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Sensibles Melodrama um Enoch Arden

Im Studio des Schauspiels Dortmund hatte „Enoch Arden“ (nach dem Versepos von Alfred Tennyson aus dem Jahre 1864) in der Inszenierung von Bjarne Gedrath am 23.02.2020 seine Premiere. Die Vertonung von Richard Strauss (1897) wurde von Oliver Siegel mit seinen musikalischen Arrangements frei adaptiert und als atmosphärische Begleitung auf die Bühne gebracht.

Viele kleine Deckenlampen wurden der Stimmung angepasst und jeweils ein oder ausgeschaltet. Auf der Bühne wurde ein mit etwas Wasser gefülltes niedriges schwarzes Wasserbassin angelegt. Auf einer Pritsche lag Enoch Arden (gespielt von Uwe Rohbeck). Das Wasser im Bassin stand symbolhaft für das Leben des Seemanns Enoch Arden.

Kurz vor seinem Tod zieht das Leben vom Seemann und Fischer Enoch Arden noch einmal an ihm vorbei. Seine Geschichte ist nicht nur tragisch für ihn, sondern sie betrifft auch in einem großen Maße seine große Liebe Annie (gespielt von Marlena Keil) und seine Kinder. Beide kannten sich schon seit Kindestagen und waren gut befreundet mit Philipp, den Sohn eines Müllers. Im Kampf um die Zuneigung und Liebe zieht der schüchterne Philipp den kürzeren. Enoch Arden und Annie heiraten und bekommen drei Kinder. Nach einem Unfall fürchtet der Protagonist, seine Familie nicht mehr genügend finanziell unterstützen zu können. Seine Kinder sollen es doch einmal besser haben. Er beschließt, mit einem Handelsschiff auf eine längere Reise in ferne Länder zu schippern und so viel Geld zu verdienen. Seine Frau kommt mehr schlecht als recht über die Runden.Ihr kaufmännisches Geschick, die Hoffnung, dass er schnell heimkehrt zerschlägt sich, als er auf einer Insel im Nirgendwo strandet und allein überlebt. Ganze zehn Jahre ist er verschollen. Die Stimmung der verzweifelte Annie wechselt zwischen Hoffen und Bangen. Das dritte kränkelnde Kind stirbt. Der finanziell gut stehende Philipp bietet an, die Schulbildung der Kinder von Annie zu finanzieren. Nach langen Zögern gibt Annie dem Liebesdrängen von Philipp nach und heiratet ihn schließlich. Die beiden bekommen auch noch einen Sohn. Doch dann kehrt Enoch Arden in seine alte Heimat zurück und muss eine schwere Entscheidung treffen…

Enoch Arden (Uwe Rohbeck) möchte sich seiner Annie (Marlena Keil) nicht offenbaren. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Enoch Arden (Uwe Rohbeck) möchte sich seiner Annie (Marlena Keil) nicht offenbaren. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Marlena Keil und Uwe Rohbeck gelang es wunderbar, die Gefühlslagen von Annie und Enoch gegenüber zu stellen. Die tiefe Einsamkeit, Liebe, Hoffnung und Verzweiflung aus beider Sichtweisen und Erlebnissen prallen aufeinander. Arden wollte das Beste für seine Familie und glaubte daran, schnell zu ihr zurück zu kommen. Sie hatte über viele Jahre die Ungewissheit über das Schicksal ihres Mannes und die Verantwortung für ihre Kinder zu tragen. So ähnlich erging es wohl den Frauen nach den Kriegen, wenn sie nicht wussten, ob ihre Männer noch lebten und jemals nach Hause kommen würden.

Die Text aus dem 19. Jahrhundert waren von eindringlicher Kraft und wurden oft vom Textblättern, die aus einer alten Schreibmaschine gezogen wurden, vorgelesen (und im Wasser versenkt). Trotz seines gebrochenem Herzen war Enoch am Ende das Glück von Annie wichtiger als sein eigenes.

Gelegenheit, dieses Stück im Studio zu erleben, gibt es noch am 28.02.2020 und am 06.03.2020 jeweils um 20:00 Uhr.

Infos gibt es wie immer unter www.theaterdo.de oder tel.. 0231/50 27 222

Laurel und Hardy Momente bei „Warten auf Godot“

Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber die Wikipedia behauptet, dass Samuel Beckett an Stan Laurel und Oliver Hardy gedacht haben soll, als er seine Hauptprotagonisten Wladimir und Estragon in „Warten auf Godot“ erschuf. Sieht man sich das Stück an, dann kann man durchaus diesen Gedanken durchaus etwas abgewinnen. Eine bekannte Schauspielriege hat schon mal die eine oder andere Rolle in dem Stück gespielt: Steve Martin, Robin Williams, Ian McKellen oder Patrick Steward. In der Dortmunder Inszenierung von Marcus Lobbes spielten Andreas Beck und Uwe Rohbeck die Hauptrollen.

Das Stück dürfte bekannt sein: Estragon und Wladimir warten auf Godot, der bekanntlich nicht kommt. Abends kommt ein Junge, der den beiden mitteilt, dass Godot heute nicht mehr kommt, aber morgen sicher. In die kleine Welt der beiden brechen zweimal Pozzo und Lucky ein. Pozzo (Martin Weigel) ist Landbesitzer, der Lucky (Christian Freund) wie einen Sklaven hält und ihn auch auf dem Sklavenmarkt verkaufen möchte. Luckys Funktion ist unter anderem für seinen Herrn zu denken, während Pozzo ihn herumkommandiert. Wie Wladimir und Estragon sind beide aufeinander angewiesen, vor allem im zweiten Akt, als Pozzo blind ist und Lucky stumm.

Daher gibt es die Interpretation, dass Pozzo und Lucky verstärkte Versionen von Wladimir und Estragon sind. Pozzo und Estragon sind beide impulsiv, wenn auch auf andere Art, ebenso sind Wladimir und Lucky beide die Intellektuellen, die ihre Partner stützen.

Wladimir, von Estragon auch Didi genannt, wurde von Andreas Beck dargestellt. Beck gelangen mehrere wunderbare Momente, die an Oliver Hardy erinnerten. Vor allem, wenn Waldemar so tut, als sei er der intellektuell überlegenere Teil des Duos. Uwe Rohbeck ist als Estragon, kurz Gogo, auch gut darin, den naiven, kindischen und vergesslichen Menschen zu spielen.

