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Wohin geht die repräsentative Demokratie?

Am 26.September 2015 hat die neue Produktion von Sir GAbriel Dellmann Premiere. (v.l.nr.) Stefanie Dellmann, Anna Marienfeld und Björn Gabriel)
Am 26.September 2015 hat die neue Produktion von Sir Gabriel Dellmann Premiere. (v.l.n.r.) Stefanie Dellmann, Anna Marienfeld und Björn Gabriel)

In einer repräsentativen Demokratie sollen die Abgeordneten das Volk repräsentieren. Doch tun sie das? Die Theatergruppe „Sir Gabriel Dellmann“ geht dieser Frage in der Performance „Wohin des Weges – Volksvertreter?“ auf den Grund. In einer Art Polittalkshow prallen die politischen Ausrichtungen aufeinander. Was ist PR-Sprache und wie verhält sich der Politiker privat? Wobei – gibt es in Zeiten der totalen Überwachung überhaupt noch eine Privatsphäre? Die Premiere ist am 26. September 2015 um 20 Uhr im Theater im Depot.

In dieser Polittalkshow treten drei Vertreter der politischen Klasse auf, die zwar fiktiv, aber doch erkennbar sein sollen. Sie gehören dem klassischen rechts-mitte-links Schema an. Der Moderator ist ein Repräsentant der journalistischen Klasse. Die Themen, um die es in der Talkshow geht, sind: Finanzkrise, Flüchtlingspolitik oder die Überwachung.

Eine Besonderheit des Stückes ist, dass es parallel auch zum Salon Fink übertragen wird. Wobei die Technik noch nicht so ganz mitspielt. Die vollständige Performance wird am 26.09.2015 nur im Theater im Depot zu sehen sein. Das Team versucht den Live-Stream in den Salon Fink in den verbleibenden Stunden bis Samstag um 20:00 Uhr zu stabilisieren. Im Salon Fink findet die Übertragung bisher leider nur in einer deutlich reduzierten Version statt.

Zudem hat der Besuch des Theaters auch noch den Vorteil, dass die Zuschauer per SMS an den Abstimmungen teilnehmen kann. Denn das Publikum wird zu bestimmten Positionen befragt.

Neben der Premiere am 26. September um 20 Uhr wird das Stück noch am 27. September (18 Uhr) und am 25. Oktober 2015 (18 Uhr) gezeigt. Der Eintrittspreis beträgt im Vorverkauf 13 € (8 € ermäßigt), an der Abendkasse 15 € (10 ermäßigt).

Hier auch ein Videointerview mit den Künstlern: [vsw id=“Wy32hjLMjck“ source=“youtube“ width=“425″ height=“344″ autoplay=“no“]

Einfach nur politisches Theater

Asche zu Asche: (v.l.n.r.) Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Björn Gabriel und Christoph Jöde. (Foto: © Nick Jaussi)
Asche zu Asche: (v.l.n.r.) Sebastian Kuschmann, Uwe Schmieder, Björn Gabriel und Christoph Jöde. (Foto: © Nick Jaussi)

Die PR-Maschine kreiste und gebar ein politisches Stück über Zeitreisende. Was wurde im Vorfeld nicht alles zu „2099“ vom Zentrum für politische Schönheit berichtet. Bei den durchaus spektakulären Aktionen des Künstlerkollektivs in der Vergangenheit eilte ihnen natürlich ein Ruf voraus. Sie wollten ein Leopardenbaby töten und steckten angeblich hinter dem Diebstahl von Affen aus dem Dortmunder Zoo. Ja, die Drohung ist aber nicht neu: Schon vor dreißig Jahren erschienen Zeitungsanzeigen mit dem Spruch „Wenn Sie diese Zeitschrift nicht abonnieren, erschießen wir diesen Hund“, versehen mit einer Zeichnung eines niedlichen Hundes, auf dem eine Pistole gerichtet war.

Nun haben sich in die Zeiten geändert und im Web 2.0 trifft man durchaus auf Gestalten, die alles glauben, was ihnen erzählt wird oder die einfach berufsempört sind. So sorgte die Ankündigung, das Leopardenbaby „Raja“ zu erschießen, für den erhofften Wirbel bei Funk und Fernsehen, aber aufgebrachte Tierschützer wurden bei der Premiere am 19. September 2015 im Schauspielhaus Dortmund nicht gesichtet.

