsversuchen der Tänzerin zu widersetzen. Unter der Musik von Elvis Presley entwickelt sich ein munterer Liebesreigen. Alle drei Duette glänzten mit hohen technischen Anforderungen, die die Tänzerinnen und Tänzer der Dortmunder Compagnie meisterten. Ein Wort noch zur letzten Choreografie von Volpi, der Uraufführung von „Ebony Concerto“.Vielleicht bin ich zu Überempfindlich, aber wenn in der Choreografie die Frau vor dem Mann wegläuft, der Mann sie nach einigen Metern einholt und am Weiterlaufen hindert, habe ich ein ungutes Bauchgefühl.

Nach der Pause wurde es auf der Bühne opulent. Standen bei Millepied und Volpi die Körper und das Licht im Mittelpunkt, zeigten die Bubeníčeks in ihrer Uraufführung üppige Kostüme aus dem 19. Jahrhundert (Kostümbildnerin Elsa Pavanel), Requisiten auf der Bühne und eine Videoleinwand im Hintergrund. Der Film „Das Piano“ von Jane Campion handelt von der stummen Ada McGrath, die im 19. Jahrhundert aus Schottland mit ihrer Tochter nach Neuseeland verheiratet wird. Ihr Mann, Alistair Steward, ist ihrer Leidenschaft, dem Klavierspielen, gar nicht angetan. Dafür aber der Nachbar George.

Die Bubeníčeks schaffen es, die Atmosphäre des Filmes wiederaufleben zu lassen. Aufnahmen vom Strand oder von der Natur, die im Hintergrund abgespielt werden, verstärken das Gefühl, den Film zu sehen. Dafür mussten die Akteure in Kauf nehmen, die Requisiten auf- und abzubauen. Otto Bubeníček, der für die Bühne verantwortlich war, ließ Maori und Matrosen auftreten, die für einen nahtlosen Übergang der Szenen sorgten.

Flüchtige Berührungen waren auch hier das Thema. Vor allem zwischen Ada und George entwickelt sich schnell eine Beziehung, die von Berührungen in Leidenschaft wechselt. Weniger Glück hat Alistair, der im Laufe der Handlung versucht, Kontakt zu seiner Frau aufzunehmen.

Emile Nguyen tanzte die Hauptrolle der Ada. Sie zeigte eine Figur, die zunächst völlig unsicher in eine neue Umgebung kam und ihre Kämpfe zwischen Leidenschaft und Treue. Dimitry Seminov präsentierte einen kalten, abweisenden Alistair, der erst spät versucht, Zugang zu Ada zu finden. Arsen Mehrabyan überzeugt in der Rolle des Naturburschen George, der ein gutes Verhältnis zu den Ureinwohnern hatte.

In einer witzigen Nebenrolle war Arsen Azatyan zu sehen, der den Reverend Campbell tanzte und viel Humor in seine Rolle legte.

Die Musik war sehr unterschiedlich. Natürlich hatten die Bubeníčeks einiges von der Originalmusik von Michael Nyman übernommen, aber auch Klänge von Debussy, Strawinski und anderen Komponisten waren zu hören bis hin zur traditionellen Musik der Maori.

Ein gelungener Ballettabend, der mit Standing Ovations vom Publikum gefeiert wurde. Weitere Termine sind: SO, 01. MÄRZ 2015, SA, 07. MÄRZ 2015, DO, 19. MÄRZ 2015, FR, 24. APRIL 2015, DO, 07. MAI 2015, SA, 16. MAI 2015 und FR, 05. JUNI 2015.