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Der Kirschgarten – Aus der Ordnung gefallen

Ein großes Ensemble-Stück im kleinen Studio. 10 Schauspieler und einen Musiker brachte Regisseur Sascha Hawemann in den „Kirschgarten“ von Anton Tschechov unter. Die Tragik-Komödie war die bitter-süße Kapitulation des Adels vor dem neu aufstrebenden Bürgertum. Ein Premierenbericht vom 29. Dezember 2017.

Wenig Platz fürs Publikum. Zwei Stuhlreihen vor Kopf, an der Seite nur eine. Selbst das Füße ausstrecken war nicht immer gefahrlos möglich, denn der kleine Gang wurde auch von den Schauspielern benutzt. Aber gerade diese Nähe machte die Inszenierung von Havemann zu einem emotionalen Erlebnis.

In „Der Kirschgarten“ von Tschechow geht es um das Gut und den Kirschgarten von Ljubow Andrejewka Ranjewskaja, die dort mit ihrem Bruder Gajew, ihrer Tochter Anja und ihrer Adoptivtochter Warja lebt. Gerade aus dem Ausland wiedergekommen, sind sie zwar völlig überschuldet, aber vor allem Ljubow Andrejewka ist noch dem aristokratischen Denken verfallen. Daher lehnt sie auch das Angebot vom Kaufmann Lopachin ab, den Kirschgarten zu parzellieren und zu verpachten. Am Ende verliert sie Gut und Garten.

Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde "Seelchen" Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)
Warja (Bettina Lieder) ist reifer als das müde „Seelchen“ Anja (Merle Wasmuth) kann aber den Verkauf von Gut und Garten nicht verhindern. (Foto: © Brigit Hupfeld)

1861 wurde die Leibeigenschaft in Russland abgeschafft. Die alten traditionellen Werte lebten aber in den Köpfen weiter. Sehr gut zu sehen in den Figur von Ljubow Andrejewka. Friederike Tiefenbacher spielte die weibliche Hauptfigur als verletzliche Frau, die zwar immer wieder versucht ihren Stolz zu bewahren, aber am Ende vor den Trümmern ihrer Existenz steht. Ljubow Andrejewka hatte es nie verstanden, dass die Macht vom Adel zum Geldadel wechselte. Vom gleichen Schlag ist ihr Bruder Gajew (Ekkehard Freye). Er scheitert in seinen Versuchen, Geld aufzutreiben, um das Gut zu retten.

Die andere Figur, die den Zeitenwandel versucht zu negieren, ist der alte Diener Firs (Uwe Schmieder). Für Firs ist die neue Ordnung nichts. „Hie Bauern, hie Herren – man wusste, woran man war. Jetzt läuft alles durcheinander, kein Mensch kennt sich mehr aus.“ Am Ende des Stückes bleibt er einsam und vergessen im verlassenen Gutshaus.

Die neue Zeit repräsentiert niemand so gut wie der Kaufmann Lopachin. Eine Paraderolle für Frank Genser, der dem Stück eindeutig seinen Stempel aufdrückte. „Dasselbe Gut hab‘ ich gekauft, auf dem mein Vater und Großvater leibeigene Knechte waren, die nicht mal die herrschaftliche Küche betreten durften“, sagt er als Lopachin. Eines der zentralen Sätze im Stück. Doch Lopachin fehlt etwas, die Liebe. Er liebt Warja (Bettina Lieder), doch er ist vor lauter Geld verdienen unfähig, seine Gefühle auszudrücken. Warja ist zwar die realistischere der beiden Töchter und wurde von Lieder auch mit einer gehörigen Portion Energie und Entschlossenheit gespielt.

Auch dem nächsten Liebespaar ist kein glückliches Ende beschieden. Anja (bezaubernd Merle Wasmuth) ist ein sensibles Mädchen, das den ewigen Studenten Trofimov liebt. Trofimov, gespielt von Björn Gabriel im Rudi-Dutschke-Look), kann sehr gute Reden halten, ist aber unfähig zu lieben. Von daher trennen sich ihre Wege am Schluss.

