Schlagwort-Archive: Marlena Keil

Queens – weibliche Machtkämpfe

Friedrich Schillers Drama „Maria Stuart“ hatte unter dem Titel „Queens“ unter der Regie von Jessica Weisskirchenam 12. Januar 2024 Premiere im Studio des Schauspielhauses. Und wie es sich zu einem Studiostück gehört, erlebten die Zuschauer eine komprimierte Fassung, die kammerspielartig das Drama auf die beiden Hauptpersonen konzentriert. Schließlich ging es beim Kampf zwischen der beiden Königinnen Elizabeth und Mary auch um den weiblichen Umgang mit Macht in gefährlichen Zeiten.

Queens – weibliche Machtkämpfe weiterlesen

The Head in the Door

oder Das Vaudeville der Verzweiflung

von Milan Peschel und Ensemble

Als Gestern noch Heute, also das Morgen von Vorgestern war …

Ein Abend im Vaudeville mit Sprachslapstick, tiefgreifenden Fragen nach der Kreativität dem Glück und der Selbstverwirklichung immer etwas tun müssen oder doch nicht, dadaesquem Humor, Lust am Stillstand der wortgewandt und bewegt übertönt wird und Schauspielern in einem Theater oder doch einem Vergnügungspark mit einem Anflug von Kafka …

Das Ensemble vollzieht einen gekonnten Spagat vom Vaudeville, den einstigen französischen Vor- und Kleinstadt Theatern. In den USA fand man den Begriff Chic und betitelte die Schaubuden so. Darin verdienten sich dann Charlie Chaplin, die Marx Brothers, Stan Laurel, W.C. Fields und Buster Keaton die ersten Meriten.

Marlena Keil, Linus Ebner, Ekkehard Freye, Bettina Engelhardt, Nika Misÿkovic, Anton Andreew in "The Head in the door" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Marlena Keil, Linus Ebner, Ekkehard Freye, Bettina Engelhardt, Nika Misÿkovic, Anton Andreew in „The Head in the door“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Vaudeville hüben wie drüben ging mit der Depression nach 1929 und dem Tonfilm unter. Aber Peschel und sein Ensemble lassen es wieder auferstehen mit dem Scheitern, Straucheln und wieder Aufstehen. Nicht ohne einen Seitenhieb auf einen gewissen Ortsteil der einst spanischen Stadt der Engel, aber auch das Vaudeville welches einst im Fredenbaumpark war erinnernd.

Unsere Helden leben dann auch gleich im Theater, weil das Leben so teuer ist, aber das Leben auch Kunst ist, und Kunst Leben, sie, wir sie brauchen, wie die Luft zum Atmen, die Freiheit zum Leben. Als Metapher für die Lust des Künstlers/Schauspielers am Spiel und seinem Hunger nach verdientem Applaus. Witzig, schnell, wendig wieselt das Ensemble durch die Kulissen und den Kulissenregen, wobei sie uns die Schnelligkeit des Vaudeville mit Sprache und agieren vorführen und fast atemlos machen und man aufpassen muss, dass man beim Lacher, nicht die nächste Pointe überhört.

Wo bleiben die, die keinen langen Atem mehr haben? Hier wird das Stück hochmodern im Zeitalter des Fame für 15min, sich verkürzenden Aufmerksamkeitsspannen und sich überschlagender Social Media Aufmerksamkeitheischerei. Alles begann eigentlich im Vaudeville mit seinen kurzen Sketchen und Szenen, was sich im Film fortsetzte.

Ein szenischer Parforceritt durch die sich drehenden Kulissen, etwas gebremst durch Verständlich- und Verfolgbarkeit der Sprache, der Dramaturgie, ansonsten wäre man vielleicht etwas außer Atem geraten. Oder man hätte den Einsatz zum Lachen verpasst … wohltuend, das Lachen. Die Verzweiflung der Schauspieler erschien jedoch nicht allzu gravierend, zu sehr war ihre Spielfreude zu erleben.

Es braucht Menschen, hier unsere Schauspieler, die imstande sind, andere Menschen zu begeistern, das Publikum der Premiere.

Als Gestern noch Heute … also das Morgen … von Vorgestern war …

Besetzung

Anton Andreew

Alexander Darkow

Linus Ebner

Bettina Engelhardt

Ekkehard Freye

Marlena Keil

Nika Miskovic

Regie: Milan Peschel

Regieassistenz: Anna Tenti

Regiehospitanz: Victoria Di Bello

Bühne: Nicole Timm

Bühnenbildassistenz: Christiane Thomas

Kostüm: Magdalena Musial

Dramaturgie: Sabine Reich

Dramaturgiehospitanz: Sabine Buchholzer, Hannah Straßheim

Licht Design: Henning Streck

Licht: Stefan Gimbel

Inspizienz: Mathilde Wienand

Souflage: Violetta Ziegler

Weitere Termin

03. Feb. 2022 19:30

18. Feb. 2022 19:30

19. Feb. 2022 19:30

05. März 2022 19:30

13. März 2022 18:00

Eintritt € 9,00 bis 23,00

Eindringliches „Zwischen den Stürmen“

Am 27.11.2021 hatte im Dortmunder Schauspiel „Zwischen den Stürmen“ unter der Regie von Poutiaire Lionel Somé (Burkina Faso) seine bemerkenswerte Premiere.

