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Laurel und Hardy Momente bei „Warten auf Godot“

Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber die Wikipedia behauptet, dass Samuel Beckett an Stan Laurel und Oliver Hardy gedacht haben soll, als er seine Hauptprotagonisten Wladimir und Estragon in „Warten auf Godot“ erschuf. Sieht man sich das Stück an, dann kann man durchaus diesen Gedanken durchaus etwas abgewinnen. Eine bekannte Schauspielriege hat schon mal die eine oder andere Rolle in dem Stück gespielt: Steve Martin, Robin Williams, Ian McKellen oder Patrick Steward. In der Dortmunder Inszenierung von Marcus Lobbes spielten Andreas Beck und Uwe Rohbeck die Hauptrollen.

Das Stück dürfte bekannt sein: Estragon und Wladimir warten auf Godot, der bekanntlich nicht kommt. Abends kommt ein Junge, der den beiden mitteilt, dass Godot heute nicht mehr kommt, aber morgen sicher. In die kleine Welt der beiden brechen zweimal Pozzo und Lucky ein. Pozzo (Martin Weigel) ist Landbesitzer, der Lucky (Christian Freund) wie einen Sklaven hält und ihn auch auf dem Sklavenmarkt verkaufen möchte. Luckys Funktion ist unter anderem für seinen Herrn zu denken, während Pozzo ihn herumkommandiert. Wie Wladimir und Estragon sind beide aufeinander angewiesen, vor allem im zweiten Akt, als Pozzo blind ist und Lucky stumm.

Daher gibt es die Interpretation, dass Pozzo und Lucky verstärkte Versionen von Wladimir und Estragon sind. Pozzo und Estragon sind beide impulsiv, wenn auch auf andere Art, ebenso sind Wladimir und Lucky beide die Intellektuellen, die ihre Partner stützen.

Wladimir, von Estragon auch Didi genannt, wurde von Andreas Beck dargestellt. Beck gelangen mehrere wunderbare Momente, die an Oliver Hardy erinnerten. Vor allem, wenn Waldemar so tut, als sei er der intellektuell überlegenere Teil des Duos. Uwe Rohbeck ist als Estragon, kurz Gogo, auch gut darin, den naiven, kindischen und vergesslichen Menschen zu spielen.

Die Kunst von Beckett ist es, hinter den beiden Menschen eine weitere Dimension zu kreieren. So ist Erstragon auch ein Poet, der aus seiner Erinnerung die Farben des Heiligen Landes beschreibt, während Wladimir, der Philosoph, sich die Frage stellt, warum nur ein Evangelist geschrieben hat, dass ein Schächer am Kreuz erlöst wurde, während die anderen drei, „die doch auch dabei waren“, es nicht berichteten.

Lucky (Christian Freund) und Pozzo (Martin Weigel) sorgen ein wenig für Unterhaltung beim Warten auf Godot von Estragon (Uwe Rohbeck) und Wladimir (Andreas Beck). (Foto: © Birgiti Hupfeld)
Lucky (Christian Freund) und Pozzo (Martin Weigel) sorgen ein wenig für Unterhaltung beim Warten auf Godot von Estragon (Uwe Rohbeck) und Wladimir (Andreas Beck). (Foto: © Birgiti Hupfeld)

Pia Maria Mackert hat den Protagonisten auf der Bühne knallbunte Kostüme verpasst, die ein klein wenig an die Renaissance denken ließen. Hüte mit schicken Federn und ordentliche Gewänder passten nicht so ganz zu den Landstreichern, die Wladimir und Estragon eigentlich sind.

Eine gute Idee war, dass Wladimir und Estragon langsam per Aufzug Stück für Stück aus der Versenkung auf die Bühne gehoben wurden. So wirkte es am Anfang, als ob die beiden in einem Graben säßen. Ansonsten war die Bühne mit Blättern übersät, im Hintergrund befand sich ein rundes Fenster, durch das man in den Weltraum schaute. Es wirkte ein wenig wie der Fensterblick aus dem Raumschiff Enterprise.

Regisseur Marcus Lobbes hat sich für seine Inszenierung noch etwas einfallen lassen: Im zweiten Akt singt Waldimir die Melodie von „Ein Hund kam in die Küche“, auch bekannt als „Mein Hut, der hat drei Ecken“. Schon in der Pause kam der Dortmunder Sprechchor in den Zuschauerraum samt vier verkleideten Schauspielern als Koch, Hund, Henne/Ei und Junge und sangen das Lied in Endlosschleife. Ebenso am Ende des Stückes. Der Dortmunder Sprechchor hat schon viele Stücke veredelt, doch hier wirkte es ein wenig aufgepropft.

Andreas Beck und Uwe Rohbeck harmonierten wunderbar zusammen. Die beiden wirkten tatsächlich im vielen Situation wie das berühmte Komikerpaar. Martin Weigel wirkte schon aristokratisch versnobt, während Christian Freund den Diener Lucky mit viel Energie spielte, vor allem zu sehen beim „Denkermonolog“.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de

Schimmelpfennigs „Das Reich der Tiere“ mit persönlicher Brisanz

Mit der Premiere von „Das Reich der Tiere“ (Roland Schimmelpfennig, * 1967 Göttingen) unter der Regie von Thosten Bihegue startete das Schauspiel Dortmund am 05.10.2019 in die neue Spielzeit 2019/20. Um es vorweg zu nehmen. Ja, die bissig-ironische Komödie „Das Reich der Tiere“ bekam natürlich durch den anstehenden Wechsel der Intendanz im Schauspiel ab der nächsten Spielzeit auch eine persönliche Note.

