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Was zieht uns zum Abgrund?

Warum stehen die Menschen dem drohenden Klimawandel so tatenlos entgegen? Eigentlich unverständlich bei den Folgen, die eine Erwärmung unseres Planeten mit sich bringen würde. Welcher Mechanismus sorgt also dafür, dass der Klimawandel den meisten Menschen irgendwie egal ist. Darauf gibt es einige Erklärungsmöglichkeiten, eine theatrale Antwort gibt Björn Gabriel und seine Theatergruppe „Trafique“ in dem Stück „Abgrund“, das am 03. Oktober 2020 Premiere im Fletch Bizzel feierte.

Schon 2014 veröffentlichte der Klimaaktivist George Marshall sein Buch „Don‘t even think about it“ mit dem schönen Untertitel „Warum unsere Gehirne so darauf eingestellt sind, den Klimawandel zu ignorieren“. Einer seiner Kernthesen ist folgender: Der Klimawandel ist vielschichtig, er hat keinen klaren Anfang und kein klares Ende. Es gibt keine einzelne Ursache und keine einzelne Lösung. Er ist sehr anfällig für mehrere Bedeutungen und Interpretationen. Das macht den Klimawandel für den Menschen sehr schwer fassbar.

Doch ein Theaterstück ist keine wissenschaftliche Abhandlung und Björn Gabriel versucht eigene Antworten darauf zu finden. Beide sehen aber in dem Verursacher der Problematik den Menschen. In dem Stück tauchen bestimmte Charaktere auf, die historisch (Kolumbus), mythisch (der Tod) oder fiktional sind. Als Hauptfigur fungierte Doga Gürer als eine Art wissenschaftliches Versuchsobjekt, das selbst auf die Suche geht, nach dem „Warum“ der menschlichen Selbstzerstörungswut. Liegt es an der Prägung, der Reizüberflutung, der Liebe als Form der Verblendung?

Mit Kolumbus trat eine historische Figur auf, die für das Stück als Sinnbild für die beginnende Globalisierung steht. Durch die Entdeckung der Seewege und neuen Länder begann das Zeitalter der Kolonialisierung.

Doga Gürer und im Hintergrund Aischa-Lina Löbbert von "Trafique" in "Abgrund". (Foto: © Anna Lena Marienfeld)
Doga Gürer und im Hintergrund Aischa-Lina Löbbert von „Trafique“ in „Abgrund“. (Foto: © Anna Lena Marienfeld)

Die zweite Figur war ein kleiner selbstironischer Seitenhieb, denn Fiona Metscher spielte eine Künstlerin, entrückt in ihrer Kunst und verloren in der Kulturwirtschaft. „Ich bin nie zufrieden mit mir“, Ich kann mich nie ausruhen“, so ihr Lamento. Doch all die Künstlerinnen und Künstler bekamen mit dem wiederholten Ausspruch „Ihr Wichser“ ihr Fett weg.

Sehr beeindruckend war auch das Kapitel „Routine“. Hier wurde der tägliche Loop, die ständigen Wiederholungen zwischen Aufstehen, Schule/Arbeit, Essen in Dauerschleife gezeigt. Da kommen einem die Textzeiten von „Mad world“ der Gruppe „Tears for fears“ in den Sinn: „Bright and early for the daily races. Going nowhere, going nowhere“ Es hatte etwas von „Das Goldene Zeitalter“ von Kay Voges, dem ehemaligen Intendanten des Dortmunder Schauspielhaus, mit dem Björn Gabriel lange Zeit zusammengearbeitet hat. Passend auf der Leinwand dazu die Bilder von Rädern wie in einem Uhrwerk in dem die Menschen gefangen sind.

Auch die neuen Bewegungen wie „Friday for future“ waren natürlich Thema in „Abgrund“. Bei einer Mittelklassefamilie zu Tisch wurde gelästert. „Die wollen nur nach oben“, „Rache ist das Motiv, nicht Gerechtigkeit“ oder „abweichende Meinung wird als Angriff gewertet“. Besonders dreist wird es, als Familienvater (Dominik Hertrich) sich als „mittelalter weißer Mann“ quasi zum Opfer stilisiert. Das sorgt bei der Tochter (Aisha-Lina Löbbert) logischer für totalen Frust.

In „Abgrund“ gibt es neben der Performance der vier Schauspieler auch einiges an audiovisuellen Content, wie man es neudeutsch sagt. Denn die Hauptbühne war mit Gaze überzogen, worauf Bilder und Videos erschienen. So war es oft, dass man das Gefühl hatte einen Film zu schauen, denn die Akteure sprachen oft in die Kamera. Wer das Fletch Bizzel kennt, wird sich gewundert haben, der Platz, auf sich die Schauspielerinnen und Schauspieler bewegten, war deutlich ausgedehnt worden. Es gab einen Pool, der durchaus genutzt wurde und ein Gewächshaus.

„Abgrund“ bietet keine Antworten, die Zuschauer müssen schon ihre eigenen Schlüsse ziehen. Ob es notwendig ist, Bilder von Naturkatastrophen zu zeigen, ist fraglich. George Marshall, um auf den Beginn zurückzukommen, ist gegen die Missionierung durch Weltuntergangsfantasien, weil es die Menschen ermüdet.

