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Wenn Illusionen platzen

Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy)
Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy) (Foto:©Birgit Hupfeld)

Damals, als ein Wort noch etwas galt, als es wichtig war, beliebt zu sein, das war die Welt von Willy Loman, einem reisenden Vertreter. Doch die Zeiten haben sich geändert, nur Willy leider nicht. In der Inszenierung von Liesbeth Coltof spielt Andreas Beck in „Tod eines Handlungsreisenden“ einen Willy Loman, der zusehen muss, wie seine Welt untergeht. „Der Wald brennt“, ruft Loman ein paar Mal verzweifelt im Stück, doch weder Kavallerie noch Feuerwehr können ihn retten. Ein Premierenbericht.

Wichtig ist die Fassade. So tun als ob. Alles ist in Ordnung, obwohl die Kacke am Dampfen ist. In Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ geht es um den Verfall einer Mittelschichtfamilie, die verzweifelt versucht, ihren sozialen Abstieg zu kaschieren, obwohl er längst im vollen Gange ist. Willy Loman die Hauptfigur arbeitet als Handlungsreisender nach über 30 Jahren mittlerweile nur auf Provision, was bedeutet, er bringt kein Geld nach Hause. Das Geld leiht er sich von seinem Freund und Nachbarn Charley. Willys Stolz lässt ihn sogar Charleys Jobangebot ausschlagen, obwohl er von seinem Juniorchef entlassen wird. Seine Frau Linda steht in bedingungsloser Treue zu ihrem Mann, auch wenn sie die Realität erkennt. Mit seinem ältesten Sohn Biff gerät Willy häufiger in Streit, weil Willy alle seine Hoffnungen auf die Karriere seines Sohnes setzt, die aber nicht stattfindet, da Biff nicht der Überflieger ist, für den Willy in hält. Im Schatten davon ist Happy, Willys zweitältester Sohn. Er wird überwiegend von seinen Eltern ignoriert, obwohl er versucht, um ihre Anerkennung zu kämpfen.

Ein zweites Problem der Familie ist das Verbiegen der Wahrheit. Willy ist ein Meister im „Pimpen“ seines Lebenslaufes und vor allem den von Biff. Da wird Biff quasi zum Direktor hochstilisiert, obwohl er nur einfacher Packer war. Auch Willy erzählt von den Aufträgen, die er in der Tasche hat, nur leider fehlen die nötigen Unterschriften.

So ist das Stück, obwohl es aus dem Jahre 1949 stammt, auch heute hochaktuell. In Zeiten, wo Hausmeister zu „facility managern“ mutieren, jede noch so kleine Aushilfstätigkeit im Lebenslauf enorm aufgeblasen wird, werden Hoffnungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. Auch die Mentalität, Dinge einfach zu bestellen oder kaufen, weil man sie ja in Raten abbezahlen kann, ist heute aktueller denn je. Die mögliche Konsequenz: Seit 2006 gehen jährlich mehr als 100.000 Menschen in Privatinsolvenz. Passend dazu ließ Coltof die Bühne mit Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen und Kühlschränken dekorieren.

Dustin Hofman spielte Willy Loman in der Verfilmung von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1985 und ist vielen immer noch in Erinnerung, wenn sie an „Tod eines Handlungsreisenden“ denken. Andreas Beck spielt einen Willy, der schon optisch eine imposante Gestalt ist. Gleichzeitig macht Beck schnell die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit des Charakters deutlich: Beispielsweise sofort zu Beginn, als er mehrmals auf die Bühne kommt, um zu erzählen, dass er eine Versicherungspolice über 150.000 € abgeschlossen hatte. Beck zeigt einen Willy, der zwischen lauter Polterigkeit und sensibler Zerbrechlichkeit mäandert.

