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Blick in die Psyche eines Reichsbürgers

Im Schatten des drohenden erneuten Lockdowns wegen der steigenden Corona-Fallzahlen im November hatte „Der Reichsbürger“ von Konstantin und Annalena Küspert unter der Regie von Jens Dornheim als neue Produktion des freien Theaters glassbooth am 30.10.2020 im Theater im Depot seiner Uraufführung.

Die Thematik und wachsende Problematik der sogenannten „Reichsbürger“ ist wieder ein kontroverser Stoff und dabei hoch aktuell. Trotz ihrer uneinheitlichem diversen Erscheinungsformen und Auftretens eint sie, dass sie die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Für sie ist das Land seit dem Kriegsende nicht wirklich souverän und nur eine GmbH, deren Gesetze für die Reichsbürger nicht gelten.

Der Protagonist in der als Reichsbürger-Monolog konzipierten Inszenierung wird von Schauspieler Sebastian Thrun eindrucksvoll und fast erschreckend glaubhaft auf der Bühne dargestellt. Er bezeichnet sich als „Selbstverwalter“ und provoziert das Publikum gleich zu Anfang mit der ironischen Bemerkung, wegen ihm müssten die Zuschauer*innen keinen Mund-Nasenschutz tragen.

Sebastian Thrun überzeugte als wortgewandter "Reichsbürger" im gleichnamigen Stück. (Foto: © Oliver Mengedoht)
Sebastian Thrun überzeugte als wortgewandter „Reichsbürger“ im gleichnamigen Stück. (Foto: © Oliver Mengedoht)

Von Beruf Elektriker, könnte der Protagonist aber ein sehr guter Verkäufer auf einer Werbeveranstaltung sein. Er kommt als wortgewandter Menschenfreund daher, der eigentlich nur seine Ruhe will, nicht plump aggressiv.

Er stellt provokative Fragen, weist geschickt auf Missstände (marode Straßen, kein Geld für Bildung, „Migranten-Kriminalität“ u.s.w.) hin, gegen die man doch etwas tun müsse. Das Recht auf Waffenbesitz eines jeden Bürgers ist ihn ein selbstverständliches „Recht“ um sich und seine Familie zu schützen. Dass der freie Waffenbesitz etwa in den USA vielen Menschen das Leben kostet, wird wohlweislich ignoriert.

Widersprüche zwischen gespielter Toleranz, Naturverbundenheit, Humanität und offen zur Schau getragenen Überlegenheit des „Deutschen“ gegenüber dem „Fremden“ werden nicht zur Diskussion gestellt. So beruft er sich auf unter anderem auf Albert Einstein als als einer der „großen Deutschen“, um dann eine herablassende Bemerkung gegen Juden loszulassen. Obwohl er wohl auch gerne mal beim „Syrer, Chinesen, Türken oder anderen“ essen geht, wird die Bereicherung unseres Lebens durch fremde Kulturen geleugnet.

Der „Selbstverwalter“ hat den Durchblick und weiß, wer im Hintergrund die Strippen zieht. Kanzlerin Angela Merkel wird nur als „IM“ Merkel bezeichnet. Offen bekennt er im Gegensatz zu den „Linksliberalen“ einfache Erklärungen und Lösungen für komplexe Zusammenhänge zu haben.

Wie alle Rattenfänger versucht er, Menschen bei ihren Ängsten und Befürchtungen zu packen und sie für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Die Vorteile (Rosinen) des abgelehnten Staatssystems nimmt er jedoch gerne für sich in Anspruch, wenn es ihm zu pass kommt.

Eine starke Leistung von Thrun, die Zuschauerinnen und Zuschauer aber auch mit einem ambivalenten Gefühl zurück lässt.

Die Inszenierung verdeutlicht, wie sehr wir aufpassen müssen, kritisch zu reflektieren und nicht auf einfach Lösungen oder „Heilsbringer“ herein zu fallen.