Grundlage für die Inszenierung bildete einerseits Shakespeares „Der Sturm“, andererseits das 1969 von Politiker, Schriftsteller und Mitbegründer der Négritude-Bewegung Aimé veröffentlichte „Ein Sturm“. Dieser konzentrierte die Geschichte auf Prospero (von seinem Bruder vertriebene einstige Herzog von Mailand, der zusammen mit seiner Tochter Miranda auf eine einsame Insel strandete.). Als Herrscher der Insel (bei ihm Karibik) unterstützen ihn der Luftgeist Ariel und sein Diener Caliban. „Ein Sturm“ ist eine Art Überschreibung des und Hinterfragung des Originals und stellt Fragen nach Macht, Kolonialisierung und Kultur in den Vordergrund. Somé sucht eine aktuelle Auseinandersetzung mit beiden Autoren und ihren Texten.

Es wurde eine modernen, interdisziplinären Inszenierung mit eindrucksvollen Video-Installationen, starken Bildern und fantasievollen Kostümen. Das Geschehen wurde zudem passend begleitet durch die Musik von Abdoul Kader Traoré.

Sarah Yawa Quarshie als "Caliban"  (Foto: © Birgit Hupfeld)
Sarah Yawa Quarshie als „Caliban“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Eindrucksvoll war das, wenn nötig flexibel nach oben verschiebbare, runde Bühnenkonstrukt mit Stelen, die herausgenommen werden konnten. Die sieben Schauspielerinnen verliehen dem Thema Kolonialisierung und seinen Folgen bis heute eine zusätzliche Authentizität.

Die kurzfristig eingesprungene Marlena Keil spielte den etwas chaotischen, selbstverliebten und herrschsüchtigen Prospero mit viel Humor, Ironie und Temperament. Ariel, gespielt von Valentina Schüle, sehnt sich nach Freiheit und ist hier ein Verbündeter von Prosperos Tochter Miranda (Nika Mišković). Miranda, die seit früher Kindheit auf der Insel lebt, hat im Gegensatz zu Prospero Respekt vor Natur und der Kultur dort und fühlt sich hier frei. Ariel spielt Prospero einfach die Rolle des Ferdinands vor. Prospero wollte den Königssohn mit ihrer Tochter verkuppeln, um wieder Macht zu bekommen.

Selbstbestimmung und kulturelle Identität sucht Caliban (Sarah Yawa Quarshinie). Sein wachsendes Selbstbewusstsein zeigt sich deutlich, als er nur noch mit seinem wirklichen Namen Bamawo angesprochen werden will. Er ist der Sohn der als „Hexe“ verschrienen Sycorax (Storytelling / Co-Autorin Bernice Lysania Akouala). Diese kam Ursprünglich aus Algier, spricht mit ruhiger klarer Stimme und erzählt ihre Geschichte.

Yemaya wird in ihrer Kultur als die Göttin des Meeres und der Mutterschaft verehrt und man hat Respekt vor jeglichem Leben. Die Erde ist für sie nicht „tot“ und kann nicht nach Belieben durch Menschen wie Prospero oder andere Eroberer ausgeplündert werden.

Seine Macht ist gebrochen.

Gehen wir den Weg gegenseitigen Achtung oder der Ausbeutung und Zerstörung fremder Kulturen sowie der Natur? Es liegt an uns. Der nächste „Sturm“, ob gewalttätige Aufstände gegen Unterdrückung oder Umweltkatastrophen kommen sonst schneller als uns lieb ist.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen finden sie wie immer unter

www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222

Der Platz – Der Aufstieg führt zur Sprachlosigkeit

Am 30. Oktober 2021 feierte das Theaterstück „Der Platz“ seine Premiere im Schauspielhaus. Die Regisseurin und Intendantin Julia Wissert inszenierte den Roman von Annie Ernaux als Monologstück, das von sechs Schauspieler*innen getragen wurde.

Die Geschichte der Familie von Ernaux ist beinahe typisch und kam so ähnlich auch in meiner Familie vor. Mein Urgroßvater kam aus einer ländlichen Gegend in der Nähe von Posen und landete 1900 in Dortmund. Mein Großvater und Vater waren beide Bergleute, also Arbeiter, während ich den „Aufstieg“ Dank meines Studiums „geschafft“ habe. Bei Ernaux ging es ähnlich vonstatten, arbeitete der Großvater noch auf dem Land, begann ihr Vater in der Fabrik, um sich später eine Gaststätte samt Laden zuzulegen. Das war ein Aufstieg in die Mittelschicht.

Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)
Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)

Dennoch schien ihr Vater immer zwischen den beiden Klassen zu wandern. Einerseits fand er die Sprache der einfachen Leute negativ. „Für meinen Vater war das Patois etwas Altes, Hässliches, ein Zeichen gesellschaftlicher Unterlegenheit. Er war stolz darauf, es abgelegt zu haben.“

Seine Tochter, die Erzählerin schafft den Einstieg in das Bürgertum, in der andere Werte zählten. Damit hatte sie zunächst Schwierigkeiten. „Ebenso brauchte ich Jahre, bis ich die übertriebene Freundlichkeit ‚verstand‘, mit der gebildete Menschen etwas so Simples wie „guten Tag“ sagten.“

Doch je mehr sich die Tochter von ihren Eltern entfremdet, desto deutlicher wird der soziale Unterschied, zumal sie einen Mann aus dem Bildungsbürgertum geheiratet hatte „Wie sollte ein Mann, der ins Bildungsbürgertum hineingeboren worden war, mit einer ironischen Grundhaltung, sich in der Gesellschaft rechtschaffener Leute wohlfühlen, deren Liebenswürdigkeit, die er durchaus sah, in seinen Augen niemals das entscheidende Defizit wettmachen können, die Unfähigkeit, ein geistreiches Gespräch zu führen.“

Die Bühne war stark reduziert. Ein Gartenhäuschen als Reminiszenz an den Vater, der gerne im Garten gewerkelt hatte. Dazu viele Gartenutensilien aus Plastik. Am linken Rand stand ein Pult, auf dem die Musikerin houaïda passende Musik und Gesang beisteuerte. Auch wenn Antje Prust, Linda Elsner, Lola Fuchs, Marlena Keil, Mervan Ürkmez und Raphael Westermeier in ihren bunten Kostümen einen guten Job machten, eigentlich ist „Der Platz“ in dieser Form ein Monodrama, ein Einpersonenstück. Denn es berichtet eigentlich nur die Erzählerin und andere Figuren tauchen nicht auf. Das wäre sicherlich noch intensiver geworden und beispielsweise Marlena Keil hat dies bei „Die Erzählung der Magd Zerline“ von Hermann Broch bereits unter Beweis gestellt, das so etwas sehr gut funktioniert.

Mehr Informationen unter www.theaterdo.de

Ein schwacher Held – Faust unterliegt Frauenpower

Starke Frauen stehen im Mittelpunkt einer modernen Fassung des Faust. Mephisto, verkörpert von Antje Prust überzeugt genauso wie Margarete (Marlena Keil). Als Vorlage der Inszenierung dienten Auszüge aus den Romanen Eis und Bro von Vladimir Sorokin. Die Proben fanden unter erschwerten Bedingungen statt, da die Regisseurin Mizgin Bilmen eine Woche vor der Premiere erkrankt war. Intendantin Julia Wissert und ihre Dramaturgin Kirsten Müller vollendeten die Inszenierung in dieser heißen Probenphase gemeinsam mit dem Ensemble. Der Chor der Studierenden, bestehend aus Studierenden der Folkwang Universität musste Coronabedingt per Audioaufzeichnung eingespielt werden.

Als der Vorhang sich hebt, blicken die Zuschauer in einen weißen Raum, im Hintergrund führt eine Treppe zu einer Tür in der ersten Etage. Zu Beginn erscheint Faust (Linus Ebner) als verzweifelter Künstler auf der Suche nach größerer Inspiration und Bedeutung. Mit großen ausladenden Bewegungen zeichnet er seine Verzweiflung mit dynamische Linien auf die weißen Wände. Möglich wird dies durch virtuos eingesetzte Beamertechnik, gestaltet durch Tobias Hoeft, der für Bühne und Visual Art verantwortlich zeichnet.

Statt in einer Studierstube erlebt man den Faust wie in einem überdimensionierten Atelier. Er fühlt sich zu Höherem berufen. Gelangweilt vom Alltag, getragen von einer Art Hybris giert er nach Verführung, Abenteuer und Extase. Erdgeister und Hexen krauchen über die Bühne, Mephisto sieht die Chance gekommen den Verzweifelten mit Erlösung zu locken. Sexy gekleidet mit schwarzem, durchsichtigem Bodysuit, ist Antje Prust auf der Bühne in ständiger Bewegung. Während die Geschichte ihren Lauf nimmt, färben sich die Wände in immer stärkeres Violett, die feministische Kraft und das Geistige symbolisierend. Machtbewusst setzt Mephisto ihre zerstörerischen Kräfte ein. Mit teuflischen Gesten, als Pudel bellend und strampelnd beherrscht sie das Geschehen. Nachdem der Pakt mit Faust geschlossen ist, verfällt dieser im Liebeswahn der Margarete. Die Schauspielerin ist als moderne junge Frau gekleidet, ganz in schwarz mit kurzem Rock und dicken Boots. Kein Gretchen, sondern eine Margarete, die auch einmal laut Scheiße brüllt, nicht nur Opfer ist, sondern auch handlungsfähig. Entzückend gespielt ist die Liebesszene als Faust und Margarete einander verfallen.

Faust ist ein schwacher Held, zur Walpurgisnacht darf er nicht kommen, sondern Margarete nimmt daran teil. Selbst bei der Befreiung aus dem Kerker hockt er nur schwach im hinteren Bühnenbereich und sieht passiv zu wie Margarete durch Mephisto und die Hexen erlöst wird.