Das was auf der Bühne zu sehen war, war politisches Theater, keine Aktionskunst, keine toten Tiere, einfach politisches Theater. Eines muss man aber festhalten. Die Schauspieler, namentlich Björn Gabriel, Christoph Jöde, Sebastian Kuschmann und Uwe Schmieder machten einen sehr guten Job. Schmieder, der gleich zu Beginn die Besucher auf dem Theatervorplatz mit einer feurigen Rede auf das kommende Stück einschwor, war in seinem Element. Kuschmann, der seine dynamische Rolle als Gejagter in der „Die Show“ mitnahm, war genauso beeindruckend wie Christoph Jöde, den die Zuschauer mal wieder auf der Dortmunder Bühne sehen konnten. Selbstverständlich fügte sich auch Björn Gabriel in das Quartett der „Zeitreisenden“ ein. Die vier Schauspieler schafften es oft, das Publikum in den bequemen Sitzen, spüren zu lassen, welche Folgen ihre moralische Inkonsequenzen hat. Zusatzlich waren auch einige dokumentarische Bewegtbilder aus Aleppo zu sehen.

Was war „2099“ denn genau? Eine Stück über Zeitreisende, die aus dem Jahr 2099 zu uns kommen, um uns unsere Moral und unsere Untätigkeit um die Ohren zu hauen. Zeitreisen! Ok, das war bei „Zurück in die Zukunft“ amüsant, aber ansonsten stolpert man über Logiklöcher. Stichwort „Großvaterparadoxon“. Die spannende Frage ist ja, hätte man den Attentäter von Sarajevo vorher ermordet, wäre uns dann der Erste Weltkrieg und seine Folgen erspart geblieben? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Der Erste Weltkrieg hätte bereits 1912 währen der Marokko-Krise ausbrechen können oder zehn Jahre später, wenn die Technologie des Krieg noch weiter verfeinert worden wäre. Die grundsätzliche Problematik von Vielvölkerstaaten und ungebremstem Imperialismus wäre irgendwann sowieso hochgegangen, da bin ich mir sicher. Außerdem würden wir ohne die Folgen der beiden Weltkriege aller Wahrscheinlichkeit nicht existieren, denn welche Familiengeschichte ist von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts verschont geblieben. Hätte Ihr Großvater Ihre Großmutter kennengelernt? Oder Ihr Vater Ihre Mutter?

Im Laufe des Stückes wird gefragt, wo wir denn waren in Bosnien oder in Ruanda. Ruanda ist ein schönes Beispiel. Gehört zu unserem Maximen nicht „Souveränität der Völker“ und „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“? Ist Ruanda nicht stolz darauf, frei und unabhängig zu sein?

Man muss etwas tun, richtig. Den syrischen Flüchtlingen Teddybärchen und etwas zu trinken zu geben, ist eine wichtige humanitäre Geste, aber sie löst das generelle Problem nicht. Denn die Fassbomben, die eine prominente Rolle in den Stück hatten, fallen weiterhin auf Aleppo. Auch der IS mordet weitgehend ungestört weiter. Wer Fassbomben verhindern will, müsste beispielsweise eine Überflugverbotszone schaffen. Die muss er aber auch durchsetzen, denn sonst ist das ein zahnloses Instrument. Und durchsetzen heißt, den Helikopter abschießen mit allen Konsequenzen, die folgen. Auch bei der IS helfen keine Gebete oder Kerzen. Hier hatte der große Charlie Chaplin in seiner bekannten Schlussrede in „Der große Diktator“ auch schon die Antwort gegeben: „Soldaten! Kämpft nicht für die Sklaverei! Kämpft für die Freiheit![…]Lasst uns kämpfen für eine neue Welt“. Über die Konsequenzen einer militärischen Lösung sollten wir uns aber alle im Klaren sein. Darüber hinaus müsste hinterfragt werden, wer diese Mörderbanden finanziert. Geld regiert die Welt. Die Antwort könnte durchaus unangenehm sein, vor allem wenn es Länder treffen sollte, mit denen wir vielleicht gute Waffengeschäfte machen.

Der Kern des Stückes ist gut und gehört erzählt. Das können die vier Schauspieler auf der Bühne wirklich eindrucksvoll. Wegen Schmieder, Jöde, Kuschmann und Gabriel lohnt es sich, das Stück anzusehen. Über das ganze Vorgeplänkel würde ein Ruhrpottler sagen: „Watt’n Hallas“ oder Shakespeare „Viel Lärm um Nichts“.

Weitere Termine: Do, 01. Oktober 2015, So, 18. Oktober 2015, So, 25. Oktober 2015, Mi, 28. Oktober 2015, Sa, 07. November 2015, Fr, 13. November 2015, Fr, 08. Januar 2016 und Mi, 13. Januar 2016. Karten unter www.theaterdo.de

Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.

