Wie wollen wir leben?

Das Theaterkollektiv „Sir Gabriel Dellmann“ versucht sich in „Dantons Dilemma“ an einer Bestandsaufnahme der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie entwickeln eine Textcollage aus persönlichen Erfahrungsberichten unserer Zeitgenossen (Befürwortern, Gegnern und Opfern des pekuniären Systems), politischen Ereignissen (Euro-Krise, Amokläufen, Revolutionen …) und Analysen (Zizek, Samuelson, …) – welche unsere demokratische Ordnung hinterfragen.



Die Collage wird abgeglichen mit „Lenz“, der die Konstitution des Individuums im kollektiven Dilemma formuliert (Ansatz) und „Der Hessische Landbote“ und Büchners Briefen – woraus sie Material zur gesellschaftlichen Veränderung generieren (Handeln). Durch den Bezug auf „Dantons Tod“ entsteht ein Pessimismus gegenüber den revolutionären Ansätzen. Die daraus folgende Resignation findet ihre Parallelen in der Stagnation einer angeblichen Demokratie, die nicht mehr in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen (Scheitern). Ziel ist die Entwicklung von Diskursen zur Lage der Nation.

Vier faule Vögel, beiderlei Geschlechts, gefangen im Brachland einer zivilisatorischen Ordnung, die längst keine Orientierung mehr bietet. Also machen sie sich auf die Socken – die, der guten alten Erkenntnisgewinnerei – und es entwickelt sich ein wilder Trip durch Lichtinstallationen und Beat. Sie rauschen durch die sagenumwobenen Sümpfe der Pseudodemokratie, passieren das Spukschloss der Feingeisterei, finden Unterschlupf in einer Höhle des Lustgebirges und robben ihre trägen Leiber über den Gipfel der Unterhaltung bis ins Einmachglas der Sinnstiftung.
Unterwegs ziehen sie mehrere Altmeister zu Rate – einer von jenen schließt sich ihnen an: George Danton – Experte für angewandte Revolutionswissenschaften auf Lehramt.
Ferner kocht Dr. Ape Stevens ein Süppchen für alle, Lenz springt um die Ecke und knotet Robespierre die Schürsenkel zusammen, Slavoj Zizek belegt einen Häkelkurs bei P. A. Samuelson, Lena macht wilde Verrenkungen mit ihrem Idealkörper und streckt St. Just doch tatsächlich die Zunge raus und Marion ist sooo begabt, hat aber leider, leider, leider einen gewissen großen Unbekannten sehr, ja, sehr lieb.

PREMIERE
FR 04.10.2013 um 20 Uhr
Vorstellungen:
SA 05.10.2013 um 20 Uhr
SO 06.10.2013 um 19 Uhr
FR 25.10.2013 um 20 Uhr
SA 26.10.2013 um 20 Uhr
FR 29.11.2013 um 20 Uhr
SA 30.11.2013 um 20 Uhr
Eintritt: VVK 13 € / 8 € erm.
AK 15 € / 10 € erm.
Kinder bis 14 J. VVK + AK 5 €
Ort: Theater im Depot
Spiel: Janina Rudenska, Fiona Metscher, Martin Hohner, Matthias Hecht
Konzept & Produktion: Sir Gabriel Dellmann
Regie: Björn Gabriel
Bühne: Steffi Dellmann
Vision & Sound: Philipp Mattner, Mario Simon
Kostüm: Steffi Dellmann, Nejla Kalk
Assistenz: Lena Gudrian

Der im April 2012 gegründete ‚Sir Gabriel Dellmann e.V.‘ ist ein freies Theaterkollektiv mit Sitz in Dortmund und Köln. Im Herbst 2012 wurde die erste Produktion „Kampf des Negers und der Hunde – eine intermedialen Empörung nach Koltès“ realisiert – in Koproduktion mit dem
Theater im Depot – Dortmund, dem Theater der Keller – Köln, dem Theaterdiscounter – Berlin und dem Theater Rottstraße 5 – Bochum – und für den Kölner Theaterpreis nominiert.
Aktuelle Spieltermine findet man auf der Homepage: www.sir-gabriel-dellmann.de
Ensemble: Björn Gabriel arbeitet seit 2009 als Regisseur, u.a. am Staatsschauspiel Dresden, Theater Oberhausen und am Schauspiel Dortmund. Stefanie Dellmann ist seit 2009 freie Bühnenbildnerin u.a am Theater Oberhausen, Schauspiel Dortmund und am Ringlokschuppen Mülheim.
Die Videokünstler Mario Simon und Nikolai Neugebauer haben ihren Schwerpunkt in verschiedenen Bereichen der Bildenden Kunst.
Fiona Metscher, Annika Meier, Janina Rudenska, Kaspar Kaeser, Martin Hohner und Matthias Hecht arbeiten als freie Schauspieler an Freien-, Stadt – und Staatstheatern Theatern
(z.B.: Volksbühne Berlin, Theater Oberhausen, Theater Bremen, Schauspiel Dortmund, HAU Berlin, Gessner Allee Zürich …)




Herrschaft und Einsamkeit

Eigentlich sind die vier Hauptpersonen von Verdis Oper „Don Carlo“ sehr einsam. Die Hauptfigur, „Don Carlo“ liebt seine ehemalige Verlobte Elisabeth, die aus Staatsräson seinen Vater geheiratet hat. Elisabeth ist einsam, weil sie fremd in einem fremden Land ist und mit einem Mann verheiratet ist, den sie nicht liebt.