Der Weibsteufel oder wenn die Schachfigur selbst aktiv wird

Auf den ersten Blick wirkt es so wie die klassische Dreiecksbeziehung. Eine Frau steht zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann. Doch der österreichische Schriftsteller Karl Schönherr verfasste mit seinem Stück „Der Weibsteufel“ keine Geschichte über eine willenlose, getriebene Frau. Hier bestimmt die Frau letztendlich selbst ihr Schicksal. Fast schon ein Stück feministischer Literatur, dass das Theater glassbooth am 26.10.2018 zum ersten Mal unter der Regie von Jens Dornheim im Theater im Depot aufführte.

Regisseur Jens Dornheim hat dem Stück von 1914 einen Zeit- und Ortswechsel verpasst: Es spielt jetzt in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und auch nicht mehr im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet, sondern im Ruhrgebiet. Daher hat Dornheim auch die Sprache ins Hochdeutsche übertragen und nicht ins Ruhrdeutsche, um nicht einen ungewollten Comedyeffekt zu erzeugen.

Denn das Thema ist ernst: Der Mann (gespielt von Ulrich Penquitt) ist eine ältere kränkliche Person, die als Hehler für Schmuggelware arbeitet. Sein Traum ist es, aus dem „Rattenloch“ herauszukommen und ein Haus auf dem Marktplatz zu kaufen. Seine Frau, im Stück „Das Weib“ genannt, wird von Alexandra Lowygina gespielt. Sie ist jünger rund attraktiver als ihr Ehemann. Doch bisher ist sie ihm treu geblieben. Carl Bruchhäuser spielt den „Soldat“. In Dornheims Bearbeitung ist er Mitglied eines Freikorps. Der Soldat versucht, die Hehlerei des Mannes zu beweisen.

Das Fatale der Geschichte: Beide versuchen die Frau für ihre Zwecke einzuspannen. Der Soldat soll die Frau verführen, um so an die Informationen zu kommen, der Mann will seine Frau als Lockvogel benutzen, damit er bei seiner illegalen Tätigkeit ungestört bleibt. Zudem betrachtet er seine Frau als sein „Eigentum“.

Jetzt wird‘s spannend: Die Frau fühlt sich missbraucht und entwickelt ihre eigenen Pläne, die sie in die Tat umsetzt und im Laufe des Abends immer mehr an Selbstbewusstsein gewinnt.

Noch steht die Frau (Alexandra Lewygina) abseits, aber weder der Mann (Ulrich Penquitt) noch der Soldat (Carl Bruchhäuser) ahnen von ihren Plänen. (Foto: © Uwe Faltermeier / Theater Glassbooth)
Noch steht die Frau (Alexandra Lowygina) abseits, aber weder der Mann (Ulrich Penquitt) noch der Soldat (Carl Bruchhäuser) ahnen von ihren Plänen. (Foto: © Uwe Faltermeier / Theater Glassbooth)

In „Der Weibsteufel“ steht und fällt alles mit der Rolle der Frau. Sie ist die zentrale Figur. Erst als Schachfigur benutzt, dreht sie den Spieß um. Alexandra Lowygina zeigt sich dabei von ihrer besten Seite. Angefangen von der treuen, naiven Ehefrau über den verführerischen Vamp bis hin zur eiskalten Fallenstellerin, zeigt sie die Bandbreite ihres schauspielerischen Könnens.

Die Männer spielen nur die Nebenrollen, auch wenn sie glauben, die Hauptrolle zu sein. Ulrich Penquitt interpretiert den Ehemann als bedächtige Person, die glaubt, alles im Griff zu haben. Bruchhäuser hingegen zeigt den Soldaten zunächst als schneidigen Menschen, der forsch seine Karriere vorantreiben will. Doch die Frau erkennt schnell die geheimen Wünsche nach Familie und treibt ihn ins Verderben.

Neben den Schauspielern gab es weitere Gründe für das gelungene Stück: Die atmosphärische Musik von Danny-Tristan Bombosch und das in schwarz-weiß gehaltene Bühnenbild der Künstlerin Sabine Bachem, das Anleihen an den Expressionismus der 20er Jahre aufleben lässt.