Warum Kierkegaard auf Lionel Messi stolz gewesen wäre

Blanche (Marle Wasmuth) will Zauber und nicht die Realität. (Foto: © Birgit Hupfeld).
Blanche (Marle Wasmuth) will Zauber und nicht die Realität. (Foto: © Birgit Hupfeld).

Der ewige Kampf zwischen Individuum und Determinismus, er geht weiter. Das „Goldene Zeitalter“ geht in die zweite Runde mit dem Titel „The Return of das Goldene Zeitalter“ und sucht 100 neue Wege, dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen. Die Premiere fand am Freitag, dem 27. Februar im Dortmunder Schauspielhaus statt. Für die einen war es der zwölfte Versuch, für die anderen der erste der neuen Reihe.

Wer in der ersten Variante des „Goldenen Zeitalters“ dabei war, konnte sich auf ein Wiedersehen freuen mit der Raupe, Adam und Eva, dem Erklärbär, Kalaschnikowa und natürlich den Schulmädchen, die die Treppe heruntergingen. Auch das Konzept blieb gleich. Eine Szene wurde so lange wiederholt, bis der Regisseur Kay Voges neue Anweisungen gab. Auch hier war der Wiedererkennungseffekt groß, aber es wurden auch neue Szenen gespielt.

Wie es sich für eine gelungene Wiederholung gehört, spielen auch die gleichen Schauspieler wieder mit: Björn Gabriel, Caroline Hanke, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder, Merle Wasmuth und Carlos Lobo. Lobo hatte zwei neue bemerkenswerte Auftritte: Zum einen spielte er einen sehr engagierten Brandschutzbeauftragten und einen weiteren Auftritt hatte er als eine Art spanischer Fußballkommentator.

Das neue „Goldene Zeitalter“ begann wie das alte: Schulmädchen, die mechanisch Treppen hinunterlaufen. Da ist das Grundmotiv des Stückes und wird wiederholt beziehungsweise variiert. Denn die Variation der Wiederholung ist das Prinzip des „Goldenen Zeitalters“.

Neben der Frage, kann ich als Individuum meinem Schicksal entkommen, ging es auch um die Frage des Urheberrechts. Passenderweise gab es vor kurzem eine Diskussion um die Inszenierung von Frank Castorfs „Baal“. Hier hatten die Brecht-Erben und der Suhrkamp-Verlag die weitere Aufführung untersagt, weil die Inszenierung Fremd-Texte enthielt. Obwohl Bertolt Brecht ironischerweise selbst gesagt habe: „Der Urheber ist belanglos. Er setzt sich durch, indem er verschwindet.“ So tauchte Brecht persönlich in einem Sarg auf und der Verlag Suhrkamp bekam ordentlich sein Fett weg („Mein Suhrkampf“).

Die Grenzen der Individualität wurde bei einer Szene besonders deutlich. Plötzlich kamen statt den Schulmädchen drei Burka-Träger(innen?). Durch die schwarze Uniformierung wurde das Individuelle komplett negiert. Ist jetzt ein Mann oder eine Frau hinter den schwarzen Tüchern? Angestimmt wurde das Kinderlied „Anders als du“. Es klang in meinen Ohren ironisch, vor allem wenn drei schwarze Gestalten „das macht das Leben eben bunt“ singen.

Kay Voges hatte auch jemanden mitgebracht. Die Figur „Blanche“ aus seiner Inszenierung „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in Frankfurt. Merle Wasmuth spielte die Blanche in einem Südstaatenkostüm, das an „Vom Winde verweht“ erinnerte. Blanche, die wienerisch sprach, war eine Realitätsverweigerin, die statt dessen den Zauber wollte. Sie wirkt dabei so ähnlich wie Irina (Merle Wasmuth) bei Tschechows „Drei Schwestern“, die die Arbeit als Flucht aus ihrem langweiligen Leben benutzen will.

War der Ausschnitt aus Tschechows „Drei Schwestern“ in der ersten Inkarnation bereits dabei, hatte Carlos Lobo gleich zwei neue Rollen. Zunächst war er ein hessischer Feuerwehrmann, der sich in allen Einzelheiten um den Brandschutz kümmerte,

Danach kommentierte Lobo mit passendem spanischem Temparament zwei Tore.Hatte Kirkegaard mit seiner Wiederholung doch recht? Jedenfalls findet man Parallelen beim Fußball. Wie Maradona 1986 im WM-Viertelfinalspiel Argentinien gegen England lief der 19-jährige Messi bei Barças 5:2-Sieg im Pokalspiel des spanischen Pokals über den FC Getafe mit dem Ball über das halbe Spielfeld.