Das Stück ist in den Nebenrollen sehr gut besetzt. Carline Hanke als überdrehte Gouvernante Charlotta und Marlena Keil als Dunjascha. Dunjascha teilt das Schicksal von Anja und Warja, denn auch aus ihrer Liebe wird nichts. Jascha (schön geckenhaft gespielt von Raafat Daboul) verschmäht sie, und den Pechvogel Semjon (auch Uwe Schmieder) will sie nicht.

Eine wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als Musiker, der die Inszenierung klanglich begleitete. Von Russen-Pop über russischer Sakralmusik und 80er Jahre Reminiszenzen „The final Countdown“ bis hin zu elektronischer Partymusik reichte das Repertoire.

Nach „Eine Familie“ im großen Haus und „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ im Megastore war es die erste Arbeit Hawemanns im Studio. Bühnenbildner Wolf Gutjahr nutzte den verfügbaren Raum optimal aus. Durch die Nähe zum Publikum war die Inszenierung sehr intensiv, vor allem im zweiten Teil, als die Komödie sich in eine Tragödie wandelte. Emotion pur – Dank eines engagierten und spielfreudigen Ensembles mit Frank Genser als Kirsche auf der Sahne.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de

 

Eat the rich – auf österreichisch

Elendstouristen kommen in eine Kneipe, die es besonders in sich hat – voll mit Außenseitern und gescheiterten Existenten wie sie nur Werner Schwab kreieren konnte. Willkommen in der Wiedereröffnung des Studios des Schauspiel Dortmund, willkommen bei „Übergewicht, unwichtig: Unform“, ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab. Nehmen Sie etwas zu trinken und vergessen Sie Ihr Brot nicht.

Früher gab es in Dortmund die Kneipe „Bei Ernie“ direkt hinter dem Burgtor. Wenn man den Geschichten und Mythen glauben schenkt, dann war das kein Ort für Schicki-Micki-Menschen auf der Suche nach dem coolsten Elendstourismus. So einen Kneipencharme zauberte auch Johannes Lepper ins Studio, obwohl seine Kneipe (mit einem riesigen Bild der Schlacht von Austerlitz) ein wenig geräumiger Aussicht.

In der Kneipe befinden sich neben der Wirtin (Amelie Barth), der Kneipenphilosoph Jürgen (Uwe Rohbeck), das Pärchen Schweindi (Andreas Beck) und Hasi (Marlena Keil), der grobschlächtige Karli (Frank Genser) mit seiner Freundin Herta (Friederike Tiefenbacher) und Fotzi (Christian Freund).

Das Stück kreist im wesentlichen um die Unzulänglichkeiten der anwesenden Akteure. Der naive und linksliberale Jürgen versucht seine Los als einfacher Lehrer zu überspielen, Schweindi möchte mit Hasi ein Kind, ist aber impotent und pädophil. Hasi selber wurde als Kind von ihrem Vater missbraucht, wie sich gegen Ende des Stückes herausstellt.

Karli ist ein grobschlächtiger Mensch, der eine ziemlich kurze Zündschnur besitzt und seinen Frust gerne auch gewalttätig an seiner Freundin Herta ablässt. Herta selbst spielt die Rolle der Schmerzensmaria und hält dies geduldig aus. Fotzi hingegen ist eine Frau unbestimmten Alters, die durch ihr exhibitionistisches Verhalten versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zuziehen und Geld für die Musikbox zu schnorren.

Ein wesentlicher Bestandteil in den Werken Schwabs ist die Beschäftigung mit Nahrung. In „Übergewicht“ geht es besonders um das „Brot“, das für Schweindi einen sakralen Charakter besitzt. Jedoch immer mit einem aggressiven Unterton. So fährt er Karli mehrfach an: „Kriegsverbrecher, Brotbetrüger, Kriegsbetrüger, Brotverbrecher. Nie wieder erlangst du von mir eine Vergebung.“

Ein weiteres Merkmal der Schwabschen Sprache sind die teilweise vulgären Sprüche der Protagonisten, die aber durch hochgestochene Ausdrücke angereichert und dadurch konterkariert werden.