Phillip, Don Carlos Sohn, ist einsam, weil ihn seine Frau nicht liebt. Rodrigo, Marquis von Posa ist einsam, weil er letztendlich nur seine Idee von Freiheit liebt, für die er sogar die Freundschaft mit Don Carlo aufgibt.

Rodrigo ist der Dreh und Angelpunkt in der Oper und auch in der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog, die am 29. September 2013 Premiere im Opernhaus Dortmund feierte. Verdis Oper basiert auf Schillers Trauerspiel „Don Karlos“ und wer Schiller kennt, der weiß, dass er ein politischer Schriftsteller war. Das nimmt Herzog auf. Schon die erste Szene im ersten Akt zeigt, wie der Hase läuft: Die trauernde Bevölkerung defiliert an der Leiche von Kaiser Karl V. vorbei. Die Szenerie erinnert bewusst an das Lenin-Mausoleum in Moskau. Wie die Sowjetunion sich auf Lenin berief, berief sich das habsburgische Spanien auf Kaiser Karl. Ein Staat, der sich im Griff der spanischen Inquisition befand, ähnlich wie die Sowjetunion unter Berias NKWD. Beeindruckend inszenierte Herzog dies in der „Abendmahlszene“, als zwölf Gefolgsleute Philipps als „Dissidenten“ freiwillig Selbstmord begingen. Religion trifft auf Herrscherkult.

Gut gewählt waren auch die Kostüme: Nur die drei Vertreter der spanischen Krone (Philipp, Don Carlo und Elisabeth) waren im damaligen spanischen Stil gekleidet. So zum Beispiel mit Halskragen, die sie fast erwürgten. Der Rest, vor allem natürlich Rodrigo, spielten und sangen in moderner Kleidung. Rodrigo, eindrucksvoll gesungen von Gerado Garciacano, ist zweifelsohne die Hauptfigur. Er nutzt die Freundschaft zwischen ihm und Don Carlo für seine politischen Zwecke. So gelangt er näher and en spanischen König. Philipp versteht zwar kein Wort, was im Rodrigo erzählt, gibt ihm aber einen Job als Art Privatdetektiv. Für seine Idee ist er sogar bereit, die Freundschaft zu Don Carlo aufs Spiel zu setzen und geht letztendlich für sie in den Tod.

Der Star des Abends war mit Sicherheit Susanne Braunsteffer als Elisabeth. Ihre Verzweiflung ist in jeder Note zu hören: Allein im fremden Land mit einem Mann, den sie nicht liebt und einen Ex-Verlobten, der jetzt ihr angeheirateter Sohn ist. Wen Wei Zhang bekam zu Recht Sonderapplaus für seine Arie „Ella giammai m’amò“(Sie hat mich nie geliebt), auch sonst sang er einen berührenden Philipp.

Don Carlo wurde von dem Kanadier Luc Robert gesungen. Es war ein gelungenes Dortmund-Debüt. Er gab dem Titelhelden in seinen Seelennöten seine Stimme, die von vergeblicher Liebe bis hin zum (fast) trotzigen Aufbruch nach Flandern.

Der zweite Bass in der Oper sollte nicht unerwähnt bleiben. Christian Sist sang einen Großinquisitor, der in jeder Sekunde wusste, dass er der eigentliche Herrscher Spaniens war. Vor ihm musste sogar Philipp zittern. Eine bemerkenswerte Rolle sang Katharina Peetz als Prinzessin Eboli. Die Prinzessin denkt zuerst, dass Don Carlo sie liebt, dann wird sie zu einer Intrigantin, die zum Schluss bei Elisabeth um Vergebung bettelt. Es gelang ihr, die verschiedenen emotionalen Stimmungen der Eboli glaubhaft und mit starker Stimme auf die Bühne zu bringen.

Gefallen konnten in ihren Nebenrollen auch Julia Amos als Page Tebaldo zwischen den Hofdamen. John Zuckerman als Graf von Lerma, und Karl-Heinz Lehner als Mönch. Anke Briegel fungierte als angenehme Stimme aus dem Himmel.

Wieder einmal zeigte auch der Dortmunder Chor unter der Leitung von Granville Walker sein Können. Punktgenau und grandios wurde der „Don Carlo“ von der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung des neuen GMD Gabriel Feltz begleitet.

Die Inszenierung mit seinem Mix aus Historie und Moderne hat nicht jedem gefallen, doch die positiven Reaktionen waren deutlich in der Mehrheit. Jens-Daniel Herzog steht seit drei Spielzeiten für eine neue, aufregende Oper mit frischem Blick. Das hat er bei „Don Carlo“ wieder unter Beweis gestellt.