Ein besonderer Gast war an diesem Abend Morgan Moody. Der Opernsänger gab unter anderem „My Way“ in einer Verkleidung als Schlagerstar zum besten.

Ansonsten gab es viele Wiederholungen. Die Zombies mit Joghurt-Becher, Sisyphus, die Ouvertüre von Tannhäuser und ein nackter Uwe Schmieder, der durch die Zuschauerränge kroch.

Logischerweise war dieser Abend ein sehr starkes multimediales Ereignis. Für den Live-Sound sorgte Jan Voges, für die Videos war Daniel Hengst zuständig. Die Live-Musik zu dem Spektakel kam von Tommy Finke. Die sechs Schauspieler machten (fast) jede Regieanweisung mit, die Zuschauer merkten, dass das Ensemble mit Spielfreude bei der Sache war.

Es bleibt nur zu hoffen, dass das goldene Zeitalter nicht hinter uns liegt, sondern vor uns, um mit Heine zusprechen.

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Ich werd‘ zum Pferd

Hüa, auf geht's. Die Verwandlung zum "Arbeitspferd" hat begonnen. Zu sehen sind Marlena Keil und Sebastian Graf. (Foto: © Edi Szekely).
Hüa, auf geht’s. Die Verwandlung zum „Arbeitspferd“ hat begonnen. Zu sehen sind Marlena Keil und Sebastian Graf. (Foto: © Edi Szekely).

Da hilft kein Protestieren oder Lamentieren. Aus den persönlichen Bedürfnissen des Herrn M hat die Gesellschaft gepfiffen und aus ihm ein Vorbild geschaffen. Mehr arbeiten bei weniger Lohn. Wer das kapiert, kann groß herauskommen, wer sich selbst ausbeutet, der hat die winzige Chance auf Reichtum. Die Groteske „Das Bekenntnis eines Masochisten“ von Roman Sikora. erzählt das Märchen vom Tellerwäscher zum Millionär auf eine durchaus pikante Art. Regisseur Carlos Manuel schickt die drei Schauspieler auf eine Tour durch die schöne neue Arbeitswelt, in der sich ja Leistung wieder lohnen muss.

Erzählt wird die Geschichte des Herrn M. Er ist Masochist, obwohl das Wort nicht fällt. Seine Bedürfnisse werden zunächst nicht erfüllt, selbst die Domina verlangt Regeln. Was tun? Herr M. flüchtet sich in die Arbeitswelt und erniedrigt sich durch Verausgabung. Das perfektioniert er so, dass er zu den Olympischen Spielen des Humankapitals eingeladen wird, die er gewinnt. Doch am Ende folgt die Enttäuschung: ein Leben in Luxus.

„Das Bekenntnis eines Masochisten“ ist eine wunderbare Groteske auf unsere Leistungsgesellschaft, die mit Kostenoptimierung und Lohndumping immer mehr von unten nach oben umverteilt und das alles auf dem Rücken des „Humankapitals“. Im dem Stück wird der Mensch durch eine Art spirituelle Erleuchtung sinnigerweise zum Pferd, das als Arbeitstier alles mit sich machen lässt. Die Realität bietet leider schon genügend Beispiele: Menschen, die mehrere Jobs machen müssen, monatelange schlecht bis gar nicht bezahlte Praktika und als Gipfel: ein Student, der sich nach mehreren Nachtschichten in London für eine Bank zu Tode gearbeitet hatte. Die Folgen sind erkennbar: Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Im Jahr 2012 gingen 53 Millionen Krankheitstage von Beschäftigten auf „psychische Störungen“ zurück, berichtete die Süddeutsche Zeitung.

Für einen Herrn M. als bekennender Masochist ist das natürlich ein großes Vergnügen, er kann ja gar nicht genug von der Arbeit bekommen. Doch auf die größte Belohnung wartet der Masochist vergeblich. Nach seinem Sieg bei den Olympischen Spielen des Humankapitals schwimmt er im Luxus. Ein Alptraum für einen Masochisten wie Herr M., schlimmer noch, er wird zum Vorbild für alle anderen Arbeiter. „Seht her, wenn ihr euch genauso anstrengt, dann werdet ihr auch so reich sein wie Herr M.“

Das Stück kritisiert auch die Gemengelage zwischen Politik, Gewerkschaften, die allesamt nur ein Ziel haben, das Individuum weiter zu unterdrücken. „Denkst du auch daran, dass der Chef Kinder hat, die er versorgen muss“, so Herr M. als Gewerkschaftschef zu einem Arbeiter, der wegen Krankheit frei haben will.

