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tt#14 8. Tag – Geständnisse von Bankern und Gewinner des Theatertreffens

Am Abschlusstag des NRW Theatertreffen 2014 boten das Theater Aachen im Studio des Dortmunder Schauspiels mit ihrem Stück „Das Himbeerreich“ von Andres Veiel unter der Regie von Bernadette Sonnenbichler eine bildhaft direkten Einblick in die Abgründe in die deregulierten Finanzmärkte unserer Zeit. „Himbeerreich“ ist übrigens ein von Gudrun Ensslin einmal während ihrer Gefängnishaft benutztes Synonym für den Kapitalismus.

 

Dem Publikum wurde beim Einlass auf einer die ganze Zeit gnadenlos laufenden „Schuldenuhr“ plastisch vor Augen geführt, in welchem Tempo die Verschuldung tatsächlich vor sich geht. Neben vier kleinen Tischen mit Rollstühlen als kalter Arbeitshintergrund waren auch vier „Goldbarren“ in einer Vitrine zu sehen. Eine Gitarre und Keyboard dienten der musikalische Untermalung. Zwischendurch benutzten die Schauspieler eine Tafel für anschauliche Darstellungen der komplexen und verwirrenden Zusammenhänge. Besonders witzig war, dass ab und an mit einer Fernbedienung „zurückgespult“ wurde und die Schauspieler dazu die passenden Bewegungen und Geräusche machten. Fast so echt wie auf einem Videoband.

 

Die Inszenierung war in acht Kapitel aufgeteilt. Zunächst wurde die Geschichte des Stück mit Video-Unterstützung durch einen SWR -Fernsehinterview mit dem Autor erzählt. Das Publikum erfuhr unter anderem so von dem „Schweigegelübde“, das den 25 Bankern aus Vorständen und Topmanagement Anonymität garantieren musste. Die sechs Schauspieler, darunter eine Frau, vereinten als fiktive Kunstfiguren mehrerer realer Personen.

 

Schnell ist klar, die Manager und Vorstandsmitglieder der Banken sind selbst gefangene eines Systems, dass sich vormacht, alles nur „to better the comfort of life“ zu machen. Es werden mit faulen Krediten und Versicherungen und Wetten auf Verluste kurzfristig exorbitante Gewinne gemacht, Risiken verschoben und kleingerechnet. Bis irgendwann das System zusammenbricht. Aber wie sagte einer Schauspieler so schön zynisch: „Sind ja alles nur Steuergelder“.

 

Besonders anschaulich machte die Aufführung die riesige Staatsverschuldung mit Reiskörnern im Vergleich zu anderen in verschiedenen Behältern. Die „faulen Kredite“ waren schön verpackt in einer Karton mit einem beruhigenden „Gütesiegel AAA“ der Rating-Agenturen. Rauchnebel aus dem Karton ließ sich aber nicht verdecken. Da stinkt etwas gewaltig.

 

Eine wichtige Rolle spielt die Politik. Nicht nur, dass sie den Bankern nicht auf die Finger schaut, sondern sie stachelt auch noch die Großmannssucht an. Deutschland soll ein internationaler Bankenplatz werden, daher muss eine transatlantische Zwangsehe über die Bühne gehen, koste es was es wolle. Selbst das Parlament soll sich „marktkonform“ verhalten. Dadurch macht sie sich aber erpressbar.

 

Warum bloß wird nur niemand wütend? Vielleicht weil sich niemand traut, vom Baum der Erkenntnis zu essen.

 

Danach fand die Preisverleihung statt. Den Jugend- und den Publikumspreis bekam „Die deutsche Ayşe. Den Preis für den besten Schauspieler erhielt Stefko Hunushevsky, den Ensemble-Preis ging nach Oberhausen für „Die Orestie“. Den Hauptpreis der Fachjury bekam „JR“ von den Wuppertaler Bühnen.

 

Die Redaktionsfavoriten „Minna von Barnhelm“ (Michael) und „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ (Lisa) hatten leider keine Chancen, aber wir sind auch nicht vom Fach.