Die Kunst von Beckett ist es, hinter den beiden Menschen eine weitere Dimension zu kreieren. So ist Erstragon auch ein Poet, der aus seiner Erinnerung die Farben des Heiligen Landes beschreibt, während Wladimir, der Philosoph, sich die Frage stellt, warum nur ein Evangelist geschrieben hat, dass ein Schächer am Kreuz erlöst wurde, während die anderen drei, „die doch auch dabei waren“, es nicht berichteten.

Lucky (Christian Freund) und Pozzo (Martin Weigel) sorgen ein wenig für Unterhaltung beim Warten auf Godot von Estragon (Uwe Rohbeck) und Wladimir (Andreas Beck). (Foto: © Birgiti Hupfeld)
Lucky (Christian Freund) und Pozzo (Martin Weigel) sorgen ein wenig für Unterhaltung beim Warten auf Godot von Estragon (Uwe Rohbeck) und Wladimir (Andreas Beck). (Foto: © Birgiti Hupfeld)

Pia Maria Mackert hat den Protagonisten auf der Bühne knallbunte Kostüme verpasst, die ein klein wenig an die Renaissance denken ließen. Hüte mit schicken Federn und ordentliche Gewänder passten nicht so ganz zu den Landstreichern, die Wladimir und Estragon eigentlich sind.

Eine gute Idee war, dass Wladimir und Estragon langsam per Aufzug Stück für Stück aus der Versenkung auf die Bühne gehoben wurden. So wirkte es am Anfang, als ob die beiden in einem Graben säßen. Ansonsten war die Bühne mit Blättern übersät, im Hintergrund befand sich ein rundes Fenster, durch das man in den Weltraum schaute. Es wirkte ein wenig wie der Fensterblick aus dem Raumschiff Enterprise.

Regisseur Marcus Lobbes hat sich für seine Inszenierung noch etwas einfallen lassen: Im zweiten Akt singt Waldimir die Melodie von „Ein Hund kam in die Küche“, auch bekannt als „Mein Hut, der hat drei Ecken“. Schon in der Pause kam der Dortmunder Sprechchor in den Zuschauerraum samt vier verkleideten Schauspielern als Koch, Hund, Henne/Ei und Junge und sangen das Lied in Endlosschleife. Ebenso am Ende des Stückes. Der Dortmunder Sprechchor hat schon viele Stücke veredelt, doch hier wirkte es ein wenig aufgepropft.

Andreas Beck und Uwe Rohbeck harmonierten wunderbar zusammen. Die beiden wirkten tatsächlich im vielen Situation wie das berühmte Komikerpaar. Martin Weigel wirkte schon aristokratisch versnobt, während Christian Freund den Diener Lucky mit viel Energie spielte, vor allem zu sehen beim „Denkermonolog“.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de

Der Widersacher – wenn Lügengerüste in sich zusammenfallen

Im Studio des Dortmunder Schauspiel hatte am Sonntag, den 01.12.2019 „Der Widersacher“ nach dem gleichnamigen, auf einer wahren Begebenheit beruhenden, Roman von Emmanuel Carrère seine Premiere. Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Matthias Seier versuchten mit ihrer Inszenierung in die Hintergründe und psychologische Tiefen der realen menschlichen Tragödie eines spektakulären Mordfalls im Jahr 1993 in Frankreich zu blicken.

Manchmal, ganz selten, kann Hochstapelei zum Erfolg führen. Wer kennt nicht die Geschichte des aus dem Gefängnis entlassenen Schuster Voigt, der als „Hauptmann von Köpenick“ zum Held wurde. Doch die meisten Geschichten gehen schlecht aus. Meist enden sie im Gefängnis, aber keine endete so katastrophal wie die von Jean-Claude Romand.

Wie konnte der angeblich als Mitarbeiter in gehobener Position bei der WHO in Genf arbeitende, gutbürgerliche Familienvater Romand zu einem exzessiven Mörder seiner gesamten Familie samt Eltern und Hund werden? Wie konnte er sich über fast zwei Jahrzehnte ein Lügengerüst und Doppelleben aufbauen? Warum hatte keiner in der Familie oder Bekanntenkreis etwas bemerkt? Wieso musste es, von der ersten harmlosen kleinen Lüge angefangen, wie bei einem Kugelstoßpendel zur gewalttätigen Eruption kommen? Wie lange kann man Fassaden und Masken aufrecht erhalten? Die Grenzen zwischen „Real“ und „Fake“ verschwimmen.

Der Stoff ist gerade auch heute höchst aktuell und macht nachdenklich. Wie in der Inszenierung wörtlich ausgesprochen, wird Erfolg für viele Menschen zu einer neuen „Religion“ und gibt ihnen eine Art Daseins-Sinn.

Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Bühnenbild bot einen kleinen Einblick in die zerstörten, durch das nach seinen Taten von Romand in Brand gesetzten Wohnraum. Drei Trennwende im Hintergrund zeigten die verkohlten Überbleibsel des Wohnhauses, und in der Mitte des Raumes war auf schwarzen Sockeln Requisiten (Familenfoto, Geschirr, ein leicht verkohlter Teddybär u.s.w.) Die rechte Wandseite wurde für Videoprojektionen, wie etwa für das Gebäude der WHO oder den Jura-Wald u.a.) oder kurze Hinweise genutzt.

Die sieben Schauspieler*innen auf der Bühne versetzten sich stellvertretend für das Publikum in die beteiligten Personen, und versuchten das scheinbar Unerklärliche fassbar zu machen. Sie ließen die Entwicklungsgeschichte von der Kindheit Romands (und der anderen beteiligten Personen) bis zu der grausamen Tat mit eigenen Bemerkungen dazu Revue passieren, sowie deren möglichen Beweggründe und Persönlichkeitsstruktur zu analysieren.

Uwe Rohbeck spielte dabei sowohl den Part des recherchierenden Schriftsteller Emmanuel Carrère und am Ende den des Mörders Jean-Claude Romand (als in seiner Angst der Aufdeckung gefangenen Bär).

Alida Bohnen, Berna Celebi und Maximilian Ranft (Schauspiel studierende aus Graz) übernahmen den Part, der sich auf die Studentenjahre bezog oder den der Kinder von Romand.

Björn Gabriel, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Rohbeck übernahmen die Rollen von Freund Luc und Ehefrau in den Jahren vor und bis zu den Morden. Durch ihre stark gespielte Stellvertreterfunktion wurde es dem Publikum schwer gemacht, sich selbst unbeteiligt ruhig zurückzulehnen.