Das Ende der 100minütigen Vorstellung ist unverhofft ein wenig kraftlos geraten. Obwohl zur Bildung einer widerständigen Bewegung aufgerufen wird, verpufft die Kraft der Worte. Ein starkes Bild ist jedoch Mephisto mit Flügeln aus Fleischhälften gekleidet, die Rolle der Lilith zitierend.

Die nächsten Vorstellungen sind am 2. und 3. Dezember geplant.

Faust (Linus Ebner) ist nicht nur in diesem Bild im Hintergrund. In der Inszenierung dominieren starke Frauen wie margarete (Marlena Keil) und Mesphisto (Antje Prust). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Faust (Linus Ebner) ist nicht nur in diesem Bild im Hintergrund. In der Inszenierung dominieren starke Frauen (v.l.n.r.) wie Margarete (Marlena Keil) und Mesphisto (Antje Prust). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Sensibles Melodrama um Enoch Arden

Im Studio des Schauspiels Dortmund hatte „Enoch Arden“ (nach dem Versepos von Alfred Tennyson aus dem Jahre 1864) in der Inszenierung von Bjarne Gedrath am 23.02.2020 seine Premiere. Die Vertonung von Richard Strauss (1897) wurde von Oliver Siegel mit seinen musikalischen Arrangements frei adaptiert und als atmosphärische Begleitung auf die Bühne gebracht.

Viele kleine Deckenlampen wurden der Stimmung angepasst und jeweils ein oder ausgeschaltet. Auf der Bühne wurde ein mit etwas Wasser gefülltes niedriges schwarzes Wasserbassin angelegt. Auf einer Pritsche lag Enoch Arden (gespielt von Uwe Rohbeck). Das Wasser im Bassin stand symbolhaft für das Leben des Seemanns Enoch Arden.

Kurz vor seinem Tod zieht das Leben vom Seemann und Fischer Enoch Arden noch einmal an ihm vorbei. Seine Geschichte ist nicht nur tragisch für ihn, sondern sie betrifft auch in einem großen Maße seine große Liebe Annie (gespielt von Marlena Keil) und seine Kinder. Beide kannten sich schon seit Kindestagen und waren gut befreundet mit Philipp, den Sohn eines Müllers. Im Kampf um die Zuneigung und Liebe zieht der schüchterne Philipp den kürzeren. Enoch Arden und Annie heiraten und bekommen drei Kinder. Nach einem Unfall fürchtet der Protagonist, seine Familie nicht mehr genügend finanziell unterstützen zu können. Seine Kinder sollen es doch einmal besser haben. Er beschließt, mit einem Handelsschiff auf eine längere Reise in ferne Länder zu schippern und so viel Geld zu verdienen. Seine Frau kommt mehr schlecht als recht über die Runden.Ihr kaufmännisches Geschick, die Hoffnung, dass er schnell heimkehrt zerschlägt sich, als er auf einer Insel im Nirgendwo strandet und allein überlebt. Ganze zehn Jahre ist er verschollen. Die Stimmung der verzweifelte Annie wechselt zwischen Hoffen und Bangen. Das dritte kränkelnde Kind stirbt. Der finanziell gut stehende Philipp bietet an, die Schulbildung der Kinder von Annie zu finanzieren. Nach langen Zögern gibt Annie dem Liebesdrängen von Philipp nach und heiratet ihn schließlich. Die beiden bekommen auch noch einen Sohn. Doch dann kehrt Enoch Arden in seine alte Heimat zurück und muss eine schwere Entscheidung treffen…

Enoch Arden (Uwe Rohbeck) möchte sich seiner Annie (Marlena Keil) nicht offenbaren. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Enoch Arden (Uwe Rohbeck) möchte sich seiner Annie (Marlena Keil) nicht offenbaren. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Marlena Keil und Uwe Rohbeck gelang es wunderbar, die Gefühlslagen von Annie und Enoch gegenüber zu stellen. Die tiefe Einsamkeit, Liebe, Hoffnung und Verzweiflung aus beider Sichtweisen und Erlebnissen prallen aufeinander. Arden wollte das Beste für seine Familie und glaubte daran, schnell zu ihr zurück zu kommen. Sie hatte über viele Jahre die Ungewissheit über das Schicksal ihres Mannes und die Verantwortung für ihre Kinder zu tragen. So ähnlich erging es wohl den Frauen nach den Kriegen, wenn sie nicht wussten, ob ihre Männer noch lebten und jemals nach Hause kommen würden.

Die Text aus dem 19. Jahrhundert waren von eindringlicher Kraft und wurden oft vom Textblättern, die aus einer alten Schreibmaschine gezogen wurden, vorgelesen (und im Wasser versenkt). Trotz seines gebrochenem Herzen war Enoch am Ende das Glück von Annie wichtiger als sein eigenes.

Gelegenheit, dieses Stück im Studio zu erleben, gibt es noch am 28.02.2020 und am 06.03.2020 jeweils um 20:00 Uhr.