 

Das wirklich gute Theatertreffen 2014 beendeten die Tiger Lillies mit ihrer großartigen Performance. Musikalisch angesiedelt in den 20er und 30er Jahren spielten sie Musik, die mal osteuropäisch, mal irisch, mal nach Brecht/Weill klang. Zuvor hatte der musikalische Leiter des Schauspielhauses, Paul Wallfisch, das Konzert eröffnet.

tt#14 7.Tag – Ayşe und Aischylos

Der 7. Tag des NRW-Theatertreffens präsentierte zum zweiten Mal einen Doppelpack. Zunächst zeigte das Theater Münster die „deutschen Ayşe“, ein Theaterstück basierend auf den Erfahrungen der ersten Generation türkischer Einwanderer, die Ende der 60er bzw. Anfang der 70er Jahre nach Deutschland kamen. Danach ging es zum Auswärtsspiel nach Oberhausen. Dort wurde „Die Orestie“ gezeigt.

 

Hinter den drei Geschichten der deutschen Ayşen steckten echte Erfahrungen dreier Frauen. Theater gewordene oral history. Sehr schön war es, als die Schauspielerinnen über ihre Hoffnungen und Vorurteile (Kartoffeln!) über Deutschland sprachen. Man merkte in jedem Wort, wie sehr sich die drei Frauen auf Deutschland freuten. Wie sie Sprachkurse belegten und sich integrieren wollten.

Doch die Enttäuschung lies nicht lange auf sich warten. Statt in eine Großstadt wie Istanbul kam man in die Schwäbische Alb, nach Menden oder nach Beckum. Hier waren die Frauen Fremde in einer Gesellschaft, die absolut kein Interesse an Integration hatte. Ganz im Gegenteil zu den Türkinnen.

 

Das Stück konzentriert sich ganz auf die erste Generation von Türken, die neugierig nach Deutschland gekommen ist. Die Herausforderungen der nachfolgenden Generationen wird nicht thematisiert.

 

Klasse war es, als sich die drei Schauspielerinnen zum Schluss auf Türkisch bei einem imaginären Abwerbungsbüro vorstellten.

 

 

In Oberhausen empfing uns ein beeindruckendes Bühnenbild. Eine Art schwarzer Zauberkasten nahm den größten Raum ein. Nach jeder Szene wurden die Wände herunter gefahren und auf einem Laufband gab es kurze Infos zum nächsten Geschehen. Nach dem Umbau wurden die Wände wieder hoch gefahren.

Der australische Regisseur Simon Stone präsentiert das antike Drama „Die Orestie“ von Aischylos als Art Familiendrama im US-Serienformat. Stone erzählt die Geschichte verkehrt herum und beginnt mit der Ermordung Klytaimnestra durch ihren Sohn Orest. In den weiteren Akten wird die Entstehung des Familiendramas, des „Fluches“ erzählt. Agamemnon erlaubt seiner Tochter Iphigenie den Selbstmord. Die Mutter von Iphigenie, Klytaimnestra, tötet deshalb ihren Mann Agamemnon.

 

Eigentlich wollte Aischylos mit seinem Drama erzählen, wie das System der (Blut-)Rache im antiken Griechenland durch ein Rechtssystem mit Gerichten verändert wurde. So bringt sich orest auch nicht um wie bei Stone, sondern wird vor Gericht gestellt und durchbricht so den kreislauf der Rache.

 

Stone bringt die Geschichte zwar sehr sprachgewaltig in die Moderne, lässt aber meiner Meinung nach den Kern des Dramas außer acht. Zumal ein paar Modernisierung zwar sehr effektvoll sind, so wird Iphigenie nicht geopfert, sondern Agamemnon besorgt ihr Gift für ihren Selbstmord, aber der tödliche Hass von Klytaimnestra auf ihren Mann nicht so ganz verständlich.

 

Was übrig bleibt ist eine sehr freie Interpretation, die in der Sprache der heutigen Zeit abgefasst ist. Smartphones, Google, Blogs und Facebook sind ebenso selbstverständlich wie populäre Serien wie „The Wire“ oder „Braking Bad“. Die Schauspieler machten einen exzellenten Job.

tt#14 5. Tag – Warum ist es am Rhein so schön?