Es war eine gelungene Premiere zum 15-jährigen Jubiläum von theater glassbooth. Ein Stück, das unter die Haut geht, aber dennoch Platz lässt für einige heitere Stellen. Drei tolle Schauspieler machen aus dem „Weibsteufel“ einen dramatischen Parforceritt.

Freitag, 02. November 19:00 Uhr, Magazin Gladbeck (ausverkauft)

 

Sonntag, 04. November 18:00 Uhr, Magazin Gladbeck (ausverkauft)

 

Donnerstag, 08. November 20.00 Uhr, Theater im Depot Dortmund

 

Freitag, 09. November 20:00 Uhr, Theater im Depot Dortmund

 

Samstag, 17.November 20:00 Uhr, Katakomben Theater Essen

 

Samstag, 24. November 19:30 Uhr, Rottstr 5 Theater! Bochum

 

 

Entblößte Raubtierkapitalisten

Noch freuen sich Öllers (Dornheim) und Niederländer (Meinel) über die vermeintliche Chance, März (Schlösser) ist da skeptischer. (Foto: © Uwe Faltermeier)
Noch freuen sich Öllers (Dornheim) und Niederländer (Meinel) über die vermeintliche Chance, März (Schlösser) ist da skeptischer. (Foto: © Uwe Faltermeier)

Es ist schwer erträglich, was Frank Öllers (Jens Dornheim) und Kai Niederländer (Dietmar Meinel) die meiste Zeit von sich geben. Die beiden Unternehmensberater der „Company“ behandeln ihre Geschäftspartner herablassend und arrogant. Selbst wenn die beiden sich in deren Heimatländern befinden. Da wird einem Inder die Vorzüge seines Erzfeindes Pakistan angepriesen, garniert mit Buddhas Weisheiten. Interkulturelle Kompetenzen? Da haben Öllers und Niederländer bei der Schulung gefehlt. „Zeit der Kannibalen“, die Inszenierung des freien Theaters glassbooth unter der Regie von Julie Stearns, präsentiert eine gelungene Theaterversion des gleichnamigen Films von Johannes Naber. Ein Bericht von der Premiere am 07.05.16.

Zur Geschichte: Öllers und Niederländer sind zwei Unternehmensberater, die um die Welt reisen und Geschäfte machen. Ihren einheimischen Gesprächspartnern begegnen sie mit Herablassung und einer gewissen Herrenmenschenattitüde. Kompliziert wird es, als Bianca März (Alexandra Schlösser) zu ihnen stößt. Die junge Unternehmensberaterin hat aber ein Geheimnis.

Das Theaterstück entwickelt schon zu Beginn eine sehr hohe Intensität und wird mit live gespielten Trommeln wunderbar ergänzt. „Zeit der Kannibalen“ zeigt auf entlarvende Weise, was die Kombination Gier und Überheblichkeit aus Menschen machen kann. Die Arroganz der beiden Hauptfiguren ist förmlich greifbar und man bewundert die stoische Ruhe, mit der der indische Geschäftspartner (Sascha Zinflou) auf die herablassenden und provokativen Sätze der beiden Unternehmensberater reagiert, selbst als ständig das Handy von Öllers klingelt. Auch wenn dieser Teil überwiegend auf Englisch gesprochen ist, beinahe jedem wird klar, dass die beiden nicht nur in jedes Fettnäpfchen treten, sondern sogar noch welche suchen.

Das Bühnenbild wechselt zwischen Hotel- und Konferenzzimmer. Die kleinen Umbauten wurden von den Nebendarstellern Elikem Anyigba (Hotelpage) und Saghar Seyedloo (Zimmermädchen) auf kurzweilige Art vorgenommen. Da alle drei in den gleich aussehenden weltweiten Hotelketten absteigen, sehen die Zimmer auch gleich aus. Keinerlei Individualität, keinerlei Beeinflussung durch kulturelle Eigenarten. Für den Neurotiker Niederländer sicher ein Vorteil, so weiß er beispielsweise immer, wo der Lichtschalter ist.