Infos gibt es wie immer unter www.theaterdo.de oder tel.. 0231/50 27 222

Der Widersacher – wenn Lügengerüste in sich zusammenfallen

Im Studio des Dortmunder Schauspiel hatte am Sonntag, den 01.12.2019 „Der Widersacher“ nach dem gleichnamigen, auf einer wahren Begebenheit beruhenden, Roman von Emmanuel Carrère seine Premiere. Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Matthias Seier versuchten mit ihrer Inszenierung in die Hintergründe und psychologische Tiefen der realen menschlichen Tragödie eines spektakulären Mordfalls im Jahr 1993 in Frankreich zu blicken.

Manchmal, ganz selten, kann Hochstapelei zum Erfolg führen. Wer kennt nicht die Geschichte des aus dem Gefängnis entlassenen Schuster Voigt, der als „Hauptmann von Köpenick“ zum Held wurde. Doch die meisten Geschichten gehen schlecht aus. Meist enden sie im Gefängnis, aber keine endete so katastrophal wie die von Jean-Claude Romand.

Wie konnte der angeblich als Mitarbeiter in gehobener Position bei der WHO in Genf arbeitende, gutbürgerliche Familienvater Romand zu einem exzessiven Mörder seiner gesamten Familie samt Eltern und Hund werden? Wie konnte er sich über fast zwei Jahrzehnte ein Lügengerüst und Doppelleben aufbauen? Warum hatte keiner in der Familie oder Bekanntenkreis etwas bemerkt? Wieso musste es, von der ersten harmlosen kleinen Lüge angefangen, wie bei einem Kugelstoßpendel zur gewalttätigen Eruption kommen? Wie lange kann man Fassaden und Masken aufrecht erhalten? Die Grenzen zwischen „Real“ und „Fake“ verschwimmen.

Der Stoff ist gerade auch heute höchst aktuell und macht nachdenklich. Wie in der Inszenierung wörtlich ausgesprochen, wird Erfolg für viele Menschen zu einer neuen „Religion“ und gibt ihnen eine Art Daseins-Sinn.

Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wie konnte Romand so lange lügen und warum ist keiner vorher misstrauisch geworden? (v.l.n.r.) Marlena Keil, Björn Gabriel, Caroline Hanke, Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Bühnenbild bot einen kleinen Einblick in die zerstörten, durch das nach seinen Taten von Romand in Brand gesetzten Wohnraum. Drei Trennwende im Hintergrund zeigten die verkohlten Überbleibsel des Wohnhauses, und in der Mitte des Raumes war auf schwarzen Sockeln Requisiten (Familenfoto, Geschirr, ein leicht verkohlter Teddybär u.s.w.) Die rechte Wandseite wurde für Videoprojektionen, wie etwa für das Gebäude der WHO oder den Jura-Wald u.a.) oder kurze Hinweise genutzt.

Die sieben Schauspieler*innen auf der Bühne versetzten sich stellvertretend für das Publikum in die beteiligten Personen, und versuchten das scheinbar Unerklärliche fassbar zu machen. Sie ließen die Entwicklungsgeschichte von der Kindheit Romands (und der anderen beteiligten Personen) bis zu der grausamen Tat mit eigenen Bemerkungen dazu Revue passieren, sowie deren möglichen Beweggründe und Persönlichkeitsstruktur zu analysieren.

Uwe Rohbeck spielte dabei sowohl den Part des recherchierenden Schriftsteller Emmanuel Carrère und am Ende den des Mörders Jean-Claude Romand (als in seiner Angst der Aufdeckung gefangenen Bär).

Alida Bohnen, Berna Celebi und Maximilian Ranft (Schauspiel studierende aus Graz) übernahmen den Part, der sich auf die Studentenjahre bezog oder den der Kinder von Romand.

Björn Gabriel, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Rohbeck übernahmen die Rollen von Freund Luc und Ehefrau in den Jahren vor und bis zu den Morden. Durch ihre stark gespielte Stellvertreterfunktion wurde es dem Publikum schwer gemacht, sich selbst unbeteiligt ruhig zurückzulehnen.

Unsicherheit, eigene „Widersacher“ (Teufel?) und Lügen, Scham, Ängste wurden ihm vor Augen geführt.

Eindrucksvoll war unter anderem der wütende Ausbruch von Marlena Keil als Florence Romand, die unbedingt eine „guten Auflauf“ aufbacken will, um wenigstens „etwas zu schaffen“. Bezeichnend für die problematische Sicht auf die Frauenrolle. Florene hat schließlich ein Studium der Medizin /Pharmazie abgeschlossen, arbeitet halbtags, hat zwei Kinder erzogen.

Es darf nicht vergessen werden, das vor allem Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wie das Stück auch zeigt, ist das Schweigen und verdrängen ein großes Problem. Ein nachdenklich machendes Stück, das seine lustigen Momente hatte. Besonders, wenn es um die kleinen menschlichen Schwächen ging.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50-27222.