Regisseur Nurkan Erpulat vom Düsseldorfer Schauspiel nimmt einen Ortswechsel vor: Er verlegt Ödön von Horváths Stück „Kasimir und Karoline“ passenderweise nach Düsseldorf. Statt beim Oktoberfest spielt die Handlung auf der Kirmes in den Rheinwiesen und aus einem Zuschneider wird ein Marketingmitarbeiter. Zu Horváths Zeiten hätte man sicher noch von einem Konflikt zwischen Klassen geredet, heute scheint der Begriff aus der Mode gekommen zu sein.

 

Die da oben gegen wir da unten. Oberschicht und Prekariat. Zwei Schichten, die nicht mehr miteinander, sondern nur noch übereinander reden. Wobei mit reden eher beschimpfen gemeint ist. Auf der einen Seite Unternehmer und Oberbürgermeister Rauch, der mit seinem Freund Staatsanwalt Speer die Oberschicht verkörpert. Rainer Galke spielt mit wahrer Freude den Rauch als rheinischen Sugardaddy, der überzeugt ist, mit Geld alles kaufen zu können. Brillant ist auch seine Kirmes-Eröffnungsrede, bei der er in echter Politikermanier über Sicherheit und Schuldenfreiheit seiner schönen Stadt schwadroniert.

 

Die Hauptfiguren Kasimir und Karoline gehen neben Rauch und Kasimirs Freund Merkl Franz (Taner Sahintürk) ein wenig unter, obwohl sie eigentlich den Kern der Handlung ausmachen. Denn es geht darum, dass die beiden einen schönen Tag auf der Kirmes verbringen wollen, Kasimir aber gerade seinen Job verloren hat. So empfindet er sich als minderwertig, kann seine Ängste aber nicht ausdrücken und verärgert so Karoline, die sich erst vom Marketingmitarbeiter Stürzinger und dann von Rauch und Speer aushalten lässt.

 

Karoline hat sichtbare Angst, dass sie Kasimir (vor allem durch seinen kriminellen Freund Merkl Franz) ins Prekariat zieht. Sie sucht ihren Platz in der Gesellschaft. Den kann ihr Kasimir nicht bieten, aber Karoline muss auch feststellen, dass die Oberschicht auch kein platz für sie ist. Zu steht am ende des Stückes ein Happy-End für Karoline und Störzinger.

 

Und Kasimir? Er erkennt, dass er Karoline das Leben, das sie führen möchte, nicht bieten kann, und lässt sie gehen. Mehr noch: Er schließt sich Erna, der Verlobten von Merkl Franz an.

 

Zum Bühnenbild: Das Stück beginnt vor einem reliefartigen metallenen Vorhang, vor dem die Eröffnungsrede stattfindet, danach gibt sie den Blick frei auf eine große Anzahl von Bierbänken, die eher nach München oder auf ein Dorffest passen, als auf die Düsseldorfer Kirmes. Zwischendurch hat Regisseur Erpulat die seltsame Idee, eine Art Kuriositätenkabinett auf die Bühne zu stellen. Kirmesboxer ok, aber warum die Schauspieler eine Ultrakurzversion von Hamlet auf die Bühne bringen müssen, bleibt unklar (vermutlich ist das eine interne Düsseldorfer Geschichte).

 

Musikalisch wurde einiges geboten, meist begleitet von einer Mini-Schützenkapelle (Bass, Trompete und Akkordeon). Christian Ehrich brillierte als Sänger(in).

 

Wie in Düsseldorf fiel Taner Sahintürk in der Mitte des Stückes aus seiner Rolle und ging ins Publikum. Waren die Fragen erst allgemein „Wie hat es Ihnen gefallen?“ oder „War es etwas zu brutal?“, ging es danach ans Eingemachte „Wieviel verdienen Sie?“ „Ist hier jemand arbeitslos?“ Sahintürk sammelte noch etwa 25 € ein und das Stück ging weiter.

 

Horváths Stück über die Angst vor dem Abstieg und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Sicherheit ist immer noch aktuell wie eh und je.

tt#14 4. Tag – It’s the economy, stupid!