Dabei gelingt es Stearns, die beiden Figuren zwar ein wenig zu überzeichnen, aber nicht bloßzustellen. März hingegen ist die junge Idealistin, die Öllers und Niederländer vielleicht früher auch waren. Doch die Jagd nach den Dollar-Zeichen hat die beiden abgestumpft. So sind sie blind für die Fallstricke, die ein neues Angebot für sie bereithält.

„Zeit der Kannibalen“ ist ein aktuelles und ein politisches Stück. Es zeigt (ohne schwarz-weiß Denken) nicht nur die Fratze des Kapitalismus, sondern auch was mit den Menschen passiert, die für ihn quasi an vorderster Front kämpfen. Verroht und neurotisch entscheiden sie über das Schicksal von 10.000 Menschen, um nach einigen Tagen zur nächsten Schlacht zu fliegen. Bevor sie als „nützliche Idioten“ selber geopfert werden.

Ein großes Lob an alle Beteiligten für einen sehr emotionalen Abend.

Mehr Informationen unter www.glassbooth.de

Intensives Kammerspiel

Der Ort war wie für „Sechs Gramm Caratillo“ gemacht. Der kleine, enge Keller des „Sissikingkong“ im Dortmunder Norden verströmte ein Gefühl des Eingesperrtseins. Hinzu kam das intensive Spiel von Nora Bauckhorn, die aus dem Hörspiel von Horst Bienek ein fesselndes Theaterstück machte. Schließlich hatte Bauckhorn auch ein großes Vorbild: „Sechs Gramm Caratillo“ wurde ursprünglich 1960 von keinem geringeren als Klaus Kinski gesprochen. Ein Premierenbericht vom 08. Mai 2015.

Die Idee „Sechs Gramm Caratillo“ auf die Bühne zu bringen, hatte Nora Bauckhorn schon lange. Zusammen mit dem Regisseur Jens Dornheim wurde das Stück die zehnte Produktion der Theatergruppe glassbooth realisiert (wir berichteten). Aufgepeppt mit einigen Multimediaelementen wie Film und Projektion – „Projektionen sind ja jetzt in“, machte sich die Hauptfigur zu Beginn über den neuesten Theatertrend lustig – verwandelte sich der Keller in einen Performanceraum.

Die Geschichte ist im Grunde die gleiche geblieben: Die namenlose Hauptfigur nimmt zu Beginn ihrer „Performance“ eine tödliche Dosis Gift und erlebt/erleidet mit den Zuschauern ihre letzte Stunde bis zum bitteren Ende. Dabei berichtet sie aus einigen Phasen aus ihrem Leben, die ihr Handeln erklären.

Handelte das Stück in der Originalfassung von einem medizinischen Experiment, so ging es diesmal um eine künstlerische Performance. Die Hauptdarstellerin ist Künstlerin und Schauspielerin, aber es scheint, als ob sie aus dem Leben gefallen ist. „Bin ich denn wirklich so anders“, fragt sie zu Beginn. Mit diesem Anders-sein hat sie ihr ganzes Leben zu kämpfen. Es scheint, dass sie an einem Vaterkomplex leidet: Ihre Träume von ihrem Vater, die Liebe zum Vater ihres Freundes, das alles quält sie. Bis sie sich letztlich zur tödlichen Performance entscheidet. Wie sich zeigt, eine Kurzschlussreaktion. Denn am Ende bekennt sie: „Die Träume sollten doch nur sterben“. Doch die Erkenntnis kommt zu spät.

