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Der Mensch als Ware

Andreas Beck zeigte wie bei "Steve Jobs" eine unglaubliche Präsenz. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Andreas Beck zeigte wie bei „Steve Jobs“ eine unglaubliche Präsenz. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Money makes the world go round“, singt Liza Minelli im Film „Cabaret“. Übersetzt: Geld regiert die Welt. Und wer sorgt dafür, dass Geld fließt? Der Handel. Gehandelt wurde schon immer über Grenzen, Kontinente und Völker. Das Mittelmeer war schon immer ein Zentrum des Handels. Angefangen über die Phönizier über die Römer und Venedig bis hin zu den heutigen Statten. Natürlich kann nicht alles legal ablaufen. Waffen, Drogen oder Menschen werden gerne „schwarz“ gehandelt und mit einer „schwarzen Flotte“ transportiert. Wer verdient daran? Wer sind die Hintermänner? Aus einer Recherche von Correctiv machte Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz ein bewegendes Ein-Personen-Stück unter der Regie von Kay Voges. Hier brillierte Andreas Beck wie bereits in „Agonie und Extase des Steve Jobs“. Dank seiner Präsenz wurde aus der „schwarzen Flotte“ ein packendes Erzählstück. Ein Premierenbericht vom 23. Oktober 2016.

Welche Wege geht der Journalismus? Print, Online und TV/Radio haben alle ihre Vor- und Nachteile. David Schraven hat es vor einigen Jahren neue Wege beschritten und hat seine Recherche „Weisse Wölfe“, über Verbindungen von Neonazis in Europa, als Comic herausgegeben. Für „Die schwarze Flotte“ haben Mitglieder des „correctivs“ Cecilia Anesi, Frederik Richter, Giulio Rubino und Schraven recherchiert. Jetzt ein Theaterstück. Kann man trockene Recherche in ein knapp 90-minütiges Stück verarbeiten? Klare Antwort: Ja.

Mal angenommen Sie hätten einen Frachter. Alt, kaum seetüchtig. Keine Versicherung der Welt würde das Schiff noch versichern, weil es zu riskant wäre. Die einzige Möglichkeit, um noch etwas Geld zu verdienen, ist das Schiff nach Indien zu schleppen und für 300.000 Dollar zu verschrotten. Dann bekommen Sie ein spezielles Angebot: Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Griechenland oder Italien zu bringen. Der Vorteil ist, die Menschen zahlen vorher und es ist, im Gegensatz zu Drogen oder Waffen, egal, ob das Schiff ankommt oder nicht. Über 2 Millionen Euro würden Sie garantiert erhalten, denn so ein Ticket nach Europa ist teuer und begehrt. Wie würden Sie entscheiden?

Das war nur ein Aspekt, den Andreas Beck in der „schwarzen Flotte“ ansprach. Mit der Baseballcap wirkte er auf den ersten Blick wie Autor und Regisseur Michael Moore. Und ähnlich wie Moore verkörperte Beck einen Rechercheur, jemanden, die Dingen gerne auf den Grund gehen möchte. Dabei lernte der Zuschauer viel über die Methoden von Journalisten, die Wahrheit herauszufinden. Regisseur Kay Voges war auch für die Bühne zuständig und verwandelte sie in einen kleinen Multimedia-Tempel mit kleinen Monitoren, einer Kamera und großer Videowand im Hintergrund. Das Schöne daran war, dass Beck im Mittelpunkt blieb und es schaffte, dass die Zuschauer an seinen Lippen hingen trotz vieler Schiffsnamen und Personen.

Denn die Wahrheit ist vertrackt. Sie versteckt sich gerne in Piräus oder den Marschall-Inseln. Denn Schiffe gehören in der Regel nicht einer Person, sondern einer Gruppe von Menschen. Das hat den Vorteil, dass man das Risiko und den Gewinn auf mehrere Schiffe verteilen kann. Für die Rechercheure ein Problem. Wem gehört jetzt das Schiff, das Drogen oder Waffen transportiert hat. Beck führt uns auf den harten Weg der Wahrheitsfindung, der auch Rückschläge beinhaltet. Doch ist die gleiche syrische Elite, die gegen ihre eigene Bevölkerung Krieg führt auch diejenige, die an der Flucht profitiert? Die Frage bleibt offen.

Beck spricht in dem Stück auch über die „weisse Flotte“. Diejenige, die legal Waffen an Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar liefert, selbst in dem Wissen, dass damit in anderen Regionen Krieg geführt wird. Deutschland ist vorne mit dabei. Der aktuelle Rüstungsexportbericht spricht eine deutliche Sprache. Die Ausfuhr von Munition für Kleinfeuerwaffen hat sich im aktuellen Jahr verzehnfacht.

Das Stück begann und endete mit Lucy. Lucy? Ein Schiffsname? Nein, Lucy war 1974 eine wissenschaftliche Sensation. Lucy gehörte zu den „südlichen Affen aus der Afar-Region“, wie ihr wissenschaftlicher Name übersetzt heißt. Ihre Art war die erste, die den aufrechten Gang entwickelte. Der aufrechte Gang ist etwas, was uns heute sehr gut zu Gesicht stehen würde.

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Die Demokratie auf wackeligem Fundament

Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kaum gewählt wird der Abgeordnete (Sebastian Kuschmann) von der Basis (Dortmunder Sprechchor) in die Mangel genommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Französische Revolution ist die Geburtsstunde des modernen Europas. Das Bürgertum emanzipiert sich gegenüber dem Adel und wird endgültig politische Kraft. Die Ideale „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ verbreiten sich über ganz Europa. Den ersten Schritt zur Revolution machten die Generalstände, die sich 1789 zur Nationalversammlung erklärten, mit dem Ziel Frankreich eine Verfassung zu geben. Mit dem Erwachen des Volkes erwachte auch der Volkszorn. In „Triumph der Freiheit #1“ nach dem ausgezeichneten Theaterstück „Ça ira (1) Fin de Louis (La Revolution #1)“ von Joel Pommerat geht es um die ersten Schritte der bürgerlichen Gesellschaft im Kampf um politische Macht. Ein Premierenbericht vom 16. September 2016.

