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Der Mensch als Ware

Andreas Beck zeigte wie bei "Steve Jobs" eine unglaubliche Präsenz. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Andreas Beck zeigte wie bei „Steve Jobs“ eine unglaubliche Präsenz. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Money makes the world go round“, singt Liza Minelli im Film „Cabaret“. Übersetzt: Geld regiert die Welt. Und wer sorgt dafür, dass Geld fließt? Der Handel. Gehandelt wurde schon immer über Grenzen, Kontinente und Völker. Das Mittelmeer war schon immer ein Zentrum des Handels. Angefangen über die Phönizier über die Römer und Venedig bis hin zu den heutigen Statten. Natürlich kann nicht alles legal ablaufen. Waffen, Drogen oder Menschen werden gerne „schwarz“ gehandelt und mit einer „schwarzen Flotte“ transportiert. Wer verdient daran? Wer sind die Hintermänner? Aus einer Recherche von Correctiv machte Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz ein bewegendes Ein-Personen-Stück unter der Regie von Kay Voges. Hier brillierte Andreas Beck wie bereits in „Agonie und Extase des Steve Jobs“. Dank seiner Präsenz wurde aus der „schwarzen Flotte“ ein packendes Erzählstück. Ein Premierenbericht vom 23. Oktober 2016.

Welche Wege geht der Journalismus? Print, Online und TV/Radio haben alle ihre Vor- und Nachteile. David Schraven hat es vor einigen Jahren neue Wege beschritten und hat seine Recherche „Weisse Wölfe“, über Verbindungen von Neonazis in Europa, als Comic herausgegeben. Für „Die schwarze Flotte“ haben Mitglieder des „correctivs“ Cecilia Anesi, Frederik Richter, Giulio Rubino und Schraven recherchiert. Jetzt ein Theaterstück. Kann man trockene Recherche in ein knapp 90-minütiges Stück verarbeiten? Klare Antwort: Ja.

Mal angenommen Sie hätten einen Frachter. Alt, kaum seetüchtig. Keine Versicherung der Welt würde das Schiff noch versichern, weil es zu riskant wäre. Die einzige Möglichkeit, um noch etwas Geld zu verdienen, ist das Schiff nach Indien zu schleppen und für 300.000 Dollar zu verschrotten. Dann bekommen Sie ein spezielles Angebot: Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Griechenland oder Italien zu bringen. Der Vorteil ist, die Menschen zahlen vorher und es ist, im Gegensatz zu Drogen oder Waffen, egal, ob das Schiff ankommt oder nicht. Über 2 Millionen Euro würden Sie garantiert erhalten, denn so ein Ticket nach Europa ist teuer und begehrt. Wie würden Sie entscheiden?

Das war nur ein Aspekt, den Andreas Beck in der „schwarzen Flotte“ ansprach. Mit der Baseballcap wirkte er auf den ersten Blick wie Autor und Regisseur Michael Moore. Und ähnlich wie Moore verkörperte Beck einen Rechercheur, jemanden, die Dingen gerne auf den Grund gehen möchte. Dabei lernte der Zuschauer viel über die Methoden von Journalisten, die Wahrheit herauszufinden. Regisseur Kay Voges war auch für die Bühne zuständig und verwandelte sie in einen kleinen Multimedia-Tempel mit kleinen Monitoren, einer Kamera und großer Videowand im Hintergrund. Das Schöne daran war, dass Beck im Mittelpunkt blieb und es schaffte, dass die Zuschauer an seinen Lippen hingen trotz vieler Schiffsnamen und Personen.

Denn die Wahrheit ist vertrackt. Sie versteckt sich gerne in Piräus oder den Marschall-Inseln. Denn Schiffe gehören in der Regel nicht einer Person, sondern einer Gruppe von Menschen. Das hat den Vorteil, dass man das Risiko und den Gewinn auf mehrere Schiffe verteilen kann. Für die Rechercheure ein Problem. Wem gehört jetzt das Schiff, das Drogen oder Waffen transportiert hat. Beck führt uns auf den harten Weg der Wahrheitsfindung, der auch Rückschläge beinhaltet. Doch ist die gleiche syrische Elite, die gegen ihre eigene Bevölkerung Krieg führt auch diejenige, die an der Flucht profitiert? Die Frage bleibt offen.

Beck spricht in dem Stück auch über die „weisse Flotte“. Diejenige, die legal Waffen an Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar liefert, selbst in dem Wissen, dass damit in anderen Regionen Krieg geführt wird. Deutschland ist vorne mit dabei. Der aktuelle Rüstungsexportbericht spricht eine deutliche Sprache. Die Ausfuhr von Munition für Kleinfeuerwaffen hat sich im aktuellen Jahr verzehnfacht.

Das Stück begann und endete mit Lucy. Lucy? Ein Schiffsname? Nein, Lucy war 1974 eine wissenschaftliche Sensation. Lucy gehörte zu den „südlichen Affen aus der Afar-Region“, wie ihr wissenschaftlicher Name übersetzt heißt. Ihre Art war die erste, die den aufrechten Gang entwickelte. Der aufrechte Gang ist etwas, was uns heute sehr gut zu Gesicht stehen würde.