Unsicherheit, eigene „Widersacher“ (Teufel?) und Lügen, Scham, Ängste wurden ihm vor Augen geführt.

Eindrucksvoll war unter anderem der wütende Ausbruch von Marlena Keil als Florence Romand, die unbedingt eine „guten Auflauf“ aufbacken will, um wenigstens „etwas zu schaffen“. Bezeichnend für die problematische Sicht auf die Frauenrolle. Florene hat schließlich ein Studium der Medizin /Pharmazie abgeschlossen, arbeitet halbtags, hat zwei Kinder erzogen.

Es darf nicht vergessen werden, das vor allem Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wie das Stück auch zeigt, ist das Schweigen und verdrängen ein großes Problem. Ein nachdenklich machendes Stück, das seine lustigen Momente hatte. Besonders, wenn es um die kleinen menschlichen Schwächen ging.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50-27222.

Hedda Gabler – destruktiv aus Langeweile

Das hatte sich Hedda irgendwie anders vorgestellt: Die Ehe mit dem Gelehrten Jörgen Tesman ist nicht im geringsten aufregend, zumal seine Ernennung als Professor in den Sternen steht, die alte verschmähte Jugendliebe wird plötzlich erfolgreich und selbst einfältige Landfrauen wie Frau Elvsted begehren aus ihrer kleinbürgerlichen Welt auf. Für Hedda steht fest: The thrill is gone. Langeweile macht sich breit und diese Langeweile gebiert Monster. Um ihre bürgerliche Sicherheit und die positive Perspektive für ihren Ehemann zu erhalten, macht sich Hedda dran, Menschen zu manipulieren und zu zerstören. Sie schafft sie es nicht, sich zu emanzipieren und für ihre Jugendliebe Lövborg zu entscheiden. So endet sie schließlich tragisch. Regisseur Jan Friedrich durchbricht in seiner Inszenierung das naturalistische Stück und erzählt es als Art Seifenoper mit Lachern vom Band. Ein Premierenbericht vom 15. Februar 2019.

Die literarische Figut der Hedda Gabler von Henrik Ibsen kommt nicht gerade sympathisch daher. Sie hasst ihren Ehemann Jörgen und seine Tante Julle, ist eifersüchtig auf ihre Bekannte Thea Elvsted, da sie zusammen mit Heddas Jugendliebe Lövborg ein neues Leben plant. Daher versucht sie das Leben von Lövborg und Thea zu zerstören. Nebenbei hat sie noch ein Verhältnis mit dem Hausfreund Brack. Auf einer Sympathieskala von 0 bis 10 würde sie wahrscheinlich im Negativbereich landen.

Das große Problem von Hedda ist, dass sie aus einer gutbürgerlichen Schicht (sie ist die Tochter eines Generals) durch die Heirat mit Jörgen Tesman in die Kleinbürgerlichkeit abgestiegen ist. Ihre einzige Hoffnung ist, dass ihr Mann eine Professorenstelle bekommt und dadurch ihr sozialer Status wieder steigt. Doch mittlerweile hat sich in ihrem Leben die Langeweile breit gemacht.

Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)
Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)

Friedrich inszeniert das Stück in zwei Ebenen. Die erste ebene ist durch Künstlichkeit geprägt und findet in einer sauberen „Barbie und Ken“-Welt statt. Hier tragen die Schauspieler Puppenmasken werden von externen Kolleginnen und Kollegen quasi „synchronisiert“. Wie in einer Seifenoper – inklusive Lacher vom Band – wird die scheinbar heile Welt, in der es keine Konflikte gibt, dargestellt. Doch wehe, wenn die Masken fallen.

Bettina Lieder als Hedda Gabler hat einen schweren Job und sie meistert ihn vorzüglich. Denn neben der oberflächlichen Barbie-Hedda, muss sie auch die intrigante Hedda zeigen. Sehr eindringlich gelingt ihr das beim Quälen von Thea Elvsted. Keine Angst, hier wurde Thea durch eine Puppe gespielt.

Hedda hat es mit sehr schwachen Männern zu tun. Ihr Ehemann Jörgen (gespielt von Ekkehard Freye) ist ein Bücherwurm par exellance und ganz in seiner Kleinbürgerlichkeit gefangen. Er setzt seine Frau mit seinem Kinderwunsch unter Druck und bemerkt nicht, dass er keinen richtigen Kontakt zu ihr bekommt. Eine typische Szene ist, als Jörgen sich freut, dass Tante Julle ihm seine Pantoffel mitgebracht hat. Er ist halt ein echter „Pantoffelheld“. Hedda nennt sie ihm am Anfang des Stückes konsequent „Herr Tesman“. Doch ihre Manipulationen führen nicht zum gewünschten Erfolg, auch Lövborg nimmt ḱeinen „schönen Tod“. In letzter Konsequenz tötet sich Hedda selbst. Tod durch Langeweile.

Ejlert Lövberg (gespielkt von Christian Freund) könnte zum Held des Stückes werden, ja wenn er etwas gefestigter im Leben wäre. Er verachtet Thea Elvsted, obwohl sie für ihn ihren Mann verlassen will und ihn von seinem Alkoholismus befreit hat. Doch leider ist er standhaft wie ein Kartenhaus und unter Heddas Einfluss beginnt er wieder zu trinken und verliert das Manuskript seines kommenden Buches.

Den schmierigen Charakter Brack spielt Uwe Rohbeck. Brack ist ein Mensch, der genau weiß, wo und wie er einen Vorteil bekommt. Er erkennt sofort die Differenzen zwischen Jörgen und Hedda und nistet sich als Liebhaber ins Hause Tesman ein. Darüber hinaus bekommt er mit wie Hedda das Manuskipt von Lövborg vernichtet.

Jetzt könnte man sagen, Hedda ist eine starke Frau, die sich gegen drei schwache Männer durchsetzen muss, aber leider behandelt sie ihre Geschlechtsgenossin Thea Elvsted (Alexandra Sinelnikova) genauso mies. Thea wird als Gewinnerin aus der Geschichte herausgehen, denn sie hat als einzige den Mut, sich aus der kleinbürgerlichen Ehe zu emanzipieren. Sie verlässt ihren Mann und wird höchstwahrscheinlich mit Jörgen zusammenkommen, da die beiden an den erhaltenen Notizen von Lövborg weiterarbeiten werden.