Das Schauspielmilieu mit seinen besonderen Gesetzen und Unsicherheiten für die Ensemble- Mitgliedern steht ja im Mittelpunkt dieser Parabel. Enthalten ist zudem eine viel weitergehende gesellschaftliche Kritik und Offenlegung der Mechanismen des kapitalistischen Systems.

Im Stück führen sechs Schauspielerinnen und Schauspieler seit sechs Jahren ein Tier-Musical auf.

Als Löwe (Christian Freund), Zebra (Ekkehard Freye), Ginsterkatze (Marlena Keil), Marabu (Frank Genser), Schildkröte (Bettina Lieder) und elegante Antilope (Alexandra Sinelnikova) erzählen sie vom Reich der Tiere. Hier regiert zunächst das Zebra, bis ihm der Löwe den Platz als Herrscher streitig macht. Beide müssen sich in brenzliger Situation vor einem Brannd und gegen das gefährliche Krokodil helfen und zusammenhalten. Aber hält der Friede lange an?

Nun soll das Stück abgesetzt werden, etwas Neues soll her. Die Unsicherheit, Neid und Missgunst, Vermutungen, eigene Träume und ganz persönliche Ängste machen sich unter den SchauspielerInnen breit. Jeder versucht, seine Chancen auszuloten und kämpft für sich. Bitter dabei ist, alle sind durch ihre langjährige Tierrolle zu namenlosen Darstellern degradiert, und keiner kennt sie wirklich als Person.

Solidarität oder Alle gegen Alle. Und die Frage: Lässt sich das Darstellerprekariat auf jeden Job ein? "Das Reich der Tiere" mit u.a.  Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Darstellerprekariat auf jeden Job ein? „Das Reich der Tiere“ mit u.a. Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Zebra, Schauspieler Frankie, versucht in seiner Wohnung Informationen zum neue Stück „Garten der Dinge“ von der Regisseurin (wunderbar gespielt von Bettina Lieder) zu bekommen und Vorteile für sich erlangen, indem er zur Lesung zu diesem Stück geht. Doch das geht schief. Ernüchtert spielt er später sogar in einem Werbespot mit

Obwohl eigentlich niemand (vor allem die Ginsterkatze) bei dem „Garten der Dinge“ mitmachen will, lassen sich am Ende als entpersönlichte „Dinge“ wie etwa eine Ketchupflasche, Toaster, Pfeffermühle oder Spiegelei in diesem surrealen Stück einsetzen.

Die Inszenierung stellte das Ensemble neben der schauspielerischen auch wieder einmal vor physische Herausforderungen. Choreografien und musikalische Anforderungen, ob punkig-rockig oder leiser, wurden von ihnen gemeistert. Das dieses Ensemble auch musikalische Qualitäten hat , bewies es ja schon öfter. Die verschiedenen Charaktere (Symbolhaft bei den Tieren) wurden mit großer Intensität und Körperlichkeit für die ZuschauerInnen auf die Bühne gebracht.

Künstliche Kakteen und andere Requisiten sorgten auf der Bühne für den passenden Hintergrund. Auf einer erhöhten Plattform spielen Serge Corteyn und Manuel Loos Live-Musik zur atmosphärischen Begleitung des Abends.

Die Kostüme waren sehr fantasievoll von Theresa Mielich gestaltet.

Ein komödiantisch-ironischer Theaterabend, der das Publikum trotz des ernsten gesellschaftlichen Hintergrund zum lachen brachte.

Wäre es doch besser für uns und die Gesellschaft allgemein, sich nicht spalten und gegeneinander ausspielen zu lassen. Wären Zusammenhalt und Solidarität gegen das „Krokodil“ eine Möglichkeit?

Informationen über weitere Aufführungstermin erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.. 0231/ 50 27 222.

Eine Herzkammer gerät ins Stocken

150 Jahre wird die SPD in Dortmund, na ja, um genau zu sein, eine der Vorgängervereine. 1868 gründete sich die erste Dortmunder Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Bis zur Herzkammer der SPD sollte es in Dortmund aber noch etwas dauern. Dennoch spendierte Sänger und Musiker Rainald Grebe der „alten Tante“ ein ordentliches Geburtagsständchen und viele Gäste kamen. Auch Ars tremonia. Ein Premierenbericht vom 30. März 2019.

Besonders lustig sind Ortsvereinsversammlung selten, doch Grebe hat es geschafft, gut zweieinhalb Stunden geballte SPD-Geschichte Revue passieren lassen, ohne dass die große Langeweile aufkommt. Dabei schaffte er auch den Spagat zwischen ernst gemeinten Lob für eine Partei, die sich um die kleinen Leute gekümmert hat und vergaß nicht, auf die aktuelle Orientierungslosigkeit der Partei hinzuweisen.

Es begann wie eine Ortsvereinssitzung, allerdings in einer feierlichen Umgebung. Anke Zillich spielte die Ortsvereinsvorsitzende des fiktiven Ortsvereins. Erst einmal wurden alle anderen Ortsvereinsvorsitzenden begrüßt, was bei der Menge an Ortsvereinen in der Dortmunder SPD eine Weile dauerte. Christian Freund, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe Schmieder spielten weitere Mitglieder des Ortsvereins.

Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Carloine Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Caroline Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Zu einer Jubiläumsveranstaltung gehören natürlich auch Reden. Neben Videobotschaften von Andrea Nahles oder Franz Müntefehring gab es auch echte Grußworte, gesprochen vom Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Dabei spielte Andreas Beck – mit einer herrlichen Perücke – den OB, während der echte im Publikum saß. Er nahm es wohl mit Humor. Die anderen „Gäste“ kamen aus der Gruft: Ferdinand Lasalle, Willy Brandt, Kurt Schumacher, Rosa Luxemburg.

Wie es sich für eine Arbeiterpartei gehört wurden auch viele Lieder gesungen. „Die Gedanken sind frei“ und „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ erklangen zusammen mit dem Publikum, während „Die Partisanen von Amur“, „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ oder „Mein Vater wird gesucht“ vom Ensemble gesungen wurde.

Dabei wurden auf der Feier des Ortsvereins auch Gäste begrüßt. Der Chor der Naturfreunde, der AWO und der Tafel (alles der Tafelchor) und der Männergesangverein der Zeche Viktoria. Die Ästhetisierung von gefährlicher Schwerarbeit durfte natürlich nicht fehlen. So erklang das altbekannte „Glück auf“ als Reminiszenz der Bergbautradition und für alle Bergbau-Romantiker.

Ab diesem Zeitpunkt wurde aus der fröhlichen Jubilarfeier eine Zustandsbestimmung der SPD. „DJ Alexander“ alias Andreas Beck erzählte vom auszehrenden Leben einer „Ich-AG“, die durch Gerhard Schröder in der Regierungszeit von Rot-Grün eingeführt wurde. Doch gibt es noch Arbeiter anno 2019? Und wenn ja, wer sind sie? Die Antwort gab Rosa Luxemburg (Caroline Hanke): Von wegen es gebe keine Arbeiter mehr. Müllmänner, Paketboten, Kindergärtnerin, Krankenpfleger. „Das ist die Mehrheit. Das sind Millionen. Und das ist die Klientel der SPD. Liebe Genossen, wenn ihr das nicht erkennt: dann löst euch doch auf.“

Wenn es nach „Unsere Herzkammer“ geht, dann geht die SPD ihrem Ende entgegen. Zumindest hat Rainald Grebe eine Beerdigung als Schlusspunkt gesetzt. „Wir wollen von allen geliebt werden, doch das geht nun mal nicht“, sprach Anke Zillich als Ortsvereinsvorsitzende. Doch es gibt noch Hoffnung: „Wir können doch frei aufspielen, was wagen, was riskieren“. Das wäre der SPD zu wünschen.

Neben dem Ensemble gehört natürlich ein großes Lob den Chören sowie den Musikern Umut Akkuş, Tobias Bülow, Jens-Karsten Stoll und Markus Türk, die als Multiinstrumentalisten das Jubilarfest perfekt begleiteten.

Wer auch noch zur Jubilarfeier möchte, Karten und Informationen gibt es unter www.theaterdo.de

Hedda Gabler – destruktiv aus Langeweile

Das hatte sich Hedda irgendwie anders vorgestellt: Die Ehe mit dem Gelehrten Jörgen Tesman ist nicht im geringsten aufregend, zumal seine Ernennung als Professor in den Sternen steht, die alte verschmähte Jugendliebe wird plötzlich erfolgreich und selbst einfältige Landfrauen wie Frau Elvsted begehren aus ihrer kleinbürgerlichen Welt auf. Für Hedda steht fest: The thrill is gone. Langeweile macht sich breit und diese Langeweile gebiert Monster. Um ihre bürgerliche Sicherheit und die positive Perspektive für ihren Ehemann zu erhalten, macht sich Hedda dran, Menschen zu manipulieren und zu zerstören. Sie schafft sie es nicht, sich zu emanzipieren und für ihre Jugendliebe Lövborg zu entscheiden. So endet sie schließlich tragisch. Regisseur Jan Friedrich durchbricht in seiner Inszenierung das naturalistische Stück und erzählt es als Art Seifenoper mit Lachern vom Band. Ein Premierenbericht vom 15. Februar 2019.

Die literarische Figut der Hedda Gabler von Henrik Ibsen kommt nicht gerade sympathisch daher. Sie hasst ihren Ehemann Jörgen und seine Tante Julle, ist eifersüchtig auf ihre Bekannte Thea Elvsted, da sie zusammen mit Heddas Jugendliebe Lövborg ein neues Leben plant. Daher versucht sie das Leben von Lövborg und Thea zu zerstören. Nebenbei hat sie noch ein Verhältnis mit dem Hausfreund Brack. Auf einer Sympathieskala von 0 bis 10 würde sie wahrscheinlich im Negativbereich landen.

Das große Problem von Hedda ist, dass sie aus einer gutbürgerlichen Schicht (sie ist die Tochter eines Generals) durch die Heirat mit Jörgen Tesman in die Kleinbürgerlichkeit abgestiegen ist. Ihre einzige Hoffnung ist, dass ihr Mann eine Professorenstelle bekommt und dadurch ihr sozialer Status wieder steigt. Doch mittlerweile hat sich in ihrem Leben die Langeweile breit gemacht.

Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)
Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)

Friedrich inszeniert das Stück in zwei Ebenen. Die erste ebene ist durch Künstlichkeit geprägt und findet in einer sauberen „Barbie und Ken“-Welt statt. Hier tragen die Schauspieler Puppenmasken werden von externen Kolleginnen und Kollegen quasi „synchronisiert“. Wie in einer Seifenoper – inklusive Lacher vom Band – wird die scheinbar heile Welt, in der es keine Konflikte gibt, dargestellt. Doch wehe, wenn die Masken fallen.