In dem Stück spielen Björn Gabriel, Sebastian Graf und Marlena Keil alle Herrn M. beziehungsweise die Nebenfiguren. Daher sind sie alle gleich gekleidet: Graue Anzüge, schwarzes Shirt. Manuel verlangt von seinen Akteuren auch körperlich einiges ab: Das Bühnenbild besteht aus einem riesigen Sofa, das im Laufe des Stückes auseinandergenommenen wird und deren Einzelteile beispielsweise als Rednerpult dienen.

In dem Stück werden bekannte Melodien wie zum Beispiel „Atemlos“ (Helene Fischer) in „Zügellos durch die Nacht“ umgedichtet. Außerdem gibt es schöne Seitenhiebe auf Bundeskanzlerin Merkel und ihr Faible, sich mit erfolgreichen Fußballern fotografieren zu lassen.

Ein Stück, bei dem den Zuschauern öfter das Lachen im Halse steckenblieb. Es gab zurecht donnernden Applaus für alle Beteiligten. Unbedingt ansehen.

Kampf gegen die Zeit

Lang ist es her: 1966 wurde die Dortmunder Oper mit dem „Rosenkavalier“ feierlich eröffnet. Seitdem ist das Stück von Richard Strauss immer mal wieder auf den Spielplänen aufgetaucht. In diesem Jahr wird es nun unter der Regie des Opernintendanten Jens-Daniel Herzog zum vierten Mal in unserer Stadt aufgeführt. Am Sonntag, den 25.01.2015 ist es um 18.00 Uhr im Opernhaus Dortmund wieder Zeit für den „Rosenkavalier“.

Das Thema Zeit hat Herzog sehr beschäftigt. Der „Rosenkavalier“ ist für ihn eine „philosophische Komödie“ . Seine große Fragestellung lautet: Was wäre, wenn Menschen die Zeit anhalten könnten?

In dem Stück geht es auf verschiedenen Ebenen um den Kampf gegen die Zeit und den Verfall. Da ist zum einen die Feldmarschallin (Marie Therese), die mit Hilfe eines jungen Liebhabers sich gegen ihr Altern auflehnt. Sie ist aber am Ende klug genug zu wissen, dass das nicht möglich ist.

Dann geht es um die Angst vor dem wirtschaftlichen und machtpolitischen Niedergang des Adel vor dem aufstrebenden Bürgertum an einer Epochen-schwelle.

Eine zentrale Rolle spielt der verarmte Adelige Baron Ochs auf Lerchenau. Nach dem Motto „genug ist nicht genug“ lebt er nach dem Lustprinzip (Fressen, Trinken und Sex). Er lebt im Augenblick und ist dabei rücksichtslos. Durch Heirat der reichen Sophie will er seinen wirtschaftlichen Untergang verhindern. „Wir stellen den Baron Ochs nicht als einen gutmütigen Trottel und eine Witzfigur dar, sondern als jemand, der gewohnt ist, sich zu nehmen, was er möchte. Es gibt einen sehr spielfreudigen Ochs auf Lerchenau“, bemerkte Herzog.

Die Oper wird in drei Zeitaltern spielen: Das Goldene, das Silberne und das Eherne. Es beginnt beim noch „Goldenen Zeitalter“ für den Adel und Endet nach dem aufstrebenden Bürgertum im Arbeitermilieu. Die Kostüme werden sich entsprechend verändern. Erst prächtig, später dann proletarischer. „Wir versuchen, dem philosophischen Anspruch des Rosenkavaliers zu genügen“, betonte Herzog.

Das engmaschig vielschichtige, komplexe und filigrane Stück bietet dabei nicht viel Einfußmöglichkeiten. „Wir können aber beispielsweise Ochs nicht als gutmütigen, sondern gefährlichen Mann darstellen und somit Akzente setzen“, erläuterte der Chefdramaturg Georg Holzer.

Als Symbol für den Verfall und die Vergänglichkeit erwartet das Publikum ein besonderes Bühnenbild. Eine riesige goldene Kiste wie eine Art Schiff wird im Laufe des Abends langsam „kippen“.

Musikalische ist die Oper eine große Herausforderung für Orchester und Sänger. „Die anspruchsvolle Partitur mit seinen unzähligen (geschätzt 3.000.000 Noten) auch noch mit einer musikalischen Leichtigkeit zu spielen ist für das Orchester sehr schwierig. Da ist eine gute Koordination notwendig“, so Feltz.. Intendant Jens Daniel Herzog fügte hinzu: „Das Libretto alleine ist schon ein vollwertiges Theaterstück. Eine Menge Text und schwierige Arien. Für alle Sänger hier ist das zudem ein Debüt.“

Was bleibt von der Privatsphäre?