Bleibt als weitere Figur Tante Julle (Marlena Keil). Die Ausgeburt der Kleinbüprgerlichkeit und dient quasi als Sidekick für die Inszenierung. Sie opfert ihr Leben und ihr Geld wie selbstverständlich für ihren Neffen und lässt sich auch durch Heddas Verachtung nicht aus der Ruhe bringen.

Sicher, die Inszenierung eines Stückes aus der Zeit des Naturalismus mit Barbie-Puppen und Lachern aus dem Off wird nicht jedem gefallen. Doch es zeigt sehr gut die Künstlichkeit, die sich hinter der Fassade versteckt. Bettina Lieder ist mit ihrer Präsenz und Wandelbarkeit eine nahezu perfekte Hedda, ebenso in ihren verletzlichen wie boshaften Momenten.

Infos über weitere Termine und Karten gibt es unter www.theaterdo.de

Tartuffe oder der Wolf im Schafspelz

Eigentlich erstaunlich, wie aktuell Molièrs „Tartuffe“ immer noch ist. Immer noch lassen sich Menschen von anderen leicht übers Ohr hauen, trotz allen Warnungen der Umstehenden. Eine der realen Figuren war beispielsweise Rasputin, der die Familie des letzten russischen Zaren lange unter Kontrolle hatte. Was Rasputin und Tartuffe gemeinsam haben: Sie versuchen mit der Religion die Leute zu beherrschen. Das Schauspielhaus Dortmund präsentierte am 01.12. 18 eine frische und freche Variante von „Tartuffe“ unter der Regie von Gordon Kämmerer.

Ganz in Weiß: Tartuffe hat schon die gesamte Familie von Orgon unter seine Fittiche und hat sie wie damals die Bhagwans uniformiert, aber halt im unschulduigen Weiß. So stehen sie zusammen und proben tanzend ihren Aufstand: Mariane, die Tochter Orgons (Merle Wasmuth), Damis, sein Sohn (Christian Freund), Orgons Ehefrau Elmire (Bettina Lieder), Organs Bruder Cléante (Ekkehard Freye) und das Dienstmädchen Dorine (Marlena Keil).

Nur Orgons Mutter Pernelle (Uwe Schmieder) und natürlich Orgon (Uwe Rohbeck) selbst sind zu 1000 Prozent von Tartuffe (Björn Gabriel) überzeugt. Und so geht das Unglück seinen Gang, denn Orgon verspricht Tartuffe erst die Hand seiner Tochter und dann überschreibt er ihm auch noch sein Vermögen.

Während Orgon (Uwe Rohbeck oben auf dem Wohnwagen) zu lange an Tartuffe festhält, hat seine Familie (Kevin Wilke, Merle Wasmuth, Christian Freund, Marlena Keil) den bBtrüger längst durchschaut. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Während Orgon (Uwe Rohbeck oben auf dem Wohnwagen) zu lange an Tartuffe festhält, hat seine Familie (Kevin Wilke, Merle Wasmuth, Christian Freund, Marlena Keil) den bBtrüger längst durchschaut. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Es ist wohl die Angst vor dem Tod oder die Suche nach dem Sinn des Lebens, was Orgon leichtgläubig macht. Er erkennt nicht, dass die frommen Sprüche von Tartuffe nur dazu dienen, ihn zu benebeln, während er Tartuffes Taten ignoriert. Was nicht in sein neues Weltbild passt, wird ignoriert. Es wird es einem Heuchler leicht gemacht, macht und Besitz zu erlangen. Er muss sich nicht besonders anstrengen.

Dass Molièrs Theaterstück nicht in der Katastrophe endet, hat einem „deus exmachina“ zu verdanken, in der Realität sieht es aber anders aus.Ich mag mir nicht vorstellen, wie viele Existenzen ruiniert wurden durch Betrüger, die den Menschen ihr Geld aus der Tasche zogen oder sie in seelische Not brachten (und dann finanziell ruinierten).

Daher ist das Stück auch keine Komödie und so wird es glücklicherweise auch nicht dargeboten. Ja, es gab wirklich komische Szenen, als Elmire so tut, als ob die den Schmeicheleien von Tartuffe nachgibt. Meistens bleibt einem das Lachen im Halse stecken, weil man weiß, überall lauern Tartuffes, deren Motto „Jeden Tag steht ein Dummer auf“ ihnen ein üppiges Einkommen generiert.

Das Dortmunder Ensemble, mit seinen alten und neuen Mitgliedern, ist zu einer starken Einheit zusammengewachsen. Gemeinsam mit ihren drei Gästen aus Graz (Bérénice Brause, Frieder Langenberger und Mario Lopotta) sowie dem Dortmunder Sprechchor boten sie eine glanzvolle Leistung.

Besonders zu würdigen war die Abschlusschoreografie der von Tartuffe erlösen Familie, die zeigt, dass tänzerisch ein großes Potential im Ensemble ist.

Wie kommt man an Karten? Entweder unter www.theater.dooder telefonisch unter 0231 502722

Humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Genre

Während Kay Voges uns am Vortag in die Parallelwelt entführte, schmiss Jörg Buttgereit die Zeitmaschine an und schickte die Besucher ins Italien der 70er Jahre: Im Studio des Dortmunder Schauspiels hatte am 16.09.2018 das neue Stück „Im Studio hört dich niemand schreien“ von Jörg Buttgereit und Anne-Katthrin Schulz (frei nach Argento und Strickland) Premiere.

Es war nicht nur eine respektvoll-humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Slasherfilm der 70-iger Jahre (insbesondere auch Peter Stricklands Giallo-Hommage „Berberian Sound Studio“, Pychothriller 2012).Zugleich erfährt das Publikum etwas über das „Making of“ dieser Filme und bekommt auch kleine Einblicke in das Genre in den 1970-iger Jahren über eingebaute Textpassagen beispielsweise aus „The Sinful Dwarf (Vidal Raski 1973) oder etwa Argentos „Vier fliegen auf Grauen Samt“ (1971).

Bühnenbild und Kostüme im Studio wurde in akribischer Arbeit von der gelernten Architektin Susanne Priebs dem Interieur im Jugendstil und Art Déco und der Mode des Italien um 1976 nachempfunden. Jedes Detail sollte stimmen. Ob es das Telefon mit der Wählscheibe, ein altes Ton- Aufnahmegerät, das Mobiliar oder die schwarzen Mäntel, Perücken und Kleidung der Frauen, Koteletten und Schnauzbart des Sohnes und vieles andere mehr.