Schimmelpfennigs „Das Reich der Tiere“ mit persönlicher Brisanz

Mit der Premiere von „Das Reich der Tiere“ (Roland Schimmelpfennig, * 1967 Göttingen) unter der Regie von Thosten Bihegue startete das Schauspiel Dortmund am 05.10.2019 in die neue Spielzeit 2019/20. Um es vorweg zu nehmen. Ja, die bissig-ironische Komödie „Das Reich der Tiere“ bekam natürlich durch den anstehenden Wechsel der Intendanz im Schauspiel ab der nächsten Spielzeit auch eine persönliche Note.

Das Schauspielmilieu mit seinen besonderen Gesetzen und Unsicherheiten für die Ensemble- Mitgliedern steht ja im Mittelpunkt dieser Parabel. Enthalten ist zudem eine viel weitergehende gesellschaftliche Kritik und Offenlegung der Mechanismen des kapitalistischen Systems.

Im Stück führen sechs Schauspielerinnen und Schauspieler seit sechs Jahren ein Tier-Musical auf.

Als Löwe (Christian Freund), Zebra (Ekkehard Freye), Ginsterkatze (Marlena Keil), Marabu (Frank Genser), Schildkröte (Bettina Lieder) und elegante Antilope (Alexandra Sinelnikova) erzählen sie vom Reich der Tiere. Hier regiert zunächst das Zebra, bis ihm der Löwe den Platz als Herrscher streitig macht. Beide müssen sich in brenzliger Situation vor einem Brannd und gegen das gefährliche Krokodil helfen und zusammenhalten. Aber hält der Friede lange an?

Nun soll das Stück abgesetzt werden, etwas Neues soll her. Die Unsicherheit, Neid und Missgunst, Vermutungen, eigene Träume und ganz persönliche Ängste machen sich unter den SchauspielerInnen breit. Jeder versucht, seine Chancen auszuloten und kämpft für sich. Bitter dabei ist, alle sind durch ihre langjährige Tierrolle zu namenlosen Darstellern degradiert, und keiner kennt sie wirklich als Person.

Solidarität oder Alle gegen Alle. Und die Frage: Lässt sich das Darstellerprekariat auf jeden Job ein? "Das Reich der Tiere" mit u.a.  Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Darstellerprekariat auf jeden Job ein? „Das Reich der Tiere“ mit u.a. Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Zebra, Schauspieler Frankie, versucht in seiner Wohnung Informationen zum neue Stück „Garten der Dinge“ von der Regisseurin (wunderbar gespielt von Bettina Lieder) zu bekommen und Vorteile für sich erlangen, indem er zur Lesung zu diesem Stück geht. Doch das geht schief. Ernüchtert spielt er später sogar in einem Werbespot mit

Obwohl eigentlich niemand (vor allem die Ginsterkatze) bei dem „Garten der Dinge“ mitmachen will, lassen sich am Ende als entpersönlichte „Dinge“ wie etwa eine Ketchupflasche, Toaster, Pfeffermühle oder Spiegelei in diesem surrealen Stück einsetzen.

Die Inszenierung stellte das Ensemble neben der schauspielerischen auch wieder einmal vor physische Herausforderungen. Choreografien und musikalische Anforderungen, ob punkig-rockig oder leiser, wurden von ihnen gemeistert. Das dieses Ensemble auch musikalische Qualitäten hat , bewies es ja schon öfter. Die verschiedenen Charaktere (Symbolhaft bei den Tieren) wurden mit großer Intensität und Körperlichkeit für die ZuschauerInnen auf die Bühne gebracht.

Künstliche Kakteen und andere Requisiten sorgten auf der Bühne für den passenden Hintergrund. Auf einer erhöhten Plattform spielen Serge Corteyn und Manuel Loos Live-Musik zur atmosphärischen Begleitung des Abends.

Die Kostüme waren sehr fantasievoll von Theresa Mielich gestaltet.

Ein komödiantisch-ironischer Theaterabend, der das Publikum trotz des ernsten gesellschaftlichen Hintergrund zum lachen brachte.

Wäre es doch besser für uns und die Gesellschaft allgemein, sich nicht spalten und gegeneinander ausspielen zu lassen. Wären Zusammenhalt und Solidarität gegen das „Krokodil“ eine Möglichkeit?

Informationen über weitere Aufführungstermin erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.. 0231/ 50 27 222.

Eine Herzkammer gerät ins Stocken

150 Jahre wird die SPD in Dortmund, na ja, um genau zu sein, eine der Vorgängervereine. 1868 gründete sich die erste Dortmunder Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Bis zur Herzkammer der SPD sollte es in Dortmund aber noch etwas dauern. Dennoch spendierte Sänger und Musiker Rainald Grebe der „alten Tante“ ein ordentliches Geburtagsständchen und viele Gäste kamen. Auch Ars tremonia. Ein Premierenbericht vom 30. März 2019.

Besonders lustig sind Ortsvereinsversammlung selten, doch Grebe hat es geschafft, gut zweieinhalb Stunden geballte SPD-Geschichte Revue passieren lassen, ohne dass die große Langeweile aufkommt. Dabei schaffte er auch den Spagat zwischen ernst gemeinten Lob für eine Partei, die sich um die kleinen Leute gekümmert hat und vergaß nicht, auf die aktuelle Orientierungslosigkeit der Partei hinzuweisen.