Biff, der älteste Sohn, wird von Oscar Musinowski gespielt. Biff ist frustriert, weil er die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen kann und eigentlich auch gar nicht erfüllen will. Für Willy ist sein Sohn Biff der „Erlöser“, passend dazu erklang „I know that my redeemer liveth“ aus Händels „Messias“. Musinowski spielt einen verzweifelten Biff, der erkennen muss, dass nicht nur sein Leben ein Selbstbetrug ist, sondern auch das seiner ganzen Familie. Die „Werte“ mit denen Biff erzogen wurde, wie „Beliebtheit“ nutzen ihm in der realen Gesellschaft nichts mehr. Die Zeiten, in der Verträge per Handschlag geregelt wurden und gültig waren, sind in der modernen, kalten Wirtschaft vorbei.

Ähnlich tragisch angelegt ist die Rolle von Happy, dem zweiten Sohn. Er kämpft verzweifelt um die Liebe seiner Eltern, doch vergebens. Er ist quasi nicht existent, obwohl Happy seine Eltern sogar finanziell unterstützt. Sebastian Graf spielt einen Happy, der gerne möchte, dass „alles so wie früher“ ist. Auch Happy kennt eigentlich die Wahrheit, will sie aber um des Familienfriedens nicht aussprechen.

Ähnlich geht es Linda, die von Carolin Wirth dargestellt wurde. Auch sie weiß die Wahrheit, hält aber an der Illusion fest.

Willys nahezu irreale Hoffnung liegt bei seinem toten Bruder Ben (wurde überwiegend von Uwe Rohbeck gespielt). Ben ist das absolute Vorbild für Willy, denn er hat es „geschafft“. Wie, dass weiß man nicht so genau, aber Ben taucht ab und an in Willys Vorstellung auf.

Coltof lässt das Stück bewusst in Dortmund, beziehungsweise in Europa spielen. Szenen aus Dortmund tauchen ab und zu in kurzen Videosequenzen auf. Statt Baseball spielt Biff Fußball. Doch die Größe von Millers Stück, ist, dass es zeitlos wirkt. In der Hand von Coltof, die eine Meisterin im Herausarbeiten von Lebenslügen in einer Familie ist wie ihre Vorgängerproduktionen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und „Verbrennungen“, zeigt sich der Stoff aktueller denn je. Kauf auf Pump, das Pimpen des Lebenslaufes und die Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen: Alles vermengt sich bei Millers Stück zum tragischen Ausweg für Willy: Den Selbstmord. Denn dank seiner Versicherungspolice ist er in bitterer Weise „tot mehr wert als lebendig“.

Weitere Termine: DO, 23. OKTOBER 2014, FR, 24. OKTOBER 2014, SA, 08. NOVEMBER 2014, SO, 23. NOVEMBER 2014, MI, 03. DEZEMBER 2014, FR, 19. DEZEMBER 2014, FR, 26. DEZEMBER 2014, SO, 28. DEZEMBER 2014, SO, 11. JANUAR 2015, MI, 18. FEBRUAR 2015, MI, 11. MÄRZ 2015, SO, 19. APRIL 2015, FR, 22. MAI 2015 und DO, 11. JUNI 2015.

Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.

Die Kehrseite der Medaille

Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Mit seiner verzweifelten Liebeserklärung an das Runde im Eckigen „You’ll never walk alone“ startete Schauspieler und Regisseur Björn Gabriel mit seinen Mitstreitern den Versuch, im Institut des Dortmunder Schauspiels einerseits der Faszination des Ballspiels näher zu kommen, andererseits einen philosophisch kritischen Blick auf dessen Rolle als „Opium“ für das Volk“ zu beleuchten. Die Premiere der Inszenierung war sinniger Weise am Tag des Chapions-League-Finale zwischen Real und Atletico Madrid am 24. Mai 2014.