Die ZuschauerInnen und ZuhörerInnen tauchen quasi ein in das Jahr 1976 und dem Tonstudio (Sound Studio) von Regisseur Dario Winstone( der Vorname weist natürlich nicht zufällig auf Dario Argento hin) und seiner Familie sowie Synchronsprecherin und Mitarbeiter im Hintergrund.

In diese spezielle Welt hinein stößt Geräuschemacher Maximilian Schall, der das frisch abgedrehte Filmmaterial von Winestone nachvertonen soll. Er war bisher nur für die Vertonung von harmlosen Naturfilmen mit Tieren verantwortlich und weiß nicht so recht, was ihn erwartet.

Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.
Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.

Uwe Rohbeck, schon oft in Buttgereit-Stücken (zum Beispiel „Elefantenmensch“) zu bewundern, schlüpft wieder einmal meisterhaft in die Rolle des kleinen, verschüchtert wirkenden Geraüschemachers mit Schiebemütze, der Briefe von seiner Mutter zugeschickt bekommt.

Man merkt ihm deutlich an, wie unwohl er sich dabei fühlt, einen gewalttätigen Horrorfilm nachzuvertonen. Er fühlt sich in dem Genre unwohl, gibt aber sein Bestes.

Das Publikum sieht nicht den Film, sondern hört nur die Szenen-Einspielungen mit den Synchronsprecherinnen und später noch Sprecher. Der Horror spielt sich im Kopf ab.

Die geben alles, um das Geschehen mit lautem Schreien, Stöhnen und ihrer Sprache akustisch glaubhaft darzustellen. Maximilian Schall macht mit verschiedensten Requisiten, unter anderem Gemüse ( etwa Kohlkopf, Wirsing, Wassermelone) in das er herzhaft mit einem großen Messer hinein sticht, einem Handschuh aus Leder, Papiere und Folien zum Reißen für jede Situation das passende Geräusch. Er steigert sich nach und nach hinein.

Als „Running Gag“ läuft er immer vergeblich der Erstattung seiner Auslagen für den Flug von Deutschland nach Italien. Eine kleine Spitze gegen das Kunstverständnis (Kunst als ehrenvolle Aufgabe, die man eigentlich nicht mit Geld vergüten muss).

Ekkehard Freye spielt mit viel Spaß den von sich eingenommenen sexistischen Macho-Regisseur Dario Winestone, der (wie eben Argento) einen ästhetisch hohem Niveau und mit stilistischen Anspruch an seinen spektakulären Inszenierungen voll Gewaltexzessen, qualvollen Vergewaltigungen bis hin zum Mord.

Während Eva Leone (Marlena Keil) auch so ihre Schwierigkeiten hat, kennen sich die Tochter Asia (Alexandra Sinelnikova) und Dario Winestones zweite Frau Janet Lee Curtis (Caroline Hanke) mit den Giallo-Filmen gut aus. Caroline Hanke spielt die Janet mit schwarzer Langhaar-Perücke als selbstbewusst scheinende Domina, die hinter ihrem Mann steht. Marlena Keil als Eva Leone begehrt nach und nach gegen den sie sexuell ausnutzenden Winestone auf. Bei einen spektakulären Spagetti-Essen während einer Pause werden die verschiedenen Ansichten der einzelnen Familien-Mitglieder deutlich. Die Tochter Asia verachtet ihren sexistischen und Macho-Vater mit seinen Gewaltfantasie-Filmen. Sohn Rock Hamond träumt von zukunftsweisenden Filmen wie etwa Kubricks „2001 – Odysse im Weltraum“ mit dem klügsten Computer der Welt „Hal 9000“.

Selbstverständlich streut Buttgereit auch einige Zitate und Anspielungen aus anderen Filmen ein. So träumt Winestone von einem Film, in dem die Verbrechen schon vor der Tat verhindert werden (Minority Report“). Das Motiv von „Vier Fliegen auf grauem Samt“ , bei der das letzte vom Opfer gesehene Bild den Mörder überführt und Janet spricht in ihrer Rolle als Hexe die Wörter „Klaatu Verata Nektu“ richtig aus, anders als Ash im zweiten Teil von „Tanz der Teufel“.

Am Ende verschwimmen die grenzen zwischen der Schattenwelt des Film-Kunstwerks zwischen Leben und Tod und der Realität.

Ein aufregender Theaterabend mit dem Dreamteam Buttgereit und Rohbeck und eine gelungene Hommage an das Filmgenre „Giallo“.

Bedeutend für die atmosphärische Begleitung des Stückes war das ausgezeichnete Sound Design von Frank Behnke und die Dramaturgie von Anne-Kathrin Schulz und Michael Eickhoff.

Weiter Aufführungstermine: 20.09.2018 um 20.00 Uhr, 06.10.2018 (20:00 Uhr), und 28.10.2018 um 18:30 Uhr. (15,- Euro).

Weitere Informationen und Karten unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222

Wie hitlert man am besten oder ist Opas Theater tot?

„Was wollte der Regisseur uns damit sagen?“, „Viel zu viel Technik und Video“ oder „Müssen immer alle nackig sein?“ Wenn Theaterbesucher eine – sagen wir mal – ausgefallene Interpretation eines bekannten Werkes erleben, fallen danach im Foyer diese oder ähnliche Sätze. Wie muss denn beispielsweise ein Hamlet gespielt werden? So wie im Original? Als Parodie? Oder mal als Frau besetzt?

„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ von Theresia Walser in der Inszenierung von Thorsten Bihegue ist eine Komödie für Theatergänger, in der die unterschiedlichen Positionen, wie Theater denn gemacht werden sollte, aufeinander prallen. Und das ausgerechnet an einer Person, die unspielbarer nicht vorzustellen ist: Hitler. Ein Premierenbericht vom 25.Mai 2018 aus dem Studio des Schauspielhauses Dortmund.

Die Situation: Drei Personen warten in einem ominösen Raum auf ihren Auftritt. Franz Prächtel (Uwe Rohbeck), Peter Soest (Ekkehard Freye) und Ulli Lerch (Alexandra Sinelnikowa). Prächtel ist Schauspieler alter Schule, dessen Präferenz eindeutig die Werktreue ist. Er ist der Figur des Bruno Ganz angelehnt, der Hitler in „Der Untergang“ versucht hatte, extrem naturalistisch zu spielen und sogar Hitlers Parkinsonsche Zittern studiert hat. Soest hat ebenfalls Hitler gespielt, aber eher in einer parodistischen Weise, um die Unspielbarkeit darzustellen. Lerch ist weiblich und hat es nur bis zum „Goebbels“ geschafft. Sie kommt aus dem modernen Regietheater, bei dem alte Zöpfe abgeschnitten werden und auch Frauen in typischen Männerrollen agieren.