Dass das Stück von Pommerat 2015 viele Preise in Frankreich abgeräumt hat, ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass die Französische Revolution in den Genen der Franzosen verankert ist. Bei uns hier ist das eher ein Thema im Geschichtsunterricht. Je nach Aufmerksamkeit erinnert man sich noch an Namen wie Robespierre oder Danton und die Guillotine. Doch wie hat alles angefangen? Regisseur Ed. Hauswirth und Dramaturg Alexander Kerlin zeigen in ihrer Bearbeitung einen kleinen Politkrimi mit Intrigen, Finten und einem König, der vom Schachspieler zur Schachfigur mutiert. In der Inszenierung steht dabei nicht die historische Exaktheit im Mittelpunkt, sondern die Referenzen auf die Jetztzeit. Und davon gibt es mehr als uns lieb sein kann.

Bereits der Beginn ist hochaktuell: Frankreich ist 1789 so gut wie pleite. Staatsbankrott droht. Der Premierminister (gespielt von Andreas Beck) hat einen revolutionären Plan: Alle sollen sich gleichermaßen an den Staatsfinanzen beteiligen. Das kommt bei den privilegierten Ständen von Klerus und Adel gar nicht gut an. Eine Reichensteuer? Unvorstellbar! Daher verlangt der Adel die Einberufung des Generalstände, die seit über 150 Jahren nicht mehr getagt haben. Die einzelnen Stände sollen fein säuberlich getrennt tagen. Schnell ist den Abgeordneten des dritten Standes (Bürgertum) klar, dass sie nur Staffage sind und keinerlei politische Macht bekommen sollen. Die Unzufriedenheit wächst. Aus die Versammlung der Generalstände wird zur Nationalversammlung erklärt. Auf der Seite des Königs wie auch auf der Seite des Volkes wächst die Radikalität.

Ein Historienstoff im modernen Kostüm. Auch wenn das barocke Element in Kleidung oder Haartracht aufgenommen wurde, es wurde oft mit Ereignissen aus der Jetztzeit kombiniert. Der König (Uwe Rohbeck) wird per Videokonferenz zugeschaltet, bei der Berichterstattung über die Pariser Krawalle läuft ein Nachrichtenticker wie bei N24, die Ansprache des Königs auf dem Smartphone ist eine Reminiszenz auf eine ähnliches Ereignis nach dem Putsch in der Türkei.

Doch im Mittelpunkt des Stückes stehen die Diskussionen bei den Vertretern des Dritten Standes. Schon bald macht sich eine Radikalisierung und Aufspaltung in verschiedene Fraktionen breit, deren Gräben immer tiefer werden. Lefranc (Marlena Keil), ist eine radikale Politikerin, die die

Unzufriedenheit des Volkes schürt und mit geheimen Todeslisten arbeitet. Dem Vertreter Carray (Sebastian Kuschmann) wird Verrat an den Zielen des Volkes vorgeworfen. Er bekommt, auch eine kleine Anspielung, eine Torte ins Gesicht. Der Kampf zwischen Gemäßigten wie Gigart (Uwe Schmieder) und Boberlé (Caroline Hanke) und den radikalen Vertretern verläuft nicht immer starr. Es gibt Koalitionen und Zerwüfnisse je nach Entwicklung der Ereignisse.

Ein weiteres Thema in dem Stück spielt die Flüchtlingsproblematik. Hier sind sie keine Bootsflüchtlinge, sondern ausländische Soldaten, die für die Staatsmacht das aufständische Volk bekämpfen. Die Aufstände werden unter dem bekannten Schlachtruf „Wir sind das Volk“ begleitet. Hier verliert die junge Demokratiebewegung auch ihre Unschuld, indem sie gefangene Soldaten töten lässt.

Ein gelungenes Element im Stück war die Bühne. Sie stand in der Mitte des Raumes und war wie eine riesige rechteckige Wippe. Auf großen Federn gelegen zeigte sie die Fragilität der Demokratiebewegung, der Schritt ließ die Bühne in eine andere Richtung kippen.

Die Schauspieler inklusive des Dortmunder Sprechchors zeigten eine sehr kompakte Vorstellung. Herauszuheben ist Uwe Rohbeck als König, der vom mutmaßlichen Entscheider zum Getriebenen wird und trotz des Mantras „Wir schaffen das schon“ am Ende allein da steht. Ein bitteres Bild zum Schluss, als sich alle Figuren von ihm wegdrehen.

„Triumph der Freiheit“ ist mit Sicherheit mehr politisches Theater als historisches. Historische Genauigkeit stand nicht im Zentrum des Stückes, sondern die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und die haben manchmal erschreckende Parallelen zum Heute. Es lohnt sich, dieses Stück anzusehen, denn es wird nicht nur gezeigt, was passiert, wenn die Büchse der Pandora (Volkszorn) geöffnet wird, sondern auch wie Politik in den Hinterzimmern funktioniert.

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Mutige Ronja Räubertochter

Viele Menschen sind mit Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ (1981), der Geschichte um zwei verfeindete Räuberbanden und der klugen und mutigen Tochter Ronja groß geworden. Die Premiere dieses Stoffes als Familienoper in Dortmund von Jörn Arnecke mit dem Libretto von

Holger Potocki, Regie Johannes Schmid fand am 22.05.2016 statt. Es handelt sich um eine Kooperation des Theaters Dortmund mit der Deutschen Oper am Rhein und dem Theater Bonn im Rahmen des Projekts „Junge Oper Rhein-Ruhr“.