Zurück in die 80er Jahre, in die goldene Zeit der Börsenspekulanten, Yuppies und als es modern wurde, mit allen Tricks Kohle zu machen. Wer erinnert sich nicht an Michael Douglas in dem Film „Wall Street“? Der Roman „JR“ von William Gaddis“ treibt diese Gier nach Geld auf die Spitze und lässt einen 11-jährigen Jungen zum Finanzmogul werden. Auf der Hinterbühne des Dortmunder Schauspielhauses inszenierten die Wuppertaler Bühnen am 16. Juni 2014 eine spannende Abrechnung mit dem Kapitalismus.

 

Was lernen wir? Selber arbeiten ist blöd, besser wäre es, wenn Geld für einen arbeiten würde, aber am besten ist es, wenn das Geld anderer Leute für einen selbst Profit abwirft. Nach dieser Logik Arbeit unser Anti-Held JR, der jede sich bietende Gelegenheit ausnutzt. Ein Schnäppchenjäger der übelsten Sorte und schon früh ein guter Manipulator. Er hätte es vermutlich auch in der Politik sehr weit gebracht. Die meiste Zeit des Stückes wirkt er ein wenig wie ein kindlicher Gustav Gans, dem der Erfolg quasi zufliegt.

 

Aber In dem Stück geht es nicht nur um die Perversion des „American Dreams“, der mit Leichtigkeit alteingesessene Unternehmen aufkauft, sie zerpflückt und die Reste gewinnbringend wieder verkauft. Ob die Arbeiter, die nicht mehr gebraucht werden, auf der Strecke bleiben, interessiert niemanden. Obskure Finanzpraktiken wie „Sale & Lease back“, die vermutlich kaum jemand durchschaut, werden in dem Stück ebenfalls thematisiert. Dieser Mechanismus der Wirtschaft, die völlig ohne Bewusstsein für ihr Tun agiert, ist das Hauptthema.

 

Doch bei „JR“ geht es auch um die Korrumpierung der Künstlergilde. Da unser JR mit 11 Jahren noch nicht geschäftsfähig ist, braucht er einen Strohmann. Den findet er im erfolglosen Komponisten Edward Bast, der sich erst wehrt, dann aber dem Glanz des Geldes nicht widerstehen kann. Auch ein erfolgloser Schriftsteller wird als PR-Mann engagiert. Erst zum Schluss, als sich das Finanzimperium von JR wieder in Wohlgefallen auflöst, versucht Bast JR die Schönheit der Musik anhand von Bachs Kantate zu vermitteln. „Muss es für alles eine Millionen geben“, wird einmal im Stück gefragt.

 

Marcus Lobbes, der für die Inszenierung verantwortlich ist, präsentierte einen alten Indianer „Smokey Bear“ als Erzähler, der natürlich auch alte Indianer-Weisheiten zum Besten gab wie beispielsweise die „Weissagung der Cree“, die angeblich von Häuptling Seattle stammen soll.

 

Beim Bühnenbild griffen die Wuppertaler in die Trickkiste. Eine Gazewand und eine weitere Wand boten dem Ensemble vielfältige Möglichkeiten. Zudem konnten Bilder projiziert werden und aus den Schauspielern wurden manchmal Schattenspieler.

 

Siegt am Ende die Kunst, wenn Bach ertönt? Nein, das wäre auch völlig platt. Am Ende wächst aber die Erkenntnis, dass die Kunst Werte erschaffen kann, die nicht mit Geld zu bezahlen sind. Ob JR daraus etwas gelernt hat? Wenn ich mir die Wirtschaftsnachrichten durchlese, fürchte ich, dass es eher noch mehr JRs gibt.