Björn Gabriel und Stefanie Dellmann laden zur "Great democracy show" ein.
Björn Gabriel und Stefanie Dellmann laden zur „Great democracy show“ ein.

Mit der neuen Produktion „The great democracy show“ widmet sich das Theaterprojekt „Sir Gabriel Dellmann“ dem Thema Überwachungsstaat. Wie ist unsere Privatsphäre gefährdet? Gibt es so etwas wie Intimität noch oder was bleibt von unserer Individualität übrig? Die Premiere im Theater im Depot ist am 31.10.2014 um 20 Uhr.

Nach „Kampf des Negers und der Hunde“ sowie „Dantons Dilemma“ ist „The great Democracy show“ ein Stück, das frei ohne eine literarische Vorlage auskommt. Die Vorlage liefert die reale Welt, beziehungsweise die großen Skandale um den Whistleblower Snowden oder der NSA-Abhörskandal.
Für Regisseur Björn Gabriel steht die Frage im Mittelpunkt: „Wie nah sind wir bereits an einem totalitären Staat“. Doch die Diskussion über die digitale Weltordnung soll nicht nur kulturpessimistische Züge tragen. „Es gibt durchaus andere Positionen“, so Gabriel. Es soll auch unterhaltsam werden.

Die Handlung: Vier Schauspieler sind auf der Suche nach einem roten Faden. Denn der Regisseur ist verschwunden. Und ohne Regisseur keine Art von Auftraggeber, kein Ziel. Aber brauchen wir überhaupt einen Auftragsgeber? Jemand, der uns sagt, wo es lang geht? Einen modernen Heilsbringer?

Auf der Bühne passiert neben Video, Licht und Stimmung einiges. „Wir haben verschiedene Räume“, so Stefanie Dellmann, die für Bühne und Kostüm zuständig ist. „Die Zuschauer haben die Möglichkeit durch diese Räume geführt zu werden, sie müssen aber nicht.“

Da Stück wird neben der Premiere am 31.10. auch am 01.11. um 20Uhr sowie am 02.11. um 18 Uhr gespielt. Weitere Termine: 22.11. um 20 Uhr und 23.11. um 18 Uhr.

Ars tremonia sprach mit Stefanie Dellmann und Björn Gabriel: [youtuber youtube=’http://www.youtube.com/watch?v=3yiTLcv8OqI&list=UUjQThJ-Gy5GQYG6ODAMM6BA‘]

Ein geschwedeter „Minority Report“ im Studio

John Anderton (Björn Gabriel) sieht den Mord im Hintergrund kommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
John Anderton (Björn Gabriel) sieht den Mord im Hintergrund kommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Kennen Sie den Film „Abgedreht (Be kind rewind)“ mit Jack Black und Mos Def aus dem Jahre 2008? In dieser Hommage an das Kino löscht Black in seiner Rolle als Jerry alle Videokassetten und dreht mit Mike (Mos Def) die Filme mit einfachsten Mitteln nach. Mit der Argumentation von Jerry, die neuen Filme kämen aus Schweden und seien deshalb so teuer, etablierte sich der Begriff „geschwedet“ für diese Form von nachgedrehten Videos vor allem auf Youtube.

Doch vorweg, eines kann man der Inszenierung von „Minority Report“ von Peter Gehre, die am 14. September 2014 Premiere hatte, sicher nicht vorwerfen: dass sie in irgendeiner Form billig oder als Farce angelegt ist. Mit nur vier Schauspielern und einer Menge an Gimmicks schafft Gehre eine Liebeserklärung an Spielbergs Film.

Das Stück lehnt sich stark an den gleichnamigen Film von Steven Spielberg aus dem Jahre 2002 an, mit kleinen Änderungen. So ist im Gegensatz zum Film John Andertons Frau nicht mit von der Partie und der Mord an Jad Fletscher durch Lamar Burgess wird nicht in Szene gesetzt, was vermutlich daran liegt, dass beide Rollen von Ekkehard Freye gespielt wurden.

Was uns sofort zu den vier Schauspielern bringt. Multitasking war angesagt. Julia Schubert übernahm ebenso mehrere Rollen wie Merle Wasmuth und Ekkehard Freye. Nur Björn Gabriel spielte als einzige Rolle den Leiter von Precrime John Anderton.

Zur Geschichte: Wir schreiben das Jahr 2041, in Washington D.C. Hat es seit sechs Jahren keine Morde mehr gegeben, dank „Precrime“. Dank Kinder mit besonderen Fähigkeiten und Algorithmen fungieren sogenannte Precogs als Art Orakel und können Morde vorhersehen. Die Polizei kommt dann rechtzeitig und nimmt den Mörder fest, bevor er die Tat begehen kann. Doch plötzlich sagt Precog Agatha den Mord an Leo Crow voraus, der Mörder ist John Anderton selbst.