Die Ausdrucksweise mancher von Schwabs Figuren wirkt abgehärtet, ungebildet und arrogant, sogar vulgär. Sie überraschen gleichzeitig aber, in dem sie plötzlich einen hoch gestochenen Ausdruck verwenden, der man in demjenigen Milieu und von derjenigen Figur nicht erwarten hätte.

Schwabs Figuren träumen von einem einfachen, normalen Familienleben, sie sind aber nicht in der Lage, es zu verwirklichen.

Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund, Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)
Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund,
Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)

Im weiteren Verlauf kommen zwei Gäste (Edith Voges Nana Tchuinang und Raafat Daboul) in die Wirtschaft, die sich separieren und stumm bleiben. Langsam aber sicher ziehen sie den Unmut der anderen Gäste auf sich, die ihren persönlichen Frust und Neid auf die beiden Neuankömmlinge abladen bis es zum Mord und Kannibalismus kommt ähnlich im Film „Eat The Rich“. Dabei mutiert Herta, die als einzige nichts vom Menschenfleisch genommen hat zu einer Heiligen, um die alle Füße-küssend eine Prozession abhalten. Hier kommt die Auseinandersetzung mit Schwabs religiöser Mutter wohl zum Tragen.

Surreal wie bei Beckett wird es, wenn nach dem Aufräumen plötzlich wieder das Paar ins Wirtshaus einkehrt.

Das Gute an der Inszenierung von Lepper ist es, dass er den Figuren auch ein wenig Zeit zum Atmen gibt. Denn das Stück besteht nicht nur aus skurrilen Dialogen, die zum lachen sind, sondern auch ab und an aus sehr ernsten Teilen. Wenn beispielsweise Schweindi seine Verzweiflung klagt oder Jürgen seine Weltverbesserungsideen zum besten gibt.

Die Schauspieler tragen mit dazu bei, dass „Übergewicht“ eine rundum gelungene Inszenierung wird. Vor allem Beck, Genser und Rohbeck. Denn in dem Stück versuchen die männlichen Hauptfiguren ihre Dominanz unter Beweis zu stellen. Da sind die Frauen mehr oder weniger Staffage. Dennoch zeigen Keil (Hasi), Tiefenbacher (Herta) und Barth (Wirtin), dass sie den Männern durchaus Kontra geben können, wenn es auch für Herta danach schmerzhaft wird.

Eine Sonderrolle hat Fotzi, die von Christian Freund gespielt wird.

Eine Empfehlung für alle, die auf absurdes, surreales Theater stehen. Derbe Sprache und viel Blut auf dem Theaterboden. Alle, die das nicht stört, werden einen unterhaltsamen Abend bekommen.

Weitere Termine finden Sie unter www.theaterdo.de

 

Im Sog von Licht und Musik

[fruitful_alert type=“alert-success“]Psychologische Farbenlehre als Teil des Loops. (Andreas Beck im Affenkostüm, Damen und Herren des ChorWerk Ruhr, Raafat Daboul (Hirn)
©Thomas Jauk, Stage Picture.[/fruitful_alert]

„Einstein on the beach“ von Philip Glass ist mehr eine Meditation als eine Oper, wie wir sie gewohnt sind. Wenn noch Kay Voges als Regisseur hinzukommt, bekommt man eine 3 ½-stündige Reise voller akustischer und visueller Eindrücke geschenkt. Ein Geschenk, auf das man sich einlassen muss. Ein Premierenbericht vom 23.04.17.