Worum geht es? Zwischen den beiden rivalisierenden Räuberbanden von Mattis und Borka herrscht seit vielen Jahren Streit. Deren Kinder, Ronja und Birki, lernen sich im Mattiswald kennen und befreunden sich langsam. Ronja will nicht die Nachfolgerin ihres Vaters werden. Sie möchte keine Menschen berauben und hat genug Gewalt, Streit, gegenseitigem Bekämpfen und dem rüpelhaftem Leben. Die beiden Väter sind mit der Freundschaft ihrer Kinder nicht einverstanden, doch Ronja und Birk halten wie „Bruder und Schwester“ zusammen und wohnen gemeinsam wie naturverbunden, ähnlich wie Adam und Eva, im Mattiswald.

Die Probleme mit der Nahrungssuche beginnen mit dem nahenden Winter, und die Freunde streiten öfter miteinander. In einer bedrohlichen Situation kommt Mattis zu Hilfe, um seine Tochter zurück zu holen. Er bereut inzwischen, dass er seine Tochter aus Enttäuschung verstoßen hatte. Außerdem liegt der alte, treue Räuber Glatzen-Per im Sterben….

Das Schloss mit den verschiebbaren Wänden auf der Bühne ist dem Original aus der Geschichte von Lindgren nach empfunden. Die Aufführung beginnt in bedrohlicher Atmosphäre von Blitz und Donner mit der Geburt von Ronja. Die Räuberbande von Mattis haben bis auf Glatzen-Per rote Haare und natürlich alle ihre „Räuberkleidung“ an. Seit dem Blitz-Einschlag geht ein Riss durch die Mattis-Burg. In den Nord-Teil werden sich die Borka-Räuber Jahre später einnisten.

Zur Charakterisierung der Räuber-Gesellschaft werden schon zu Anfang Wolf-Metaphern benutzt. So wird das Baby mit einem Wolf-Wiegenlied in den Schlaf gesungen, die Gemeinschaft mit einem „Wolfsrudel“ verglichen und am Ende Stirbt der „alte Wolf“.

Ein schneller Zeitsprung, und Jahre später steht Ronja als pubertierendes Mädchen auf der Bühne. Sie ist Vaters ganzer stolz, beginnt sich aber schon gedanklich gegen die Vorstellungen von Mattis aufzulehnen. Die beiden verfeindeten Gruppen sind auch optisch gut zu unterscheiden. Die Räuberbande von Mathis haben rote, die Borka-Bande alle blonde Haare.

Ein großes Kompliment für das wunderbar fantasievolle Bühnenbild und grandiosen Projektionen und die speziellen Effekte. Der Moos bewachsene Hügel tauchte schon bei „Hänsel und Gretel“ auf. Besonders Eindrucksvoll, das unheimliche Erscheinen der „Unterirdischen“.

Die Kinder sind in Lindgrens Geschichte die Einzigen, die offen sind für neue Wege. Neben „Glatzen-Pit“ sehen sie ein, dass es besser ist. zusammen gegen die Landvogte zu halten, als zu rauben und sich gegenseitig zu bekämpfen. Sie emanzipieren sich von den Vorstellungen „der Erwachsenen“ und überwinden symbolische Gräben (Höllenschlucht). Es lohnt sich, mit kindlich-unverstellten offenen Blick neue Wege zu beschreite. So gibt es im Unterschied zu „Romeo und Julia“ ein Happy -End.

Die zeitgenössische Musik von Jörn Arnecke, stellte sowohl für alle Sängerinnen und Sänger, wie auch für die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Ingo Martin Stadtmüller vor eine große Herausforderung. Mit viel Einfühlungsvermögen gelang ihnen, diese zu meistern.

Es waren keine eingängigen Gassenhauer zu hören, sondern die Musik war ein Spiegel der verschiedensten Stimmungslagen.

Ileana Mateescu als Ronja und Tamara Weimerich als Birk waren ein gut eingespieltes Team. Schließlich haben sie ja schon bei „Hänsel und Gretel“ zusammen gesungen und gespielt.

Als Gast aus dem Dortmunder Schauspiel-Ensemble konnte Andreas Beck mit seiner starken Präsenz als „Glatzen-Pit“ überzeugen.

Obwohl oft oft düster und beängstigend für zarte Gemüter angelegt, sorgen das das glückliche Ende, das Können und Engagement des Ensembles für ein gelungenes Familien-Erlebnis mit zeitloser Aktualität.

Mehr Information über weitere Aufführungs-Termine unter: www.theaterdo.de

Gespenster der Vergangenheit

Die Minions bei der Eanimation Lenins, währed Tschumalows (Sebastian Kuschmann) Beziehung zu seiner Frau Dascha (Caroline Hanke) in die Brüche geht. (Foto: © Birgit Hupfeld).
Die Minions bei der Reanimation Lenins, während Tschumalows (Sebastian Kuschmann) Beziehung zu seiner Frau Dascha (Caroline Hanke) in die Brüche geht. (Foto: © Birgit Hupfeld).

Heiner Müller und Rambo – eigentlich treffen zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander. Doch Müllers „Zement“ und Rambo haben eine Gemeinsamkeit. Ihre Titelhelden sind Gespenster aus der Vergangenheit, die stören und weg müssen. Klaus Gehre verwandelt beide Stücke in einen surrealen Live-Film mit einer ähnlichen Technik wie bei seiner Vorgängerproduktion „Minority Report“. Ein Premierenbericht von „Rambo plusminus Zement“ vom 17. Februar 2016.