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Komplexe Mischung aus darstellender und bildender Kunst

Die Lolitas stürmen die Wohnung. (Foto: © Maximilian Steffan)
Die Lolitas stürmen die Wohnung. (Foto: © Maximilian Steffan)

Nicht nur Not macht erfinderisch, sondern auch ungewöhnliche Örtlichkeiten. Hat das Team um Regisseur Kay Voges schon die kleinere der beiden Hallen mit ungewöhnlichen Stücken wie „Das schweigende Mädchen“ bespielt, wurde die große Halle jetzt im Breitwandformat quasi eingeweiht. Stilecht durch eine Prozession. Mit „Die Borderline Prozession“ schuf Voges eine Bilderflut, die den Megastore voll ausnutzt, denn das Stück wäre im Schauspielhaus so nicht zu realisieren gewesen. Wer sich aufmacht, um die dreistündige Prozession zu erleben, kann sich an Bildern sattsehen und an Musik satthören. Premierenbericht vom 15. April 2016.

 

Der Beginn ist beeindruckend: Angeführt von einem Kamerawagen marschieren die Schauspieler (fast das gesamte Ensemble plus Schauspielstudenten) in einer feierlichen Prozession um die eindrucksvoll gestaltete Spielfläche. Nach und nach verschwanden sie in die einzelnen Räume. „Die Borderline Prozession“ ist ein würdiger Nachfolger des Kultstückes „Das goldene Zeitalter“. Wie dort geht es um Loops, um wiederkehrende Szenen und Situationen, leicht variiert. Das Kommando gab wie beim „Zeitalter“ Voges live.

 

Ein wichtiges Element: Die Zuschauer konnten vorab wählen, ob sie auf die Südseite oder die Nordseite gehen wollten. Während den kurzen Pausen zwischen den insgesamt drei Teilen wurden die Besucher aufgefordert ihre Perspektive zu wechseln. Logischerweise konnte man nur eine Seite live erleben, während man von der anderen Seite per Videobild informiert wurde. Ein klein wenig kam man sich vor, als schaue man auf eine Sammlung von Bildern einer Überwachungskamera, die alle Räume überwachte.

 

Der erste Teil fing ruhig und gemächlich an. Die Nordseite zeigte das Innenleben einer gewöhnlichen Wohnung mit Küche, Schlafzimmer und Wohnzimmer, während die Südseite eine Bushaltestelle, einen Kiosk und einen Van zeigte. Die Außen- und Innenseite wurde durch einen Zaun getrennt. Im ersten Teil war er noch offen und zugänglich.

In den einzelnen Zimmern wurde die ganze Bandbreite des Lebens wie zum Beispiel Einsamkeit, Rituale der tägliche Schulgang des Kindes einer alleinstehenden Frau oder die Abendtoilette eines Paares u.s.w., auf der Südseite eher die dunkle Seite des Alltagslebens gezeigt.

Der zweite Teil war mit „Krise“ übertitelt und fühlte sich an wie ein 3:4 in der Nachspielzeit. Von überall strömten negative Emotionen: Gewalt, Soldaten, Vergewaltigungen. Die Grenze war geschlossen, zwei Soldaten ließen niemanden hinein.

Der dritte Teil, die Synthese war surrealistisch aufgebaut. Major Tom, eine kleine Reminiszenz an David Bowie, schwebte beinahe durch die Gänge, Napoleon las ein Gedicht von Jonathan Meese über das Lolitatum vor und wurde danach feierlich mit der Musik von Gustav Mahlers 2. Sinfonie („Auferstehungssinfonie“) zu Grabe, -pardon: zur Bushaltestelle getragen.

 

Das Lolitatum, spielte im Stück eine durchgehende Rolle. In den ersten beiden Teilen noch dezent, kam es im dritten Teil zu einer wahren Invasion. „The Walking Lolitas“ quasi. Dabei verwandelten sich die meisten der Schauspieler, ob Mann oder Frau, in gleich aussehende, beinahe schon zombiehafte Lolitas, die die Wohnung stürmten.

Neben den sehr ausdrucksstarken Bildern faszinierte die Musik. Ob Glass, Mahler, Bowie oder der „Prozessions-Song“ von Tommy Finke, man hätte auch einfach die drei Stunden nur der Musikspur lauschen können. Dann hätte man aber das optische Vergnügen nicht gehabt. Ein Dilemma!

In den einzelnen Räumen wurde nicht gesprochen. Die Texte wurden aus einem „Studierzimmer“ von den Spielern vorgelesen. Einige der Texte stammten aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, andere von Größen wie Nietsche oder Brecht, aktuellere waren meist politischer Natur wie Ausschnitte aus der Rede von François Hollande oder Frauke Petry.