Philip Glass mit seiner minimal music ist wie geschaffen für Schauspielintendant Kay Voges, der in Vergangenheit und Gegenwart sich ebenfalls mit wiederkehrenden, aber minimal veränderten Loops beschäftigt hat, man denke nur an das „Goldene Zeitalter“. Und wo kann Voges seine Leidenschaft für Videokunst besser zur Geltung bringen, als eben bei dieser Oper. Denn Heldentenöre suchte man vergeblich, auch eine durchgehende Handlung ist schwerlich auszumachen. So lässt man sich am besten fallen, lässt sich von der Musik treiben und genießt die Optik. Zwar war die Bühne zweckmäßig und minimalistisch, dafür boten die Kostüme der Akteure (Schauspieler, Sängerinnen und Chor) einiges fürs Auge: Außerirdische oder eine Sängerin mit „Gehirnfrisur“.

Die „Gehirnfrisur“ erinnerte an die Marsianer aus dem Film „Mars attack! Und auch sonst scheint sich Voges bei seinem Spacetrip bei einigen Science-fiction-Filmen inspiriert zu haben. So wirkt der Chor gleich zu Beginn optisch wie die Kinder aus dem „Dorf der Verdammten“. Vielleicht war auch Schauspieler Andreas Beck, in seinem Affenkostüm, eine kleine Reminiszenz an „Planet der Affen“.

Auch sonst gab es viel zu sehen, eine Videoinstallation vom bekannten Team um Lars Ullrich und Mario Simon vom Schauspiel zauberte meditative Bilder auf die Leinwand. Die Oberbekleidung des Chores war multifunktional, denn sie konnte auch per LED-Lampen den gesang optisch unterstützen.

Einstein selbst tauchte in dem Stück auch auf: Einerseits als Violinist (klasse Önder Baloglu) und im Rollstuhl sitzend (verkörpert durch Kammersänger Hannes Brock). Seine Relativitätstheorie von Raum und Zeit ist ein wichtige Bestandteil der Oper.

Für die Beteiligten war diese Oper kein leichtes Unterfangen. Denn wenn es auch nicht gesanglich anspruchsvoll wie eine Wagner-Oper war, brauchten alle höchste Konzentration bei den winzigen Variationen der sich immer wiederholenden Texte. Die Texte bestanden größtenteils aus Zahlen (one, two, three, four, five, six) oder italienischen Notennamen (do, re, mi). Der Loop, die Wiederholung war der zentrale Kern.

Den größten Teil der Arbeit hatten neben den Musikern der Chor des ChorWerk Ruhr, die auch in verschiedenste Kostüme schlüpfen mussten. Es war grandios, ihre Spielfreude trotz der hohen Konzentration zu erleben. Auch die Sängerinnen und Sänger Hasti Molavian, Ileana Mateescu und eben Hannes Brock führten den schwierigen Job bravourös aus. Da die Oper auch eine Kooperation mit dem Schauspielhaus war, übernahmen die Schauspielerinnen und Schauspieler Bettina Lieder, Eva Verena Müller, Andreas Beck und Raafat Daboul dank ihrer Bühnenpräsenz wichtige Funktionen in der Oper. Das bekam der musikalische Leiter Florian Helgath gut in den Griff.

Wie gesagt, man muss sich auf dieses Stück einlassen. „Einstein on the beach“ ist keine Mozart-Oper. Es ist halt etwas anders. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Möglichkeit besteht, während des Stückes hinaus- und wieder hineinzugehen. Ein kleiner Teil nutzte die Gelegenheit, um nicht mehr wiederzukommen. Die, die geblieben sind, belohnten den Mut der Oper Dortmund mit einem donnernden Applaus.

Weitere Informationen unter www.theaterdo.de

Reflexion über Vergänglichkeit und die Schönheit des Moments

Hier trägt der Engel Schwarz: (v.l.n.r.) Frank Genser, Marcel Schaar (Fotograf), Uwe Schmieder, Julia Schubert, Ensemble- (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Kann man einen Augenblick für die Ewigkeit festhalten? Diese Frage spielt nicht nur in Goethes Faust beim Packt mit dem Teufel (Mephisto) eine große Rolle. Die Fotografie versucht schon länger, besondere Momente des Lebens für die Zukunft einzufangen. Einerseits kann der Betrachter sich so vergangene Augenblicke wieder in das Gedächtnis rufen, führen uns aber auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und die Relativität von Raum und Zeit vor Augen.