Bauckhorn und Dornheim haben es geschafft, dieses Hörspiel auf die Theaterbühne zu bekommen. Neben der Protagonistin konnten die Zuschauer auf der Leinwand kurze Filmsequenzen sehen, die von Sascha Bisley und Thaisen Stärke gedreht wurden. Dabei spielten Tobias Schulz den Freund und Robert Adamek den Vater des Freundes. Während der Aufführung filmte Timo Knop das Geschehen. Ein ganz besonderes Gimmick waren die Einspielungen des Originalhörspiels, deren Stimme allen bekannt vor kam, doch es war in Wirklichkeit Jörg Schulze-Neuhoff, der den Kinski mit verblüffender Exaktheit sprach. Gelungen war auch die Auswahl der Musik und Geräusche im Hintergrund. So verbreitete zum Beispiel eine auf der Leinwand projizierte Uhr eine beängstigende Stimmung. Auch die „Störungen“ wurden modernisiert: Klingelte bei Kinski noch das Telefon im abgeschlossenen Raum, musste die Protagonistin in der heutigen Zeit Handy- und Smartphonebesitzer mit Waffengewalt drohen.

„Sechs Gramm Caratillo“ ist kein Stück für große Bühnen. Es kann seine besondere Faszination nur dann richtig zur Geltung bringen, wenn die Zuschauer eng beieinander sitzen und die Wände bedrohlich nahe sind. Ein ideales Stück für kleine Theater. Ansonsten lebt das Stück von seiner großartigen Darstellerin Nora Bauckhorn, die die Zuschauer auf einem emotionalen Parforceritt nimmt. Unbedingt ansehen!

Inszenierter Selbstmord vor der Kamera

Mit „Sechs Gramm Caratillo“ schrieb Horst Bienek ein Hörspiel, das sich um einen Medizinstudenten dreht, der in einem Selbstversuch ein tödliches Gift nimmt und den Versuch mit einem Tonband aufnimmt. Gesprochen wurde es 1960 von Klaus Kinski. Bienek erhielt 1981 den Dortmunder Nelly-Sachs-Preis.
Das Theater glassbooth bringt das Stück ins 21. Jahrhundert. Hier ist es eine Schauspielerin/Künstlerin, die sich in einer Performance das Gift injiziert und ihr Sterben auf einer Kamera dokumentiert. Gespielt wird dies von Nora Bauckhorn, Regie führt Jens Dornheim und Videoeinspielungen wurden von Sascha Bisley erstellt. Die Premiere ist am 07. Mai 2015 im Sissikingkong. Ars tremonia sprach mit den drei Verantwortlichen.

[Update: Mittlerweile gibt es den Premierenbericht.]

 

Ars tremonia: In dem Stück „Sechs Gramm Caratillo“ geht es im Original um einen Selbstversuch eines Medizinstudenten. Gibt es in ihrer Inszenierung Veränderungen?

Nora Bauckhorn: Der Text ist umgearbeitet worden, er ist etwas moderner. Es geht in unserem Fall nicht um ein medizinisches Experiment, sondern eher um ein künstlerisches.

Ars tremonia: Herr Dornheim, wie sind sie auf die Idee gekommen, dieses Stück zu inszenieren, das ja ursprünglich aus dem Jahre 1960 stammt?

Jens Dornheim: Die Idee stammt von Nora, sie hatte das Stück in ihrer Schublade und es bereits für eine Frau umgeschrieben. Nora hatte mich gefragt, ob ich das Stück mit ihr machen möchte. Dann habe ich mir als erstes das Original von Kinski angehört, danach Noras Text gelesen und das hat mich sofort überzeugt, es machen zu wollen.

Ich werde mit glassbooth dieses Jahr zwei Premieren machen, eine mit kleinerer Besetzung und die andere mit mehr Schauspielern. Das hier ist bewusst für kleinere Locations konzipiert worden. Wir hätten es auch im Theater im Depot spielen können, aber ich finde, das Stück passt da nicht so gut rein. Ich finde, es braucht einen intimen Charakter mit wenig Zuschauer, die sehr nah dran sind.

Wir brauchen relativ wenig Platz auf der Bühne, aber die Möglichkeit auf einem Hintergrund etwas zu projizieren.

Ars tremonia: Frau Bauckhorn, was hat Sie an diesem Stück fasziniert?

