Inszenierter Selbstmord vor der Kamera

Mit „Sechs Gramm Caratillo“ schrieb Horst Bienek ein Hörspiel, das sich um einen Medizinstudenten dreht, der in einem Selbstversuch ein tödliches Gift nimmt und den Versuch mit einem Tonband aufnimmt. Gesprochen wurde es 1960 von Klaus Kinski. Bienek erhielt 1981 den Dortmunder Nelly-Sachs-Preis.
Das Theater glassbooth bringt das Stück ins 21. Jahrhundert. Hier ist es eine Schauspielerin/Künstlerin, die sich in einer Performance das Gift injiziert und ihr Sterben auf einer Kamera dokumentiert. Gespielt wird dies von Nora Bauckhorn, Regie führt Jens Dornheim und Videoeinspielungen wurden von Sascha Bisley erstellt. Die Premiere ist am 07. Mai 2015 im Sissikingkong. Ars tremonia sprach mit den drei Verantwortlichen.

[Update: Mittlerweile gibt es den Premierenbericht.]

 

Ars tremonia: In dem Stück „Sechs Gramm Caratillo“ geht es im Original um einen Selbstversuch eines Medizinstudenten. Gibt es in ihrer Inszenierung Veränderungen?

Nora Bauckhorn: Der Text ist umgearbeitet worden, er ist etwas moderner. Es geht in unserem Fall nicht um ein medizinisches Experiment, sondern eher um ein künstlerisches.

Ars tremonia: Herr Dornheim, wie sind sie auf die Idee gekommen, dieses Stück zu inszenieren, das ja ursprünglich aus dem Jahre 1960 stammt?

Jens Dornheim: Die Idee stammt von Nora, sie hatte das Stück in ihrer Schublade und es bereits für eine Frau umgeschrieben. Nora hatte mich gefragt, ob ich das Stück mit ihr machen möchte. Dann habe ich mir als erstes das Original von Kinski angehört, danach Noras Text gelesen und das hat mich sofort überzeugt, es machen zu wollen.

Ich werde mit glassbooth dieses Jahr zwei Premieren machen, eine mit kleinerer Besetzung und die andere mit mehr Schauspielern. Das hier ist bewusst für kleinere Locations konzipiert worden. Wir hätten es auch im Theater im Depot spielen können, aber ich finde, das Stück passt da nicht so gut rein. Ich finde, es braucht einen intimen Charakter mit wenig Zuschauer, die sehr nah dran sind.

Wir brauchen relativ wenig Platz auf der Bühne, aber die Möglichkeit auf einem Hintergrund etwas zu projizieren.

Ars tremonia: Frau Bauckhorn, was hat Sie an diesem Stück fasziniert?

Nora Bauckhorn: Ich glaube, zunächst einmal Kinski. Als Die-Hard-Fan finde ich es ein sehr auffälliges Werk, weil es so untypisch ist für ihn. Kinski spricht das sehr zurückgenommen, sehr ruhig eigentlich. Ich fand das Stück schon immer sehr spannend und faszinierend. Ich finde die Idee des Selbstmordes, was es im Prinzip ja ist, unter diesem Vorwand eines Experimentes interessant. Auch ein Thema was mich fasziniert, die Frage eben, wie echt muss Schauspiel, Film oder Kunst überhaupt sein? Wie echt darf es sein? Was will man sehen? Das ist zwar kein neues Thema, aber ich finde es halt interessant. Die Vorstellung, irgendjemand dabei zu zugucken, wie er sich gerade umbringt, ist natürlich extrem abstoßend, aber es hat natürlich einen sehr finsteren Reiz.

Ars tremonia: Es soll ja diese „Snuff“-Filme geben.

Nora Bauckhorn: Das wäre das auf die Spitze getrieben. Wobei ich das persönlich weder besonders interessant finde. Aber es scheint irgendetwas zu geben, was Leute daran fasziniert und sei es nur die Idee, dass es solche Filme geben soll. Allein das macht schon etwas mit Leuten. Ich finde es spannend zu fragen: Was will das Publikum? Was glaubt es zu wollen und will es das dann wirklich noch?

Ars tremonia: Gibt es Unterschiede zwischen der wissenschaftlichen Original-Hauptfigur und der neuen künstlerischen Figur?

Nora Bauckhorn: Ich glaube, da gibt es nicht so viele Unterschiede im Sinne der Intention. Ich versuche bestimmt nicht, auf der Bühne Herrn Kinski zu imitieren. Es ist deutlich anders gespielt, es ist eine Frau.

Jens Dornheim: Wir haben den Charakter schon deutlich verändert. Die Persönlichkeit der Künstlerin ist eine andere, ich wollte auch einen gewissen Abstand zum Original haben. Wobei der Herr Kinski bei uns auch eine Rolle spielen wird.

Nora Bauckheim: Im Original ist es ein Medizinstudent, in unserer Fassung ist es eine Schauspielschülerin oder eine kunstaffine Person.

Jens Dornheim: Bei uns ist es kein Experiment, sondern eine Performance.

Nora Brauckheim: Sie produziert sich auch anders als Kinskis Medizinstudent.

Sascha Bisley: Sie ist auch triebhafter, mit weniger Kalkül und emotionaler.

Ars tremonia: Es gibt nicht nur den Monolog auf der Bühne, sondern auch audiovisuelles. Was gibt es zu sehen und zu hören?

Sascha Bisley: Ich bin angesprochen worden, ob ich mir vorstellen könnte, das filmisch umzusetzen und wir haben überlegt, welchen Look wir nehmen. Machen wir das aufdringlich, schnell und laut wie heutige Installationen im Theater sind? Wir haben uns sehr schnell darauf geeinigt, etwas auszusuchen, was abgespeckt ist, sich auch ein bisschen in der Präsenz auf der Leinwand zurücknimmt und dafür mehr Raum für die Schauspieler lässt. Daher haben wir mit Schwarz-Weiß einen sehr klaren Look gewählt und die Bilder traummäßig angelegt. Das ist sehr surreal. Wir versuchen das Ganze mehr unterstützend statt aufdringlich zu untermalen. Installation wirken auch oft ablenkend und das haben wir vermieden. Die Herausforderung ist, die Lücken, die dieser Film hinterlassen muss, durch das Schauspielerische zu füllen. Der Film ist dazu da, um die Story zu etablieren, aber das Hauptaugenmerk dennoch auf der Schauspielerin zu lassen, die auf der Bühne und in den Installationen zu sehen ist. Das Filmische soll nur Beiwerk sein.

Ars tremonia: Wie lange wird das Stück ungefähr?

Jens Dornheim: Eine Stunde. Das Hörspiel ist 30 Minuten und da es bei uns etwas zusätzlich gibt und es auf der Bühne immer anders ist als im Studio, dauert es eine Stunde.

Weitere Termine: Donnerstag, 14.05.2015 im Wohnzimmer GE, Gelsenkirchen und am 17.05. 2015 im Theater Rottstr 5 in Bochum.

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