Bettina Lieder als Hedda Gabler hat einen schweren Job und sie meistert ihn vorzüglich. Denn neben der oberflächlichen Barbie-Hedda, muss sie auch die intrigante Hedda zeigen. Sehr eindringlich gelingt ihr das beim Quälen von Thea Elvsted. Keine Angst, hier wurde Thea durch eine Puppe gespielt.

Hedda hat es mit sehr schwachen Männern zu tun. Ihr Ehemann Jörgen (gespielt von Ekkehard Freye) ist ein Bücherwurm par exellance und ganz in seiner Kleinbürgerlichkeit gefangen. Er setzt seine Frau mit seinem Kinderwunsch unter Druck und bemerkt nicht, dass er keinen richtigen Kontakt zu ihr bekommt. Eine typische Szene ist, als Jörgen sich freut, dass Tante Julle ihm seine Pantoffel mitgebracht hat. Er ist halt ein echter „Pantoffelheld“. Hedda nennt sie ihm am Anfang des Stückes konsequent „Herr Tesman“. Doch ihre Manipulationen führen nicht zum gewünschten Erfolg, auch Lövborg nimmt ḱeinen „schönen Tod“. In letzter Konsequenz tötet sich Hedda selbst. Tod durch Langeweile.

Ejlert Lövberg (gespielkt von Christian Freund) könnte zum Held des Stückes werden, ja wenn er etwas gefestigter im Leben wäre. Er verachtet Thea Elvsted, obwohl sie für ihn ihren Mann verlassen will und ihn von seinem Alkoholismus befreit hat. Doch leider ist er standhaft wie ein Kartenhaus und unter Heddas Einfluss beginnt er wieder zu trinken und verliert das Manuskript seines kommenden Buches.

Den schmierigen Charakter Brack spielt Uwe Rohbeck. Brack ist ein Mensch, der genau weiß, wo und wie er einen Vorteil bekommt. Er erkennt sofort die Differenzen zwischen Jörgen und Hedda und nistet sich als Liebhaber ins Hause Tesman ein. Darüber hinaus bekommt er mit wie Hedda das Manuskipt von Lövborg vernichtet.

Jetzt könnte man sagen, Hedda ist eine starke Frau, die sich gegen drei schwache Männer durchsetzen muss, aber leider behandelt sie ihre Geschlechtsgenossin Thea Elvsted (Alexandra Sinelnikova) genauso mies. Thea wird als Gewinnerin aus der Geschichte herausgehen, denn sie hat als einzige den Mut, sich aus der kleinbürgerlichen Ehe zu emanzipieren. Sie verlässt ihren Mann und wird höchstwahrscheinlich mit Jörgen zusammenkommen, da die beiden an den erhaltenen Notizen von Lövborg weiterarbeiten werden.

Bleibt als weitere Figur Tante Julle (Marlena Keil). Die Ausgeburt der Kleinbüprgerlichkeit und dient quasi als Sidekick für die Inszenierung. Sie opfert ihr Leben und ihr Geld wie selbstverständlich für ihren Neffen und lässt sich auch durch Heddas Verachtung nicht aus der Ruhe bringen.

Sicher, die Inszenierung eines Stückes aus der Zeit des Naturalismus mit Barbie-Puppen und Lachern aus dem Off wird nicht jedem gefallen. Doch es zeigt sehr gut die Künstlichkeit, die sich hinter der Fassade versteckt. Bettina Lieder ist mit ihrer Präsenz und Wandelbarkeit eine nahezu perfekte Hedda, ebenso in ihren verletzlichen wie boshaften Momenten.

Infos über weitere Termine und Karten gibt es unter www.theaterdo.de

Humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Genre

Während Kay Voges uns am Vortag in die Parallelwelt entführte, schmiss Jörg Buttgereit die Zeitmaschine an und schickte die Besucher ins Italien der 70er Jahre: Im Studio des Dortmunder Schauspiels hatte am 16.09.2018 das neue Stück „Im Studio hört dich niemand schreien“ von Jörg Buttgereit und Anne-Katthrin Schulz (frei nach Argento und Strickland) Premiere.

Es war nicht nur eine respektvoll-humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Slasherfilm der 70-iger Jahre (insbesondere auch Peter Stricklands Giallo-Hommage „Berberian Sound Studio“, Pychothriller 2012).Zugleich erfährt das Publikum etwas über das „Making of“ dieser Filme und bekommt auch kleine Einblicke in das Genre in den 1970-iger Jahren über eingebaute Textpassagen beispielsweise aus „The Sinful Dwarf (Vidal Raski 1973) oder etwa Argentos „Vier fliegen auf Grauen Samt“ (1971).

Bühnenbild und Kostüme im Studio wurde in akribischer Arbeit von der gelernten Architektin Susanne Priebs dem Interieur im Jugendstil und Art Déco und der Mode des Italien um 1976 nachempfunden. Jedes Detail sollte stimmen. Ob es das Telefon mit der Wählscheibe, ein altes Ton- Aufnahmegerät, das Mobiliar oder die schwarzen Mäntel, Perücken und Kleidung der Frauen, Koteletten und Schnauzbart des Sohnes und vieles andere mehr.

Die ZuschauerInnen und ZuhörerInnen tauchen quasi ein in das Jahr 1976 und dem Tonstudio (Sound Studio) von Regisseur Dario Winstone( der Vorname weist natürlich nicht zufällig auf Dario Argento hin) und seiner Familie sowie Synchronsprecherin und Mitarbeiter im Hintergrund.