Barbie-Puppen, die ein Ehepaar darstellen, Verfolgungsjagden mit einem Matchbox-Auto, was eher wie ein Film mit Ed Wood klingt, macht durch das engagierte Spiel der vier Akteure auf der Bühne für die Zuschauer enorm viel Spaß und fesselt ans Geschehen, das an drei Leinwänden gezeigt wurde.

Noch etwas war anders wie im Kino: Die Zuschauer durften abstimmen. Gut, nur die Smartphone-Nutzer mit Android, weil Apple die App „Precog“ nicht gefiel, aber es ging um die Frage: Soll Anderton Leo Crow, den mutmaßlichen Mörder seines Sohnes, erschießen so wie vorhergesagt oder nicht? Zwar sagten 61% Ja, doch es ging weiter wie im Film, wo Crow den Abzug quasi selbst betätigt.

Am Ende des Stückes werden die moralischen Fragen des Filmes diskutiert. Ist man verpflichtet Vorhersagen zu folgen oder sind sie nur Vorschläge? Was ist, wenn man erfährt, dass das ungeborene Kind höchstwahrscheinlich behindert sein wird. Abtreiben oder nicht? Machen immer mehr Informationen frei oder schränken sie ein?

Ein wirklich gelungener Theaterabend, der die richtige Balance zwischen Technik und Schauspielerei fand, was auch an der guten Besetzung lag, die mit deutlichen Spaß bei der Sache war. Hoffentlich gibt es weitere „geschwedete“ Filme von Peter Gehre in Dortmund zu sehen.

Weitere Termine am: SO, 21. SEPTEMBER 2014, SA, 18. OKTOBER 2014 und DO, 23. OKTOBER 2014.

Infos und Karten unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.

Die Kehrseite der Medaille

Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Mit seiner verzweifelten Liebeserklärung an das Runde im Eckigen „You’ll never walk alone“ startete Schauspieler und Regisseur Björn Gabriel mit seinen Mitstreitern den Versuch, im Institut des Dortmunder Schauspiels einerseits der Faszination des Ballspiels näher zu kommen, andererseits einen philosophisch kritischen Blick auf dessen Rolle als „Opium“ für das Volk“ zu beleuchten. Die Premiere der Inszenierung war sinniger Weise am Tag des Chapions-League-Finale zwischen Real und Atletico Madrid am 24. Mai 2014.

In den Stadien der Welt wird die Fußball-Hymne „You’ll never walk alone“ mit Inbrunst und Leidenschaft gesungen. Nirgendwo sonst erleben die Zuschauer ein Gemeinschaftsgefühl über alle Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg und eine solche Dichte von wechselnden Emotionen. Dieser Mikrokosmos gibt den Menschen in einer besonderen Art Halt. Es vermittelt das Gefühl, in einer bedrohlichen, unberechenbaren Welt „nicht alleine“ zu stehen. Alle fiebern ohne unterschied mit „ihrer Mannschaft“ mit. Sie trauern bei Niederlagen und sind euphorisch, wenn der eigene Fußball-Verein gewinnt. Ist es so, wie Friedrich, Schiller schreibt, der Mensch nur dann ganz Mensch ist,wo er spielt? Zählt nur noch „Unterhaltung“ und Ablenkung von den wirklichen gesellschaftlichen Problemen wie etwa die zunehmende soziale Verelendung vieler Menschen, Bürgerkriegs-Gefahr und Umweltzerstörung…

Die Bühne war wie in einer griechischen Tragödie als Tempelanlage ausgestattet. Mit der Liebesgöttin Venus auf der linken Seite, einer dreistufigen Treppen und auf beiden Seiten griechische Säulen. Gabriel personalisiert diese Ambivalenz durch die beiden Schauspieler Peer Oscar Musinowski als begeisterter Fußball-Fan und Ekkehard Freye als Gegenpart, der die andere Seite repräsentierte. Freye zeigt mit viel Engagement die „Doppelmoral“ im Fußball-Geschäft auf. Die menschlichen Opfer, zum Beispiel durch die inhumane Umsiedlungspolitik, Korruption und Milliardenkosten für die Fußball WM in Brasilien bei sozialem Elend der Bevölkerung, oder aktuell die drohende Niveau-Nivellierung in vielen Bereichen durch das Freihandelsabkommen mit den USA.