In den Stadien der Welt wird die Fußball-Hymne „You’ll never walk alone“ mit Inbrunst und Leidenschaft gesungen. Nirgendwo sonst erleben die Zuschauer ein Gemeinschaftsgefühl über alle Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg und eine solche Dichte von wechselnden Emotionen. Dieser Mikrokosmos gibt den Menschen in einer besonderen Art Halt. Es vermittelt das Gefühl, in einer bedrohlichen, unberechenbaren Welt „nicht alleine“ zu stehen. Alle fiebern ohne unterschied mit „ihrer Mannschaft“ mit. Sie trauern bei Niederlagen und sind euphorisch, wenn der eigene Fußball-Verein gewinnt. Ist es so, wie Friedrich, Schiller schreibt, der Mensch nur dann ganz Mensch ist,wo er spielt? Zählt nur noch „Unterhaltung“ und Ablenkung von den wirklichen gesellschaftlichen Problemen wie etwa die zunehmende soziale Verelendung vieler Menschen, Bürgerkriegs-Gefahr und Umweltzerstörung…

Die Bühne war wie in einer griechischen Tragödie als Tempelanlage ausgestattet. Mit der Liebesgöttin Venus auf der linken Seite, einer dreistufigen Treppen und auf beiden Seiten griechische Säulen. Gabriel personalisiert diese Ambivalenz durch die beiden Schauspieler Peer Oscar Musinowski als begeisterter Fußball-Fan und Ekkehard Freye als Gegenpart, der die andere Seite repräsentierte. Freye zeigt mit viel Engagement die „Doppelmoral“ im Fußball-Geschäft auf. Die menschlichen Opfer, zum Beispiel durch die inhumane Umsiedlungspolitik, Korruption und Milliardenkosten für die Fußball WM in Brasilien bei sozialem Elend der Bevölkerung, oder aktuell die drohende Niveau-Nivellierung in vielen Bereichen durch das Freihandelsabkommen mit den USA.

Eine besondere Glaubwürdigkeit und Leidenschaft verlieh Oscar Musinowski, auch im wirklichen Leben ein ehemaliges Fußballtalent der Hertha BSC-Jugend (nach einer schweren Verletzung Model, dann Schauspieler) seiner Rolle. Der Humor kam in der Aufführung nicht zu kurz. Wunderbar, die Verfolgungsjagden der beiden Schauspieler im Stil von „Tom und Jerry“.

Der feierliche Charakter einer Show wurde mit Kleidung von Musinowski, er trug eine schwarzen Anzug , weißes Hemd und Lackschuhe , unterstrichen. Von Jan Voges projizierte zunächst einige emotionale und faszinierende Momente des Fußballs, wie zum Beispiel Ausschnitte aus den deutschen WM-Siegen oder dem Champions-League Sieg 1997 des BVB per Video auf die große Leinwand. Hinzu gesellte sich Tilman Oesterreich, der für Licht verantwortlich war.

Video-Einspielungen spielten dann auch eine bedeutende Rolle bei der Inszenierung. So wies Ensemble-Mitglied Bettina Lieder mit viel Ironie auf die – vor allem – männlichen „Spieltrieb“ hin und die Unterteilung in „Homo ludens“ (Der spielende Mensch) und den „Homo faber“, den aktiv verändernden, schaffenden Menschen. Später ließ sie die beiden Männer bei dem Quiz 1,2 oder 3, ( bekanntes Kinder-Quiz Ende der 70iger Jahren von Michael Schanze). Absurd wurde die Situation, als sich herausstellte, dass in einer Fragerunde alle drei menschenverachtenden Äußerungen von FIFA-Präsident Joseph S. Blatter als Antwortlösung zutrafen. Gegen Ende traten neben Lieder auch noch Eva Verena Müller und Julia Schubert als Art „Sirenen“ auf, die die Männer bezirzten.

Ob sie damit Erfolg haben? Denn für einen richtigen Fußballfan ist sein Verein „wichtiger als Frau und Geld“, wie es in einem Fangesang heißt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Endlichkeit hinterlässt bei den meisten Menschen eine Lücke, ähnlich wie eine Freistoßmauer. Fußball füllt die Lücke, die früher überwiegend von der Religion ausgefüllt wurde. Sie verhindert aber auch die, auch hier die Parallele zur Religion, Beschäftigung mit den realen Problemen.

Weitere Aufführungstermine sind der 05. und 18. Juni. Es ist geplant, das Stück in der nächsten Spielzeit wieder aufzunehmen.