In diese spezielle Welt hinein stößt Geräuschemacher Maximilian Schall, der das frisch abgedrehte Filmmaterial von Winestone nachvertonen soll. Er war bisher nur für die Vertonung von harmlosen Naturfilmen mit Tieren verantwortlich und weiß nicht so recht, was ihn erwartet.

Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.
Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.

Uwe Rohbeck, schon oft in Buttgereit-Stücken (zum Beispiel „Elefantenmensch“) zu bewundern, schlüpft wieder einmal meisterhaft in die Rolle des kleinen, verschüchtert wirkenden Geraüschemachers mit Schiebemütze, der Briefe von seiner Mutter zugeschickt bekommt.

Man merkt ihm deutlich an, wie unwohl er sich dabei fühlt, einen gewalttätigen Horrorfilm nachzuvertonen. Er fühlt sich in dem Genre unwohl, gibt aber sein Bestes.

Das Publikum sieht nicht den Film, sondern hört nur die Szenen-Einspielungen mit den Synchronsprecherinnen und später noch Sprecher. Der Horror spielt sich im Kopf ab.

Die geben alles, um das Geschehen mit lautem Schreien, Stöhnen und ihrer Sprache akustisch glaubhaft darzustellen. Maximilian Schall macht mit verschiedensten Requisiten, unter anderem Gemüse ( etwa Kohlkopf, Wirsing, Wassermelone) in das er herzhaft mit einem großen Messer hinein sticht, einem Handschuh aus Leder, Papiere und Folien zum Reißen für jede Situation das passende Geräusch. Er steigert sich nach und nach hinein.

Als „Running Gag“ läuft er immer vergeblich der Erstattung seiner Auslagen für den Flug von Deutschland nach Italien. Eine kleine Spitze gegen das Kunstverständnis (Kunst als ehrenvolle Aufgabe, die man eigentlich nicht mit Geld vergüten muss).

Ekkehard Freye spielt mit viel Spaß den von sich eingenommenen sexistischen Macho-Regisseur Dario Winestone, der (wie eben Argento) einen ästhetisch hohem Niveau und mit stilistischen Anspruch an seinen spektakulären Inszenierungen voll Gewaltexzessen, qualvollen Vergewaltigungen bis hin zum Mord.

Während Eva Leone (Marlena Keil) auch so ihre Schwierigkeiten hat, kennen sich die Tochter Asia (Alexandra Sinelnikova) und Dario Winestones zweite Frau Janet Lee Curtis (Caroline Hanke) mit den Giallo-Filmen gut aus. Caroline Hanke spielt die Janet mit schwarzer Langhaar-Perücke als selbstbewusst scheinende Domina, die hinter ihrem Mann steht. Marlena Keil als Eva Leone begehrt nach und nach gegen den sie sexuell ausnutzenden Winestone auf. Bei einen spektakulären Spagetti-Essen während einer Pause werden die verschiedenen Ansichten der einzelnen Familien-Mitglieder deutlich. Die Tochter Asia verachtet ihren sexistischen und Macho-Vater mit seinen Gewaltfantasie-Filmen. Sohn Rock Hamond träumt von zukunftsweisenden Filmen wie etwa Kubricks „2001 – Odysse im Weltraum“ mit dem klügsten Computer der Welt „Hal 9000“.

Selbstverständlich streut Buttgereit auch einige Zitate und Anspielungen aus anderen Filmen ein. So träumt Winestone von einem Film, in dem die Verbrechen schon vor der Tat verhindert werden (Minority Report“). Das Motiv von „Vier Fliegen auf grauem Samt“ , bei der das letzte vom Opfer gesehene Bild den Mörder überführt und Janet spricht in ihrer Rolle als Hexe die Wörter „Klaatu Verata Nektu“ richtig aus, anders als Ash im zweiten Teil von „Tanz der Teufel“.

Am Ende verschwimmen die grenzen zwischen der Schattenwelt des Film-Kunstwerks zwischen Leben und Tod und der Realität.

Ein aufregender Theaterabend mit dem Dreamteam Buttgereit und Rohbeck und eine gelungene Hommage an das Filmgenre „Giallo“.

Bedeutend für die atmosphärische Begleitung des Stückes war das ausgezeichnete Sound Design von Frank Behnke und die Dramaturgie von Anne-Kathrin Schulz und Michael Eickhoff.

Weiter Aufführungstermine: 20.09.2018 um 20.00 Uhr, 06.10.2018 (20:00 Uhr), und 28.10.2018 um 18:30 Uhr. (15,- Euro).

Weitere Informationen und Karten unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222

Memory Alpha – das fehlbare und manipulierbare Gehirn

Das Gehirn ist die komplexeste Struktur im bekannten Universum. 86 Milliarden Nervenzellen sorgen dafür, dass wir so leben können wie wir es tun, beispielsweise sorgen sie dafür, dass ich gerade diesen Text tippen kann. Für die Verbindung zwischen den Nervenzellen sind Synapsen zuständig. Die Synapsen wiederum sind verantwortlich für unser Gedächtnis. Und unser Gedächtnis ist es, was uns als Menschen ausmacht. Ein Premierenbericht vom 06. April 2018.

Was hat das jetzt alles mit Theater zu tun? Im Stück „Memory Alpha oder die Zeit der Augenzeugen“ dreht sich alles um das Thema Gedächtnis. Das Vergessen von Erinnerungen, das Behalten von Erinnerungen und vor allem das Verändern von Erinnerungen. Wenn das menschliche Gedächtnis fehlbar ist, was ist eigentlich mit dem elektronischen? Vergisst die Cloud? Können elektronische Gedächtnisse manipuliert werden? Die Frage werden sich Menschen in China stellen müssen, denn 2020 will die chinesische Regierung für jeden Chinesen eine Art Scoringsystem einführen. Gute Taten werden mit Pluspunkten belohnt, schlechte Taten zu Punktabzug. Jeder wird auch sehen können, wie viele Punkte sein Nachbar oder Arbeitskollege hat.