Eine besondere Glaubwürdigkeit und Leidenschaft verlieh Oscar Musinowski, auch im wirklichen Leben ein ehemaliges Fußballtalent der Hertha BSC-Jugend (nach einer schweren Verletzung Model, dann Schauspieler) seiner Rolle. Der Humor kam in der Aufführung nicht zu kurz. Wunderbar, die Verfolgungsjagden der beiden Schauspieler im Stil von „Tom und Jerry“.

Der feierliche Charakter einer Show wurde mit Kleidung von Musinowski, er trug eine schwarzen Anzug , weißes Hemd und Lackschuhe , unterstrichen. Von Jan Voges projizierte zunächst einige emotionale und faszinierende Momente des Fußballs, wie zum Beispiel Ausschnitte aus den deutschen WM-Siegen oder dem Champions-League Sieg 1997 des BVB per Video auf die große Leinwand. Hinzu gesellte sich Tilman Oesterreich, der für Licht verantwortlich war.

Video-Einspielungen spielten dann auch eine bedeutende Rolle bei der Inszenierung. So wies Ensemble-Mitglied Bettina Lieder mit viel Ironie auf die – vor allem – männlichen „Spieltrieb“ hin und die Unterteilung in „Homo ludens“ (Der spielende Mensch) und den „Homo faber“, den aktiv verändernden, schaffenden Menschen. Später ließ sie die beiden Männer bei dem Quiz 1,2 oder 3, ( bekanntes Kinder-Quiz Ende der 70iger Jahren von Michael Schanze). Absurd wurde die Situation, als sich herausstellte, dass in einer Fragerunde alle drei menschenverachtenden Äußerungen von FIFA-Präsident Joseph S. Blatter als Antwortlösung zutrafen. Gegen Ende traten neben Lieder auch noch Eva Verena Müller und Julia Schubert als Art „Sirenen“ auf, die die Männer bezirzten.

Ob sie damit Erfolg haben? Denn für einen richtigen Fußballfan ist sein Verein „wichtiger als Frau und Geld“, wie es in einem Fangesang heißt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Endlichkeit hinterlässt bei den meisten Menschen eine Lücke, ähnlich wie eine Freistoßmauer. Fußball füllt die Lücke, die früher überwiegend von der Religion ausgefüllt wurde. Sie verhindert aber auch die, auch hier die Parallele zur Religion, Beschäftigung mit den realen Problemen.

Weitere Aufführungstermine sind der 05. und 18. Juni. Es ist geplant, das Stück in der nächsten Spielzeit wieder aufzunehmen.

Karten und Infos unter 0231 50 27222 oder www.theaterdo.de

Beide Seiten der Faszination

Ups. hat vielleicht ein wichtiges Tor Oscar Musinowski umgehauen? Ekkehard Freye hilft ihm hoch.
Ups. hat vielleicht ein wichtiges Tor Oscar Musinowski umgehauen? Ekkehard Freye hilft ihm hoch. (Foto: © Birgit Hupfeld)

König Fußball regiert die Welt. In Dortmund ist dies besonders spürbar, wenn der hiesige Ballspielverein spielt. Doch lassen wir uns in unserer Faszination für den Kick zu sehr von anderen Problemen ablenken? Brot und Spiele halt…Björn Gabriel geht auf Spurensuche in seinem Stück „You’ll never walk alone“. Die Premiere ist am 24. Mai um 20 Uhr im Institut.

 

Es sei eine „verzweifelte Liebeserklärung“ an den Fußball, so Autor und Regisseur Björn Gabriel. „Wenn man sieht, wie lang und breit über ein nicht gegebenes Tor im Pokalfinale diskutiert wird, während andere Dinge wie das geplante Freihandelsabkommen oder die Situation um Edward Snowden in den Hintergrund geraten – da stimmen die Maßstäbe nicht mehr.“

 

Gabriel, der selber lange Zeit Fußball gespielt hat, untersucht die Faszination Fußball mittels vier Menschen, von denen zwei Fußballfans sind und zwei Fußball ablehnen. In dieser dialektischen Situation wird das Spiel unter die Lupe genommen.

 

Dazu gibt es Videoprojektionen, die teils berühmte Szenen aus Fußballklassikern zeigen, andererseits aber auch Einspieler mit den Schauspielerinnen Bettina Lieder, Eva Verena Müller und Julia Schubert zeigen. Sie sind eine Art Sirenen, die die Bedeutungsebene erweitern sollen.

 

Live zu sehen sind Ekkehard Freye, Peer Oscar Musinowski, Tilman Oesterreich und Jan Voges.

 

Ars tremonia sprach bereits im Vorfeld mit Björn Gabriel. [vsw id=“eE6wq8iIncg“ source=“youtube“ width=“425″ height=“344″ autoplay=“no“]