Nora Bauckhorn: Ich glaube, zunächst einmal Kinski. Als Die-Hard-Fan finde ich es ein sehr auffälliges Werk, weil es so untypisch ist für ihn. Kinski spricht das sehr zurückgenommen, sehr ruhig eigentlich. Ich fand das Stück schon immer sehr spannend und faszinierend. Ich finde die Idee des Selbstmordes, was es im Prinzip ja ist, unter diesem Vorwand eines Experimentes interessant. Auch ein Thema was mich fasziniert, die Frage eben, wie echt muss Schauspiel, Film oder Kunst überhaupt sein? Wie echt darf es sein? Was will man sehen? Das ist zwar kein neues Thema, aber ich finde es halt interessant. Die Vorstellung, irgendjemand dabei zu zugucken, wie er sich gerade umbringt, ist natürlich extrem abstoßend, aber es hat natürlich einen sehr finsteren Reiz.

Ars tremonia: Es soll ja diese „Snuff“-Filme geben.

Nora Bauckhorn: Das wäre das auf die Spitze getrieben. Wobei ich das persönlich weder besonders interessant finde. Aber es scheint irgendetwas zu geben, was Leute daran fasziniert und sei es nur die Idee, dass es solche Filme geben soll. Allein das macht schon etwas mit Leuten. Ich finde es spannend zu fragen: Was will das Publikum? Was glaubt es zu wollen und will es das dann wirklich noch?

Ars tremonia: Gibt es Unterschiede zwischen der wissenschaftlichen Original-Hauptfigur und der neuen künstlerischen Figur?

Nora Bauckhorn: Ich glaube, da gibt es nicht so viele Unterschiede im Sinne der Intention. Ich versuche bestimmt nicht, auf der Bühne Herrn Kinski zu imitieren. Es ist deutlich anders gespielt, es ist eine Frau.

Jens Dornheim: Wir haben den Charakter schon deutlich verändert. Die Persönlichkeit der Künstlerin ist eine andere, ich wollte auch einen gewissen Abstand zum Original haben. Wobei der Herr Kinski bei uns auch eine Rolle spielen wird.

Nora Bauckheim: Im Original ist es ein Medizinstudent, in unserer Fassung ist es eine Schauspielschülerin oder eine kunstaffine Person.

Jens Dornheim: Bei uns ist es kein Experiment, sondern eine Performance.

Nora Brauckheim: Sie produziert sich auch anders als Kinskis Medizinstudent.

Sascha Bisley: Sie ist auch triebhafter, mit weniger Kalkül und emotionaler.

Ars tremonia: Es gibt nicht nur den Monolog auf der Bühne, sondern auch audiovisuelles. Was gibt es zu sehen und zu hören?

Sascha Bisley: Ich bin angesprochen worden, ob ich mir vorstellen könnte, das filmisch umzusetzen und wir haben überlegt, welchen Look wir nehmen. Machen wir das aufdringlich, schnell und laut wie heutige Installationen im Theater sind? Wir haben uns sehr schnell darauf geeinigt, etwas auszusuchen, was abgespeckt ist, sich auch ein bisschen in der Präsenz auf der Leinwand zurücknimmt und dafür mehr Raum für die Schauspieler lässt. Daher haben wir mit Schwarz-Weiß einen sehr klaren Look gewählt und die Bilder traummäßig angelegt. Das ist sehr surreal. Wir versuchen das Ganze mehr unterstützend statt aufdringlich zu untermalen. Installation wirken auch oft ablenkend und das haben wir vermieden. Die Herausforderung ist, die Lücken, die dieser Film hinterlassen muss, durch das Schauspielerische zu füllen. Der Film ist dazu da, um die Story zu etablieren, aber das Hauptaugenmerk dennoch auf der Schauspielerin zu lassen, die auf der Bühne und in den Installationen zu sehen ist. Das Filmische soll nur Beiwerk sein.

Ars tremonia: Wie lange wird das Stück ungefähr?

Jens Dornheim: Eine Stunde. Das Hörspiel ist 30 Minuten und da es bei uns etwas zusätzlich gibt und es auf der Bühne immer anders ist als im Studio, dauert es eine Stunde.

Weitere Termine: Donnerstag, 14.05.2015 im Wohnzimmer GE, Gelsenkirchen und am 17.05. 2015 im Theater Rottstr 5 in Bochum.