Eine durchgehende Handlung existiert bei der „Borderline Prozession“ nicht, es gibt nur Handlungsfetzen, Szenen, die auf Zuruf kreiert werden. Sämtliche Darsteller sind eher Teil eines Gemäldes oder eines Films, als dass sie einen Charakter darstellen. Dieses Stück sprengt die Grenzen zwischen darstellender und bildender Kunst. Das mag für den einen für Aha-Erlebnisse sorgen, wenn er Szenen aus Filmen oder Gemälden wiedererkennt, für den anderen bleibt das ästhetische Empfinden.

Ein großes Lob verdienten sich die Schauspieler. Denn die drei Stunden waren für alle Beteiligten ein Parforceritt, ohne die Möglichkeit, eine Figur schauspielerisch zu entwickeln. Exquisite Musik und ein wunderbares Bühnenbild rundeten das ungewöhnliche Spektakel ab.
Wer sich auf die „Borderline Prozession“ einlässt, sollte einen wachen und offenen Geist mitbringen. Es werden sicher nicht so viele Veränderungen möglich sein wie beim „Goldenen Zeitalter“, aber es lohnt sich sicher öfter hineinzugehen.

Gefangen im Schubladendenken

Hinter der liberalen Fassade brodelt der Nahost-Konflikt. (v.r.n.l.) Amir (Carlos Lobo), Emily (Bettina Lieder) und Isaac (Frank Genser). Foto: © Birgit Hupfeld.
Hinter der liberalen Fassade brodelt der Nahost-Konflikt. (v.r.n.l.) Amir (Carlos Lobo), Emily (Bettina Lieder) und Isaac (Frank Genser). Foto: © Birgit Hupfeld.

Kann sich ein Mensch von seiner Religion lösen? Oder sehen ihn die Mitmenschen immer noch als Muslim, Christ, Hindu, Jude? Ist er immer noch verantwortlich für das, was seine Ex-Religion tut oder nicht tut? In dem intensiven Kammerstück „Geächtet“ von Ayad Akhtar in der Inszenierung von Kay Voges dreht sich alles um die Frage, wie schwer es ist, aus dem Schubladendenken zu entkommen. Die zweite Premiere im Megastore schafft es, ein punktgenaues Kammerspiel in der großen Halle zu kreieren.

Das Stück von Akthar handelt vom erfolgreichen Anwalt Amir und dessen Ehefrau und Künstlerin Emily. Zum gemeinsamen Abendessen haben sich das befreundete Ehepaar Isaac und dessen Frau Jory eingefunden. Jory arbeitet in der gleichen Kanzlei wie Amir. Eine kleine Rolle spielt Abe (Merlin Sandmeyer), der Neffe Amirs. Wer jetzt an „Der Gott des Gemetzels“ von Yasemine Reza denkt, der liegt nicht ganz falsch. Auch wenn „Geächtet“ über mehrere Monate spielt, ist doch das gemeinsame Essen der dramaturgische Höhepunkt.

Amir (Carlos Lobo) hat es geschafft. Der Sohn pakistanischer Eltern hat es als Einwanderungskind zum Anwalt in einer guten Anwaltskanzlei geschafft. Seine Religion hat er ad acta gelegt und fühlt sich eher der USA verpflichtet als seinem Heimatland, das er sogar verleugnet. „Mein Vater ist in Indien geboren, nicht in Pakistan. Pakistan gab es 1946 noch nicht“. Im Gegensatz zu Amir ist seine Frau Emily (Bettina Lieder) seit einiger Zeit in einen Islam vernarrt und zwar aus ästhetizistischen Gründen. Die politische und soziale Komponente des Islams versucht sie zu negieren oder zu verharmlosen. So entstehen schon einige Konflikte mit Amir, der auch die dunklen Seiten des Islams von seinem Elternhaus kennt.

Das zweite Ehepaar Isaac (Frank Genser) und Jory (Merle Wasmuth) wirkt im Vergleich ein wenig blass und konstruiert. Isaac, der Kurator, ist Jude und offensichtlich eher in Emily verknallt, als in ihre Bilder, was auch letztendlich das Fass zum Überlaufen bringt. Jory ist extrem opportunistisch, denn anstatt sich mit Amir solidarisch zu erklären, sie kommt als Schwarze ebenfalls aus schwierigen Verhältnissen, setzt sie ihre Karriere in der Kanzlei auf Amirs Kosten fort.

Schweinefleisch und Wein? Angepasst im „american dream“ bis ins kleinste Detail? Amir bekommt keine Chance. Man steckt einfach Menschen in Schubladen. Schublade „Muslim“ auf und Amir rein. Amir hat sich von seiner Religion losgesagt? „Du hast einen Selbsthass auf den Islam“. Amir möchte weiter Karriere machen in einer jüdischen Anwaltskanzlei? Ob man jemand vertrauen kann, der seiner Frau zuliebe einem Imam im Gefängnis unterstützt hat?