Karten und Infos unter 0231 50 27222 oder www.theaterdo.de

Dunkle Seiten im Märchen

Die Gebrüder Grimm (Ekkehard Freye und Sebastian Kuschmann) legen Hand bzw. die Schere an das Märchen von "Rotkäppchen und dem bösen Wolf". Der Wolf wird von Uwe Schmieder gespielt.
Die Gebrüder Grimm (Ekkehard Freye und Sebastian Kuschmann) legen Hand bzw. die Schere an das Märchen von „Rotkäppchen und dem bösen Wolf“. Der Wolf wird von Uwe Schmieder gespielt. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Drehbühne, Live-Musik und Video: Die drei Erfolgszutaten von „Meister und Margarita“ spielten auch beim Stück „Republik der Wölfe“, das am 15. Februar 2014 Premiere feierte, eine zentrale Rolle. Claudia Bauer interpretierte die bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm in ihrer eigentlich rohen und sexualisierten Art und kombinierte sie mit Texten von Anne Sexton. Absolut nichts für Kinder. Ein Premierenbericht.

 

In dieser Spielzeit sind die Gebrüder Grimm und ihre Märchen im Theater Dortmund ja hoch im Kurs. Das Kinder- und Jugendtheater zeigte am 16. Februar zum letzten Mal „Grimm spielen“, die Oper präsentiert ab dem 22. März „Aschenputtel“ von Rossini und das Schauspiel eben „Die Republik der Wölfe“.

 

Acht Märchen von „Schneewittchen“ bis „Dornröschen“ werden nicht durch den Kakao gezogen, sondern in die heutige Zeit transportiert. Sie sind zu „urban legends“ geworden, denn der wahren Schrecken findet heute nicht mehr im finsteren Wald statt, sondern in der Stadt, im Großstadtdschungel.

 

Den Beginn machte „Schneewittchen“. Friederike Tiefenbacher spielte die „böse Königin“, die vom Hofstaat umschwärmt wird. Sie ahnt aber, dass es mit ihrer Schönheit bald vorbei sein wird, und das 13-jährige Schneewittchen (Eva Verena Müller) an ihre Stelle tritt. Schneewittchen flieht zu den sieben Zwergen (Mitglieder des Dortmunder Sprechchors), nimmt aber auch den vergifteten Apfel der Königin an und fällt in einen Tiefschlaf. Am Ende der „Republik der Wölfe“ vermischt sich „Schneewittchen“ mit „Dornröschen“.

 

Nach einer kleinen Drehung ging es weiter mit dem Märchen. „Hänsel und Gretel“ wurde vermischt mit dem Märchen „Der süsse Brei“. Frank Genser rezitierte nach einem Schaumkuss-Massaker einige Zeilen aus dem Märchen. Claudia Bauer stellte in ihrer Sichtweise von „Hänsel und Gretel“ den Aspekt der „zu stopfenden Münder“ in den Vordergrund. Die Mutter (Julia Schubert) schickt zwei ihrer Kinder weg, weil sie „total unproduktiv sind und nichts zur Gesellschaft beitragen“. Daher müssen die beiden (Peer Oscar Musinowski und Carloline Hanke) in den Wald.

 

Sehr beeindruckend war auch die Interpretation von „Rumpelstilzchen“. Ekkehard Freyer spielte einen Müller, der eine Aufstiegsmöglichkeit sucht und seine Tochter (Bettina Lieder) als das „Nonplusultra“ anpreist. Wie es heutzutage Eltern gerne tun, die ihre Kinder als „Wunderkinder“ anpreisen. Das Stroh zu Gold spinnen kann sie natürlich nur mit Hilfe von Rumpelstilzchen (Uwe Schmieder). Erst nachdem sie seinen Namen sagt, wird sie ihn los. Hier brilliert Uwe Genser als König, der nur an dem Gold interessiert ist.