In der Mitte ein Bett. Da schläft Gleb Tschumalow (Sebastian Kuschmann). Soldat der Roten Armee, die erfolgreich gegen die Weißen gekämpft hatte. Nun kehrt er in seine Stadt zurück und will die neue Gesellschaft aufbauen. Doch die Realität hat die Utopie besiegt. Seine Frau hat ihr Kind ins Kinderheim gegeben, die Zementfabrik, in der Tschumalow als Schlosser arbeitete, ist dem Verfall preisgegeben. Angebliche „Feinde“ der Revolution werden hingerichtet.

Plötzlich ein Schnitt. John Rambo möchte in Hope (Texas) nur was essen. Doch der örtliche Sheriff hat etwas dagegen. Die Situation eskaliert.

„Rambo plusminus Zement“ ist dreigeteilt. In den beiden Zement-Teilen stehen die Schauspieler im Mittelpunkt, während der „Rambo“-Part in vielen dem „Minority Report“ ähnelt. Es ist faszinierend, mit welchen Material die fünf Schauspieler einen Film auf die Leinwand bringen. Klaus Gehre hat um die 15 Stationen aufgebaut, die als Setting für den Live-Film dienen. Matchbox-Autos werden zu Polizeifahrzeugen, ein altes Landschaftsbild wird zum Filmhintergrund und Rambo (auch Kuschmann) simuliert bravurös den Abstieg aus einer Felswand.

Exklusion statt Inklusion. Ausgrenzung statt Mitnahme. Das ist das Kernthema von „Zement“ und „Rambo“. Die Revolution frisst ihre Feinde, in ihrer maßlosen Gier aber auch mehr als ihr gut tut. Der Ingenieur Kleist (Andreas Beck) ist Tschumalows letzte Hoffnung für das Zementwerk, obwohl er die Revolution hasst. Denn Kleist hat das Wissen, wie das Werk funktioniert. Daher darf er nicht getötet werden. Auch Rambo will niemanden töten, sondern einfach nur in Ruhe gelassen werden.

Sebastian Kuschmann überzeugt in der Doppelrolle des John Rambo/Gleb Tschumalow ebenso wie Andreas Beck in der Rolle des feisten Ingenieurs Kleist bzw. des ebenso feisten Sheriffs Teasle. Kleinere Rollen übernahmen noch Ekkehard Freye, Caroline Hanke und Marlena Keil.

Wer „Minority Report“ von Gehre mochte, wird auch „Rambo plusminus Zement“ lieben. Es sind mehr schauspielerische Elemente enthalten, das Stück bietet aber wieder die gewohnte skurrile Filmoptik wie die Vorgängerproduktion. Trotz des eher tragischen Stoffes, gibt es einige sehr erheiternde Momente, beispielsweise wenn die Minions versuchen, Lenin wiederzubeleben.

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Familiäre Kernspaltung

Wer den Tod vor Augen hat wie Violet, kann auch mal Tacheles reden! (v.l.n.r.) Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Janine Kreß und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Wer den Tod vor Augen hat wie Violet, kann auch mal Tacheles reden! (v.l.n.r.) Andreas Beck, Marlena Keil, Frank Genser, Carlos Lobo, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Janine Kreß und Friederike Tiefenbacher. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Familie ist der Kern der Gesellschaft, so heißt es. Und wenn es zur Kernspaltung kommt, dann entsteht auch zerstörerische Energie, die wehtut und Narben hinterlässt. Wenn dann noch ein gut gehütetes Geheimnis wie eine Bombe in die Familie platzt, sind wir bei „Eine Familie“ von Tracy Letts in der Inszenierung von Sascha Hawemann. Ein Premierenbericht.

„Eine Familie“ ähnelt ein wenig dem Stück „Das Fest“, das von Kay Voges vor einigen Spielzeiten inszeniert wurde. In beiden Stücken geht es um den Zerfall einer Familie, wobei beim „Fest“ ein dunkles Geheimnis des Familienpatriarchen im Mittelpunkt stand, während bei der „Familie“ die Matriarchin und ihre Töchter ein bitteres Resümee ihres Lebens ziehen müssen.

Kurz zur Geschichte: Nachdem der alkoholkranke Beverly eine Pflegekraft für seine krebskranke und tablettensüchtige Frau Violet gefunden hat, verschwindet er. Violet ruft ihre Schwester sowie ihre drei Töchter zu sich, später kommt die Nachricht über Beverlys Selbstmord. Auf der Trauerfeier eskaliert die Situation.

Schmutzige Wäsche waschen ist ein viel zu harmloser Begriff, was in den mehr als drei Stunden auf der Bühne von Sascha Hawemann passiert, es ist eine knallharte Abrechnung der Matriarchin Violet (Friederike Tiefenbacher), die erkennt, dass ihr Matriarchin-Gen in ihren Töchtern nicht weiterlebt. Barbara (Merle Wasmuth) wird von ihrem Mann Bill (Carlos Lobo) verlassen und ihre 14-jährige Tochter Jean (Marlena Keil) entgleitet ihr. Karen (Bettina Lieder), der Typ Karrierefrau, hat mit ihrer neuen Eroberung zur Verwirklichung ihrer Kleinmädchenträume auch keinen Glückstreffer gelandet, denn Steve (Frank Genser) macht sich an Jean ran. Ivy (Julia Schubert) ist die tragische Gestalt des Stückes, denn die jüngste Tochter, die noch in der Nähe ihrer Mutter wohnt und von ihr nicht ernst genommen wird, erlebt bei ihrem Emanzipationsversuch – sie will mit ihrem Cousin Little Steve (Peer Oscar Musinowski) nach New York – eine persönliche Katastrophe. Dazu bekommt auch Violets Schwester Mattie Fae (Janine Kreß) mit ihrem Mann Charlie (Andreas Beck) ordentlich ihr Fett weg.