Schauspielintendant Kay Voges, drei Dramaturgen und sein gesamtes Ensemble haben zusammen mit dem Kunstfotografen Marcel Schaar versucht, sich der Thematik durch die Verbindung von Fotografie und Theater zu nähern. Am Samstag, den 11.02.02017 hatte im Megastore das Theater-Abenteuer „hell / ein Augenblick“ Premiere.

Wohl einmalig in der Theatergeschichte lichtet ein Fotograf während der Vorstellung live auf der dunklen Bühne ein Motiv ab, das dann direkt in den Zuschauerraum projiziert wird. Helligkeit und Dunkelheit tauschen ihre Plätze. Die Bühne wird zu einer Dunkelkammer, die nur ab und zu durch das Blitzlicht des Fotografen für eine 1/50 Sekunden durchzuckt. Insgesamt etwa 100 mal am Abend.

Zur Erläuterung: Auf der Bühne stehen an den Seiten zwei große Leinwände und zwei Minni-Flutlichtanlagen. In der Mitte befindet sich im Hintergrund eine Art weiße „Magic-Box“ ,wo der Fotograf als „Meister des Augenblicks“ Schauspieler in speziellen Momenten ablichtet. Diese werden als schwarz-weiß Bilder auf die großen Leinwände projiziert. Diese Reduktion verlangt von den Schauspieler/innen viel Mut, denn sie sind es normalerweise gewohnt, ihre Körper deutlich sichtbar dem Publikum zu präsentieren. Die entstehenden Bilder sind berührend ehrlich und zeigen die kleinste Poren im Gesicht und Körper.

Alles fließt, alles steuert der Blitz“ ,sagt Heraklit. So beginnt der Abend mit einer philosophische Abhandlung aus dem „Baum des Lebens“ (Rabbi Isaak, Luria, um 1590) erzählt von Friederike Tiefenbacher.. Es geht darin um die Themen Leben und Licht, Raum und Zeit. Die Schauspieler/innen befinden sich sowohl auf der Bühne und in der „Magic- Box“, wo sie abgelichtet werden. Die Bilder auf der Großleinwand werden von den Schauspielern mit passenden philosophische Texte von Arthur Schopenhauer, Nietzsche, Bertand Russel, Charles Bukowski, Rainald Götz und andere begleitet. Das verstärkte die Wirkung der Bilder.

Als typisch für das, was viele Menschen empfinden, wenn sie fotografiert wurden denken, steht Uwe Schmieder, abgelichtet mit einem Schild „You see me“. Erschrocken ruft er in die Dunkelheit: „Das bin ich nicht, das bin doch nicht ich!“ Andere hingegen finden sich fotogener und rufen: „Das bin ich. So sehe ich aus.“

Es entstehen schöne Bilder von Zuneigung und Liebe, aber auch viele ernste, nachdenklich machende eindrucksvolle Bilder von Vergänglichkeit.

Für das sinnliche Erleben war der sensible begleitende Soundtrack von Tommy Finke und die Musik von Mahler bis Brian Molko/Placebo von großer Bedeutung.

Es war ein meditativer,archaischer Abend mit Nachwirkung. Wenn es um sich nicht erinnern können, Tod und Vergänglichkeit geht, ist das keine leichte komödiantische Kost. Das der Tod nicht gerne gesehen ist, zeigen die Text von Christoph Schlingsensief oder Robert Gernhardt aus dem Jahr 1997. Gernhardts Gedicht „So“ besagt, dass der Mensch in keinem Monat gerne sterben will. Er will immer wieder neue Moment generieren, um sie fest zu halten.

