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Struwwelpeter kräftig durchgebürstet

Fast jeder kennt das Buch „Struwwelpeter“ aus dem Jahre 1844 von Heinrich Hoffmann. Der „Suppenkasper“ oder „Hans-guck-in-die-Luft“ sind sprichwörtlich geworden. Das Buch ist weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannt geworden, so dass es in England unter dem Titel „Shockheaded Peter“ erschienen ist. Die Dark-Cabaret-Gruppe „The Tiger Lillies“ machte aus dem Stoff 1998 ein Musical. Die Kulturbrigaden unter der Leitung von Rada Radojcic setzten noch einen drauf und brachten das Stück als Grusical in das Theater im Depot. Die Premiere war am 22. Februar 2019, auch wenn das Stück bereits seine Vorpremiere Silvester 2018 hatte.

Die „Tiger Lillies“ haben die Geschichte etwas umgeschrieben. Zunächst das Wichtigste: Während im Original nur einige Kinder sterben, so kommen bei „Shockheaded Peter“ konsequent alle Kinder um. Zudem gibt es eine kleine Rahmenhandlung: Ein Paar sehnt sich vergeblich nach einem Kind, aber als es endlich da ist, ist es ein „Struwwelpeter“, so dass es in den Keller gesperrt wird. Darüber werden die Eltern langsam, aber sicher wahnsinnig.

Phantasievolle Kostüme sind ein Markenzeichen von Rada Radojcic. Auf bei "Shockheaded Peter" zu bewundern. (Foto: © Wulf Erdmann)
Phantasievolle Kostüme sind ein Markenzeichen von Rada Radojcic. Auf bei „Shockheaded Peter“ zu bewundern. (Foto: © Wulf Erdmann)

Durch die Handlung führte ein Conferencier, der eindrucksvoll von Christiane Wilke gespielt wird. Sie war neben Birgit Götze der einzige Profi in einer sehr gut eingespieltes Truppe der Kulturbrigaden. Die fantasievollen Kostüme – nicht nur des Conferenciers – wurden wie gewohnt von Rada Radojcic gefertigt. Überhaupt Radojcic: Sie hatte in dieser Aufführung weitere Aufgaben. Sie führte nicht nur Regie, sondern sang auch die meisten Songs. Sie wurde begleitet durch eine kleine Band, angeführt vom musikalischen Leiter der Produktion Dixon Ra und dem Schlagzeuger Lennart Rybica. Dabei wurde die Musik der „Tiger Lillies“ als Inspirationsquelle benutzt. Da sowieso niemand den Falsett-Gesang von Martyn Jaques kopieren konnte, interpretierte das Trio die Lieder wieder neu und brachte auch eine größere musikalische Bandbreite zu Gehör.

Von den Kulturbrigaden machen Amelia Braun, Annika Czaia, Solveig Erdmann, Helen Gierhake und Mika Kuruc mit. Die die einzelnen Geschichten stumm spielten, da der Conferencier ja in die Szenen einführten.

Die einzelnen Szenen sind den Meisten ja aus dem Kinderbuch bekannt. Wie erwähnt, im Gegensatz zum Buch sterben alle Kinder. (und werden in der Inszenierung ab und zu von einem Gruselclown abgeholt). Kleiner Wermutstropfen: Leider hat Interpretation der Tiger Lillies die (leider immer noch) aktuelle Geschichte aus dem Struwwelpeter verwässert: Die Geschichte vom schwarzen Buben. Im Original ärgern drei Kinder einen Farbigen wegen seiner Hautfarbe und werden zur Strafe in ein Tintenfaß gesteckt, so dass sie schwärzer werden als der „Mohr“. Bei „Shockheaded Peter“ sind die drei Kinder Schläger, die einen Mann tyrannisieren und vom Nachbarn erschossen werden. Da haben sich die Autoren bei der Neubearbeitung etwas zu sehr von „Clockwork Orange“ inspirieren lassen. Auch wenn die Kulturbrigaden die Szene gut rüber bringen, etwas schade ist es dennoch.

„Shockheaded Peter“ ist seit ihrer Uraufführung ein beliebtes Stück auch auf den städtischen Bühnen. Angesichts der Tatsache, dass diese städtischen Bühnen weitaus mehr Mittel haben, dieses Stück auf die Bühne zu bringen, bleibt festzuhalten, mit wie viel Liebe und Herzblut Radojcic an diese Aufgabe herangeht. In jeder Szene ist die Fantasie und Hingabe zu spüren und alle Beteiligten stecken viel Leidenschaft in „Shockheaded Peter“.