Letztendlich wird Amir das Stigma „Moslem“ nicht los, weil weder Emily noch Isaac oder Jory in ihm einen Menschen sehen, sondern nur eine Projektionsfläche für ihre Bedürfnisse. Die Abschlussszene ist eine Art Tribunal. Hier wird Amir vor allem von seinem Neffen Abe mit den Trümmern seines Lebens konfrontiert. Durch das Scheitern von Amir wird Abe radikalisiert. „Wenn schon du keine Chence bekommt, was soll ich dann tun…“

Kay Voges‘ Inszenierung beginnt mit einem Kniff. Alle Darsteller sind als Albinos mit weißer Haut und roten Augen geschminkt. Das verhindert nicht nur die Problematik mit einem eventuellen Blackfacing von Jory, sondern macht auch deutlich, dass trotz optischer Gleichheit tief im Inneren Vorurteile lauern. Dass das Stück von der ersten Sekunde fesselt, liegt am feinen Zusammenspiel von Lobo, Lieder, Genser, Wasmuth und Sandmeyer. Komplettiert wird das Ganze von einer feinen Videoarbeit von Mario Simon und der Musik von Tommy Finke.

Das Stück hat nicht nur wegen den Diskussionen um die Flüchtlingspolitik eine große Aktualität, es beschäftigt sich auch mit der Frage: Sind wir bereit den Menschen zu akzeptieren wie er ist ohne ihn in Schubladen zu stecken? Unbedingt ansehen!

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Kein Nathan 2.0

Noch eitel Sonnenschein oder schon Spannungen? Mit dabei sind (v.r.n.l.) Bettina Lieder, Carlos Lobo, Merle Wasmuth sowie Frank Genser im Hintergrund). Foto: © Birgit Hupfeld
Noch eitel Sonnenschein oder schon Spannungen? Mit dabei sind (v.r.n.l.) Bettina Lieder, Carlos Lobo, Merle Wasmuth sowie
Frank Genser im Hintergrund). Foto: © Birgit Hupfeld

Ein Christ, ein Jude und ein Moslem diskutieren über Moral und Religion. Doch anders als bei Lessings Parabel „Nathan der Weise“ bleibt bei „Geächtet“ von Ayad Akhtar nach 9/11 kein Platz für Friede, Freude, Eierkuchen. Das Setting ist ähnlich wie bei Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“: Zwei Ehepaare, aufgeklärt und kultiviert, unterhalten sich nett beim Abendessen, bis die Sprache auf den 11. September kommt. Die Premiere ist am 06. Februar um 19:30 Uhr im Megastore.

Zwei typisch New Yorker Ehepaare: Amir, ein Anwalt mit pakistanischen Wurzeln, seine Frau Emily, eine Künstlerin, ist weiß und protestantisch und Isaac, amerikanischer Jude und Kurator mit seiner Frau Jory, eine Schwarze. Alle liberal und aufgeklärt, bestes Bildungsbürgertum. Doch schnell dringt in diese Gesellschaft die Abgründe der Kulturen und Religionen. Wie gehen wir mit verschiedenen Kulturen um, ist laut Regisseur Kay Voges die Kernfrage des Stückes. Welche Unterschiede gibt es, welche Gemeinsamkeiten.

Doch ganz bierernst wird das Ganze nicht ablaufen, denn die verbalen Schlachten auf der Bühne haben natürlich auch etwas Komödiantisches. Wo wir bei der Bühne sind: Das Kammerspiel wird ja in einer großen Halle gezeigt. Die Bühne wird also nicht breit, sondern lang sein. „Ein Gefühl, als ob man bei einem Tennisspiel zuschaut“, so Kay Voges. Auch wenn die Konflikte durch das Bühnenbild abstrahiert werden, das Stück wird ein schönes Beispiel für die Freunde nuancierter Schauspielkunst werden, verspricht Voges.

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Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.

Schauspiel startet mit Millionenspiel

Der Nachfolger von Gottschalk gefunden? Bodo Aschenbach (Frank Genser) mit seiner Assistentin (Julia Schubert). Foto: © Birgit Hupfeld.
Der Nachfolger von Gottschalk gefunden? Bodo Aschenbach (Frank Genser) mit seiner Assistentin (Julia Schubert). Foto: © Birgit Hupfeld.

„Wetten, dass…“ gibt es ja nicht mehr und wem die Chancen auf die Millionen bei Günther Jauch zu gering sind, der kann, wie Kandidat Bernhard Lotz, sechs Tage überstehen und dann das Geld kassieren. Das Problem bei „Die Show“: am sechsten Tag wird der Kandidat von einer Gruppe gejagt, die ihn töten will. Wer jetzt sagt, Moment, das kenne ich vom „Millionenspiel“ von Wolfgang Menge aus dem Jahre 1970, der hat recht. Das Stück „Die Show“ in einer Inszenierung von Kay Voges, Anne-Kathrin Schulz und Alexander Kerlin orientiert sich an dieser Sendung. Die Premiere ist am 23. August 2015.

„Die Show“ ist eine Gemeinschaftsproduktion des Schauspielhauses im wahrsten Sinne des Wortes. Der Aufwand ist gigantisch, nicht nur bei Bühne und Kostümen. Dem Zuschauer wird die perfekte Showbühne mit Steg und Treppe präsentiert und der Hauptmoderator Bodo Aschenbach (Frank Genser) wird entsprechend eingekleidet.