Jeder der Charaktere in dem Stück ist nicht ohne Fehler, und solche aufzudecken ist die Spezialität von Violet, die mit ihrem Mundhölenkrebs die „passende“ Krankheit hat, denn aus ihrem Mund kommen fast nur Gehässigkeiten.

Während die Elterngeneration noch Werte und Ideale der 68er Generation hochhält, nicht umsetzt erscheinen auf der Drehbühne Begriffe aus dem Gedicht „The hollow men“ von T.S. Eliot, in dem es um den moralischen Verfall der Gesellschaft geht, die letztlich daran zugrunde geht. Die Warnerin vor diesem Verfall ist Violet. Ihre Töchter sind alles Produkte einer narzisstischen Gesellschaft, die letztlich aber scheitern. Oft hält Violet ihren Töchtern das Alter vor. „Du kannst mit einer jüngeren Frau nicht mithalten“, wirft sie Barbara an den Kopf.

Hawemann nutzt in seiner Inszenierung exzessiv die Drehbühne und fordert von seinen Schauspielern höchsten Einsatz. Besonders beeindruckend war das Konterfei von Beverly (ebenfalls gespielt von Andreas Beck) während der Trauerfeier. Als schwebte sein Geist noch über der Familie.

Eine kleine, aber wichtige Rolle spielte Alexander Xell Dafov als unterstützende Pflegekraft Johnna, der auch noch live die Musik auf der Gitarre und dem Akkordeon spielte.

Ein monumentales Stück, das vor allem nach der Pause an Schwung und Dramatik gewinnt. Hier stehen nicht nur die Frauen im Mittelpunkt, sondern auch der Wertewandel von Generation zu Generation. Von einer Familie zu einer Gemeinschaft, mit der man nur zufällig genetisch miteinander verbunden sei, wie zu Ivy ihren Schwestern sagt. Nicht mehr von „Blut ist dicker als Wasser“. Hier werden Familienbande nicht nur gelöst, sondern auch radikal gekappt.

Auch die Frage „Was machen wir mit Mutter?“ steht im Raum. In Hawemanns Inszenierung bleibt letztendlich Barbara bei ihr, da sich ihr Familienglück komplett aufgelöst hat, während Ivy und Karen das Weite suchen.

Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.

Houellebecq als Live-Animationsfilm

Isabelle und Daniel auf der großen Leinwand. Bettina Lieder, Andreas Beck, Frank Genser und Merle Wasmuth drum herum. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Isabelle und Daniel auf der großen Leinwand. Bettina Lieder, Andreas Beck, Frank Genser und Merle Wasmuth drum herum. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Dortmund überrascht. Dich. So lautet das neue Motto der Stadt. Was die Stadt kann, kann das Schauspielhaus schon lange. Allein in dieser Spielzeit gab es eine Punk-Operette, eine herrliche Umsetzung des Hollywoodfilms „Minority Report“, Nosferatu in Stummfilm-Optik und -mimik sowie ein „Moby Dick“ mit Puppen und Menschen. Die Premiere von „Die Möglichkeit einer Insel“ setzte noch mal einen drauf. Es wurde von den vier Schauspielern live ein Animationsfilm erstellt. Ein Premierenbericht vom 28. März 2015.

Als ratternd die starre Bühnenwand hoch gezogen wurde, hatte man zunächst das Gefühl auf einem Konzert der Gruppe Kraftwerk gelandet zu sein. Vier gleich gekleidete Menschen standen vor vier Tischen. Doch auf dem Tischen waren keine Synthesizer, sondern hier wurden die einzelnen Platten für den Animationsfilm aufgelegt. Doch auf der Bühne tat sich noch mehr. Es gab Kameraroboter, die Bilder für den Hintergrund lieferten, auch die Hintergrundbilder waren zu sehen.

Regisseur Nils Voges vom Künstlerkollektiv „sputnic“ erzählt den Roman vom Houellebecq mit Rückblenden und springt zwischen 2005 und 4005. In 4005 bilden die sogenannten Neo-Menschen eine neue hoch gezüchtete Form des Menschen. Sie werden geklont und bekommen das Bewusstsein ihres Vorgängers eingepflanzt. Im Stück erleben wir den Übergang von Daniel24 zu Daniel25. Im Laufe dieser Entwicklung wurden Lachen, Weinen und andere Emotionen herausgemendelt. Die Nachfolger müssen sich aber mit dem Leben ihres Urahns beschäftigen. Diese Aufzeichnungen sind als Rückblenden im Stück zu sehen. Daniel24/25 erfährt von einer Gruppe von Abtrünnigen, die auf Lanzarote leben soll und macht sich auf den Weg.

Vielleicht klingt die nüchterne Beschreibung ein wenig abstrakt, doch was die Schauspieler Andreas Beck, Frank Genser, Bettina Lieder und Merle Wasmuth zusammen mit der Technik auf die Bühne gebracht haben, war große Klasse. Denn sie mussten die jeweiligen Platten zum exakten Zeitpunkt auflegen und dabei den Animationsfilm vertonen. Wobei Animationsfilm nicht im Sinne von Disney oder den anderen Animationsfilmen zu verstehen ist, die Grafik erinnerte eher ein wenig an „Sin City“. Sie war dunkel, düster und reduziert.