Es gint im April zwei Termine, diese Inszenierung von „Shockheaded Peter“ zu sehen: am 12..04. und am 13.04.2019 jeweils um 20 Uhr. Ich kann das Stück jedem nur empfehlen.

Karten unter 0231/982 120 oder info@theaterimdepot.de

tt#14 8. Tag – Geständnisse von Bankern und Gewinner des Theatertreffens

Am Abschlusstag des NRW Theatertreffen 2014 boten das Theater Aachen im Studio des Dortmunder Schauspiels mit ihrem Stück „Das Himbeerreich“ von Andres Veiel unter der Regie von Bernadette Sonnenbichler eine bildhaft direkten Einblick in die Abgründe in die deregulierten Finanzmärkte unserer Zeit. „Himbeerreich“ ist übrigens ein von Gudrun Ensslin einmal während ihrer Gefängnishaft benutztes Synonym für den Kapitalismus.

 

Dem Publikum wurde beim Einlass auf einer die ganze Zeit gnadenlos laufenden „Schuldenuhr“ plastisch vor Augen geführt, in welchem Tempo die Verschuldung tatsächlich vor sich geht. Neben vier kleinen Tischen mit Rollstühlen als kalter Arbeitshintergrund waren auch vier „Goldbarren“ in einer Vitrine zu sehen. Eine Gitarre und Keyboard dienten der musikalische Untermalung. Zwischendurch benutzten die Schauspieler eine Tafel für anschauliche Darstellungen der komplexen und verwirrenden Zusammenhänge. Besonders witzig war, dass ab und an mit einer Fernbedienung „zurückgespult“ wurde und die Schauspieler dazu die passenden Bewegungen und Geräusche machten. Fast so echt wie auf einem Videoband.

 

Die Inszenierung war in acht Kapitel aufgeteilt. Zunächst wurde die Geschichte des Stück mit Video-Unterstützung durch einen SWR -Fernsehinterview mit dem Autor erzählt. Das Publikum erfuhr unter anderem so von dem „Schweigegelübde“, das den 25 Bankern aus Vorständen und Topmanagement Anonymität garantieren musste. Die sechs Schauspieler, darunter eine Frau, vereinten als fiktive Kunstfiguren mehrerer realer Personen.

 

Schnell ist klar, die Manager und Vorstandsmitglieder der Banken sind selbst gefangene eines Systems, dass sich vormacht, alles nur „to better the comfort of life“ zu machen. Es werden mit faulen Krediten und Versicherungen und Wetten auf Verluste kurzfristig exorbitante Gewinne gemacht, Risiken verschoben und kleingerechnet. Bis irgendwann das System zusammenbricht. Aber wie sagte einer Schauspieler so schön zynisch: „Sind ja alles nur Steuergelder“.

 

Besonders anschaulich machte die Aufführung die riesige Staatsverschuldung mit Reiskörnern im Vergleich zu anderen in verschiedenen Behältern. Die „faulen Kredite“ waren schön verpackt in einer Karton mit einem beruhigenden „Gütesiegel AAA“ der Rating-Agenturen. Rauchnebel aus dem Karton ließ sich aber nicht verdecken. Da stinkt etwas gewaltig.

 

Eine wichtige Rolle spielt die Politik. Nicht nur, dass sie den Bankern nicht auf die Finger schaut, sondern sie stachelt auch noch die Großmannssucht an. Deutschland soll ein internationaler Bankenplatz werden, daher muss eine transatlantische Zwangsehe über die Bühne gehen, koste es was es wolle. Selbst das Parlament soll sich „marktkonform“ verhalten. Dadurch macht sie sich aber erpressbar.

 

Warum bloß wird nur niemand wütend? Vielleicht weil sich niemand traut, vom Baum der Erkenntnis zu essen.

 

Danach fand die Preisverleihung statt. Den Jugend- und den Publikumspreis bekam „Die deutsche Ayşe. Den Preis für den besten Schauspieler erhielt Stefko Hunushevsky, den Ensemble-Preis ging nach Oberhausen für „Die Orestie“. Den Hauptpreis der Fachjury bekam „JR“ von den Wuppertaler Bühnen.

 

Die Redaktionsfavoriten „Minna von Barnhelm“ (Michael) und „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ (Lisa) hatten leider keine Chancen, aber wir sind auch nicht vom Fach.

 

Das wirklich gute Theatertreffen 2014 beendeten die Tiger Lillies mit ihrer großartigen Performance. Musikalisch angesiedelt in den 20er und 30er Jahren spielten sie Musik, die mal osteuropäisch, mal irisch, mal nach Brecht/Weill klang. Zuvor hatte der musikalische Leiter des Schauspielhauses, Paul Wallfisch, das Konzert eröffnet.