tt#14 2.Tag – ostwestfälischer Doppelpack

Der Samstag, der zweite Tag des NRW Theatertreffens in Dortmund, stellte die beiden ostwestfälischen Theater Paderborn und Bielefeld vor. Beide überzeugten mit spannenden Inszenierungen.
Der Samstag war auch der Beginn der Panels. Um 16 Uhr diskutierten Stefan Keim mit Anna Bromley und Ulf Otto über Theater und Rollenspiele. Ulf Otto widersprach ein wenig den Thesen von Ulf Schmidt, der bei der Eröffnung des Theatertreffens eine stärkere Ausrichtung der Theater an die technisierte Netzgesellschaft forderte. Schmidt benutzte dabei das Bild von Kolumbus als Entdecker einer neuen Welt. Genau dieses Bild kritisierte Ulf Otto. Denn nach der Entdeckung der neuen Welt kam es zur Eroberung derselbigen. Auch Jefferson, der dritte Präsident der USA, und Autor der Unabhängigkeitserklärung war ein Sklavenhalter. Die Hervorhebung von Technologie ohne ihre Problematik anzusprechen,nennt Ulf Otto die „kalifornische Ideologie“. Denn wer denkt beim Kauf eines Handys an die Herstellungsbedingungen. Hier fällt mir sofort das Stück „Die Agonie und Ektase des Steve Jobs“ ein, das vor zwei Spielzeiten im Schauspiel Dortmund Premiere feierte.
Das Theater Paderborn präsentierte mit „wohnen.unter Glas“ ein Stück über die Generation 30+. Nicht wissend, ob man (oder Frau) ihren Zenit noch erreichen wird oder ob man schon auf dem absteigenden Ast ist.
Die Geschichte: Drei ehemalige WG-Bewohner (zwei Frauen und ein Mann) treffen sich nach einigen Jahren in einem Hotel wieder. Schnell werden aus den Nettigkeiten Vorwürfe.
Schon das Bühnenbild zeigt das Dilemma der Thirty-Somethings. Überall lagen Umzugskartons herum, so als ob jeder auf dem Weg zu einem neuen Projekt oder einer neuen Vision ist. Hinzu kommt diese unerträgliche Marketingsprache, die ständig irgendwelche Möglichkeiten optimieren will.So wirkt das Private durchökonomisiert. Am Ende steht eine Wand.
Die Dreiecksgeschichte zwischen Max, Babsi und Jeani zeichnet ein tragisches Bild einer Generation die erkennt, dass sich Lebensentwürfe ändern und die Angst hat, zu einem „roten Riese „, einem sterbenden Stern, zu werden. Hoffnungen, die man früher hatte, sind geplatzt, individuelle Entwürfe stehen im Mittelpunkt und Wunden werden geleckt.
Wenn die Visionen, die man sich steckt, immer unerreichbarer werden, muss man halt,die Visionen anpassen. das heißt herunterschrauben. Bis der Zenit sich als Glasdecke entpuppt, die dicht über einem schwebt.
Natascha Heimes (Babsi), Kirsten Potthoff (Jeani) und David Lukowczyk als Max zeigten im Studio eine engagierte Leistung.
Der Klassiker Minna von Barnhelm von Lessing am Abend als dritte Inszenierung im Wettbewerb wurde vom Theater Bielefeld kräftig gegen den Strich gebürstet. Minna und ihre Kammerzofe Franziska wurden als It-Girls eingeführt, während Major von Tellheim und sein Diener Just ein klein wenig wie Frodo und sein Gefährte Sam in Herr der Ringe wirkten. Ob Tolkien sich von Lessing hat inspirieren lassen?
Das Bühnenbild war eine riesige schräge Fläche mit einigen Klappen, aus dem die Schauspieler urplötzlich auftauchten. man,konnte sie aber auch einfach nur herunterrutschen.
Die Inszenierung von Mareike Mikat konzentriert sich neben dem Major und Minni auf Franziska, Just, dem Wirt und Paul Werner, dem Freund vom Major. Von Minnas Oheim wird nur berichtet.
Dafür zeigten die Bielefelder wie sich Lessing und E-Gitarren miteinander kreuzen lassen. Viele kleine Gags wie das Betteln von Just beim Publikum um Pausenbrot oder wenn sich ein Koffer voller Geld in einen imaginären Fußball verwandelt, brachte das Schauspielhaus zum Lachen. Lessings Sprache gemixt mit modernen Elementen, das hat was. Chapeau Theater Bielefeld.
Das Ende ist zwar etwas verwirrend, wenn der Zuschauer die Orientierung verliert, wer nun wessen Ring eingelöst und wieder beschafft hat, aber die Schauspieler machten einen Riesenjob und der gute alte Lessing wurde ordentlich entstaubt. Sehr zur Begeisterung des Publikums. Jedenfalls vergingen die drei Stunden wie im Flug. Großes Lob an alle Beteiligten.