Ulli Lerch (Alexandra Sinelnikova) in der Defensive. Prächtel (Uwe Rohbeck) und Peter Soest (Ekkehard Freye) nehmen ihre ideen vom Regietheater auseinander. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Ulli Lerch (Alexandra Sinelnikova) in der Defensive. Prächtel (Uwe Rohbeck) und Peter Soest (Ekkehard Freye) nehmen ihre ideen vom Regietheater auseinander. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Aus diesen unterschiedlichen Auffassungen von Theater entwickeln sich abstruse Dialoge, die auf köstlicher Weise die Klischees bloßlegen. Wenn beispielsweise Lerch erzählt, bei der nächsten „Hamlet“ Aufführung, sei sie einer von sieben „Hamlets“, die auf der Bühne stehen, dann geht ein Grinsen durchs Publikum, denn fast jeder hat so eine „moderne Inszenierung“ bereits erlebt.

Rohbeck ist der Star des Abends. In seiner weißen Paradeuniform reagiert er zunächst nur mit seinem Minenspiel auf die Thesen seiner jungen Kollegin, um dann im Laufe des Stückes immer mehr die zu einem Hitler-Imitat zu mutieren. Seine Bissigkeit gegenüber dem Regietheater bleibt aber bestehen.

Rohbecks Kollegen stehen ihm aber nicht nach: Freye ist ein einer Phantasieuniform gekleidet, die angelehnt ist an Helmut Berger in der Verfilmung von „Salon Kitty“: Eine Art Superheldenkostüm für die SS. Sein Charakter Soest ist sehr opportunistisch. Er gibt Prächtel recht, einige Augenblicke später dann wieder Lerch. Soest alias Freye darf gegen Ende des Stückes auch ein Lied zum besten geben: als Hitler in rosafarbenen Fellstrumpfhosen mit Blumen in der Hand.

Sinelnikowa spielt die Repräsentantin des „modernen Theaters“, das von Prächtel nicht ernst genommen wird. Lerchs These ist „Opas Theater ist tot“. Dabei hat Lerch am eigenen Leib gespürt, dass die unbedingte Freiheit der Kunst, Grenzen gesetzt bekommt, wenn plötzlich Morddrohungen auftauchen.

Alles in allem ist „Ein bisschen Ruhr vor dem Sturm“ eine wunderbare Komödie über das Theater und seine Marotten. Im Laufe des Stückes geht es mehr darum, wie Theater in der Zukunft funktionieren soll und welche Tabus es gibt, als um die Frage wie man Hitler richtig darstellt. Wer sich generell für das Theater interessiert, sollte das Stück besuchen. Rohbeck, Freye und Sinelnikowa sind großartig und der Kostümbildnerin Mona Ulrich gehört ein ganz dickes Lob.

Weitere Informationen unter www.theaterdo.de

 

Die Schöpfung – eine Inszenierung „Next Generation“

Im Schauspiel Dortmund hatte am Samstag, den 07.04.2018 die „Schöpfung“ nach Joseph Haydn (Text Gottfried van Swieten) unter Verwendung von Szenen aus „Die Ermüdeten“ von Bernhard Studlar, Stanislaw Lem, Goethes Faust, Richard Dawkins, der Bibel u.a. seine Premiere.

Die Regisseurin Claudia Bauer stellte in dieser spannenden Kooperations-Projekt zwischen Oper und Schauspiel dem bekannte Oratorium (Uraufführung 1798 Wien) von Joseph Haydn sozusagen ein existentialistische moderne „Next Generation“-Fassung der Schöpfung gegenüber. Das Oratorium dient als Folie für Gegenwart und Zukunft mit Blick auf die Potentiale und Gefahren einer einer digitalen Schöpfung.

Beteiligt an diesem Projekt waren als Opernsänger Maria Helgath (Sopran) als Engel Gabriel, Ulrich Cordes (Tenor) als Engel Uriel und Robin Grunwald (Bass) als Engel Raphael mit ihren starken Stimmen. Begleitet wurden sie am elektronischen Piano und Cembalo von Petra Riesenweber und mit Live-Musik gestaltet von Tommy Finke (T. D. Finck).

Die sechs Schauspieler des Dortmunder Ensembles (Ekkehard Freye, Björn Gabriel, Frank Genser, Marlena Keil, Bettina Lieder und Uwe Rohbeck) agierten sowohl in den Räumen einer fantastischen Drehbühne, wie auch über eine Bildschirm übertragen und auf der Bühne.

Im Prolog stellten sie sich als Maschine die „Vernunft“, aber keine vernünftige Person ist.

Der gesungenen Schöpfungsgeschichte stellen sie die digitale Schöpfung mit gewaltigen Bildern der sozio-kulturellen Entwicklungsgeschichte gegenüber.

Als Person (Schauspieler) wurden sie durch verschiedene Masken und Kostümierungen verfremdet. Dabei blieben sie eindrucksvoll in ihren maschinelle Bewegungen und ausdrucksstarken Darbieten der Zitate. Dabei wurden auch aktuell diskutierte politische Fragen wie etwa um das bedingungslose Grundeinkommen eingebaut. Der Mensch als defektes Wesen dargestellt, das durch seine individuellen Persönlichkeiten zur Zerstörung und dem Untergang geweiht ist. Die Freiheit ist größer als die Vernunft, mit der die Menschen nicht umgehen können.

Parallel zu Haydns Schöpfung geht es bei der von der Maschine erzählten Geschichte mit dem Chaos am Anfang los, mit der Entstehung des Wetter, dem Phänomen Zivilisation, Entstehung der Arten, Kulturentwicklung, Ideologien und Religion. Der Mensch hat sich schließlich selbst zum „Gott“ gemacht und seine Welt der Zerstörung preis gegeben. Am Ende steht die Entwicklung vernünftiger und unpersönlicher Intelligenz.

Sänger und Schauspieler beim Prolog des Stückes. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Sänger und Schauspieler beim Prolog des Stückes. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Bauer arbeitet nicht nur mit eindringlichen visuellen Bildern, sondern verstärkt ihre Wirkung noch durch Wiederholungen (Loops) und Sprachverzerrung, ähnlich wie zum Beispiel Kay Voges bei seinem „Goldenen Zeitalter“. Dabei geht sie bis zur Schmerzgrenze. Schrill wird da schon mal unverständlich aneinander vorbei geredet, um zu verdeutlichen, dass nur die eigene Persönlichkeit mit ihrer Befindlichkeit im Mittelpunkt steht.