In „Die Möglichkeit einer Insel“ geht es um die Suche nach dem Glück. Sind sie Menschen in der Zukunft glücklicher, nachdem sie versucht haben, die Emotionen durch Klonen auszumerzen? Dieses Vorgehen ähnelt ein wenig dem Buddhismus, bei dem Menschen durch Wiedergeburt versuchen, das nach ihrer Meinung leidhafte Dasein zu überwinden. Aber anstelle des spirituellen Weges wird mit dem Klonen ein wissenschaftlicher weg eingeschlagen.

Doch das Thema in der Jetzt-zeit ist das Altern, bzw. die Angst vor dem Altern. Houellebecq beschreibt den Urahn Daniel als egozentrisches, zynisches Arschloch. Die Liebe zur Chefredakteurin Isabelle gibt ihm Halt. Doch Isabelle kann sich mit ihrem Altern nicht abfinden und verlässt Daniel, nachdem ihre Ehe zu einer Einsamkeit zu zweit verkommen ist. Daniels Beziehung mit der über 20 Jahre jüngeren Schauspielerin Esther ging unromantisch per SMS in die Brüche.

Den ideologischen Überbau bei Houellebecq übernehmen die Elohimiten. Die Elohimiten haben tatsächlich eine Entsprechung in der realen Welt. Die Raëlianer vertreten eine Weltanschauung, die Wissenschaft mit biblischen Geschichten mischt. Nach ihrer Meinung sind die Götter Außerirdische. Zudem propagieren sie das Klonen. Zusammen mit dem Meditieren wollen sie dann ein höheres Bewusstsein erlangen.

Es ist unglaublich, was die drei Schauspieler mit ihren Folien zaubern (Andreas Beck steht am Soundpult), man starrt gebannt auf die große Leinwand und sieht in Echtzeit einen Animationsfilm entstehen. Zusammen mit der modernen Technik entsteht im Theater etwas überaus Faszinierendes. Puristen möglichen vielleicht einwenden: Im Theater wollen wir Schauspieler agieren sehen. Doch Nils Voges hat dieses Werk von Houellebecq in einer besonderen Weise umgesetzt.

Allen Beteiligten auf und hinter der Bühne und natürlich den Zeichnern der unzähligen Folien gehört ein großes Lob für ein überraschenden, berührenden und faszinierenden Theaterabend.

Weitere Termine: Sa, 04. April 2015, Do, 16. April 2015, So, 10. Mai 2015, Mi, 20. Mai 2015, Sa, 30. Mai 2015, Fr, 05. Juni 2015 und Fr, 19. Juni 2015.

[fruitful_dbox] Das schreiben die anderen:

WAZ

Westdeutsche Zeitung

WA

Literaturundfeuilleton[/fruitful_dbox]

Wildes Festmahl mit Punkmusik

Festmahl oder Schwiegersohn. Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) in der Mitte kann sich wohl noch nicht entscheiden. Noch auf dem Foto: Ekkehard Freye und Wolfgang Wendland mit Nikolaj Sonnenscheiße, Volker Kampfgarten und Mitch Maestro. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Festmahl oder Schwiegersohn. Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) in der Mitte kann sich wohl noch nicht entscheiden. Noch auf dem Foto: Ekkehard Freye und Wolfgang Wendland mit Nikolaj Sonnenscheiße, Volker Kampfgarten und Mitch Maestro.
(Foto: ©Birgit Hupfeld)

Am 24. Januar 2015 ist Premiere für die wohl erste Punk-Operette „Häuptling Abendwind“ nach Johann Nestroy. Neben Schauspielern aus dem Dortmunder Ensemble steht die komplette Band der Ruhrpott-Punks „Die Kassierer“ auf der Bühne. Ein Abend ohne Musik von Jacques Offenbach, na ja, fast…

Worum geht es in der „indianischen Faschingsburlesque“? Hauptling Biberhahn kommt auf Besuch zu Häuptling Abendwind. Natürlich gehört zu so einem festlichen Besuch auch ein entsprechendes Festmahl. Da in dieser Gegend der Kannibalismus hoch im Kurs steht, wird nach einem entsprechenden Opfer gesucht. Der wird gefunden in dem gestrandeten Frisör Arthur. Aber ausgerechnet Atala, die Tochter des Häuptlings, und Arthur verlieben sich ineinander. Wird die Liebe siegen oder der Koch?

„Am Anfang war der Punk“, so Dramaturg Thorsten Bihegue. Mit der Band „Die Kassierer“ wurde schnell Kontakt hergestellt und es funkte zwischen Theater- und Musikmachern. „Als Künstler ist man auch eher Anarchist“, vermutet Bihegue eine gewisse Nähe von Punk und Theater. Schnell war klar, es müsste ein „Punk-Operette sein. Experimentiert wurde zunächst mit Stoffen wie „Weißes Rößl“, aber Alexander Kerlin hatte die goldene Idee: Häuptling Abendwind passt besser zu Punk.

Johann Nestroy hatte das Libretto der Operette „Vent du soir ou l’horroble festin“ ins Deutsche übersetzt, zu der Jacques Offenbach die Musik schrieb. 1862 wurde Nestroys Version uraufgeführt. Doch spielen die „Kassierer“ jetzt Offenbachs Musik im Punk-Modus? Nein, bis auf ein kleines, aber sehr bekanntes Stück des Komponisten wird alles live von den „Kassierern“ kommen. Unter anderem Lieder wie „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“ oder „Mein schöner Hodensack“. Daneben werden die „Kassierer“ auch auf der Bühne schauspielern, sie spielen den Stamm der Wilden.

Natürlich sind auch Schauspieler aus dem Ensemble dabei. Häuptling Abendwind wird von Uwe Rohbeck gespielt, während sein „Amtskollege“ Häuptling Biberhahn von Uwe Schmieder gespielt wird. Ekkehard Freye spielt Arthur und Atala wird von Julia Schubert dargestellt. Andreas Beck führt Regie.