tt#14 1. Tag – Tragik-komisches Sozialdrama

Auch Uwe Schmieder eröffnete das NRW Theatertreffen mit dem Dortmunder Sprechchor und gab einen kurzen Ausschnitt aus dem Stück "Die Hamletmaschine" zum besten.
Auch Uwe Schmieder eröffnete das NRW Theatertreffen mit dem Dortmunder Sprechchor und gab einen kurzen Ausschnitt aus dem Stück „Die Hamletmaschine“ zum Besten.

Nach der feierlichen Eröffnung des NRW Theatertreffen 2014 am 13. Juni im Dortmunder Schauspiel erwartete das Publikum mit „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ nach dem gleichnamigen Film des Finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki zum Anfang ein Beitrag des Bochumer Schauspielhauses.

Die Bühne wurde zu einer tristen, düsteren Streichholzfabrik mit Holzkisten als Sitzgelegenheiten und einfacher Schlafgelegenheit im Hintergrund.

Die Fabrikarbeiterin Iris führt neben ihrer eintönigen Arbeit in der Streichholzfabrik ein trostloses Leben bei einer im Morgenmantel mit Lockenwickler herumlaufenden Mutter und einem schweigend vor dem Fernseher sitzenden, mürrischen Stiefvater. Diese Geschichte könnte könnte auch einer der „Prekariatsfamilien“ zum Beispiel im Ruhrgebiet spielen. Iris lebt nur in der Traumwelt ihrer Groschenromane und sehnt sich nach der wahren Liebe mit der Hoffnung, dem trostlosen Leben zu entkommen. Sie erkämpft sich ein schönes rotes Kleid, lernt einen Mann (Aarne) kennen und lieben, der sie aber nur als Abenteuer betrachtet und sie im Stich lässt, als sie ein Kind erwartet. Enttäuscht von Aarne verliert sie auch noch ihr Kind bei einem Unfall und wird von ihren Eltern aus dem Haus geworfen. Verzweifelt vergiftet sie den ehemaligen Geliebten und die Eltern.

Bei dieser Geschichte wird nicht viel gesprochen. Es herrscht das Schweigen, wie es wohl in vielen Familien in prekären Familien üblich ist. Viel läuft über die nonverbale Schiene. Das ist auch die besondere Stärke der Inszenierung von David Bösch und seinen vier Schauspielern. Allen voran beeindruckt Maja Beckmann als Iris mit starker und vielseitiger Ausdrucksfähigkeit. Ob sie fröhlich verliebt ist, von einem besseren Leben träumt, oder aber verschüchtert, traurig und ängstlich ist.

In gleich drei Rollen, als Erzähler, Iris Bruder Simo und als ihr geliebter Aarne überzeugt Daniel Stock als ihr kongenialer Schauspielpartner.

Anne Knaak als Iris Mutter und Matthias Redlhammer spielen zwar mehr im Hintergrund, aber mit ausdrucksstarken Gesten.

Eine bedeutende Rolle spielte die passende gut ausgewählte Musik wie zum Beispiel Elvis Presleys „Love me tender“ und die die Accessoires wie das T-Shirt mit dem Aufdruck vom Titelbild aus „Vom Winde verweht“. Sie zeigen die Sehnsüchte von Iris. Schöne Effekte wie Golregen und passende Beleuchtung rundeten das positive Gesamtbild ab.

Ein gelungener Auftakt für das NRW-Theatertreffen.