Doch das Aufwändigste waren die Außenaufnahmen, denn mit kurzen Einspielern wird die Geschichte der fünf vorausgegangenen Tage erzählt, das heißt, welche Prüfungen Lotz bereits absolviert hat. Während der Show gibt es aber auch Live-Schalten.

Zu einer echten Samstagabendshow (auch wenn die Premiere am Sonntag ist) gehört natürlich Musik. Der neue musikalische Leiter, Tommy Finke, tritt nicht nur mit einer eigenen Band „Tommy Love and the Smilers“ live auf, sondern hat für die Stargäste (u.a. Baeby Bengg und Brit Bo gespielt und gesungen von Eva Verena Müller) auch die Musik geschrieben. Einen kleinen humorigen Seitenhieb auf die Oper Dortmund und Alexander Klaws gibt es auch. Es tritt nämlich in „Die Show“ ein ehemaliger DSDS-Kandidat auf, der mittlerweile in Musicals singt und der einen großen Erfolg mit einem Jesus-Musical hat: Johannes Rust. Der wird aber von Schauspieler Christoph Jöde gespielt.

Natürlich kommt „Die Show“ – wie in der 70er Jahre Version – mit eine deutliche Medienkritik daher. Schließlich kann man den Titel ja auch englisch aussprechen. Neben der Hoffnung, „dass es den Zuschauern Spaß macht“, wie Regisseur Kay Voges formulierte, geht es um das Dilemma: Während ich mich Wohlfühle, rennt draußen jemand um sein Leben und um seine Chance, ein besseres Leben zu führen. In Zeiten von Flüchtlingsströmen ist „Die Show“ sehr aktuell.

Für die Premiere gibt es noch sehr wenige Restkarten, weitere Termine sind: 29. August, 13. und 30. September, 10. Oktober und 12. November.

Warum Kierkegaard auf Lionel Messi stolz gewesen wäre

Blanche (Marle Wasmuth) will Zauber und nicht die Realität. (Foto: © Birgit Hupfeld).
Blanche (Marle Wasmuth) will Zauber und nicht die Realität. (Foto: © Birgit Hupfeld).

Der ewige Kampf zwischen Individuum und Determinismus, er geht weiter. Das „Goldene Zeitalter“ geht in die zweite Runde mit dem Titel „The Return of das Goldene Zeitalter“ und sucht 100 neue Wege, dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen. Die Premiere fand am Freitag, dem 27. Februar im Dortmunder Schauspielhaus statt. Für die einen war es der zwölfte Versuch, für die anderen der erste der neuen Reihe.

Wer in der ersten Variante des „Goldenen Zeitalters“ dabei war, konnte sich auf ein Wiedersehen freuen mit der Raupe, Adam und Eva, dem Erklärbär, Kalaschnikowa und natürlich den Schulmädchen, die die Treppe heruntergingen. Auch das Konzept blieb gleich. Eine Szene wurde so lange wiederholt, bis der Regisseur Kay Voges neue Anweisungen gab. Auch hier war der Wiedererkennungseffekt groß, aber es wurden auch neue Szenen gespielt.

Wie es sich für eine gelungene Wiederholung gehört, spielen auch die gleichen Schauspieler wieder mit: Björn Gabriel, Caroline Hanke, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder, Merle Wasmuth und Carlos Lobo. Lobo hatte zwei neue bemerkenswerte Auftritte: Zum einen spielte er einen sehr engagierten Brandschutzbeauftragten und einen weiteren Auftritt hatte er als eine Art spanischer Fußballkommentator.

Das neue „Goldene Zeitalter“ begann wie das alte: Schulmädchen, die mechanisch Treppen hinunterlaufen. Da ist das Grundmotiv des Stückes und wird wiederholt beziehungsweise variiert. Denn die Variation der Wiederholung ist das Prinzip des „Goldenen Zeitalters“.

Neben der Frage, kann ich als Individuum meinem Schicksal entkommen, ging es auch um die Frage des Urheberrechts. Passenderweise gab es vor kurzem eine Diskussion um die Inszenierung von Frank Castorfs „Baal“. Hier hatten die Brecht-Erben und der Suhrkamp-Verlag die weitere Aufführung untersagt, weil die Inszenierung Fremd-Texte enthielt. Obwohl Bertolt Brecht ironischerweise selbst gesagt habe: „Der Urheber ist belanglos. Er setzt sich durch, indem er verschwindet.“ So tauchte Brecht persönlich in einem Sarg auf und der Verlag Suhrkamp bekam ordentlich sein Fett weg („Mein Suhrkampf“).

Die Grenzen der Individualität wurde bei einer Szene besonders deutlich. Plötzlich kamen statt den Schulmädchen drei Burka-Träger(innen?). Durch die schwarze Uniformierung wurde das Individuelle komplett negiert. Ist jetzt ein Mann oder eine Frau hinter den schwarzen Tüchern? Angestimmt wurde das Kinderlied „Anders als du“. Es klang in meinen Ohren ironisch, vor allem wenn drei schwarze Gestalten „das macht das Leben eben bunt“ singen.