 

Einen sehr stark sexualisierten Aspekt hatte der „Froschkönig“. Hier wird er nicht an die Wand geworfen und mutiert auch nicht zum Prinzen, sondern wird nach der Vergewaltigung der Königstochter (Friederike Tiefenbacher) von ihr ermordet.

 

Den aktuellen „Supermodel“-Hype nahm Bauer beim „Aschenputtel“ auf das Korn. Die Stiefschwestern (Bettina Lieder und Julia Schubert) nahmen sogar Verstümmelungen in Kauf, um dem blasierten reichen König (Oscar Musinowski) zu gefallen. Letztendlich entscheidet er sich doch für Aschenputtel (Caroline Hanke).

 

Rotkäppchen ist in „Republik der Wölfe“ sehr nahe an der ursprünglichen Fassung des Märchens. Denn Charles Perraults Fassung sollte jungen Mädchen vor Sittenstrolchen warnen. In seiner Fassung wird auch das Rotkäppchen nicht befreit. Die Brüder Grimm (Sebastian Kuschmann und Ekkehard Freye) kämpfen um das „Märchen-Ende“. Letztendlich wird Rotkäppchen mit der Schere aus dem Bauch des Wolfes geschnitten. Der Wolf (Uwe Schmieder) ist hier kein Tier, sondern ein skrupelloser (Serien-)Mörder.

 

Beeindruckend war an diesem Abend die Bühne. Doppelstöckig drehte sie sich und bot die Möglichkeit, die Märchen ohne Unterbrechung hintereinander weg zu spielen. Sie gingen quasi ineinander über. Neben der Aktion auf der Bühne gab es Live-Videos, die vom Sohn des Schauspieldirektor Jan Voges aufgenommen wurden. Zu sehen waren sie auf der linken Seite der Bühne.

 

Neben den Schauspielern, die eine engagierte Leistung boten, war auch der Dortmunder Sprechchor zu sehen: Bei „Schneewittchen“ spielten sie die sieben Zwerge und bei „Die 12 tanzenden Prinzessinnen“ durften die Damen passenderweise im Prinzessinnen-Kostüm auf die Drehbühne.

 

Eine wichtige Rolle spielte die Musik. Paul Wallfisch, Alexander Hacke, Mick Harvey und Danielle de Picciotto standen auf der rechten Seite als „Ministry of Wolves“ auf der Mühne. Verkleidet waren sie als Art Geistliche mit Beffchen dazu eine Wolfsmaske. Eine kleine Doppeldeutigkeit, denn ministry kann „Ministerium“ oder aber „geistliches Amt“ bedeuten.

 

Ihre Musik war nicht nur Soundtrack, sondern mehr mit den Märchen verwoben. Musikalisch eine Mischung zwischen „Botanica“ (Wallfisch) und Einstürzende Neubauten (Hacke). Bei der Premiere gab es noch einige Abstimmungsprobleme mit dem Ton, so dass sich manchmal Schauspieler gegen die Musik nicht durchsetzen konnte (beispielsweise die Mutter von „Hänsel und Gretel“).

 

Ein gelungener Abend, an dem alles passte: Schauspieler, Dortmunder Sprechchor, Musik, Bühne, Regie. Wer seine Kindheitsmärchen gerne mal sehen möchte, wie sie „gegen den Strich“ gebürstet und in die heutige Zeit transponiert werden, sollte sich unbedingt eine Karte für die kommenden Aufführungen besorgen.

 

Für die weiteren Termine gibt es noch Karten: 05., 06., 07., 08.,09. März sowie 11., 12., 13. April und 09., 10. und 11. Mai 2014. Weitere Infos: www.theaterdo.de

Das Spiel mit den Grenzwerten

Uwe Schmieder im "Pornofinger".
Uwe Schmieder im „Pornofinger“.

In der Grosteke „Pornofinger“ von Paul M Waschkau konfrontierten Teile des Schauspielensembles unterstützt von zwei Gästen am 07. Februar in der Reihe „SpielBar“ die Besucher mit der Frage: Wie weit darf Theater gehen?