Die Premiere ist am 24. Januar um 19:30 Uhr und bereits ausverkauft. Weitere Termine: SA, 31. JANUAR 2015, DO, 12. FEBRUAR 2015, SA, 21. FEBRUAR 2015. FR, 06. MÄRZ 2015, SO, 29. MÄRZ 2015, FR, 10. APRIL 2015, SO, 26. APRIL 2015, SA, 09. MAI 2015 und SO, 24. MAI 2015

Perfekte Hommage an Nosferatu

Hutter (Ekkehard Freye) voller Schreck vor Nosferatu (Uwe Rohbeck). Foto: © Edi Szekely.
Hutter (Ekkehard Freye) voller Schreck vor Nosferatu (Uwe Rohbeck). Foto: © Edi Szekely.

Wenn Jörg Buttgereit am Dortmunder Schauspielhaus inszeniert, dann immer mit einem liebevollen Blick auf die Protagonisten. Ob es nun Serienmörder Ed Gein war, der bedauernswerte Merrick in „Der Elefantenmensch“ oder jetzt Nosferatu im gleichnamigen Stück „Nosferatu lebt“. Selbstverständliche wieder mit Uwe Rohbeck in der Hauptrolle. Die Premiere am 29. November sah sich Anja Cord an.

Der Stummfilm „Nosferatu“ aus dem Jahre 1922 von F.W. Murnau ist eine Film-Legende und Max Schreck als Darsteller des Grafen Orloks/Nosferatu bleibt den meisten Zuschauern in gruseliger Erinnerung. Die Geschichte in Kürze: Hutter wird vom Häusermakler Knock nach Transsylvanien geschickt, um dem Grafen Orlok ein Haus zu verkaufen. Zufällig verliebt sich Orlok in Hutters Frau Ellen und das Unglück nimmt seinen Lauf…

Jörg Buttgereit hat es nicht nur geschafft, den Stummfilm auf die Bühne zu übertragen, sondern er schuf auf noch eine übergeordnete Ebene. Der Erzähler, gespielt von Andreas Beck, setzte den Film in seine historische Dimension. Der Film ist eine Art Menetekel für die kommende Zeit. Denn die junge Weimarer Republik musste sich vieler Feinde erwehren und am Ende wird der Altraum wahr: ein Tyrann herrscht über Deutschland. 1933 hatte auch Folgen für die Filmindustrie. Viele Filmschaffende emigrierten. Duplizität der Premieren-Ereignisse: Am gleichen Tag hatte in der Oper die Jazz-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ Premiere. Auch hier musste der Komponist Paul Abraham fliehen und die moderne Operette wurde in Deutschland und später in Österreich zerstört.

Daher ist das Ende auch nicht so wie im Stummfilm. Hutter, zum Vampir geworden, zitiert aus Paul Celans „Todesfuge“: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Buttgereit benutzt expressionistische Stilelemente wie das Schattenspiel, ähnlich wie bei dem „Cabinet des Dr. Caligari“, dazu kommt die übertriebene schauspielerische Art und Weise wie sie in Stummfilmen üblich war. Natürlich durften auch die typischen Texttafeln nicht fehlen.

Alle Schauspieler haben toll gespielt und waren sehr überzeugend. Wobei Uwe Rohbeck einfach ein Glücksgriff in den Stücken mit Jörg Buttgereit ist. Ob als Serienmörder, Elefantenmensch oder als Vampir. Max Schreck wäre sicherlich sehr stolz gewesen, wenn Rohbeck sich mit seinen langen schwarzen Fingernägeln und seinen weißen Händen, die wie Spinnenbeine wirkten, Ellens Hals näherte.

Pianist Kornelius Heidebrecht hat den Film nicht nur mit seiner Musik begleitet, sondern auch die passenden Effekte dazu geschaffen, das natürlich alles live.

Neben Uwe Rohbeck standen noch Ekkehard Freye als Hutter, Annika Meier als Ellen und Andreas Beck als diabolischer Hausmakler Knock auf der Bühne.

Es war ein Erlebnis, man wird sofort in das Stück gezogen, und bleibt von der Atmosphäre des Stummfilms im Theater fasziniert. Ein absolut sehen wertes Stück. Es bleibt zu hoffen, dass es noch weitere Termine gibt, denn die bisher bekannten sind ausverkauft.

Wenn Illusionen platzen

Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy)
Das gemeinsame Abendessen platzt. (v.l.n.r.) Peer Oscar Musinowski (als Biff), Sebastian Graf (als Happy), Andreas Beck (Willy) (Foto:©Birgit Hupfeld)

Damals, als ein Wort noch etwas galt, als es wichtig war, beliebt zu sein, das war die Welt von Willy Loman, einem reisenden Vertreter. Doch die Zeiten haben sich geändert, nur Willy leider nicht. In der Inszenierung von Liesbeth Coltof spielt Andreas Beck in „Tod eines Handlungsreisenden“ einen Willy Loman, der zusehen muss, wie seine Welt untergeht. „Der Wald brennt“, ruft Loman ein paar Mal verzweifelt im Stück, doch weder Kavallerie noch Feuerwehr können ihn retten. Ein Premierenbericht.