Kay Voges hatte auch jemanden mitgebracht. Die Figur „Blanche“ aus seiner Inszenierung „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in Frankfurt. Merle Wasmuth spielte die Blanche in einem Südstaatenkostüm, das an „Vom Winde verweht“ erinnerte. Blanche, die wienerisch sprach, war eine Realitätsverweigerin, die statt dessen den Zauber wollte. Sie wirkt dabei so ähnlich wie Irina (Merle Wasmuth) bei Tschechows „Drei Schwestern“, die die Arbeit als Flucht aus ihrem langweiligen Leben benutzen will.

War der Ausschnitt aus Tschechows „Drei Schwestern“ in der ersten Inkarnation bereits dabei, hatte Carlos Lobo gleich zwei neue Rollen. Zunächst war er ein hessischer Feuerwehrmann, der sich in allen Einzelheiten um den Brandschutz kümmerte,

Danach kommentierte Lobo mit passendem spanischem Temparament zwei Tore.Hatte Kirkegaard mit seiner Wiederholung doch recht? Jedenfalls findet man Parallelen beim Fußball. Wie Maradona 1986 im WM-Viertelfinalspiel Argentinien gegen England lief der 19-jährige Messi bei Barças 5:2-Sieg im Pokalspiel des spanischen Pokals über den FC Getafe mit dem Ball über das halbe Spielfeld.

Ein besonderer Gast war an diesem Abend Morgan Moody. Der Opernsänger gab unter anderem „My Way“ in einer Verkleidung als Schlagerstar zum besten.

Ansonsten gab es viele Wiederholungen. Die Zombies mit Joghurt-Becher, Sisyphus, die Ouvertüre von Tannhäuser und ein nackter Uwe Schmieder, der durch die Zuschauerränge kroch.

Logischerweise war dieser Abend ein sehr starkes multimediales Ereignis. Für den Live-Sound sorgte Jan Voges, für die Videos war Daniel Hengst zuständig. Die Live-Musik zu dem Spektakel kam von Tommy Finke. Die sechs Schauspieler machten (fast) jede Regieanweisung mit, die Zuschauer merkten, dass das Ensemble mit Spielfreude bei der Sache war.

Es bleibt nur zu hoffen, dass das goldene Zeitalter nicht hinter uns liegt, sondern vor uns, um mit Heine zusprechen.

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Premiere und Variation

Ebenfalls wieder dabei: Frau Kalaschnikowa (Caroline Hanke). Foto: © Edi Szekely
Ebenfalls wieder dabei: Frau Kalaschnikowa (Caroline Hanke). Foto: © Edi Szekely

Ein Wiedersehen mit alten Bekannten gibt es am 27. Februar 2015 um 19:30 Uhr im Schauspielhaus. Die Uraufführung von „The Return of Das Goldene Zeitalter“ steht auf dem Programm. 100 neue Wege, dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen lautet der Untertitel und wer schon die erste Variation gesehen hat, kann sich auf die Raupe, Adam und Eva oder den Duracell-Hasen freuen.

Hat das Schicksal nun das Sorgerecht für uns? Sind wir determiniert und unfrei oder können wir versuchen unsere Freiheit wiederzuerlangen. Das ist das die zentrale Frage des Stückes. „Nicht mehr das Schicksal sorgt sich um mich, sondern ich sorge selber um mich“, fasst es Dramaturg Alexander Kerlin zusammen.

„Bin ich ein Individuum oder ein Remake“, fragt sich Regisseur Kay Voges. Der Mensch gehe einerseits gerne in einer Masse von 80.000 Leuten im Westfalenstadion unter, andererseits betone er seine Individualität. Ist der Mensch mehr als die Gene seiner Eltern?

Das Thema umfasst auch den Bereich „Remix“ und „Urheberrecht“. Gibt es so etwas wie die Originalität oder baut alles aufeinander auf? Ein aktuelles Beispiel bietet die „Baal“-Inszenierung in München. Dort haben die Brecht-Erben die Inszenierung untersagt, weil der Regisseur Fremdtexte integriert hatte. Dabei sagte Bertolt Brecht selber: „Der Urheber ist belanglos. Er setzt sich durch, indem er verschwindet.“

Was erwartet den Zuschauer in den drei bis vier Stunden? „Mein Traum ist, es, dass der Zuschauer den Abend wie einen Abend am Strand erlebt. Man betrachtet die Sterne, entweder demütig oder glücklich“, erzählt Kerlin.

Für die Schauspieler – es sind dieselben, die bereits vor einem Jahr beim „Goldenen Zeitalter mit dabei waren – ist das Stück wieder eine Art Überraschungstüte. Denn wie im vergangenen Jahr wird Regisseur Kay Voges im Zuschauersaal sitzen und live Anweisungen an die Schauspieler geben. „Die ganze Lust am Spielen, die Vorfreude ist spürbar. Niemand weiß, wie reagiert das Publikum“, so Voges.

Wie vorher auch, ist es möglich, während der Vorstellung den Theatersaal zu verlassen, um sich vielleicht etwas zu trinken zu holen und dann wiederzukommen.