Eindrucksvoll der Dialog gegen Ende von Eva (Bettina Lieder) und Adam (Frank Genser). Eva, eine nach den Maßen von Adams Rippe als und unpersönliche vernünftige Maschine, und Adam geraten vor romantischem Hintergrund in einen Disput. Der entsetzte Adam will keine simulierte, sonder eine nicht planbare geheimnisvolle menschliche Liebe und das Recht aus seinen Kampf um Leben und Tod. Das wird aber laut Eva nicht möglich sein. Der Mensch zerstört seine Biosphäre und nur die Aufgabe der Persönlichkeit kann ihn retten.

Was bleibt dann aber von dem Individuum? Nur der Hunger und die Unersättlichkeit sind der einzige Berührungspunkt zwischen Mensch und „Maschine“.

Die Thematik des abends wurde schon von einigen Autoren und Philosophen behandelt. Zu 80% wurden Zitate aus Werken des polnischen Philosophen und Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem (1921-2006). Bedeutend sind dabei vor allem die Zitate aus seinem Buch „Also sprach Golem“. Der Titel spielt auf das Werk „Also sprach Zarathustra“ von Nietzsche an. Der von Menschen gebaute Super-Computer „Golem XIV“ in der Geschichte hat die Intelligenzbarriere durchbrochen und verfügt über eine eigenständige Vernunft. Lem weist hier auf die geistige Beschränktheit des sich als „Krone der Schöpfung“ betrachtenden Menschen hin, die tieferen Gründe der Natur zu erkennen. Der genetische Code hat gegenüber den aus ihm entstandenen Organismen eine evolutionär vorrangige Stellung ein. So heißt es in einem Zitat: „ Der Sinn Boten ist die Botschaft.“ Die Idee des dominanten Gensnahm der britische Biologe und Autor Richard Dawkins (*1941) in seinem Buch „Das egoistische Gen“ (1976) auf und führt die gesamte Entwicklung des Lebens auf die Selektion von Genen zurück.

Die „Schöpfung“ ist kein Oratorium mit Schauspiel und Haydn-Fans werden vielleicht enttäuscht sein, doch den Zuschauer erwartet ein bildgewaltiges, musikalisches Spektakel mit wunderbaren Sängern und engagierten Schauspielern.

Fieberträume eines Theatermachers

Ob die Frittatensuppe nicht gut war, die Staatsschauspieler Bruscon mehrfach herrisch vom Wirt des „Schwarzen Hirschen“ im Dorf Utzbach verlangt? Jedenfalls durchlebt er in fiebrigen Träumen die Aufführung seiner Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“ in immer groteskeren Formen. Thomas Bernhards Komödie „Der Theatermacher“ von 1985 nimmt den Theaterkosmos gekonnt auf Korn, Intendant Kay Voges verlagert die Geschichte nicht nur nach Westfalen, sondern fügt dem ganzen Geschehen noch eine Prise aktueller Zeitgeschichte hinzu Heraus kommt eine Komödie, die den Glanz und das Elend des Theaters auf den Punkt bringt. Ein Premierenbericht vom 03. März 2018.

Die Handlung ist einfach: Bruscon, seine Frau und seine beiden Kinder Ferruccio und Sarah, sollen im Gasthof „Schwarzer Hirsch“ in Utzbach seine Komödie „Das Rad der Geschichte aufführen“. Brsucon verlangt, dass der Wirt den Feuerwehrhauptmann davon überzeugt, für fünf Minuten das Notlicht zu löschen.

Eigentlich ist Bruscon (meist gespielt von Andreas Beck) ein hoffnungsloser Romantiker, der das Theater mit seiner Poesie und Schönheit gegen den Zugriff von Politik und Kommerz verteidigt. So muss seine Tochter öfter die Zeile „Wenn wir die Schönheit nicht besitzen und durch und durch ein kranker Geist und mittellos bis in die Seele sind“ rezitieren. Das ist eines der Kernsätze seines Strebens und an diesem Maß misst er alles um ihn herum.

Leider teilen nicht alle seine Leidenschaft und so wurde Bruscon vermutlich immer zynischer und ungenießbarer. Die Opfer seiner Laufen sind vielfältig: Da wäre zuerst einmal der Ort: Das Dorf Utzbach in der westfälischen Provinz. Alles hier ist schlecht und überhaupt die Westfalen: „An diesem Volk ist nicht das geringste mehr liebenswürdig“. Solche pauschalen Urteile sind ein Kernelement in Bruscons Redeschwall.

Neben dem Wirt, der stellvertretend für die Utzbacher Provinz steht, bekommen Frau und Kinder („Antitalente“) ihr Fett weg. Die Frau kann sich keinen Text merken und ist ähnlich schlecht als Schauspielerin wie die beiden Kinder.

Bruscon (Andreas Beck) lässt sich von seinen Kindern (Christian Freund und Xenia Snagowski) verwöhnen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bruscon (Andreas Beck) lässt sich von seinen Kindern (Christian Freund
und Xenia Snagowski) verwöhnen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Kay Voges hat den „Theatermacher“ stark bearbeitet. Aus dem ersten Teil hat er eine Art Loop gebaut, die Bruscon in verschiedenen Rollen wie in einem schlechten Traum erlebt. Mal ist er der Wirt, dann sein Sohn und die Aufführungen werden immer grotesker. So erlebt er (und die Zuschauer) sogar eine Operetten/Musical-Variante, in der ihn sein Sohn spielt. Das Bühnenbild erinnerte nicht zufällig an den Megastore, dem zwischenzeitlichen Ausweichquartier.

Natürlich gibt es viele Anspielungen auf aktuelle Geschehnisse im Theater. Im Rahmen der „#metoo“-Debatte wurde ja auch über Machtmissbrauch im Theater gesprochen. Die Anspielungen und Anzüglichkeiten waren vor allem am Anfang klar erkennbar. Ein weiteres Thema in Voges‘ Inszenierung waren die „Wutbürger“ und ihr Empörungspotenzial. Dank den Sozialen Medien kann sich jetzt jeder als Bruscon fühlen und gegen alles und jeden wettern und hetzen. Bloß keine Differenzierungen. Doch dann bleibt die Freiheit auf der Strecke. Wer keinen Gedankenaustausch mehr zulässt, sich immer stärker in seine Filterblase einschließt, nähert sich totalitären Systemen.