Es begann wie eine Ortsvereinssitzung, allerdings in einer feierlichen Umgebung. Anke Zillich spielte die Ortsvereinsvorsitzende des fiktiven Ortsvereins. Erst einmal wurden alle anderen Ortsvereinsvorsitzenden begrüßt, was bei der Menge an Ortsvereinen in der Dortmunder SPD eine Weile dauerte. Christian Freund, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Schmieder spielten weitere Mitglieder des Ortsvereins.

Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Carloine Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Caroline Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Zu einer Jubiläumsveranstaltung gehören natürlich auch Reden. Neben Videobotschaften von Andrea Nahles oder Franz Müntefehring gab es auch echte Grußworte, gesprochen vom Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Dabei spielte Andreas Beck – mit einer herrlichen Perücke – den OB, während der echte im Publikum saß. Er nahm es wohl mit Humor. Die anderen „Gäste“ kamen aus der Gruft: Ferdinand Lasalle, Willy Brandt, Kurt Schumacher, Rosa Luxemburg.

Wie es sich für eine Arbeiterpartei gehört wurden auch viele Lieder gesungen. „Die Gedanken sind frei“ und „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ erklangen zusammen mit dem Publikum, während „Die Partisanen von Amur“, „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ oder „Mein Vater wird gesucht“ vom Ensemble gesungen wurde.

Dabei wurden auf der Feier des Ortsvereins auch Gäste begrüßt. Der Chor der Naturfreunde, der AWO und der Tafel (alles der Tafelchor) und der Männergesangverein der Zeche Viktoria. Die Ästhetisierung von gefährlicher Schwerarbeit durfte natürlich nicht fehlen. So erklang das altbekannte „Glück auf“ als Reminiszenz der Bergbautradition und für alle Bergbau-Romantiker.

Ab diesem Zeitpunkt wurde aus der fröhlichen Jubilarfeier eine Zustandsbestimmung der SPD. „DJ Alexander“ alias Andreas Beck erzählte vom auszehrenden Leben einer „Ich-AG“, die durch Gerhard Schröder in der Regierungszeit von Rot-Grün eingeführt wurde. Doch gibt es noch Arbeiter anno 2019? Und wenn ja, wer sind sie? Die Antwort gab Rosa Luxemburg (Caroline Hanke): Von wegen es gebe keine Arbeiter mehr. Müllmänner, Paketboten, Kindergärtnerin, Krankenpfleger. „Das ist die Mehrheit. Das sind Millionen. Und das ist die Klientel der SPD. Liebe Genossen, wenn ihr das nicht erkennt: dann löst euch doch auf.“

Wenn es nach „Unsere Herzkammer“ geht, dann geht die SPD ihrem Ende entgegen. Zumindest hat Rainald Grebe eine Beerdigung als Schlusspunkt gesetzt. „Wir wollen von allen geliebt werden, doch das geht nun mal nicht“, sprach Anke Zillich als Ortsvereinsvorsitzende. Doch es gibt noch Hoffnung: „Wir können doch frei aufspielen, was wagen, was riskieren“. Das wäre der SPD zu wünschen.

Neben dem Ensemble gehört natürlich ein großes Lob den Chören sowie den Musikern Umut Akkuş, Tobias Bülow, Jens-Karsten Stoll und Markus Türk, die als Multiinstrumentalisten das Jubilarfest perfekt begleiteten.

Wer auch noch zur Jubilarfeier möchte, Karten und Informationen gibt es unter www.theaterdo.de

Humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Genre

Während Kay Voges uns am Vortag in die Parallelwelt entführte, schmiss Jörg Buttgereit die Zeitmaschine an und schickte die Besucher ins Italien der 70er Jahre: Im Studio des Dortmunder Schauspiels hatte am 16.09.2018 das neue Stück „Im Studio hört dich niemand schreien“ von Jörg Buttgereit und Anne-Katthrin Schulz (frei nach Argento und Strickland) Premiere.

Es war nicht nur eine respektvoll-humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Slasherfilm der 70-iger Jahre (insbesondere auch Peter Stricklands Giallo-Hommage „Berberian Sound Studio“, Pychothriller 2012).Zugleich erfährt das Publikum etwas über das „Making of“ dieser Filme und bekommt auch kleine Einblicke in das Genre in den 1970-iger Jahren über eingebaute Textpassagen beispielsweise aus „The Sinful Dwarf (Vidal Raski 1973) oder etwa Argentos „Vier fliegen auf Grauen Samt“ (1971).

Bühnenbild und Kostüme im Studio wurde in akribischer Arbeit von der gelernten Architektin Susanne Priebs dem Interieur im Jugendstil und Art Déco und der Mode des Italien um 1976 nachempfunden. Jedes Detail sollte stimmen. Ob es das Telefon mit der Wählscheibe, ein altes Ton- Aufnahmegerät, das Mobiliar oder die schwarzen Mäntel, Perücken und Kleidung der Frauen, Koteletten und Schnauzbart des Sohnes und vieles andere mehr.