 

„Pornofinger“ behandelt auf groteske Weise den wahren Fall des Stückes „Nacktes Leben“, ebenfalls von Waschkau. „Nacktes Leben“ bekam einen Preis und sollte in Würzburg aufgeführt werden. Doch zwei Tage vorher setzte der Intendant das Stück mit der Begründung ab, es sei den Würzburgern nicht zuzumuten. Es bleibt die Frage: Was darf Theater den Zuschauer zumuten?

 

Jetzt könnte man die Frage ähnlich wie Tucholsky über die Satire mit „Theater darf alles“ beantworten. Doch schnell kommt die Schere im Kopf ins Spiel. Der Begriff „Zensur“ fällt natürlich nicht, doch der Intendant (Frank Genser) will den „Pornofinger“ auf keinen Fall aufführen, auch wenn er einen Preis bekommen hat. „Wir wollen doch nicht vor leeren Rängen spielen“, erklärt er ironisch dem Dramaturgen (Oscar Musinowski). So krittelt und mäkelt er ständig an dem Stück herum. Zunächst bekommt er Unterstützung vom Regisseur. Der, herrlich gespielt von Ekkehard Freye, kommt von außerhalb und ist außer sich: „Wo sind die Dialoge?“ Erst als er erfährt, dass es sich um ein preisgekröntes Stück handelt, ändert sich seine Meinung um 180° und er wird zum glühenden Verfechter.

 

„Pornofinger“ persifliert die typischen Theaterstrukturen. Der Dramaturg als ärmste Sau sitzt zwischen allen Stühlen, der Regisseur ist von sich überzeugt, aber dennoch immer wankelmütig und dem Intendant geht es weniger um das Stück, sondern mehr um seine „Verkaufbarkeit“.

 

Dabei waren die Schauspieler nicht nur live zu sehen, sondern auch für alle gut sichtbar auf der Leinwand im Institut. Kontrastierend dazu lief auf einem Fernseher, der auf einer schwarz-rot-goldenen Decke stand, der Film „Die 120 Tage von Sodom“ von Pier Paolo Pasolini. Dieser Film ist Pasolinis Abrechnung mit dem System des Faschismus, aber wegen seiner drastischen Bilder von Mord und Folter in vielen Ländern verboten. Auch hier stellt sich die Frage: Wer bestimmt dies und nach welchen Kriterien läuft das ganze ab?

 

Auf der Leinwand wurden auch Einspieler gezeigt, die Teile des Stückes „Nacktes Leben“ rezitierten, der Autor Paul M. Waschkaue war gegen Ende des Stückes ebenfalls zu sehen. Thorsten Bihegue als männlicher Feme im Häschenkostüm lockerte die Szenerie auf.

 

Und wo war der „Pornofinger“? Den symbolisierten zwei „Franziskas“ (Nicole Janz sowie Carolin Wirth) und ihr männlicher Kompagnon (gespielt von Uwe Schmieder).

 

Am Ende steht der Satz von Waschkau, der sinngemäß sagte: Das Theater soll nicht schauen, wo die Grenzen sind, sondern nach Möglichkeiten suchen, diese Grenzen zu überwinden.

Mal kurz die Welt verbessern

Der lustige Heiner (Uwe Schmieder) und Inge Borg (Eva Verena Müller)  verbesserten die Welt.
Der lustige Heiner (Uwe Schmieder) und Inge Borg (Eva Verena Müller) verbesserten die Welt.

Ein teilweise surrealer, bunt komischer Abend erwartete die Besucher bei der „Großen Weltverbesserungsshow“ am Samstag, dem 18. Januar um 23 Uhr im Institut des Schauspielhauses. Dabei waren viele Mitglieder des Schauspielensembles.