Auch wenn Andreas Beck hauptsächlich als Bruscon zu sehen war und Uwe Rohbeck als Wirt, spielten auch Christian Freund, Janine Kreß und Xenia Snagowski verschiedene Rollen und das mit Bravour. Freund zeigte bei der „Operetten-Version“ sein gesangliches Talent. Beck und Rohbeck waren (wieder einmal) ein kongeniales Paar. Das zeigte sich vor allem, als beide die Rollen tauschten und Rohbeck einen affektierten Bruscon spielte.

Ein großes Lob gehört auch Tommy Finke, der die Musik zur „Operetten-Version“ komponierte und natürlich Kay Voges, der es wieder einmal schaffte, 2:40 Stunden tiefgründige Unterhaltung zu bieten. Das Publikum dankte es allen Beteiligten mit lang anhaltendem Applaus.

Termine und Karten gibt es unter http://www.theaterdo.de

Eat the rich – auf österreichisch

Elendstouristen kommen in eine Kneipe, die es besonders in sich hat – voll mit Außenseitern und gescheiterten Existenten wie sie nur Werner Schwab kreieren konnte. Willkommen in der Wiedereröffnung des Studios des Schauspiel Dortmund, willkommen bei „Übergewicht, unwichtig: Unform“, ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab. Nehmen Sie etwas zu trinken und vergessen Sie Ihr Brot nicht.

Früher gab es in Dortmund die Kneipe „Bei Ernie“ direkt hinter dem Burgtor. Wenn man den Geschichten und Mythen glauben schenkt, dann war das kein Ort für Schicki-Micki-Menschen auf der Suche nach dem coolsten Elendstourismus. So einen Kneipencharme zauberte auch Johannes Lepper ins Studio, obwohl seine Kneipe (mit einem riesigen Bild der Schlacht von Austerlitz) ein wenig geräumiger Aussicht.

In der Kneipe befinden sich neben der Wirtin (Amelie Barth), der Kneipenphilosoph Jürgen (Uwe Rohbeck), das Pärchen Schweindi (Andreas Beck) und Hasi (Marlena Keil), der grobschlächtige Karli (Frank Genser) mit seiner Freundin Herta (Friederike Tiefenbacher) und Fotzi (Christian Freund).

Das Stück kreist im wesentlichen um die Unzulänglichkeiten der anwesenden Akteure. Der naive und linksliberale Jürgen versucht seine Los als einfacher Lehrer zu überspielen, Schweindi möchte mit Hasi ein Kind, ist aber impotent und pädophil. Hasi selber wurde als Kind von ihrem Vater missbraucht, wie sich gegen Ende des Stückes herausstellt.

Karli ist ein grobschlächtiger Mensch, der eine ziemlich kurze Zündschnur besitzt und seinen Frust gerne auch gewalttätig an seiner Freundin Herta ablässt. Herta selbst spielt die Rolle der Schmerzensmaria und hält dies geduldig aus. Fotzi hingegen ist eine Frau unbestimmten Alters, die durch ihr exhibitionistisches Verhalten versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zuziehen und Geld für die Musikbox zu schnorren.

Ein wesentlicher Bestandteil in den Werken Schwabs ist die Beschäftigung mit Nahrung. In „Übergewicht“ geht es besonders um das „Brot“, das für Schweindi einen sakralen Charakter besitzt. Jedoch immer mit einem aggressiven Unterton. So fährt er Karli mehrfach an: „Kriegsverbrecher, Brotbetrüger, Kriegsbetrüger, Brotverbrecher. Nie wieder erlangst du von mir eine Vergebung.“

Ein weiteres Merkmal der Schwabschen Sprache sind die teilweise vulgären Sprüche der Protagonisten, die aber durch hochgestochene Ausdrücke angereichert und dadurch konterkariert werden.

Die Ausdrucksweise mancher von Schwabs Figuren wirkt abgehärtet, ungebildet und arrogant, sogar vulgär. Sie überraschen gleichzeitig aber, in dem sie plötzlich einen hoch gestochenen Ausdruck verwenden, der man in demjenigen Milieu und von derjenigen Figur nicht erwarten hätte.

Schwabs Figuren träumen von einem einfachen, normalen Familienleben, sie sind aber nicht in der Lage, es zu verwirklichen.

Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund, Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)
Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund,
Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)

Im weiteren Verlauf kommen zwei Gäste (Edith Voges Nana Tchuinang und Raafat Daboul) in die Wirtschaft, die sich separieren und stumm bleiben. Langsam aber sicher ziehen sie den Unmut der anderen Gäste auf sich, die ihren persönlichen Frust und Neid auf die beiden Neuankömmlinge abladen bis es zum Mord und Kannibalismus kommt ähnlich im Film „Eat The Rich“. Dabei mutiert Herta, die als einzige nichts vom Menschenfleisch genommen hat zu einer Heiligen, um die alle Füße-küssend eine Prozession abhalten. Hier kommt die Auseinandersetzung mit Schwabs religiöser Mutter wohl zum Tragen.

Surreal wie bei Beckett wird es, wenn nach dem Aufräumen plötzlich wieder das Paar ins Wirtshaus einkehrt.

Das Gute an der Inszenierung von Lepper ist es, dass er den Figuren auch ein wenig Zeit zum Atmen gibt. Denn das Stück besteht nicht nur aus skurrilen Dialogen, die zum lachen sind, sondern auch ab und an aus sehr ernsten Teilen. Wenn beispielsweise Schweindi seine Verzweiflung klagt oder Jürgen seine Weltverbesserungsideen zum besten gibt.

Die Schauspieler tragen mit dazu bei, dass „Übergewicht“ eine rundum gelungene Inszenierung wird. Vor allem Beck, Genser und Rohbeck. Denn in dem Stück versuchen die männlichen Hauptfiguren ihre Dominanz unter Beweis zu stellen. Da sind die Frauen mehr oder weniger Staffage. Dennoch zeigen Keil (Hasi), Tiefenbacher (Herta) und Barth (Wirtin), dass sie den Männern durchaus Kontra geben können, wenn es auch für Herta danach schmerzhaft wird.

Eine Sonderrolle hat Fotzi, die von Christian Freund gespielt wird.

Eine Empfehlung für alle, die auf absurdes, surreales Theater stehen. Derbe Sprache und viel Blut auf dem Theaterboden. Alle, die das nicht stört, werden einen unterhaltsamen Abend bekommen.

Weitere Termine finden Sie unter www.theaterdo.de