Neben der Premiere am 27. Februar wird das Stück noch zweimal gespielt: Am 07. März und am 30. April. Die Termine sind deshalb zeitlich so weit voneinander entfernt, „weil das Stück einen sehr großen Aufwand fordert, den wir nicht zweimal pro Woche leisten können“, so Voges.

Für alle drei Termine gibt es noch Karten zu kaufen unter 0231 50 27222 oder www.theaterdo.de

Hamlet-Konzentrat mit Überwachungskameras

Gertrud, die Königin, Hamlets Mutter, nun Frau des Claudius: Friederike Tiefenbacher Claudius, König von Dänemark: Carlos Lobo Laertes, Polonius' Sohn: Christoph Jöde. (Foto: © Edi Szekely)
Gertrud, die Königin, Hamlets Mutter, nun Frau des Claudius: Friederike Tiefenbacher
Claudius, König von Dänemark: Carlos Lobo
Laertes, Polonius‘ Sohn: Christoph Jöde. (Foto: © Edi Szekely)

Am Ende von „Hamlet“ stand ein typischer Voges-Gag. Frank Genser und Uwe Schmieder, seit Beckets Lum und Purl ein kongeniales Duo, standen als Wum und Wendelin auf der Bühne und riefen ständig „Wir machen jetzt politisches Theater“, während die Zuschauer ermuntert wurden Tweets zu senden, bis sich der Saal leerte. Wie heißt es so schön, wenn sie nicht gestorben sind, dann rufen sie noch heute. Nur Schade für die Schauspieler, sie erhielten nicht ihren verdienten Applaus und Regisseur Kay Voges nicht die Reaktion der Zuschauer auf seine Inszenierung.

Hamlet. Ein Klassiker. Nicht totzukriegen. Kay Voges sah in dem Stoff von Shakespeare Hamlet nicht als Zauderer, sondern als Überwachten. Diese Interpretation gibt es Stoff mühelos her. Polonius lauscht ständig hinter irgendwelchen Vorhängen und Rosencrantz und Guildenstern werden als Spione auf Hamlet angesetzt.

Voges modernisiert das Stück und bringt es in die Gegenwart. Gleich zu beginn wird das Grundgesetz (repräsentiert vom alten König Hamlet) mit der Begründung „Kampf dem Terror“ quasi ermordet. Danach entwickelt sich eine Tragödie mit Überwachung, Schaffung eines Übermenschen und vielen Toten. Nichts für Freunde von werkgetreuen Inszenierungen, denn neben Shakespeares Text gibt es zeitgenössisches Material zum Thema Überwachung und Leben in der Moderne.

Fünf Video-Kameras und eine Kinect-Kamera sorgen für ein riesiges Überwachungsbild. Mittels Videobearbeitung können wir Bilder aus jedem Raum des Königsschlosses sehen. Voges schafft aus dem Stoff „Hamlet“ eine Überwachungs-Exegese, die mit Elementen aus populären Fernsehsendungen wie etwa „Big Brother“ spielt. War bei „Das Fest“ noch für den Zuschauer deutlicher zu sehen, wie der Film im Hintergrund live entstand, ist bei „Hamlet“ diese Transparenz verloren gegangen. Der „Container“, indem die eigentliche Handlung stattfindet, ist für den Theaterzuschauer nicht einsehbar. Intransparenz in einer Geschichte über die allgegenwärtige Transparenz von Daten und Vorgängen. Wir agieren wie jemand, der diverse Monitore in einer U-Bahn-Station oder in einem Kaufhaus überwacht. Überall scheint etwas zu passieren.

„Hamlet“ als Überwachungsdrama zu inszenieren ist so verkehrt nicht, das Konzept ist schlüssig. Doch Berater Polonius als eine Art Dr. Frankenstein in Szene zu setzen, der an einer perfekten Symbiose von Mensch und Maschine bastelt (der alte König Lear wird in den transhumanen Fortinbras verwandelt), ist meiner Meinung nach ein wenig überdreht.

Technisch ist der „Hamlet“ auf einer hohen Stufe angelangt. Video, Sound und Musik verschmelzen zu einer Symbiose und zusammen mit den Schauspielern entwickelt sich eine Form von Zwitter zwischen Film und Schauspiel. Doch man kann auch bemängeln, dass die Schauspieler von der Technik in den Hintergrund gespielt werden. Schön zu sehen, wenn Hamlet (Eva Verena Müller) oder Laertes (Christoph Jöde) nach vorne auf die Bühne kommen. Sie wirken unter der Riesenleinwand ein wenig klein und unbedeutend.