 

Lag es am „Goldenen Zeitalter“, dem Stück, das vorher gespielt wurde oder waren gerade viele Weltverbesserer unterwegs? Jedenfalls quoll das Institut über vor Leuten. Gleich zu Beginn wurde einige Besucher ausgewählt, um entweder in den Keller oder in die erste Etage zu fahren, um dort den ersten der vielen Programmpunkte zu erleben. Den Berichterstatter zog es in den ersten Stock, wo er in einer Behindertentoilette Julia Schubert beim – nun ja- philosophieren traf. Ihr Text drehte sich um das menschliche Verständnis, jederzeit im Mittelpunkt der Welt zu sehen und die mangelnde Empathie, sich in andere hineinzudenken, etwa in einer Schlange vor der Supermarktkasse.

 

Danach ging es wieder zurück und die Show begann. Aufgebaut wie eine Art Talkshow wurde der Abend moderiert von Inge Borg (Eva Verena Müller). Auf Stichwort gab es Beiträge von Thorben (Frank Genser), dem lustigen Heiner (Uwe Schmieder), dem Finanzfuzzi Josef Ackermann (Ekkehard Freye) und dem Philosofisch (Björn Gabriel). Mit dabei war auch noch Oscar Musinowski.

 

Die vorgetragenen Texte stammten von unterschiedlichen Autoren wie Georg Büchner, Heiner Müller (logischerweise vom lustigen Heiner vorgetragen) und Thorben las aus dem Buch „In Afrika ist immer August“, das aus Schulaufsätzen neapolitanischer Kinder bestand. Sie waren sehr entlarvend, weil sie aus kindlicher Perspektive sehr ehrlich waren.

 

Neben Liedern (unter anderem „Ein bisschen Frieden“ live gesungen oder besser: interpretiert von Ekkehard Freye mit Sebastian Graf) wurden noch Fotos und Videos auf die Leinwand geworfen. Anhand der Videos wurde an diesem Abend die fast schon rassistische Sichtweise von Entwicklungshilfeorganisationen kritisiert.

 

Die Besucher durften selbst aktiv werden. Einerseits wurden Organspendeausweise verteilt, zum anderen durften die Besucher etwas zu Papier bringen, was sie 2014 nicht mehr tun werden. Diese Vorsätze wurden dann durch einen Schredder gejagt.

 

Zuletzt gab es auch etwas zu essen und trinken: Einerseits Kaffee, davor wurde ein Schluck Sekt gereicht. Statt wie im Vorfeld angekündigt Sophia Loren kochte an ihrer Stelle Darlene Mietrich (Merle Wasmuth) Spaghetti mit einer vegetarischen Sauce.

 

Was bleibt am Ende? Werden wir jetzt alle Weltverbesserer? Nun ja, es tut gut mal daran zu denken, dass es nicht immer optimal für einen selbst läuft und ein wenig Empathie für andere Menschen kann auch nicht schaden.

Kampf um Bewahrung der Menschlichkeit

Kurzer Moment der Glückseligkeit. Die junge Nawal (Friederike Tiefenbacher) und Wahab (Peer Oscar Musinowski). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kurzer Moment der Glückseligkeit. Die junge Nawal (Friederike Tiefenbacher) und Wahab (Peer Oscar Musinowski). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 30. November 2013 war Premiere für „Verbrennungen“, nach dem Thriller des im Libanon aufgewachsenen kanadischen Autoren Wajdi Mouawad. Das Buch wurde 2010 unter dem Titel „Die Frau die singt“ verfilmt.Die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof unterstützt schon seit vielen Jahren junge Schauspieler/innen im Gaza-Gebiet und hat dort auch schon verschieden Inszenierungen aufgeführt.Diese besondere Beziehung zum Nahen Osten merkt man auch in ihrer sensiblen Inszenierung von „Verbrennungen“. Kampf um Bewahrung der Menschlichkeit weiterlesen

Ein Egozentriker auf später Sinnsuche

Theater mit Kay Voges ist immer überraschend. Der Besucher weiß nicht, was ihn erwartet. War in der vergangenen Spielzeit die Vermischung zwischen Film und Theater das Motto, dreht sich in der aktuellen Spielzeit alles um Wiederholungen und Identitäten. So auch bei Ibsens Drama „Peer Gynt, das am 28. September 2013 Premiere feierte.

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