Wenn Politik das Private durchdringt

Auf dem Amt: SA-Mann (Frank Genser, 2.v.l.) will den arbeitslosen Bruder (Carlos Lobo 1.v.l.) der Köchin (Uwe Schmider, 4.v.l.) reinlegen. Noch im Bild sind: Bettina Lieder und Alexander Xell Dafov. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach dem großen Ensemblestück „Eine Familie (August: Osage County)“ hat Regisseur Sascha Hawemann in dieser Spielzeit Bertholt Brechts Szenencollage „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ (Zeitraum 1933 – 1938) im Megastore auf die Bühne gebracht. Hawemann sind dabei aktuelle Bezüge zu unserer Problemen mit zunehmen den Einfluss rechtspopulistischer und fundamental islamistischen Gruppierungen im In-und Ausland von großer Bedeutung. Das zeigt sich nicht nur die Beteiligung des 2015 aus Syrien geflohenen Schauspielers Raafat Daboul. Er steht für die vielen, vor der Gewalt in Syrien geflohenen Menschen. Ars Tremonia war am 05.012.2017 bei einer Aufführung anwesend.

Das Publikum wurde durch einen Graben voll Koffer und losen Textblättern von den Schauspielern räumlich weit getrennt. Dieser Graben stand symbolisch für alle Menschen, die als Juden und aus politischen oder anderen Gründen auf „gepackten Koffern“ saßen und und versuchten (so sie konnten) rechtzeitig zu fliehen.

Friederike Tiefenbacher spielt als jüdische Gattin eines deutschen Arztes (Andreas Beck) ein berührendes Beispiel für diese Flüchtlinge. Sie und ihr Mann versuchen verzweifelt, ihren Fluchtversuch als „kurze Reise nach Amsterdam“ zu erklären. Dem Paar und seine Freunden ist die bittere Wahrheit jedoch schon längst klar.

Durch die elf ausgewählten Szenen führte Uwe Schmieder als Bertolt Brecht engagiert. Neben Videobildern von im Hintergrund erfuhr das Publikums von Brechts „Epischen Theater“ und dem V-Effekt (Verfremdung). Er ist der Überzeugung, dass die Menschen sich aktiv für eine gerechtere, angst freie Gesellschaft einsetzen und kämpfen müssen und können. Brecht hat seine Szenen kaleidoskopisch angelegt, Hawemann versucht ein Band zwischen den Szenen zu finden, indem er Figuren öfter auftreten lässt wie beispielsweise das Dienstmädchen Marie. Dazu lässt er Figuren auftreten wie einen an Gustav Gründgens erinnernden „Mesphisto“ auftreten.

Die Auswirkung des Politischen auf das Privatleben sind allen Szenen gemeinsam. Nur ein paar Beispiele dafür: Frank Genser als brutal-zynischer SA-Mann Theo, der seine Lebensgefährtin Marie, gespielt von Bettina Lieder, jeden kleinsten Widerspruch austreibt. Er provoziert zudem seinen seinen arbeitslosen Nachbarn, gespielt von Carlos Lobo, im Spiel um ihn aufs Glatteis zu führen und zu denunzieren. Das Elternpaar (Merle Wasmuth und Carlos Lobo), das sich ausmalt, wie ihr für kurze Zeit verschwundener Sohn (Raafat Daboul) etwas System kritisches gehört haben könnte und sie eventuell denunziert. Andreas Beck spielt einen Amtsrichter, der zu jeder Rechtsbeugung bereit ist, um sich vor unliebsamen Konsequenzen für sich selber zu schützen. Das stellt sich als gar nicht so einfach da.

Die Szenen wurden zwischendurch musikalisch sensibel live und mit verschiedenen Instrumenten von Alexander Xell Dafov untermalt.

Sprachlos und nachdenklich machten gegen Ende das Paar Marie (Bettina Lieder) die Dienstmädchen und Theo (Frank Genser) der SA-Mann. Während ihrer in festlicher Kleidung zelebrierten Hochzeit erzählen die Beiden ohne jegliche Spur von Empathie in allen Einzelheiten von den grausamen Massenexekutionen in der Ukraine durch die deutsche Wehrmacht und ihren ukrainischen. Einen krasseren Gegensatz kann es nicht geben.

Ein Klima der Angst wird von interessierten Kreisen auch in der Gegenwart wieder geschürt. Wird gehen wir damit um?

Weitere Infos und Termine unter www.theaterdo.de