Wenn die Wirklichkeit im Drehbuch steht

Spät, aber sie kommt: Die Rezension von „Container Love“, dem dem neuen Stück vom Theater glassbooth. Ars tremonia besuchte die zweite Vorstellung am 30. August im Theater im Depot und erlebte eine gelungene Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Big Brother“.

 

Was fasziniert Menschen, die sich „Big Brother“ im Fernsehen anschauen? Die nackte Haut, die unterschiedlichen Typen, die von vor hinein Konflikte provozieren (sollen)? Regisseur Jens Dornheim ging auf die Spurensuche und mit „Container Love“ präsentierte er mit seinem Ensemble das Ergebnis.

 

Gleich zu Beginn spielte das Stück mit der Frage nach Spiel und Wirklichkeit? Es wurden nämlich zwei Kandidaten aus dem Publikum gewählt. Wie immer in solchen Fällen, kann man dann eine Stecknadel fallen hören und Blicke sagen „Bloß nicht mich“. Endlich werden zwei Kandidaten gefunden. Spätestens nach der gemeinsamen Choreografie des „Jingles“ fällt jedem im Publikum auf, die beiden gehören auch zum Ensemble.

Das Stück spielt in einem „Theatercontainer“, der mit sechs unterschiedlichen Schauspielern gefüllt ist. So ist Marlon (Marlon Bösherz) ein Abgänger von der Ernst-Busch-Schauspielschule, voller Hoffnung hier ein gelungenes Debut zu feiern. Alex (Alexandra Schlösser) spielt die „Übermutter“, die alle liebhat, besonders gelungen spielt Dietmar Meinel seinen Charakter „Dietmar“ als einen schrägen Charakter, der deutliche Züge von Klaus Kinski trägt. Auch sehr gut kommt Dominik Hertrich als selbstgefälliger Schlagersänger „Der Böhmer“ rüber. Weitere Container-Insassen waren: Nora Bauckhorn als junge „Nora“, die auf ihren Durchbruch wartet, Tanja Brügger, die als „Tanja“ im Container mit Qualität überzeugen möchte sowie Timo Knop und Anabel Starosta als „zufällig“ gecastete Teilnehmer.

 

Die Aufgaben werden wie im Fernsehen von einer Stimme aus dem Off gestellt und haben mit Theater zu tun: Die Kandidaten sollen beispielsweise ein Stück über „Mord und Liebe“ zum besten geben. Dabei werden Themen wie Kindesmord oder Kindesmissbrauch szenisch dargestellt. Bei der letzten Aufgabe „Theater und Kunst“ werden noch einmal alle Register gezogen: Hier wird eine Szene dargestellt, wie sich der „normale“ Mensch auf der Straße das moderne Theater vorstellt. Menschen in merkwürdigen Klamotten rezitieren merkwürdige Texte und machen merkwürdige Dinge (z.B. wickeln sich in Frischhaltefolie ein) und ein kunstsinniger Regisseur bekommt ein Nervenzusammenbruch, weil ein Schauspieler an der falschen Stelle schreit.

 

Jens Dornheim hat sein Ensemble gut im Griff, alle spielen wunderbar ihre „gescripteten“ Rollen wie im Fernsehen, wunderbar war auch ihre kleine getanzte Choreografie. Doch was bleibt am Ende? Ist es so wie im Fernseh-Leben, dass man den Sieger der vierten Staffel von DSDS nach einem Tag sowieso wieder vergessen hat? Dornheim stellt die Unterhaltung in den Mittelpunkt, es gibt keinen erhobenen Zeigefinger, doch werden die Zuschauer danach die Formate wie „Big Brother“ mit anderen Augen sehen?

 

Nichtsdestotrotz ein Stück, das mit viel Lust am Spielen gemacht wurde und zu dem man Dornheim und Ensemble nur gratulieren kann.

 

Wer es verpasst hat, kann es in Dortmund im Theater im Depot am 25. September um 20 Uhr noch einmal erleben.