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Emotionale Achterbahn in der neutralen Zone

Rinaldo (Ileana Mateescu) zwischen Almirena (Tamara Weimerich links) und Armida (Eleonore Marguerre rechts). Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture
Rinaldo (Ileana Mateescu) zwischen Almirena (Tamara Weimerich links) und Armida (Eleonore Marguerre rechts). Foto: ©Thomas M. Jauk / Stage Picture

Mit der Übernahme seiner erfolgreichen Produktion in der Oper Zürich in Kooperation mit dem Theater Bonn von Georg Friedrich Händels „Rinaldo“ brachte Opernintendant Jens-Daniel Herzog und das Dortmunder Ensemble am 09.01.2016 (Premiere) eine weitere Barockoper auf die heimische Bühne. Ein wenig Lokalkolorit spielte mit, denn „Rinaldo“ besitzt auch Bezüge zu Ritter Rinaldo (Reinoldus) von Montauban, dem Schutzpatron unserer Stadt, aus den Heldensagen von Kaiser Karl den Großen kommen.

Herzog transferierte das Geschehen der Geschichte, basierend auf der Legende über die Schlacht um Jerusalem (1099) in moderne Transit-Räume, einem Flughafen und einer Hotellobby. In dieser neutralen Zone treffen sich die beiden Parteien: Die christliche Fraktion um Goffredo und seinem Bruder Eustazio und die islamischen Fraktion um Argante und der Zauberin Armida. Um den Sieg zu erringen, benötigt Goffredo unbedingt die Hilfe von Rinaldo. Der leidet aber an einem „Burn-out“ und will eigentlich nur mit Goffredos Tochter Almirena ein ruhiges Leben führen. Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Die Gegenseite entdeckt den schwachen Punkt bei Rinaldo und entführt Almirena und Armida bekommt auch Rinaldo in ihre Fänge. Selber eher an ihrem persönlichen Glück interessiert, verliebt sich Armida aber in den schönen Rinaldo und kann ihn nicht töten. Argante wiederum ist emotional zu der sanften Almirena hingezogen. Das bleibt vor der rach-und eifersüchtigen Armida nicht verborgen. Nachdem Almirena und Rinaldo von Goffredo und Eustazio mit Hilf eines Magiers befreien können, raufen sich auch Argante und Almirena wieder für den Kampf um Jerusalem zusammen. Nachdem die christlichen Kreuzritter die entscheidende Schlacht gewinnen, arrangieren sich alle Parteien notgedrungen.

„Eine Hauptfigur hasst zu Beginn eine andere und stellt erst später fest, dass sie ihn liebt.“ Allein darüber haben spätere Komponisten ganze Opern verfasst. In der Zeit von Händel ging das alles noch schnell. Keine Psychologisierungen, kein langsamer Gefühlswandel über vier Arien, von „Ich werde dich töten“ zu „Ach, ist der hübsch. Ich bin verliebt“ dauert es bei Armida nur wenige Sekunden. Ebenso schnell wird der „Beziehungsstreit“ zwischen Argante und Armida beendet.

Dabei half Herzog auch die geniale Bühne von Christian Schmidt. Die geschickt ausgewählte drehbare Bühnenvorrichtung mit ihren verschiedenen Ebene bot eine geniale Spielwiese für spezielle Effekte und die Möglichkeit, verschieden emotionale Zustände wie Wut, Eifersucht, Liebe und Traurigkeit aber auch humorvolle Ironie auf die Bühne zu zaubern. Rinaldos (Ileana Mateescu) Verzweiflung wird zum Beispiel noch deutlicher, dass sich die Personen um ihn herum in Zeitlupe bewegen. Ein im Schockzustand bekanntes Phänomen. Der Höhepunkt war die Arie von Rinaldo „Venti, turbini, prestate“ kurz vor Ende des ersten Aktes, als Rinaldo die Kraft des Windes beschwor und sich alle dem Sturm beugen mussten. Vom Winde verweht auf die komischste Art.

Die Barockoper stellt besondere Anforderungen an die Stimmlagen der Sänger/innen. So sind bei „Ronaldo“ auch die Männerrollen zumeist von Frauen oder besetzt. Sozusagen Frauen-Power.
Als Rinaldo bewies die in „Hosenrollen“ (zum Beispiel „Rosenkavalier“) erfahrene Ileana Mateescu wieder einmal mehr ihr gesangliches und darstellerisches Können. Das gleich gilt für Eleonore Marguerre als Armida in all ihren Facetten. Mal erotisch-frivol, mal wütend eifersüchtig voller Rache. Tamara Weimerich als liebreizende Almirena begeisterte vor allem bei der schönsten und bekanntesten Arie der Oper „Lascia ch’io pianga“. Gelungen war auch ihr erster Auftritt als Art weiblicher James Bond. Als Gast aus Bonn gefiel Kathrin Leidig als Goffredo. Obwohl er am Anfang mit der Lautstärke zu kämpfen hatte, machte Jakob Huppmann als Eustazio die besondere Faszinazion einer Kauntertenor-Stimme deutlich, zudem hatte er es beim Publikum nicht leicht, nachdem er in der ersten Szene die Zukunft aus einer frischen Katzenleber lesen musste. Tierfreunde brauchen jedoch keine Panik zu bekommen, es wurde alles nur gespielt. Ist schließlich auch eine Oper. Mit viel Humor und Stimmgewalt füllte Gerardo Garciacano seine Rolle als Argante.

Das Tanzensemble bereicherte die Inszenierung mit schönen Choreografien, denn sie waren weit mehr als nur Statisten. Ihre Tanzeinlagen passten wunderbar zur Inszenierung, mit Aktenkoffer und Business-Anzug, als Unterhändler, die mehr mit den Akten als mit dem Schwert kämpften.

Die Inszenierung war bis in die Nebenrollen gut besetzt. Sei es die verführerischen Sirenen (im Stewardessen-Look) oder der Magier (Maria Hiefinger) als Reinigungskraft.

Die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Motonori Kobayashi waren passend in Barockorchester-Stärke zu hören. Dafür waren sie etwas erhöht, so dass sie für das Publikum als sichtbarer Teil der Inszenierung zu erkennen waren. Das musikalische Fazit: Sie können auch Barockmusik.

Es war ein begeisternder Barockopern-Abend. Wo so viel auf verschiedenen Ebenen passiert, ist es schwer, all die vielen Details mit zu bekommen. Da hilft nur, noch mal ansehen und anhören. Denn die Inszenierung kennt keine Langeweile, ist ist mit viel Augenzwinkern gemacht worden, ohne die Sängerinnen und Sänger in irgendeiner Form bloß zustellen. Die Beziehung zwischen Christen und Muslimen steht nicht im Mittelpunkt, sie ist noch nicht einmal ein Randthema. Es geht in dieser Inszenierung nicht um Religion, sondern um die Wirren und Fallen der Liebe.