Kann man falsche Erinnerungen hervorrufen. Das ist das Thema bei "Memory Alpha". (v.l.n.r.) Friederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Caroline Hanke und Christian Freund. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kann man falsche Erinnerungen hervorrufen. Das ist das Thema bei „Memory Alpha“. (v.l.n.r.) Friederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Caroline Hanke und Christian Freund. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Im Stück dreht sich alles um vier Personen: Dr. Gerd Stein (Uwe Schmieder), Leiter des „Instituts für Digitalität und Erinnerung“, wird in Brüssel von einem Auto zerquetscht, nachdem er vor dem chinesischen Scoringsystem gewarnt hat. Steins Schwester Charlotte (Caroline Hanke) ist eines von wenigen Menschen auf der Erde, die kaum vergessen können. Die Gedächtnisforscherin Prof. Johanna Kleinert (Friederike Tiefenbacher) versucht mit False Memory Experimenten das Gedächtnis ihres Probanden Sebastian Grünfeld (Christian Freund) zu hacken.

Stein lässt sein Gedächtnis die letzten Wochen Revue passieren, um herauszufinden, wer im Auto saß.

Das Stück von Anne-Kathrin Schulz ist kein „Wer-war der Mörder“-Stück, am Ende sind wir genauso ratlos wie Gerd Stein, der blumengeschmückt in das Nichts versinkt. Ed. Hauswirth macht aus dem Stück zwar keine wissenschaftliche Vorlesung, doch während der 90 Minuten lernen die Zuschauer einiges über das menschliche Gehirn. Wie kollektive Erinnerungen entstehen (jeder weiß sicher, wo er sich am 11.09.2001 befand), aber auch wie Erinnerungen durch Experimente gefälscht werden können. Die Bühne ist quasi mit Leinwänden überdacht auf denen Bilder projiziert werden, die vier Schauspielerinnen und Schauspieler tragen dezente Kleidung.

Was bringt die Zukunft? Werden uns gefakte Erinnerungen eingepflanzt wie im Film „Total Recall“ und wir erinnern uns an Dinge, die wir gar nicht getan haben? Werden wir von einem elektronischen Gedächtnis kontrolliert, das sich unsere guten und bösen Taten merkt?

„Memory Alpha“ ist ein gelungenes Stück im besten Sinne des Aufklärungstheaters.

Fieberträume eines Theatermachers

Ob die Frittatensuppe nicht gut war, die Staatsschauspieler Bruscon mehrfach herrisch vom Wirt des „Schwarzen Hirschen“ im Dorf Utzbach verlangt? Jedenfalls durchlebt er in fiebrigen Träumen die Aufführung seiner Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“ in immer groteskeren Formen. Thomas Bernhards Komödie „Der Theatermacher“ von 1985 nimmt den Theaterkosmos gekonnt auf Korn, Intendant Kay Voges verlagert die Geschichte nicht nur nach Westfalen, sondern fügt dem ganzen Geschehen noch eine Prise aktueller Zeitgeschichte hinzu Heraus kommt eine Komödie, die den Glanz und das Elend des Theaters auf den Punkt bringt. Ein Premierenbericht vom 03. März 2018.

Die Handlung ist einfach: Bruscon, seine Frau und seine beiden Kinder Ferruccio und Sarah, sollen im Gasthof „Schwarzer Hirsch“ in Utzbach seine Komödie „Das Rad der Geschichte aufführen“. Brsucon verlangt, dass der Wirt den Feuerwehrhauptmann davon überzeugt, für fünf Minuten das Notlicht zu löschen.

Eigentlich ist Bruscon (meist gespielt von Andreas Beck) ein hoffnungsloser Romantiker, der das Theater mit seiner Poesie und Schönheit gegen den Zugriff von Politik und Kommerz verteidigt. So muss seine Tochter öfter die Zeile „Wenn wir die Schönheit nicht besitzen und durch und durch ein kranker Geist und mittellos bis in die Seele sind“ rezitieren. Das ist eines der Kernsätze seines Strebens und an diesem Maß misst er alles um ihn herum.

Leider teilen nicht alle seine Leidenschaft und so wurde Bruscon vermutlich immer zynischer und ungenießbarer. Die Opfer seiner Laufen sind vielfältig: Da wäre zuerst einmal der Ort: Das Dorf Utzbach in der westfälischen Provinz. Alles hier ist schlecht und überhaupt die Westfalen: „An diesem Volk ist nicht das geringste mehr liebenswürdig“. Solche pauschalen Urteile sind ein Kernelement in Bruscons Redeschwall.

Neben dem Wirt, der stellvertretend für die Utzbacher Provinz steht, bekommen Frau und Kinder („Antitalente“) ihr Fett weg. Die Frau kann sich keinen Text merken und ist ähnlich schlecht als Schauspielerin wie die beiden Kinder.