Wichtig ist die Fassade. So tun als ob. Alles ist in Ordnung, obwohl die Kacke am Dampfen ist. In Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ geht es um den Verfall einer Mittelschichtfamilie, die verzweifelt versucht, ihren sozialen Abstieg zu kaschieren, obwohl er längst im vollen Gange ist. Willy Loman die Hauptfigur arbeitet als Handlungsreisender nach über 30 Jahren mittlerweile nur auf Provision, was bedeutet, er bringt kein Geld nach Hause. Das Geld leiht er sich von seinem Freund und Nachbarn Charley. Willys Stolz lässt ihn sogar Charleys Jobangebot ausschlagen, obwohl er von seinem Juniorchef entlassen wird. Seine Frau Linda steht in bedingungsloser Treue zu ihrem Mann, auch wenn sie die Realität erkennt. Mit seinem ältesten Sohn Biff gerät Willy häufiger in Streit, weil Willy alle seine Hoffnungen auf die Karriere seines Sohnes setzt, die aber nicht stattfindet, da Biff nicht der Überflieger ist, für den Willy in hält. Im Schatten davon ist Happy, Willys zweitältester Sohn. Er wird überwiegend von seinen Eltern ignoriert, obwohl er versucht, um ihre Anerkennung zu kämpfen.

Ein zweites Problem der Familie ist das Verbiegen der Wahrheit. Willy ist ein Meister im „Pimpen“ seines Lebenslaufes und vor allem den von Biff. Da wird Biff quasi zum Direktor hochstilisiert, obwohl er nur einfacher Packer war. Auch Willy erzählt von den Aufträgen, die er in der Tasche hat, nur leider fehlen die nötigen Unterschriften.

So ist das Stück, obwohl es aus dem Jahre 1949 stammt, auch heute hochaktuell. In Zeiten, wo Hausmeister zu „facility managern“ mutieren, jede noch so kleine Aushilfstätigkeit im Lebenslauf enorm aufgeblasen wird, werden Hoffnungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. Auch die Mentalität, Dinge einfach zu bestellen oder kaufen, weil man sie ja in Raten abbezahlen kann, ist heute aktueller denn je. Die mögliche Konsequenz: Seit 2006 gehen jährlich mehr als 100.000 Menschen in Privatinsolvenz. Passend dazu ließ Coltof die Bühne mit Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen und Kühlschränken dekorieren.

Dustin Hofman spielte Willy Loman in der Verfilmung von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1985 und ist vielen immer noch in Erinnerung, wenn sie an „Tod eines Handlungsreisenden“ denken. Andreas Beck spielt einen Willy, der schon optisch eine imposante Gestalt ist. Gleichzeitig macht Beck schnell die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit des Charakters deutlich: Beispielsweise sofort zu Beginn, als er mehrmals auf die Bühne kommt, um zu erzählen, dass er eine Versicherungspolice über 150.000 € abgeschlossen hatte. Beck zeigt einen Willy, der zwischen lauter Polterigkeit und sensibler Zerbrechlichkeit mäandert.

Biff, der älteste Sohn, wird von Oscar Musinowski gespielt. Biff ist frustriert, weil er die Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen kann und eigentlich auch gar nicht erfüllen will. Für Willy ist sein Sohn Biff der „Erlöser“, passend dazu erklang „I know that my redeemer liveth“ aus Händels „Messias“. Musinowski spielt einen verzweifelten Biff, der erkennen muss, dass nicht nur sein Leben ein Selbstbetrug ist, sondern auch das seiner ganzen Familie. Die „Werte“ mit denen Biff erzogen wurde, wie „Beliebtheit“ nutzen ihm in der realen Gesellschaft nichts mehr. Die Zeiten, in der Verträge per Handschlag geregelt wurden und gültig waren, sind in der modernen, kalten Wirtschaft vorbei.

Ähnlich tragisch angelegt ist die Rolle von Happy, dem zweiten Sohn. Er kämpft verzweifelt um die Liebe seiner Eltern, doch vergebens. Er ist quasi nicht existent, obwohl Happy seine Eltern sogar finanziell unterstützt. Sebastian Graf spielt einen Happy, der gerne möchte, dass „alles so wie früher“ ist. Auch Happy kennt eigentlich die Wahrheit, will sie aber um des Familienfriedens nicht aussprechen.

Ähnlich geht es Linda, die von Carolin Wirth dargestellt wurde. Auch sie weiß die Wahrheit, hält aber an der Illusion fest.

Willys nahezu irreale Hoffnung liegt bei seinem toten Bruder Ben (wurde überwiegend von Uwe Rohbeck gespielt). Ben ist das absolute Vorbild für Willy, denn er hat es „geschafft“. Wie, dass weiß man nicht so genau, aber Ben taucht ab und an in Willys Vorstellung auf.

Coltof lässt das Stück bewusst in Dortmund, beziehungsweise in Europa spielen. Szenen aus Dortmund tauchen ab und zu in kurzen Videosequenzen auf. Statt Baseball spielt Biff Fußball. Doch die Größe von Millers Stück, ist, dass es zeitlos wirkt. In der Hand von Coltof, die eine Meisterin im Herausarbeiten von Lebenslügen in einer Familie ist wie ihre Vorgängerproduktionen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und „Verbrennungen“, zeigt sich der Stoff aktueller denn je. Kauf auf Pump, das Pimpen des Lebenslaufes und die Unfähigkeit, die Wahrheit zu sagen: Alles vermengt sich bei Millers Stück zum tragischen Ausweg für Willy: Den Selbstmord. Denn dank seiner Versicherungspolice ist er in bitterer Weise „tot mehr wert als lebendig“.

Weitere Termine: DO, 23. OKTOBER 2014, FR, 24. OKTOBER 2014, SA, 08. NOVEMBER 2014, SO, 23. NOVEMBER 2014, MI, 03. DEZEMBER 2014, FR, 19. DEZEMBER 2014, FR, 26. DEZEMBER 2014, SO, 28. DEZEMBER 2014, SO, 11. JANUAR 2015, MI, 18. FEBRUAR 2015, MI, 11. MÄRZ 2015, SO, 19. APRIL 2015, FR, 22. MAI 2015 und DO, 11. JUNI 2015.

Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.