Die ZuschauerInnen und ZuhörerInnen tauchen quasi ein in das Jahr 1976 und dem Tonstudio (Sound Studio) von Regisseur Dario Winstone( der Vorname weist natürlich nicht zufällig auf Dario Argento hin) und seiner Familie sowie Synchronsprecherin und Mitarbeiter im Hintergrund.

In diese spezielle Welt hinein stößt Geräuschemacher Maximilian Schall, der das frisch abgedrehte Filmmaterial von Winestone nachvertonen soll. Er war bisher nur für die Vertonung von harmlosen Naturfilmen mit Tieren verantwortlich und weiß nicht so recht, was ihn erwartet.

Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.
Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.

Uwe Rohbeck, schon oft in Buttgereit-Stücken (zum Beispiel „Elefantenmensch“) zu bewundern, schlüpft wieder einmal meisterhaft in die Rolle des kleinen, verschüchtert wirkenden Geraüschemachers mit Schiebemütze, der Briefe von seiner Mutter zugeschickt bekommt.

Man merkt ihm deutlich an, wie unwohl er sich dabei fühlt, einen gewalttätigen Horrorfilm nachzuvertonen. Er fühlt sich in dem Genre unwohl, gibt aber sein Bestes.

Das Publikum sieht nicht den Film, sondern hört nur die Szenen-Einspielungen mit den Synchronsprecherinnen und später noch Sprecher. Der Horror spielt sich im Kopf ab.

Die geben alles, um das Geschehen mit lautem Schreien, Stöhnen und ihrer Sprache akustisch glaubhaft darzustellen. Maximilian Schall macht mit verschiedensten Requisiten, unter anderem Gemüse ( etwa Kohlkopf, Wirsing, Wassermelone) in das er herzhaft mit einem großen Messer hinein sticht, einem Handschuh aus Leder, Papiere und Folien zum Reißen für jede Situation das passende Geräusch. Er steigert sich nach und nach hinein.

Als „Running Gag“ läuft er immer vergeblich der Erstattung seiner Auslagen für den Flug von Deutschland nach Italien. Eine kleine Spitze gegen das Kunstverständnis (Kunst als ehrenvolle Aufgabe, die man eigentlich nicht mit Geld vergüten muss).

Ekkehard Freye spielt mit viel Spaß den von sich eingenommenen sexistischen Macho-Regisseur Dario Winestone, der (wie eben Argento) einen ästhetisch hohem Niveau und mit stilistischen Anspruch an seinen spektakulären Inszenierungen voll Gewaltexzessen, qualvollen Vergewaltigungen bis hin zum Mord.

Während Eva Leone (Marlena Keil) auch so ihre Schwierigkeiten hat, kennen sich die Tochter Asia (Alexandra Sinelnikova) und Dario Winestones zweite Frau Janet Lee Curtis (Caroline Hanke) mit den Giallo-Filmen gut aus. Caroline Hanke spielt die Janet mit schwarzer Langhaar-Perücke als selbstbewusst scheinende Domina, die hinter ihrem Mann steht. Marlena Keil als Eva Leone begehrt nach und nach gegen den sie sexuell ausnutzenden Winestone auf. Bei einen spektakulären Spagetti-Essen während einer Pause werden die verschiedenen Ansichten der einzelnen Familien-Mitglieder deutlich. Die Tochter Asia verachtet ihren sexistischen und Macho-Vater mit seinen Gewaltfantasie-Filmen. Sohn Rock Hamond träumt von zukunftsweisenden Filmen wie etwa Kubricks „2001 – Odysse im Weltraum“ mit dem klügsten Computer der Welt „Hal 9000“.

Selbstverständlich streut Buttgereit auch einige Zitate und Anspielungen aus anderen Filmen ein. So träumt Winestone von einem Film, in dem die Verbrechen schon vor der Tat verhindert werden (Minority Report“). Das Motiv von „Vier Fliegen auf grauem Samt“ , bei der das letzte vom Opfer gesehene Bild den Mörder überführt und Janet spricht in ihrer Rolle als Hexe die Wörter „Klaatu Verata Nektu“ richtig aus, anders als Ash im zweiten Teil von „Tanz der Teufel“.

Am Ende verschwimmen die grenzen zwischen der Schattenwelt des Film-Kunstwerks zwischen Leben und Tod und der Realität.

Ein aufregender Theaterabend mit dem Dreamteam Buttgereit und Rohbeck und eine gelungene Hommage an das Filmgenre „Giallo“.

Bedeutend für die atmosphärische Begleitung des Stückes war das ausgezeichnete Sound Design von Frank Behnke und die Dramaturgie von Anne-Kathrin Schulz und Michael Eickhoff.

Weiter Aufführungstermine: 20.09.2018 um 20.00 Uhr, 06.10.2018 (20:00 Uhr), und 28.10.2018 um 18:30 Uhr. (15,- Euro).

Weitere Informationen und Karten unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222