Letztendlich ist „Abgrund“ ein facettenreiches, intensives Theaterstück mit vier sehr engagierten Schauspielerinnen und Schauspielern. Ein großer Dank an Doga Gürer, Dominik Hertrich, Aischa-Lina Löbbert und Fiona Metscher, aber auch an die anderen Mitwirkenden, die für einen gelungenen Abend sorgten. Eine ganz klare Empfehlung für einen Theaterbesuch.

Weitere Termine sind am 16.10., 18.10 und am 07.11. 2020 im Theater Fletch Bizzel. Mehr Infos unter www.fletch-bizzel.de

Anonymus ex machina

In welche Richtung geht er denn, der Volksvertreter? (Foto: © Sir Gabriel Dellmann)
In welche Richtung geht er denn, der Volksvertreter? (Foto: © Sir Gabriel Dellmann)

Staubsaugervertreter verkaufen Staubsauger, Volksvertreter verkaufen… Die vierte Produktion der Theatergruppe Sir Gabriel Dellmann „Wohin des Weges, Volksvertreter?“ beschäftigt sich mit der repräsentativen Demokratie. Worum geht es den Volksvertretern? Um die nächste Wiederwahl? Um die Folgen unserer Politik im In- und Ausland? Dabei luden die Theatermacher um Björn Gabriel und Stefanie Dellmann das Publikum in eine Talkshow. Ein Premierenbericht vom 26.09.2015

Es muss in Fernsehstudios ziemlich warm sein, anders kann man die Wahl der Kleidung des Moderators, gespielt von Martin Hohner, nicht erklären: Nur eine Weste auf nackter Haut. Vielleicht schon ein Zeichen für das journalistische Prekariat, dass sich nur rudimentäre Kleidung leisten kann.

Die Gäste waren doch seriöser angezogen. Matthias Kalle, mit einer Art Toga(!), spielte einen als Politiker, dessen Positionen zwischen CSU und FDP anzusiedeln sind. Daher antwortete er auf die Fragen des Moderator gerne mit Stichworten wie „Eigenverantwortung“. Aischa-Lina Löbbert gab eine linke Politikerin. Ihre Politikerin klang bei jedem Thema, als hätte sie vorher beim Stand von „Attac“ deren Flugblätter auswendig gelernt. Die Hauptrolle hatte aber Fiona Metscher, die eine Art Angela Merkel spielte, wobei ihr Sprechen ein wenig an Andrea Nahles erinnerte. Vielleicht die Kombination der großen Koalition von CDU und SPD. Die Politikerin der Mitte zeigte vor allen ein Grundübel: Man versucht, es allen Recht zu machen. Sie konnte zwischen der rechten und linken Position je nach Gusto und Meinung hin und her jonglieren.

Zu jedem Themenfeld wie „Griechenlandkrise“, „Flüchtlingskrise“ oder „Afrika“ wurden kleine Einspieler gezeigt, die auf das Thema vorbereiten sollten. Nach jeder Runde wurden die Besucher im Theater nach ihrer Meinung gefragt und durften per SMS abstimmen. Ob die Ergebnisse an der Videowand tatsächlich das echte Ergebnis der Zuschauerabstimmungen darstellt, bleibt wohl ein Geheimnis des Regisseurs Björn Gabriel. Wurden die ersten Themen noch ausführlich behandelt, ging es dann Schlag auf Schlag, so dass keine Zeit mehr für Abstimmungen oder ähnliches blieb.

Gegen Ende der Show zauberte Gabriel einen „Anonymus ex machina“ aus dem Hut. Denn eine nicht näher definierte Gruppe kaperte die Sendung und drohte die Politiker zu ermorden. Sie sollten erklären, welche Beweggründe es waren, dass sie Politiker geworden sind und warum sie ihre Ideale verloren hätten. Am Ende hieß es „war nur Spaß“ und „hoffentlich nicht zu Laut für das Publikum“.

„Wohin des Weges, Volksvertreter“ ist zwar genauso Polit-Theater wie „2099“, das am 19.09.2015 in Theater Dortmund Premiere hatte, wirkte aber in sich konsistenter und ambitionierter. Eine Talkshow als Theaterstück aufzuführen ist zwar nicht neu (beispielsweise „Eine Stille für Frau Schirakesch“, Köln 2013), aber echte Talkshows im Fernsehen wirken oft auch wie abgeschmackte Theaterstücke. Die Klischees der Politiker und des Journalisten hätte man vielleicht noch besser herausarbeiten können, aber vielleicht wäre das Stück dann zu sehr in Richtung Kabarett gegangen.

Das „Unvorhergesehene“, die Macht, die von außen kommt und die Politiker sowie den Moderator zwingt Farbe zu bekennen, wirkte sehr aufgesetzt. Es hätte meiner Meinung nach gereicht, die Politiker durch ihre eigenen Aussagen zu entlarven.

Löbbert, Metscher, Hohner und Kelle zeigten ein engagiertes Spiel, die Bühne wurde von Stefanie Dellmann einfach, aber zweckmäßig mit Stehpulten eingerichtet. Ein wichtiges Element waren die Bilder und der Ton. Dafür waren Tilman Oesterreich und Mario Simon zuständig. Die Liveübertragung in den Salon Fink am Nordmarkt funktionierte, aber eine Reaktion von dort war technisch noch nicht möglich.

Eine klare Empfehlung für Leute, die Polittheater mögen.

Ein weiterer Termin im Theater im Depot ist am 25. Oktober 2015 um 18 Uhr.