Zwischen Virtualität und Körperlichkeit

Schauspieldirektor Kay Voges freut sich auf das Theatertreffen 2014. Im vergangenen Jahr gewann er mit seiner Inszenierung von "Das Fest" beim Theatertreffen 2013.
Schauspieldirektor Kay Voges freut sich auf das Theatertreffen 2014. Im vergangenen Jahr gewann er mit seiner Inszenierung von „Das Fest“ beim Theatertreffen 2013.

Vom 13. bis zum 20. Juni 2014 wird Dortmund zur offiziellen Theaterhauptstadt in NRW. Beim NRW Theatertreffen haben die Besucher die Möglichkeit, zehn Theaterstücke aus ganz NRW zu sehen, daneben Filme, Diskussionspanels, Performances, Workshops und Konzerte. Spielorte sind neben dem Schauspielhaus, dem Studio und dem Institut noch die Junge Oper, das Opernhaus und der Theatervorplatz.

 

Im Mittelpunkt des Theatertreffens stehen die zehn Wettbewerbsbeiträge. Begonnen wird am Freitag, den 13. Juni mit der Bochumer Produktion „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“. Am Samstag, den 14. Juni ist der ostwestfälische Tag, denn da wird „Wohnen. Unter glas“ vom Theater Paderborn sowie „Minna von Barnheim oder das Soldatenglück“ vom Theater Bielefeld gezeigt. Sonntag, den 15. Juni präsentiert das Schauspiel Essen „Der Prozess“ und am Montag, den 16. Juni die Wuppertaler Bühnen „JR“. „Kasimir und Karoline“ vom Düsseldorfer Schauspielhaus wird am Dienstag, den 17. Juni gezeigt. Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ vom Schauspiel Köln wird am Mittwoch, den 18. Juni präsentiert. Donnerstag, den 19. Juni stehen zwei Stücke auf dem Programm. Zuerst spielt das Theater Münster „Die deutsche Ayşe. Türkische Lebensbäume.“, danach fährt das Theatertreffen zu einem Auswärtsspiel nach Oberhausen: Per Shuttlebus ab 19:30 Uhr geht es auf die Reise zum Stück „Die Orestie“ des Theaters Oberhausen. Aus technischen gründen kann das Stück nicht in Dortmund gespielt werden.Den Schlusspunkt setzt am Freitag, den 20. Juni „Das Himbeerreich“ vom Theater Aachen.

Für die teilnehmenden Stücke gibt es drei Preise zu gewinnen: Den Preis der Fachjury, den Preis der Jugendjury und den Publikumspreis. Die Preisverleihung findet am Freitag, den 20. Juni um 20:30 Uhr statt.

 

Dramaturg Thomas Bihegue stellte das Programm zum Theatertreffen 2014 vor.
Dramaturg Thomas Bihegue stellte das Programm zum Theatertreffen 2014 vor.

Das Theater ist ein Ort, an dem Reales und Virtuelles, Analoges und Virtuelles aufeinandertreffen. Dazu bieten sechs Diskussionspanels die Möglichkeit, verschiedene Themen zu beleuchten. Mit dabei sind unter anderem Autor Dietmar Dath bei „Sterben: Online und Offline“ oder Paul Wallfisch, musikalischer Leiter des Schauspielhauses, in „Theatermusik – autonome Kunst im Sprechtheater“.

 

Musik ist ein gutes Stichwort: Es gibt einige Konzerte. So spielen unter anderem PeterLicht, The Tiger Lilies oder Thomas Truax.

 

In Brasilien findet ja zeitgleich ein weiteres großes Ereignis statt, die Fußball-WM. Das Institut wird sich auch als WM-Studio präsentieren.

 

Tickets:

Stücke (Schauspielhaus & Opernhaus) 19,- Euro / 12,- Euro (erm.)

(Studio) 15,- Euro / 10,- Euro (erm.)

Westwind-Stücke 10,- Euro / 5,- Euro (Kinder)

Konzerte (Schauspielhaus) 20,- Euro

(Junge Oper) 10,- Euro

(Junge Oper, 23 Uhr) 5,- Euro

Kino (Institut) 5,- Euro

 

 

Hotline 0231/50 27222

Online www.theaterdo.de

 

 

 

Weitere Infos, Programm und Festival-Blog:

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