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Entblößte Raubtierkapitalisten

Noch freuen sich Öllers (Dornheim) und Niederländer (Meinel) über die vermeintliche Chance, März (Schlösser) ist da skeptischer. (Foto: © Uwe Faltermeier)
Noch freuen sich Öllers (Dornheim) und Niederländer (Meinel) über die vermeintliche Chance, März (Schlösser) ist da skeptischer. (Foto: © Uwe Faltermeier)

Es ist schwer erträglich, was Frank Öllers (Jens Dornheim) und Kai Niederländer (Dietmar Meinel) die meiste Zeit von sich geben. Die beiden Unternehmensberater der „Company“ behandeln ihre Geschäftspartner herablassend und arrogant. Selbst wenn die beiden sich in deren Heimatländern befinden. Da wird einem Inder die Vorzüge seines Erzfeindes Pakistan angepriesen, garniert mit Buddhas Weisheiten. Interkulturelle Kompetenzen? Da haben Öllers und Niederländer bei der Schulung gefehlt. „Zeit der Kannibalen“, die Inszenierung des freien Theaters glassbooth unter der Regie von Julie Stearns, präsentiert eine gelungene Theaterversion des gleichnamigen Films von Johannes Naber. Ein Bericht von der Premiere am 07.05.16.

Zur Geschichte: Öllers und Niederländer sind zwei Unternehmensberater, die um die Welt reisen und Geschäfte machen. Ihren einheimischen Gesprächspartnern begegnen sie mit Herablassung und einer gewissen Herrenmenschenattitüde. Kompliziert wird es, als Bianca März (Alexandra Schlösser) zu ihnen stößt. Die junge Unternehmensberaterin hat aber ein Geheimnis.

Das Theaterstück entwickelt schon zu Beginn eine sehr hohe Intensität und wird mit live gespielten Trommeln wunderbar ergänzt. „Zeit der Kannibalen“ zeigt auf entlarvende Weise, was die Kombination Gier und Überheblichkeit aus Menschen machen kann. Die Arroganz der beiden Hauptfiguren ist förmlich greifbar und man bewundert die stoische Ruhe, mit der der indische Geschäftspartner (Sascha Zinflou) auf die herablassenden und provokativen Sätze der beiden Unternehmensberater reagiert, selbst als ständig das Handy von Öllers klingelt. Auch wenn dieser Teil überwiegend auf Englisch gesprochen ist, beinahe jedem wird klar, dass die beiden nicht nur in jedes Fettnäpfchen treten, sondern sogar noch welche suchen.

Das Bühnenbild wechselt zwischen Hotel- und Konferenzzimmer. Die kleinen Umbauten wurden von den Nebendarstellern Elikem Anyigba (Hotelpage) und Saghar Seyedloo (Zimmermädchen) auf kurzweilige Art vorgenommen. Da alle drei in den gleich aussehenden weltweiten Hotelketten absteigen, sehen die Zimmer auch gleich aus. Keinerlei Individualität, keinerlei Beeinflussung durch kulturelle Eigenarten. Für den Neurotiker Niederländer sicher ein Vorteil, so weiß er beispielsweise immer, wo der Lichtschalter ist.

Dabei gelingt es Stearns, die beiden Figuren zwar ein wenig zu überzeichnen, aber nicht bloßzustellen. März hingegen ist die junge Idealistin, die Öllers und Niederländer vielleicht früher auch waren. Doch die Jagd nach den Dollar-Zeichen hat die beiden abgestumpft. So sind sie blind für die Fallstricke, die ein neues Angebot für sie bereithält.

„Zeit der Kannibalen“ ist ein aktuelles und ein politisches Stück. Es zeigt (ohne schwarz-weiß Denken) nicht nur die Fratze des Kapitalismus, sondern auch was mit den Menschen passiert, die für ihn quasi an vorderster Front kämpfen. Verroht und neurotisch entscheiden sie über das Schicksal von 10.000 Menschen, um nach einigen Tagen zur nächsten Schlacht zu fliegen. Bevor sie als „nützliche Idioten“ selber geopfert werden.

Ein großes Lob an alle Beteiligten für einen sehr emotionalen Abend.

Mehr Informationen unter www.glassbooth.de

Am Abgrund des Kapitalismus

Aus Kapitalismus und Rassismus machte Johannes Naber 2014 den bitterbösen Film „Zeit der Kannibalen“. Das Kammerspiel war wie geschaffen für ein Theaterstück und so schrieb Naber selbst das Drehbuch um. Die freie Theatergruppe „glassbooth“, bekannt durch ihre schwarzhumorigen Produktionen, setzt dieses Stück nun am 07. und 08. Mai im Theater im Depot in Szene.

Die Handlung: Die beiden Unternehmensberater Öllers und Niederländer reisen im Auftrag der „Company“ in Schwellenländer, um dort Firmen abzuwickeln oder Millionen zu investieren. Die einheimischen Geschäftspartner und die Hotelangestellten werden von oben herab behandelt. Als plötzlich eine neue Kollegin ins Spiel kommt, kommt Misstrauen auf. Wer spioniert hinter wem? Wem kann man trauen? Und plötzlich fallen Schüsse…

Das Stück ist ideal für ein Theater, weil es eigentlich nur in Hotelzimmern oder Konferenzräumen spielt und die sehen in internationalen Hotelketten nahezu gleich aus. Dass die Hauptfiguren ihr Hotelzimmer kaum verlassen, ist ein Symbol. „Sie haben Angst vor dem Andersartigen“, erklärt Sternes. So kann die amerikanische Regisseurin Julie Sternes langsam das Damoklesschwert über die drei Hauptakteure baumeln lassen. Denn durch ihr arrogantes Verhalten „erschaffen sie eine Zeitbombe“, so Sternes. „Das Stück ist Kritik am Kapitalismus, darüber, was wirklich bei der Globalisierung passiert“.

Die drei Hauptrollen spielen Jens Dornheim, Dietmar Meinel und Alexandra Schlösser, doch die Nebenfiguren sind sehr international und stammen aus dem Iran und Togo. Hinzu kommt die Regisseurin Julie Stearns (USA). Daneben gibt es Livemusik, die mit fremdartigen Tönen das Spiel unterstützt.

Für Jens Dornheim, der eigentlich seit 2013 nur noch Regie geführt hat, ist es eine kleine Umstellung, wieder auf der Bühne zu stehen: „Es ist ungewohnt, wieder mehr Text zu lernen“. Die Schauspieler stammen nicht nur von glassbooth, sondern auch von „Only connect!“, der Gruppe von Regisseurin Stearns.

Nach den beiden Dortmunder Auftritten wird die neue Produktion „Zeit der Kannibalen“ auch in anderen Städte wie Bochum oder Düsseldorf aufgeführt werden.