Die Hauptrolle hatte Eva Verena Müller inne. Im Batman-Kostüm, mit blonder Perücke und Nerdbrille spielte sie einen „Hamlet“, der vielleicht gerne ein Superheld sein möchte, aber viel zu zögerlich ist und letztendlich an seiner Aufgabe – der Rache an seinen Vater – scheitert. Bettina Lieder spielte eine zarte zerbrechliche Ophelia, im Ballettkleid, die ein wenig hilflos durch die Handlung irrt. Publikumsliebling Christoph Jöde spielte den Laertes in Uniform. Bestimmt entschlossen. Zu tun, was zu tun ist. Letztendlich als Gegenteil von Hamlet. Beide gehen in einem Showdown oder besser „Shootdown“ unter. Carlos Lobo als König Claudius hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Graf Orloc aus „Nosferatu. Er spielte ihn als reinen Machtmenschen. Frederike Tiefenbacher spielte die Mutter Hamlets ebenfalls nur eine Nebenrolle. Michael Witte gab einen Polonius in der Variante „verrückter Wissenschaftler“, während Sebastian Kuschmann die merkwürdigste Rolle hatte: Er spielte nicht nur den alten König, sondern auch den als künftigen Übermenschen angelegten Fortinbras.

Für Shakespeare-Puristen ist dieser Hamlet mit Sicherheit nicht gedacht. Die Bücher können also getrost zu Hause gelassen werden. Wer sich auf ein Konzentrat einlässt, in der die Technik eine wesentliche Rolle spielt, sollte den Versuch wagen und sich Voges‘ Inszenierung anschauen. Nicht zögern wie Hamlet, es braucht schon etwas Mut.

 weitere Termine sind: SO, 21. SEPTEMBER 2014, MI, 01. OKTOBER 2014. FR, 14. NOVEMBER 2014, FR, 12. DEZEMBER 2014, SA, 27. DEZEMBER 2014, DO, 08. JANUAR 2015, SA, 14. FEBRUAR 2015, MI, 04. MÄRZ 2015, SO, 12. APRIL 2015 und DO, 21. MAI 2015

Karten und Infos unter 0231 50 27 222 oder www.theaterdo.de

Hamlet – Zwischen Überwachung und Voyeurismus

Hamlet, Prinz von Dänemark: Eva Verena Müller. (Foto: © ©Edi Szekely)
Hamlet, Prinz von Dänemark: Eva Verena Müller. (Foto: © ©Edi Szekely)

Wir sind zwiegespalten – einerseits fürchten wir uns vor einer Überwachung und auf der anderen Seite machen wir „Selfies“ und geben unsere Daten freiwillig jedem, der sie haben will. Die Hamlet-Inszenierung von Kay Voges zeigt den dänischen Prinzen als Zweifler, der sich nicht entscheiden kann: alles hinnehmen oder gegen das Überwachungssystem kämpfen. Die Premiere ist am Freitag, den 12. September um 19:30 Uhr.

Hamlet ist eines der am häufigsten gespielten Stücke in der Theaterwelt. „Wir haben uns gefragt, warum dies so ist“, so Regisseur und Intendant Kay Voges. Den Schwerpunkt legt Voges auf das Thema Überwachung. „Bei Hamlet gibt es beispielsweise mit Polonius jemanden, der ständig hinter einem Vorhang lauscht“, gibt Voges ein Beispiel. Auch die Studienfreunde von Hamelt, Rosencrantz und Guildenstern, sind ja nichts weiter als verkappte Spione.

Fünf Kameras und eine Kinect-Kamera werden das Geschehen aufnehmen. Wird es eine Art Live-Film werden wie beim „Fest“. „Nein“, widerspricht Voges, „es ist eher wie in einer Überwachungssituation. Stellen Sie sich ein Fußballstadion vor. Dort kann die Polizei auch in verschiedene Fanblöcke schalten, um zu sehen, ob dort irgendetwas passiert.“

Daher ist das Bühnenbild sehr wichtig. Kreiert hat es Pia Maria Mackert, die für den Theaterpreis „Faust“ nominiert wurde. „Der Zuschauer kann mehr sehen“, verspricht Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz. Dafür sollen die beiden Kameraleute Jan Voges und Robin Otterbein sorgen. Das Kamera-Konzept stammt vom Videokünstler Daniel Hengst, für die Video-Art ist Programmierer Lars Ullrich zuständig. Paul Wallfisch ist für die Musik zuständig.

Mit Eva Maria Müller hat Voges den Hamlet mit einer Frau besetzt. Ungewöhnlich, aber nichts Neues, unter anderem hat schon Asta Nielson 1921 einen weiblichen Hamlet gespielt. Ein Wiedersehen gibt es mit zwei Gästen: Christoph Jöde spielt Laertes, den Sohn von Polonius und Michael Witte, der bei „Nora und die Gespenster“ in Dortmund aufgetreten ist, spielt Polonius.

Für die Premiere am 12. September gibt es noch Restkarten, weitere Termine sind: SO, 21. SEPTEMBER 2014, MI, 01. OKTOBER 2014. FR, 14. NOVEMBER 2014, FR, 12. DEZEMBER 2014, SA, 27. DEZEMBER 2014, DO, 08. JANUAR 2015, SA, 14. FEBRUAR 2015, MI, 04. MÄRZ 2015, SO, 12. APRIL 2015 und DO, 21. MAI 2015

Karten und Infos unter 0231 50 27 222 oder www.theaterdo.de