Bruscon (Andreas Beck) lässt sich von seinen Kindern (Christian Freund und Xenia Snagowski) verwöhnen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bruscon (Andreas Beck) lässt sich von seinen Kindern (Christian Freund
und Xenia Snagowski) verwöhnen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Kay Voges hat den „Theatermacher“ stark bearbeitet. Aus dem ersten Teil hat er eine Art Loop gebaut, die Bruscon in verschiedenen Rollen wie in einem schlechten Traum erlebt. Mal ist er der Wirt, dann sein Sohn und die Aufführungen werden immer grotesker. So erlebt er (und die Zuschauer) sogar eine Operetten/Musical-Variante, in der ihn sein Sohn spielt. Das Bühnenbild erinnerte nicht zufällig an den Megastore, dem zwischenzeitlichen Ausweichquartier.

Natürlich gibt es viele Anspielungen auf aktuelle Geschehnisse im Theater. Im Rahmen der „#metoo“-Debatte wurde ja auch über Machtmissbrauch im Theater gesprochen. Die Anspielungen und Anzüglichkeiten waren vor allem am Anfang klar erkennbar. Ein weiteres Thema in Voges‘ Inszenierung waren die „Wutbürger“ und ihr Empörungspotenzial. Dank den Sozialen Medien kann sich jetzt jeder als Bruscon fühlen und gegen alles und jeden wettern und hetzen. Bloß keine Differenzierungen. Doch dann bleibt die Freiheit auf der Strecke. Wer keinen Gedankenaustausch mehr zulässt, sich immer stärker in seine Filterblase einschließt, nähert sich totalitären Systemen.

Auch wenn Andreas Beck hauptsächlich als Bruscon zu sehen war und Uwe Rohbeck als Wirt, spielten auch Christian Freund, Janine Kreß und Xenia Snagowski verschiedene Rollen und das mit Bravour. Freund zeigte bei der „Operetten-Version“ sein gesangliches Talent. Beck und Rohbeck waren (wieder einmal) ein kongeniales Paar. Das zeigte sich vor allem, als beide die Rollen tauschten und Rohbeck einen affektierten Bruscon spielte.

Ein großes Lob gehört auch Tommy Finke, der die Musik zur „Operetten-Version“ komponierte und natürlich Kay Voges, der es wieder einmal schaffte, 2:40 Stunden tiefgründige Unterhaltung zu bieten. Das Publikum dankte es allen Beteiligten mit lang anhaltendem Applaus.

Termine und Karten gibt es unter http://www.theaterdo.de

Eat the rich – auf österreichisch

Elendstouristen kommen in eine Kneipe, die es besonders in sich hat – voll mit Außenseitern und gescheiterten Existenten wie sie nur Werner Schwab kreieren konnte. Willkommen in der Wiedereröffnung des Studios des Schauspiel Dortmund, willkommen bei „Übergewicht, unwichtig: Unform“, ein europäisches Abendmahl von Werner Schwab. Nehmen Sie etwas zu trinken und vergessen Sie Ihr Brot nicht.

Früher gab es in Dortmund die Kneipe „Bei Ernie“ direkt hinter dem Burgtor. Wenn man den Geschichten und Mythen glauben schenkt, dann war das kein Ort für Schicki-Micki-Menschen auf der Suche nach dem coolsten Elendstourismus. So einen Kneipencharme zauberte auch Johannes Lepper ins Studio, obwohl seine Kneipe (mit einem riesigen Bild der Schlacht von Austerlitz) ein wenig geräumiger Aussicht.

In der Kneipe befinden sich neben der Wirtin (Amelie Barth), der Kneipenphilosoph Jürgen (Uwe Rohbeck), das Pärchen Schweindi (Andreas Beck) und Hasi (Marlena Keil), der grobschlächtige Karli (Frank Genser) mit seiner Freundin Herta (Friederike Tiefenbacher) und Fotzi (Christian Freund).

Das Stück kreist im wesentlichen um die Unzulänglichkeiten der anwesenden Akteure. Der naive und linksliberale Jürgen versucht seine Los als einfacher Lehrer zu überspielen, Schweindi möchte mit Hasi ein Kind, ist aber impotent und pädophil. Hasi selber wurde als Kind von ihrem Vater missbraucht, wie sich gegen Ende des Stückes herausstellt.

Karli ist ein grobschlächtiger Mensch, der eine ziemlich kurze Zündschnur besitzt und seinen Frust gerne auch gewalttätig an seiner Freundin Herta ablässt. Herta selbst spielt die Rolle der Schmerzensmaria und hält dies geduldig aus. Fotzi hingegen ist eine Frau unbestimmten Alters, die durch ihr exhibitionistisches Verhalten versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zuziehen und Geld für die Musikbox zu schnorren.

Ein wesentlicher Bestandteil in den Werken Schwabs ist die Beschäftigung mit Nahrung. In „Übergewicht“ geht es besonders um das „Brot“, das für Schweindi einen sakralen Charakter besitzt. Jedoch immer mit einem aggressiven Unterton. So fährt er Karli mehrfach an: „Kriegsverbrecher, Brotbetrüger, Kriegsbetrüger, Brotverbrecher. Nie wieder erlangst du von mir eine Vergebung.“

Ein weiteres Merkmal der Schwabschen Sprache sind die teilweise vulgären Sprüche der Protagonisten, die aber durch hochgestochene Ausdrücke angereichert und dadurch konterkariert werden.

Die Ausdrucksweise mancher von Schwabs Figuren wirkt abgehärtet, ungebildet und arrogant, sogar vulgär. Sie überraschen gleichzeitig aber, in dem sie plötzlich einen hoch gestochenen Ausdruck verwenden, der man in demjenigen Milieu und von derjenigen Figur nicht erwarten hätte.

Schwabs Figuren träumen von einem einfachen, normalen Familienleben, sie sind aber nicht in der Lage, es zu verwirklichen.

Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund, Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)
Das große Fressen. Mit dabei sind (v.l.n.r.) Christian Freund,
Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Amelie Barth und Uwe Rohbeck (Foto: © Birgit Hupfeld)

Im weiteren Verlauf kommen zwei Gäste (Edith Voges Nana Tchuinang und Raafat Daboul) in die Wirtschaft, die sich separieren und stumm bleiben. Langsam aber sicher ziehen sie den Unmut der anderen Gäste auf sich, die ihren persönlichen Frust und Neid auf die beiden Neuankömmlinge abladen bis es zum Mord und Kannibalismus kommt ähnlich im Film „Eat The Rich“. Dabei mutiert Herta, die als einzige nichts vom Menschenfleisch genommen hat zu einer Heiligen, um die alle Füße-küssend eine Prozession abhalten. Hier kommt die Auseinandersetzung mit Schwabs religiöser Mutter wohl zum Tragen.

Surreal wie bei Beckett wird es, wenn nach dem Aufräumen plötzlich wieder das Paar ins Wirtshaus einkehrt.

Das Gute an der Inszenierung von Lepper ist es, dass er den Figuren auch ein wenig Zeit zum Atmen gibt. Denn das Stück besteht nicht nur aus skurrilen Dialogen, die zum lachen sind, sondern auch ab und an aus sehr ernsten Teilen. Wenn beispielsweise Schweindi seine Verzweiflung klagt oder Jürgen seine Weltverbesserungsideen zum besten gibt.

Die Schauspieler tragen mit dazu bei, dass „Übergewicht“ eine rundum gelungene Inszenierung wird. Vor allem Beck, Genser und Rohbeck. Denn in dem Stück versuchen die männlichen Hauptfiguren ihre Dominanz unter Beweis zu stellen. Da sind die Frauen mehr oder weniger Staffage. Dennoch zeigen Keil (Hasi), Tiefenbacher (Herta) und Barth (Wirtin), dass sie den Männern durchaus Kontra geben können, wenn es auch für Herta danach schmerzhaft wird.

Eine Sonderrolle hat Fotzi, die von Christian Freund gespielt wird.

Eine Empfehlung für alle, die auf absurdes, surreales Theater stehen. Derbe Sprache und viel Blut auf dem Theaterboden. Alle, die das nicht stört, werden einen unterhaltsamen Abend bekommen.

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Die Unmöglichkeit trotz unbegrenzter Möglichkeiten

[fruitful_alert type=“alert-success“]Von diesem Tisch gehen die meisten Episoden aus. (Foto: © Birgit Hupfeld)[/fruitful_alert]

Was ist die Liebe in Zeiten von „alles kann – nichts muss“? Joël Pommerat zeigt uns in „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ die Schwierigkeiten von Menschen, sich aufeinander einzulassen, ihre Lebensentwürfe in Einklang zu bringen und ehrlich zu anderen zu sein. Die Premiere des Stückes unter der Regie von Paolo Magelli war am 08. April 2017 im Megastore.

er die Liebe. Doch keine Angst, der französische Autor hat keinen großen Eimer Zuckerguss parat, um ihn über das Publikum zu gießen. Kein triefender Kitsch á la „Tatsächlich… Liebe“, bei Pommerat geht es ums Eingemachte in den Beziehungen. Und die können durchaus komisch sein, wie bei einer geplanten Hochzeit, der bei die Braut kurz vorher feststellt, dass ihr Bräutigam doch auch ein Techtelmechtel mit jeder ihrer Schwestern hatte. Mehr ins Genre Horror/Psychodrama geht die Episode einer Babysitterin, die auf die nichtexistierenden Kinder eines Paares aufpassen muss. Natürlich machen sie die Babysitterin für das vermeintliche Verschwinden ihrer Kinder verantwortlich und dem Zuschauer ist es nicht deutlich: Ist das ein perfides Spiel, was die beiden treiben oder nicht.

Die Liebe hat bei Pommerat auch schmerzhafte Facetten: Einer Patientin einer Psychiatrie-Einrichtung soll überzeugt werden, ihr Kind abzutreiben, das sie mit einem anderen Patienten gezeugt hat und die Liebe eines Priesters zu einer Prostituierten steht unter einer harten Belastungsprobe.

In dem Stück stehen die Schauspieler im Mittelpunkt: Besonders wenn alle mehrere Rollen spielen. Die Premiere war auch die Premiere für Christian Freund, der ab der Spielzeit 2017/18 dem Ensemble angehören wird. Zusammen mit Ekkehard Freye, Frank Genser, Caroline Hanke, Marlena Keil, Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Julia Schubert, Friederike Tiefenbacher und Merle Wasmuth fügte sich Freund in das gut funktionierende Team ein, das neben Tempokomödie auch die leisen romantischen Töne traf.

Ein großes Lob gebührt dem Bühnenbildner Christoph Ernst. Der Anfang und das Ende war eine Reminiszenz an da Vincis Gemälde „Das letzte Abendmahl“ und der Tisch war ein zentraler Punkt in dem Stück. Rechts und links waren Treppen zu einer Balustrade und ein vergittertes „Dachgeschoss“ zu sehen. Styroporplatten mit sichtbaren Leimspuren und Plastikflaschen als Baluste erzeugten die Anmutung eines Rohbaus. Vielleicht ein Symbol für die Liebe, die immer Veränderungen unterworfen ist. Vielleicht ist es auch unmöglich, der Liebe eine bestimmte, dauerhafte Gestalt zu geben, ebenso unmöglich wie die Wiedervereinigung der beiden Koreas.

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