Weitere Aufführungen am 12. Oktober 2013, 20. Oktober 2013, 25. Oktober 2013, 03. November 2013, 08. November 2013, 16. November 2013 und 08. Dezember 2013.

Karten unter www.theaterdo.de oder telefonsich 0231 5027222.




Ein Egozentriker auf später Sinnsuche

Theater mit Kay Voges ist immer überraschend. Der Besucher weiß nicht, was ihn erwartet. War in der vergangenen Spielzeit die Vermischung zwischen Film und Theater das Motto, dreht sich in der aktuellen Spielzeit alles um Wiederholungen und Identitäten. So auch bei Ibsens Drama „Peer Gynt, das am 28. September 2013 Premiere feierte.



„Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“, der Bestellertitel von Precht könnte durchaus auch auf den Titelhelden „Peer Gynt“ zutreffen. Seien wir ehrlich: Peer Gynt ist nicht die Person, die vermutlich am meisten Sympathien einheimst. Er lügt, dass sich meterweise Balken biegen, er ist selbstsüchtig und nur auf seinen Vorteil bedacht. Ein Mensch, der verschiedene Rollen spielt. Doch was ist der wahre Kern von Peer Gynt? Vielleicht kennt ihn Solveig, die Frau die ihr ganzes Leben auf ihn gewartet hat, als er durch die Weltgeschichte reiste und seinen Zielen hinterher jagte.

Voges schafft es bravurös, den komplexen Stoff so einzudampfen, dass er in 90 Minuten erzählt werden kann. Dabei halfen ihm die sechs Schauspieler, der Musiker Thomas Truax und ein außergewöhnliches Bühnenbild. Der Regisseur konzentriert sich auf einige der Geschichten, die Peer Gynt wiederfahren sind: Der Brautraub, die Trollhöhle, der Tod der Mutter, die Irrenanstalt und seine Rückkehr, dennoch bleiben von der Vorlage auch einige surreale Elemente. Voges stellt die Sinnsuche Peer Gynts in den Mittelpunkt. Aber kann jemand ohne echten Kern eine Identität haben? Bei der berühmten „Zwiebelmethapher“ in Ibsens Stück vergleicht sich Peer Gynt ja mit einer Zwiebel, die Schichten hat, aber keinen Kern.

Da niemand weiß, wer oder was Peer Gynt wirklich ist, löst sich auch die klassische Rollenzuteilung auf. Alle Schauspieler spielen Peer Gynt. Schnelle Kleiderwechsel, archaisch wirkende Verwandlung durch Auftragen von Farbe macht das Spiel zu einem optischen erlebbaren Spiel: Mittels grüner Farbe wird eine Schauspielerin zur Tochter des Trollkönigs, durch rote Farbe zur entführten und entehrten Braut, das reine unschuldige Weiß bleibt Solveig vorbehalten.

Bei den sechs Schauspielern gab Peer Oscar Musinowski sein Dortmund-Debut. Er spielte energisch, voller Elan und lässt viel für die Zukunft hoffen. Uwe Rohbeck glänzte vor allem in der Rolle des deutschen Irrenarztes Dr. Begriffenfeldt, der seinen Patienten Peer Gynt mit Elektroschocks und Spritzen foltert. Berührend spielt Friederike Tiefenbacher die sterbende Mutter von Peer Gynt. Wobei sie, nachdem der Sargdeckel sich gesenkt hat – ihre Verwandlungskunst unter Beweis stellte und kurze Zeit später als eine neue Inkarnation von Peer Gynt „wiederaufersteht“.

Doch dahinter müssen sich Bettina Lieder, Julia Schubert und Sebastian Graf nicht verstecken. Sie alle sorgten für einen berührenden, manchmal auch komischen Theaterabend.

Passend dazu, gab es Musik von Thomas Truax. Wer Grieg erwartete, war auf dem Holzweg. Truax.spielte zwar das bekannte Stück „Marsch der Trolle“ von Grieg auf einem seiner selbst gebauten Instrumente, aber ansonsten unterstützte Truax das Stück mit seiner teils rockigen teils folkigen Musik perfekt.

Außergewöhnlich war das riesige Wasserbecken auf der Bühne (Bühnenbild Michael Sieberock-Serafimowitsch), in dem die Schauspieler das Stück spielten. Es war nicht nur praktisch (man konnte sich die Farbe aus dem Gesicht waschen), sondern das Wasser unterstützte die Akteure auf der Bühne. Die Schauspieler ließen es sanft durch die Hand rieseln oder kraftvoll nach allen Seiten wegspritzen. Das Wasser diente als riesige Reflexionsfläche.

Fazit: Ein rundherum gelungener Abend mit einem engagierten Schauspielensemble, guter Musik, dem Element Wasser und einer mutigen Inszenierung. Logisch, dass alle Beteiligten gefeiert wurden.

Weitere Termine: 04. Oktober 2013, 18. Oktober 2013, 02. November 2013, 17. November 2013, 04. Dezember 2013, 21. Dezember 2013, 16. Januar 2014 und 22. März 2014.

Karten gibt es unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.